Call of Duty: Modern Warfare - Test, Shooter, XboxOne, PlayStation4, PC
Urzikstan kennt ihr nicht? Wir auch nicht. Aber offenbar hielten es die Entwickler für eine gute Idee, einen Krisenstaat in der Kaukasusregion zu erfinden, in dem ein Großteil des Spiels stattfinden kann. Passend dazu bekommt man es dort mit Al-Qatala zu tun, einer ebenfalls fiktiven, terroristischen Vereinigung. Gleichzeitig gibt es aber Anschläge in London und wahnsinnig viele böse Russen, die mitmischen - eine seltsame Melange. Nichtsdestoweniger gelingt es Call of Duty: Modern Warfare als einem der wenigen Spiele, zumindest in Grundzügen aufzuzeigen, wie moderner Terror entstehen kann. Wenn nämlich von Giftgas und Massenerschießungen gepeinigte Zivilisten erst zu Widerstandskämpfern und später zu Feinden der westlichen Welt werden - Parallelen zu Irak und Afghanistan sind offensichtlich.
Auf nach Urzikstan
Jein. Russische Soldaten werden im Spiel bis auf wenige Ausnahmen tatsächlich extrem negativ dargestellt (wohl daher erscheint das Spiel auf PS4 nicht in Russland): Sie setzen Giftgas ein, liquidieren Gefangene, drangsalieren die Zivilbevölkerung, foltern Widerstandskämpfer. Andererseits räumt Captain Price (ein britischer Soldat) in einer Szene ein, dass er und sein Team Grenzen überschreiten, die eigentlich nicht überschritten werden sollten. Dass er es trotzdem tut und man als Spieler diese Handlungen nicht verhindern kann, ist schade. „Wir machen die Drecksarbeit, damit die Welt sauber bleibt“ lautet einer seiner prägnantesten Sprüche. Es ist tatsächlich glaubhaft, dass dieser Soldat von der Notwendigkeit seiner ethnisch mehr als fragwürdigen Handlungen überzeugt ist - trotzdem schade, dass Infinity Ward den spannenden nächsten Schritt (einmal mehr) nicht geht. Einen Soldaten, der da eben nicht mitmacht. Den Befehl verweigert. Vielleicht sogar seinen Vorgesetzten bedroht. Immerhin macht das Studio mit der Widerstandskämpferin Farah Karim eine Frau zur eigentlichen Hauptfigur dieser CoD-Episode - Farah gibt Befehle, wird intensiver beleuchtet als alle anderen Charaktere und führt ihre Leute schließlich auch in die Schlacht.
Böse Russen, gute Amerikaner?
Eine Szene mit sehr unangenehmen Beigeschmack gibt es aber tatsächlich: Im achten Level der Kampagne, “Highway des Todes“, sagt Farah beim Missionbriefing folgende Sätze: „Tariq Almawt, die Straße des Todes. Russen haben sie bei der Invasion zerbombt und die Fliehenden getötet“. Diese „Highway of Death“ genannte Straße gibt es fern vom fiktiven Urzikstan, in der echten Welt tätsachlich: Die sechsspurige Autobahn von Irak nach Kuwait war in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1991 Schauplatz eines US-Bombardements kurz vor dem Ende des Zweiten Golfkriegs. Amerikanische Flugzeuge griffen einen Konvoi von auf dem Rückzug befindlichen Panzern und Zivilfahrzeugen an. Wenngleich die Opferzahlen je nach Quelle variieren (konservative Schätzungen gehen von 600 bis 1.000 Toten aus) und die Einstufung als Kriegsverbrechen umstritten ist, wurde das Bombardement vom US-Militär durchgeführt - und nicht, wie das Missionbriefing in Modern Warfare sagt, von Russen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es hier um einen fiktiven Shooter geht, der letztlich schon immer westliche Propaganda betrieb, und nicht um eine historische Reportage.
Propaganda? Geschichtsrevisionismus?
Action wie immer
Während der selbst für Call-of-Duty-Verhältnisse kurzen Kampagne (fünf bis sechs Stunden) erlebt man Action en masse, allerdings hebt sich der diesjährige Einsatz spürbar von mancher Baller-Achterbahn der Vorjahre ab: Es gibt mehr Tode aus dem Hinterhalt, mehr Kämpfe auf engstem Raum, mehr Einsätze bei Nacht. Ein paar Mal, z.B. als man minutenlang snipern lernt oder beim Warten auf einen feindlichen Ansturm, hat man sogar Zeit zum Durchatmen. Bricht dann aber die Hölle los, geht es audiovisuell richtig rund: Zivilisten erschweren das Anvisieren von Feinden, Dreck und Mauerstücke wirbeln durch die Luft, Scharfschützen aus dem Hintergrund erlegen euch im Nu, grelles Mündungsfeuer und brachiale Schussgeräusche gibt es sowieso. In den besten Momenten des neuen Modern Warfare wähnen sich Serienfans tatsächlich im Himmel - Infinity Ward hat sich ein paar verdammt intensive, stark designte Szenarien ausgedacht, die sich auch nach so vielen Episoden (und noch mehr Missionen) frisch anfühlen. Die Erstürmung einer Wohnung, Kämpfe im Krankenhaus, der oben erwähnte Angriff auf die Botschaft - bei diesen Stellen hatten wir die Hoffnung, dass dem Studio ein erneuter Meilenstein gelingt wie anno 2007 mit dem ersten Modern Warfare.„Steigen Sie im Rang auf, schalten Sie neue Waffen, Extras, Punkteserien und mehr online frei.“ So überschaubar fasst das Hauptmenü den Punkt „Mehrspieler“ zusammen. Gleichwohl verbirgt sich diesmal eine ganze Litanei verschiedener Spielarten dahinter: Auf zehn teils recht ausladenen, verschachtelten Karten messen sich 12 Spieler im beliebten Team Deathmatch, dem kurzweiligen, an Counterstrike erinnernden „Cyberangriff“ sowie weiteren typischen Modi (Herrschaft, Suchen & Zerstören, etc.). Die ebenfalls beliebte Variante „Abschuss bestätigt“ kann man zum aktuellen Zeitpunkt zwar für private Matches wählen, ist aber nicht in die Standard-Rotation integriert - schade. Der neue Unterpunkt „Feuergefecht“ ist speziell für vier Spieler gedacht und ein echter Zugewinn: Zwei Zwei-Mann-Teams balgen sich in besonders kleinen Arenen mit vielen hüfthohen Deckungen - in jeder zweiten Runde erhalten alle Spieler andere Waffen und machen Jagd aufeinander. Kleiner Tipp: Erstellt ruhig mal als privates Match ein 6-gegen-6-Team-Deathmatch auf einer dieser Mini-Karten - dann geht es unfassbar ab. In den herrlichen abgeranzten „Gulag Showers“ z.B. wähnt ihr euch wie im Film The Rock. Generell ist das Spielgefühl so astrein wie in fast jedem Serienteil, als praktische Neuerung empfanden wir die Option, beim Nachladen weiterhin im Zielmodus zu verharren.
Mehrspieler-Modi
Klassenkampf
Diese Unterschiede findet ihr in den Koop-Modi, verborgen unter dem Punkt „Rollenauswahl“: Ein Sanitäter kann schneller wiederbeleben, ein Sprengkommandeur bringt einen Thermitwerfer mit, Aufklärer haben eine Drohne dabei und Sturmsoldaten laden fixer nach. Mit diesen Archetypen plus eurer Standardklasse (und somit auch der im Mehrspieler-Modus aufgemotzten Waffe) stürzt ihr euch in drei Koop-Modi: „Überleben“ und „Klassische Spezialeinheit“ erinnern an den Horde-Modus der Gears of War-Serie. Immer stärkere werdende Feindwellen stürmen heran, man kämpft ums nackte Überleben, kauft Luftschläge, Medipacks oder Waffen und hilft sich gegenseitig auf die Beine. Hinter „Öffentliches Spiel“ hingegen verbirgt sich ein ganz anderes Kaliber: Begleitet von überflüssigen Briefingsequenzen warten hier vier ausufernde Koop-Operationen auf vier Spieler. Das Problem dabei: Die Missionen sind nicht nur sehr lang und knifflig, sondern nerven auch mit schier unendlich spawnenden Feinden. Kurz vor dem Ende eines solchen Einsatzes hat jeder der vier Spieler schon mal 150 Kills auf der Habenseite! Ihr könnt zwar per Fallschirm wieder einsteigen, trotzdem erfordert das Beschützen eines Fahrzeugs oder das Hacken mehrerer Terminals, während derart viele Gegner anmarschieren, nicht nur gute Ballerskills, sondern auch ein eingespieltes Team. Das konnte ich bei meinen vielen Testversuchen fast nie finden.
Zusammen stark?
Technik & Co.
Die PC-Version ist an Blizzards Battle.net gebunden - wie schon Call of Duty: Black Ops 4; neben einem Battle.net-Account ist auch ein Activision-Konto zwingend erforderlich. Selbst die Einzelspieler-Kampagne benötigt eine dauerhafte Online-Verbindung. Die grundlegenden Einstellungsoptionen des Shooters sind vorbildlich: Widescreen- und Ultrawidescreen-Monitore sowie HDR werden unterstützt. Es gibt drei unterschiedliche Limits für die Bildwiederholrate (Spiel, Menü, außerhalb des Fokus), Anpassungsmöglichkeiten für das horizontale und das vertikale Sichtfeld, Optionen für Farbenblinde und überraschend gut erklärte bzw. visualisierte Grafikoptionen rund um Texturqualität, Shadowmaps, Kantenglättung, Umgebungsverdeckung & Co. Tiefenschärfe, Bewegungsunschärfe und Bildrauschen lassen sich anpassen und auf Wunsch ausschalten. Nervig ist die minutenlange Shader-Optimierung, die beim ersten Spielstart und immer dann durchgeführt wird, sobald ein neuer Grafikkarten-Treiber installiert wird
Die Steuerung mit Maus- und Tastatur bietet reichlich Optionen: So lassen sich Mausbeschleunigung und Mausempfindlichkeit z.B. sehr genau einstellen. Die Tastaturbelegung kann frei verändert und das Bewegungsverhalten des Spieler-Charakters nach Belieben angepasst werden. Alternativ kann der Shooter auch am PC per Controller gespielt, dessen Tastenbelegung jedoch nicht individuell verändert werden. Dafür lassen sich Anvisierhilfe, Stick-Empfindlichkeit etc. verändern. Trotz der gelungenen Optionen und Einstellungsmöglichkeiten ist die PC-Umsetzung noch verbesserungsbedürftig: Auf einem der beiden Test-Rechner wurden vermehrt Abstürze verzeichnet. Am 28. Oktober wurde ein Patch veröffentlicht, der allgemeine Absturzursachen aus der Welt schaffen soll. Auf dem zweiten Test-Rechner gab es keine Absturzprobleme. Allerdings kämpft das Spiel unverständlicherweise mit (unnötig) ruckelnden Zwischensequenzen in der Kampagne, die selbst auf einer SSD und nach Neuinstallation des Grafikkarten-Treibers weiter auftraten. Die Bildrate liegt zwar weit über 80, trotzdem ruckeln die Zwischensequenzen - seltam! Außerdem fielen immer wieder Popins von Objekten auf - ab einer bestimmten Entfernung tauchten mehrfach Level-Objekte spontan und aus dem Nichts auf, selbst bei maximaler Grafikqualität. Die Bildwiederholrate hängt natürlich von den gewählten Grafikoptionen ab und kann selbst auf High-End-Systemen in manchen Situationen in die Knie gehen. In 1080p war die Bildwiederholrate mit maximalen Details jedenfalls in der Regel (weit) über 60.
Viele PC-Steuerungsoptionen, aber auch Macken (von Marcel Kleffmann)
Raytracing für Schatten
Außerdem bietet Call of Duty: Modern Warfare eine Option für DirectX-Raytracing auf RTX-Grafikkarten von Nvidia, wobei die Raytracing-Grundlagen in der Engine integriert sind und keine proprietäre Nvidia-RTX-Technologie zum Einsatz kommt. Zunächst einmal: Die Verluste der Bildwiederholrate mit aktiviertem Raytracing halten sich in Grenzen, aber die optischen Verbesserungen sind längst nicht so dominant wie jüngst in Control - das Spiel von Remedy bleibt hier weiterhin die Referenz.In Modern Warfare werden "Point Light Shadows" (Lichtquellen strahlen Licht in alle Richtungen aus; z.B. Glühbirnen) und "Spot Light Shadows" (direktionale Lichter/Scheinwerfer wie Taschenlampen) mit Raytracing berechnet. Die Ergebnisse sind: wesentlich weicher wirkende Schatten und oftmals eine bessere Ausleuchtung der Szene, weil manche Schatten der "Shadow Maps" in Relation zur Lichtquelle falsch oder nicht vorhanden sind. Gerade bei der Beleuchtung von kleinteiligen Levelobjekten wie Zetteln an Pinnwänden oder Gras/Holz auf dem Boden fällt der Qualitätssprung auf, sofern man sich die Zeit nimmt und genau hinschaut. Im actionreichen CoD-Alltag schafft das Raytracing aber nur nuancierte Verbesserungen im Detail. Weitere Vergleichsbilder findet ihr hier. Raytracing-Schatten sind in der Einzelspieler-Kampagne und in den zentralen Mehrspieler-Modi verfügbar, im Spielmodus "Bodenkrieg" und bei den kooperativen Missionen ist die Option nicht wählbar.
Mikrotransaktionen zum schnelleren XP-Gewinn, stärkere Waffen für Premium-Pass-Käufer, Lootboxen & Co. - all das gibt es in Modern Warfare nicht. Zum aktuellen Zeitpunkt ist lediglich ein 9,99 Euro teures „Defender“-Paket verfügbar, das euch ein paar Skins beschert, aber vor allem Kriegsveteranen in den USA und Großbritannien zu gut bezahlten Jobs verhelfen soll. Kostenpflichtige DLC-Karten schließt Activision aus, dafür müssen sich Langzeitzocker auf das Kaufen von Battle-Passes in den Post-Launch-Seasons einstellen; deren Preis ist noch nicht bekannt.
Fazit
Bin ich enttäuscht, dass Infinity Wards Serien-Neustart nicht denselben Wow-Effekt besitzt wie das Original von 2007? Oder eher erfreut, dass ich das stärkste Call of Duty seit Jahren vor mir habe? Von beidem ein bisschen! Auch wenn die propagandistischen Untertöne samt plumper Geschichtsfälschung stören: Es ist erfreulich, dass es wieder eine derart intensive Kampagne gibt. Unterstützt von einer deutlich verbesserten Grafikkulisse inszenieren die Entwickler ein paar der besten Missionen bisher, allerdings verhindern eine schwächere zweite Spielhälfte und die kurze Spielzeit den Sprung in ganz hohe Wertungsregionen. Im einmal mehr enorm umfangreichen Mehrspieler-Paket ragen der schnörkellose, aber wie immer motivierende Multiplayer-Modus mit seinen tollen Karten sowie die packende Variante 2-gegen-2 heraus. Die anstrengenden, unfairen Koop-Missionen hingegen erreichen nicht die Qualiät mancher Zombie-Episode oder der Koop-Einsätze von Modern Warfare 3. Unterm Strich bekommt man aber einen richtig guten Shooter.
Pro
- intensiv inszenierte Kampagne
- packende Häuserkämpfe
- auch auf normal kein Spaziergang
- KI-Feinde manchmal sehr aggressiv, aber sie...
- etliche Wege und Türen trotz enger Levels
- wie immer exzellente Steuerung
- Crossplay wird unterstützt und funktioniert tadellos
- Maus- und Tastaturunterstützung auf Konsole
- wahnsinnig viele stark modellierte Waffen
- kaum Renn-weg-während-alles-explodiert-Szenen
- spannende Einsätze mit Nachtsichtgerät
- großer Mehrspieler- und Koop-Umfang
- sehr schicke Rendersequenzen
- keine Lootboxen
- sehr dynamische Soundkulisse
- extrem viele Einstellungsmöglichkeiten auf PC
- spannende 2-gegen-2-Kämpfe
Kontra
- Kampagne sehr kurz geraten: nur 5 bis 6 Stunden
- normaler Mehrspieler-Modus ohne frische Ideen
- konservatives Aufleveln und Ausrüsten
- ...verhalten sich auch dämlich in vielen Szenen
- Raytracing bringt auf PC nur leichte Verbesserungen
- Disc-Besitzer müssen Koop-Modus separat herunterladen
- Koop-Missionen zu lang und feindgespickt
- Preis des kommenden Battle Pass noch nicht bekannt
- Geschichte reißt keine Bäume aus
- einige nervige, kaum vermeidbare Instant-Tode
- fiktive Namen, aber Russen als Superbösewichte werden genannt
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Battle Pass für künftige Seasons nötig, Preis noch unbekannt
- Man kann die Spielzeit über Käufe nicht verkürzen, kein Pay-to-Shortcut.
- Man kann sich keine Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, kein Pay-to-win.
- Käufe haben keine Auswirkungen auf das Spieldesign.