Neo Cab - Test, Adventure, PC, Mac, Switch

Neo Cab
07.11.2019, Benjamin Schmädig

Test: Neo Cab

Mit dem Taxi durch die Zukunft

Taxi fahren in Los Ojos: Das klingt nicht unbedingt nach dem Stoff, aus dem Berufswünsche gestrickt sind. Lina Romero macht in Neo Cab (ab 11,24€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) allerdings genau das und hatte damit mein Interesse geweckt. Immerhin versprechen die Entwickler interessante Unterhaltungen, die sich um menschliche Emotionen und eine vollautomatisierte Zukunft drehen. Wie nah sie diesem Ziel kommen, haben wir in unserem Test erlebt.

Ihre beste Freundin Savy ist der Grund, dass Lina in die futuristische Metropole Los Ojos fährt, um als Taxifahrerin neu anzufangen. Weil sie zum ersten Mal dort unterwegs ist, lernt man die Welt aus ihren Augen kennen – über Gespräche mit Passagieren, die schnell zu wiederkehrenden Charakteren werden. Wie das funktioniert? Weil Taxis in Los Ojos kaum noch von Menschen gefahren werden, landen die, die persönlichen Kontakt bevorzugen, früher oder später auf Linas Rücksitz.

Berufsgespräche

Und so ist Neo Cab eine Visual Novel, in der man zahlreiche Dialoge führt, die man entweder durchklickt oder mit variablem Tempo eigenständig laufen lässt. Am ehesten erinnert es damit an VA-11 HALL-A, wo man sich ebenfalls aus „beruflichen“ Gründen mit Kunden unterhält. Entscheidungen über den Gesprächsverlauf beeinflussen dabei Details der Handlung, die im Großen und Ganzen aber stets die gleiche ist. Sogar der Schauplatz ähnelt dem aus VA-11 HALL-A, geht es hier wie da doch um Welten, die von technischem Fortschritt geprägt sind.

Auch der Polizei läuft man irgendwann über den Weg.
Chance Agency, das Studio hinter Neo Cab, nimmt allerdings stärker auf aktuelle Themen Bezug und spricht zahlreiche Aspekte der Digitalisierung und Automatisierung direkt an. Alle Charaktere, denen Lina begegnet, verkörpern dabei einen bestimmten Aspekt des Szenarios, und gewinnen an Tiefe, je öfter sie ins Taxi steigen, und die meist entspannten Taxifahrten sind eine hervorragende Plattform, um auf diese Art Geschichten zu erzählen.

Geld und Lob verdienen

Interessant ist außerdem, dass Lina mit den Taxifahrten Geld verdient, um verschieden teure Übernachtungen zu bezahlen und auch die Batterie ihres Fahrzeugs aufzuladen. Weil man um die Gespräche nicht herumkommt, man also so oder so Geld verdient, hält sich die spielerische Herausforderung natürlich in Grenzen. Trotzdem tut die zusätzliche Interaktion gut. Nicht zuletzt wählt man alle Fahrgäste selbst aus, hat also die Wahl, welche Geschichten man vertiefen möchte.

Das ist auch deshalb von Bedeutung, weil die Passagiere eine Wertung erteilen und man schnell weiß, mit welchen Kunden man sich so unterhalten kann, dass man ein Fünf-Sterne-Niveau erreicht. Immerhin verlangen einige Mitfahrer genau das, um überhaupt einzusteigen...

Und trotzdem bin ich mit Neo Cab nicht wirklich warm geworden. So gut vieles auf dem Papier nämlich aussieht, so schlecht finde ich viele Unterhaltungen geschrieben. Das betrifft nicht einmal die Texte an sich, aber die Art und Weise, mit der Informationen über Schauplatz und Ereignisse vorgebetet werden, anstatt in Gespräche über ganz andere Themen eingebettet zu sein. Gerade das ist VA-11 HALL-A und auch dem thematisch ähnlichen Eliza wesentlich überzeugender gelungen. Dagegen wirken hier viele Gespräche wie Frontalunterricht. Glaubhafte Charaktere, die hauptsächlich außerhalb ihrer Funktion existieren, erschafft Chance Agency jedenfalls nicht.

Funktion statt Leben

Dazu empfinde ich auch die zentrale Handlung um Linas Freundin als aufgesetzt. Die beiden begrüßen sich nicht einmal, als sie sich nach etlichen Monaten endlich wiedersehen, und die spätere Suche nach Savy ergibt selbst im funktionalen Rahmen eines Videospiels so wenig Sinn, dass ich die Erzählung im Grunde nicht ernst nehmen konnte. Man findet doch keine Spuren, indem man fast ausschließlich Passiere durch eine große Stadt kutschiert!

Hinzu kommen recht viele Multiple-Choice-Situationen, in denen ich keine einzige Dialogoption als passend empfand. Wie soll Lina z.B. eine Faktenfrage zu einer Sachlage beantworten, von der sie partout keine Ahnung hat. Würde wenigstens ein Schulterzucken zur Verfügung stehen, aber genau solche alternativen Pfade fehlen auffallend oft.

Wenn die Gefühle im Weg stehen

Liegt der Wertungsdurchschnitt unter 5.0, darf man nicht alle Aufträge annehmen. Die Lizenz verliert man allerdings nicht.
Abgesehen davon wird sie so stark von ihren Emotionen geleitet, dass ihr manche angezeigte Antwort gar nicht zur Verfügung steht. Ist sie sehr aufgebracht, kann sie einem Passagier etwa nicht Recht geben - grundsätzlich eine gute Idee! Für mich hat dieser Einblick in ihren Charakter jedoch nur mit Einschränkung funktioniert, da es sich nicht wie in einem Rollenspiel um unterschiedlich weit entwickelte Fähigkeiten handelt, die man relativ neutral wahrnimmt, sondern um Emotionen, in die man sich auch selbst hineinversetzen soll bzw. will.

Zumindest wird Linas Gefühlslage sogar visualisiert; mit einer Anzeige der Stimmung, in der sie sich befindet. Vier Ausprägungen in unterschiedlicher Stärke und Relation zueinander bestimmen dabei ihren Zustand und könnte man diese weit genug beeinflussen, um variable Antwortmöglichkeiten zu erspielen, hätte das System durchaus seinen Reiz - genau das ist während der Unterhaltungen auf vorhersehbare Art aber kaum möglich. Dass sich die Wahl des Hotels auf Linas Stimmung auswirkt und sie ausgerechnet in Unterkünften jenes Konzerns gut schläft, der menschliche Taxifahrer abschaffen will, ist natürlich clever. Alles in allem wirkt das System aber eher einschränkend, als dass es einen inhaltlichen oder erzählerischen Nutzen hat. Den zieht man eher aus Linas Gedanken, die in manchen Situationen nicht nur ihre Gemütslage beschreiben, sondern aus denen sich oft auch Dialogoptionen ergeben.

Fazit

Vielleicht wollten die Entwickler mehr als sie umsetzen konnten. Auf jeden Fall fühlen sich die vielen Gespräche in Neo Cab nicht sehr natürlich und auch spielerisch eingeschränkter an als sie vorgeben. Dabei skizziert Chance Agecy ein durchaus interessantes, wenn auch allzu vertrautes Szenario mit vielen Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen und erlaubt durch die freie Wahl der Gesprächspartner einen individuellen Verlauf einzelner Begegnungen. Bedauerlich ist allerdings, dass die Passagiere ihre erzählerischen Anliegen so plakativ vor sich hertragen, dass sie gar nicht erst als glaubhafte Charaktere in Erscheinung treten. Auch die zentrale Handlung wirkt seltsam konstruiert und ist zudem recht schnell vorüber. Nein, so richtig in Fahrt kommt das grundsätzlich sympathische Neo Cab leider nie.

Pro

  • interessante Charaktere in thematisch interessanter Welt...
  • relativ freie Wahl der nächsten Fahrt/Geschichte
  • verdientes Geld und Bewertung der Passagiere wirken sich auf Details des Spielverlaufs aus

Kontra

  • ... aber wenig plausible und auch wenig interessante Hauptgeschichte
  • wichtige erzählerische Grundlagen werden relativ plump "gelehrt", anstatt im Hintergrund angedeutet zu sein
  • relativ viele unbefriedigende bzw. unzutreffende Antwortmöglichkeiten
  • angezeigte Antworten sind z.T. nicht anwählbar und können kaum aktiv beeinflusst werden
  • sehr kleine Texte auf Switch
  • am PC nicht mit Tastatur oder Gamepad spielbar, auf Switch nicht nur mit einem Joy-Con

Wertung

PC

Inhaltlich interessante Visual Novel mit starr konstruierten spielerischen und erzählerischen Situationen.

Switch

Inhaltlich interessante Visual Novel mit starr konstruierten spielerischen und erzählerischen Situationen.

Echtgeldtransaktionen

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Kommentare
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Man findet doch keine Spuren, indem man fast ausschließlich Passiere durch eine große Stadt kutschiert!

Sollte das nicht Passagiere heißen?

Grüsse

vor 4 Jahren