Need for Speed Heat - Test, Rennspiel, XboxOne, PC, PlayStation4
Cops gegen Raser – es ist das ewige Duell! Doch in Palm City greifen die Hüter des Gesetzes unter der Leitung von Lt. Frank Mercer besonders hart und skrupellos durch - Körperverletzung inklusive. Das hält die PS-Junkies trotzdem nicht davon ab, neben den offiziellen Veranstaltungen des Festivals Speedhunters Showdown bei Tag die Positionskämpfe in ihren aufgemotzten Kisten nach Sonnenuntergang auf öffentlichen Straßen fortzusetzen. Die an Miami angelehnte Metropole und das Umland laden regelrecht dazu ein, selbst abseits von Events und Story-Missionen die Sau hinter dem Steuer rauszulassen: Überall stehen Rampen für halsbrecherische Sprünge, es gibt die üblichen Radarfallen und in Driftzonen wird für Punkte lässig durch Kurven geschlittert. Leider gibt es im Gegensatz zu Forza Horizon kein System, das kontinuierlich den Fahrstil bewertet und belohnt. Manöver wie Windschattenfahren, die Zerstörung der Umgebung oder Rasen im Gegenverkehr mit Fast-Berührungen sind daher beim Cruisen durch die offene Welt nur dann lohnenswert, wenn sie sich auf der Liste mit den aktuellen Bonus-Herausforderungen befinden.
Ying und Yang
Hat man sich für eine der generischen und jederzeit austauschbaren Hipster-Figuren entschieden, führt nach der actionreichen Einführung der erste Weg zu einem bekannten Schrauber in der Stadt, der bereitwillig eines seiner Fahrzeuge zur Verfügung stellt. Danach folgt das übliche Prozedere: Man erhöht den Kontostand, indem man bei Tageslicht erfolgreich beim Speedhunters Showdown teilnimmt und steigert beim illegalen Streetracing inklusive Verfolgungsjagden mit den Cops seine Reputation, um sich in der Szene einen Namen zu machen und mit Rangaufstiegen sowohl weitere Fahrzeuge als auch Tuningteile freizuschalten.
Tuning-Wahnsinn
Wann hat dieser Quatsch überhaupt angefangen? Aber was viel wichtiger ist: Wann hört diese dämliche Unterteilung und Einfärbung von Gegenständen endlich wieder auf? Das hier ist immer noch Need for Speed und kein verdammtes Diablo oder Borderlands! Wobei man sich angesichts der ausufernden Anpassungsmöglichkeiten der Charaktere ohnehin fragen muss, ob der Fokus überhaupt noch auf dem Rennerlebnis liegt. Bei dieser gigantischen und völlig überflüssigen Auswahl an Frisuren, Klamotten sowie hippen Mode-Accessoires von Kopf bis Fuß wirkt der Tuningaspekt für die Fahrzeuge vergleichsweise mickrig. Wem es bei den Karren primär um den Bling-Faktor geht, wird dagegen nicht enttäuscht: Angefangen bei Modifikationen der Karosserie über eine schöne Auswahl an schicken Felgen bis hin zur Unterbodenbeleuchtung kann man sich aus dem breit gefächerten Fuhrpark seinen Traumwagen kreieren und sogar Details wie die Farbe des Nitros oder Reifenqualms festlegen. Neben der Hupe lässt sich selbst der Klang von Motor und Auspuff anpassen – nicht schlecht! Hinzu kommt ein Design-Editor, in dem man sich dank guter Werkzeuge und Vorlagen kreativ austoben kann. Wie bei Forza lassen sich die Werke hier ebenfalls innerhalb der Community teilen, so dass man auch dank der externen App bereits jetzt eine große Bibliothek an coolen Designs vorfindet.
Leer und doch zugemüllt
Verlässt man die Garage, hat man die Wahl, ob man bei Tag oder Nacht die Straßen der Stadt unsicher machen möchte. Je nachdem stehen unterschiedliche Events zur Auswahl und auch bei den Story-Missionen hängt ein Zugang meist von der Tageszeit ab. Und nicht nur das: In der Regel benötigt man auch einen bestimmten Reputations-Rang, weshalb man nicht selten einen leichten Grind auf sich nehmen muss, um in der mäßigen Geschichte rund um korrupte Cops und Streetracer-Helden voran zu kommen, bei der immerhin die gute deutsche Lokalisierung positiv hervor sticht. Beim Kauf von Fahrzeugen und Tuningteilen muss man sich ebenfalls in Geduld üben, denn zum einen ist die wachsende Auswahl ebenfalls an den Rang gekoppelt und zum anderen ist die Anschaffung nicht gerade billig. Hinzu kommt, dass es z.B. Felgen und Reifen nur als Zweier-Set gibt. Will man eine Rundum-Ausstattung muss man folglich zwei Mal zahlen – immerhin nur mit der Spielwährung, denn von nervigen Mikrotransaktionen wie im Vorgänger fehlt (noch) jede Spur.
Die Regeln von Palm City
Zwar kann man nicht direkt zu Events springen, doch hat man die gut verteilten Verstecke nach einem ersten Besuch freigeschaltet, lassen sich Wege per Schnellreise angenehm verkürzen. Schon bei der Wahl einer Veranstaltung auf der Kartenansicht bekommt man nicht nur Informationen zum bevorzugten Wagentyp (Drift, Racing oder Offroad), sondern auch zum empfohlenen Leistungsindex, um konkurrenzfähig zu sein. Leider schwankt die Balance dennoch deutlich: Mal verbläst man die Konkurrenz gnadenlos, während in manchen Rennen zumindest ein Fahrer deutlich stärker ist als der gesamte Rest und fast schon geskriptet am Heck klebt oder sich rasant absetzt. Darüber hinaus gibt es leichte Gummiband-Tendenzen – vornehmlich dann, wenn man nach einem Fehler wieder überraschend schnell Anschluss ans Feld bekommt. Umgekehrt kann man seine Gegner aber deutlich abhängen und sogar überrunden. Seine Leistungen nochmal ansehen darf man dagegen nicht, da es keine Replay-Funktion gibt.
Schwankende Balance
Auf der Flucht
Auf dem mittleren der drei Schwierigkeitsgrade gibt es tendenziell spannende Rennen, wenn man etwa 20 Punkte unter dem empfohlenen Leistungsindex an den Start geht. Ein ernstes Problem ist jedoch, dass es bei den Veranstaltungen zwar eine empfohlene Mindeststufe, aber keine festgelegte Obergrenze gibt. Man kann also mit einem hoch gezüchteten Flitzer jenseits der empfohlenen Stufe die Konkurrenz in Grund und Boden fahren. Blöderweise gilt das nicht nur für Solo-Läufe, sondern auch die Online-Rennen: Ohne die nötige Leistungsbeschränkung werden Spieler mit ihren maximal aufgemotzten Geschossen deutlich bevorteilt – sehr zum Unmut der anderen Teilnehmer, die sich diese luxuriösen Kraftpakete noch nicht leisten können oder bei diesem Wettrüsten nicht mitmachen wollen. In dieser Form ist die Onlinekomponente ziemlich witzlos und von Frust geprägt, denn selbst bei asynchronen Zeitfahr-Duellen gibt es keine Obergrenze bei der Leistung. So hat man das Gefühl, dass weniger das fahrerische Können, sondern ein möglichst hoher Leistungsindex den Schlüssel zum Sieg darstellt. Immerhin gibt es keinen Onlinezwang, so dass man die Kampagne auf Wunsch komplett offline spielen kann. Überraschenderweise wird selbst bei den offiziellen Showdown-Events die Nutzung von Abkürzungen nicht so eng gesehen.
Leistung statt Können
Hinsichtlich der Fahrphysik muss man sich ähnlich wenige Gedanken machen wie die Entwickler bei Ghost Games, denn die Handhabung ist voll auf Arcade getrimmt: Sogar PS-Monster fahren wie auf Schienen und verfügen selbst ohne die optionale Traktionskontrolle über eine sagenhafte Bodenhaftung – selbst bei Offroad-Events, die frappierend an Gravel von Milestone erinnern. Geht man kurz vom Gas und lenkt ein, wird dagegen schlagartig in einen Drift-Modus umgeschaltet. Zwar kann man dadurch recht kontrolliert durch die Kurven schlittern, aber der plötzliche Wechsel zwischen magischem Grip und ausbrechendem Heck erfordert eine gewisse Eingewöhnung. Das Fahrgefühl lässt sich nicht nur mit den installierten Komponenten, sondern auch dem Live-Tuning beeinflussen, wo man mit Schiebereglern die Lenkungsempfindlichkeit und den Anpressdruck verstellen darf. Dort lässt sich auch die Traktionskontrolle einschalten und das Einleiten der Drifts auf die Bremse umlegen. Über große Unterschiede zwischen trockener und nasser Fahrbahn braucht man sich keine Gedanken zu machen, denn das Fahrgefühl ist praktisch identisch.
Wie auf Schienen
Fazit
Erst das Positive: Need for Speed Heat ist nicht die Katastrophe geworden, die ich nach der grottigen Demo auf der gamescom befürchtet hatte. Trotzdem ist der jüngste Teil selbst nach Arcade-Maßstäben kein gutes Rennspiel: Die Fahrphysik ist mit ihrer übertriebenen Bodenhaftung genauso simpel und anspruchslos wie die lahme Hintergrundgeschichte, während das plötzliche Umschalten in den Drift erst nach einer Eingewöhnungszeit gut von der Hand geht. Forza Horizon zeigt, wie es besser geht, obwohl sich Ghost Games mit einer noch stärker zugemüllten Welt voller Aktivitäten sowie übertriebenem Mode-Schnickschnack auffällig stark am Vorbild orientiert, gleichzeitig aber ausgerechnet auf das motivierende „Kudos-System“ oder einen breit gefächerten Soundtrack verzichtet. Das größte Problem ist aber der Spielfortschritt: Zum einen wird man durch die Rang-Hürden bei Story-Missionen und Tuning zum Grind gezwungen. Zum anderen fehlt bei den Veranstaltungen eine Leistungsbeschränkung der Fahrzeuge, was besonders online für miserabel ausbalancierte Rennen und entsprechenden Frust sorgt. Lob gebührt vor allem den Gestaltungsmöglichkeiten der Boliden, insbesondere im visuellen Bereich. Der Teile-Überfluss mit seinen farblichen Quatsch-Abstufungen kann mir aber genauso gestohlen bleiben wie die das Einkleiden der Avatare. In diesen Momenten habe ich das Gefühl, dass Ghost Games in Zukunft vielleicht doch besser in die Weiterentwicklung der Sims eingebunden werden sollte anstatt weiterhin mittelmäßige Rennspiele zu produzieren, die mittlerweile nicht mal mehr eine Lenkradunterstützung bieten. Aber wer will schon in einem Rennspiel ein Lenkrad verwenden oder eine Cockpitansicht nutzen, wenn man stattdessen virtuelle Schuhe von Adidas oder Puma für seinen coolen Rennfahrer kaufen kann?
Pro
- großer, breit gefächerter Fuhrpark
- (zu) viele Tuning-Upgrades...
- aufwändiger Lackierungs-Editor
- Community-Features für Designs
- viele Aktivitäten in offener Welt (Blitzer, Rampen, Decals, Flamingos, etc)...
- Spezialisierungen von Fahrzeugen (Rennen, Drift, Offroad)
- mitunter aufregende Verfolgungsjagden gegen Cops
- editierbare Motorenklänge
- meist flüssige Darstellung
- Schadensmodell & Reparaturservice an Tankstellen
- zahlreiche Veranstaltungen
- leichte Setup-Anpassungen im Live-Betrieb möglich
- große Teile der Umgebung zerstörbar
- wechselnde Witterungsbedingungen
- gute deutsche Lokalisierung
- kein Onlinezwang
- asynchrone Wettbewerbe (online)
- optionale Schnellreise-Funktion
- tägliche Herausforderungen
Kontra
- sehr simple Fahrphysik mit gewöhnungsbedürftiger Drift-Mechanik
- ...im Überfluss und mit dämlichen Abstufungen
- mitunter viel Grind für Story-Missionen und Ausrüstung nötig
- mäßige Story
- ...aber Spielwelt wirkt teilweise zugemüllt
- keine Cockpit-/ oder Dashboard-Ansicht
- kein motivierendes Fahrstil-Punktesystem beim Cruisen
- kaum Zuschauer, meist menschenleere Bezirke
- Gummiband-Tendenzen bei Rückstand oder Skripts
- keine Lenkradunterstützung
- Abkürzungen selbst bei offiziellen Rennen möglich
- schwankende Balance und oft unausgeglichenes Starterfeld
- jederzeit austauschbare Charaktere
- Übermaß an Mode
- und Lifestyle-Gedöns
- furchtbarer Soundtrack und keine Radio-Funktion
- keine Navigation mit Sprachunterstützung
- keine Leistungsobergrenze bei Veranstaltungen (offline & online!)
- keine Replays
- vereinzelte Abstürze und Grafikfehler
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Kostenpflichtiges, optionales Upgrade-Angebot für die Deluxe Edition mit weiteren Fahrzeugen, Outfits und Boostern für Geld und Reputation.
- Es gibt Käufe nur für optionale Kosmetik wie Farben, Skins, Kostüme etc.
- Man kann sich keine Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, kein Pay-to-win.
- Käufe haben keine Auswirkungen auf das Spieldesign.