Dry Drowning - Test, Adventure, Switch, PlayStation4, PC

Dry Drowning
13.11.2019, Benjamin Schmädig

Test: Dry Drowning

Dystopische Detektivarbeit

Dass ich mich mal gut unterhalten fühle, wenn eine Visual Novel wie Dry Drowning in eine dystopische Zukunft entführt, hätte ich früher kaum gedacht. „Wenig Interaktion, viel Text“ ist nicht gerade ein Killerargument im Bereich der Videospiele. Aber sowohl sprachlich als auch spielerisch haben sich Visual Novels zumindest so weit entwickelt, dass man richtig interessante Erzählungen erlebt – manchmal jedenfalls. Ob Dry Drowning dazu zählt, hat der Test gezeigt.

Dry Drowning ist schon Anfang August erschienen und hat mit der auf Steam und GOG erhältlichen Demo mein Interesse geweckt. Denn vom bedeutungsschwangeren Intro über die dunkle Vergangenheit des Protagonisten bis hin zum Studieren der Indizien in blutigen Mordfällen beginnt der Noir-Thriller mit einem starken Einstieg.

Film Noir trifft Videospiel

In dem Szenario fühle ich mich ohnehin wohl: eine Dystopie der nahen Zukunft, wo technologische Errungenschaften eine ebenso große Rolle spielen wie menschliche Abgründe. Nova Polemos ist eine zum Stadtstaat gewachsene Metropole, in der soziale Ausgrenzung und Überwachung alltäglich sind. Zeit der Handlung ist das Jahr 2066. Dem Privatdetektiv Mordred Foley wird vorgeworfen, die Indizien eines Mordfalls so fingiert zu haben, dass zwei Unschuldige hingerichtet wurden. Die Beweislage war zwar nicht stark genug, um ihn anzuklagen, doch die öffentlich gewordenen Anschuldigungen verbessern nicht gerade die Auftragslage seiner Agentur.

Sieht Mordred eine Maske, weiß er, dass die Träger lügen. Mit dem Vorbringen der richtigen Indizien lockt er sie dann aus der Reserve.
Also nimmt er einen Auftrag an, der nicht nur finanziell vielversprechend erscheint, sondern auch Licht auf einen alten Fall werfen könnte. Die Sache hat nur einen Haken: Sein Klient ist der Chef einer Partei mit faschistischen Zielen. Ob man den Auftrag annimmt oder nicht, steht dabei nicht zur Wahl – so stark verzweigt der Plot bis kurz vor Schluss leider nie. Man kann allerdings gegenüber den Ansichten des Klienten Stellung beziehen und den Fall später gar manipulieren, was sich auf Kleinigkeiten in Gesprächen und Handlungsteilen auswirkt.

Interaktion, aber wenig Eingreifen

Mehrere solcher Entscheidungen muss man als Mordred fällen, stellenweise über Leben oder Tod eines Charakters oder gar gravierende Änderungen, die ganz Nova Polemos betreffen. Dry Drowning ist damit entfernt mit den Telltale-Abenteuern verwandt, obwohl es sich am ehesten wie ein Point&Click-Adventure spielt und man während der festen Unterhaltungen keine Wahl zwischen verschiedenen Gesprächsoptionen hat. An The Walking Dead & Co. erinnert auch, dass man Tatorte untersuchen, dafür aber lediglich alle Interaktionspunkte einmal anklicken muss. Mitunter darf man außerdem mehrere Schauplätze in beliebiger Reihenfolge und beliebig oft besuchen. Die dort stattfindenden Gespräche sind aber fast immer komplett vorgegeben.

Minispiele lockern das Lesen auf - lassen spielerischen Anspruch aber leider missen.
Dennoch schaut man nicht nur zu. Immerhin findet man im Inventar zu allen Indizien, die Mordred sammelt, kurze Informationen. Das Gleiche gilt für Personen, denen er begegnet, oder von denen er erfährt. Mitunter löst er sogar Minispiele, was eine gelungene Abwechslung vom vielen Lesen ist. Schade nur, dass sich der Anspruch dieser Ablenkungen in überschaubaren Grenzen hält. Die Aufgaben hätten gerne anspruchsvoller sein und häufiger vorkommen können!

Detektivspiel

Ähnliches gilt für die spielerischen Höhepunkte: Konfrontationen mit Verdächtigen, in denen man mehrmals aus allen bis dahin gesammelten Indizien das richtige wählen muss, um einen Fall zu lösen bzw. Täter zu entlarven. Das ist durchaus spannend, weil man in diesen Augenblicken alle relevanten Informationen vor Augen haben sollte und weil es nach drei Fehlversuchen „Game Over“ heißt. Natürlich startet man die entsprechende Situation dann einfach von vorn – verzweigte Handlungsverläufe gibt es an diesen Stellen leider nicht.

Leider sind nicht alle Schlussfolgerungen zudem zwingend nachvollziehbar; vielmehr geht es oft darum, welche Details für das Weitererzählen der Geschichte am ehesten in Frage kommen. Abgesehen davon fehlt eine Anzeige der aktuellen Fragestellung bzw. die Möglichkeit das zuletzt Gesagte anzusehen, während man sich für ein Indiz entscheidet. Alles in allem macht das Kombinieren aber Spaß und ist ein meist gelungener Abschluss der einzelnen Kapitel.

Fazit

Dry Drowning erfindet die Visual Novel wahrlich nicht neu – bringt aber Interaktionen ein, die das starre Lesen auflockern und stellenweise auch für sich genommen interessant sind; dazu zählen Minispiele, das aktive Zusammenstellen von Indizien sowie Entscheidungen über den Verlauf der Handlung. Im Zusammenspiel mit dem vielleicht nicht einzigartigen, aber gut ausgearbeiteten Szenario, den interessanten Charakteren und überraschenden erzählerischen Entwicklungen erschuf das italienische Studio eine unterhaltsame Dystopie im Stil alter Film-Noir-Geschichten. Dass die spielerischen Inhalte überwiegend anspruchslos sind, tut dem virtuellen Roman allerdings nicht gut. Mitunter fehlt zudem eine Übersicht über die aktuelle Gesprächssituation, während die Handlung verzweigter und um Dialogoption reicher sein könnte. Unterm Strich ist Dry Drowning deshalb kein besonderer, aber ein richtig guter interaktiver Krimi, der bis Ende des Jahres übrigens auch ins Deutsche übersetzt werden soll.

Pro

  • nicht ganz neue, aber spannende Geschichte mit überraschenden Wendungen
  • Finden der richtigen Indizien beim Auflösen von Fällen...
  • Entscheidungen beeinflussen im Kleinen den Verlauf der Handlung
  • Minispiele lockern das reine Lesen auf...
  • Umsehen an Schauplätzen & Einsehen von Informationen über Gegenstände und Personen vertiefen das Szenario
  • mit Gamepad und in hohen Auflösungen z.B. am Fernseher spielbar
  • eigenständiger Stil mit schicken Anzeigen und Menüs

Kontra

  • praktisch keine Gesprächsoptionen außerhalb der zentralen Entscheidungen
  • ... aber keine Anzeige der aktuellen Fragestellung oder Aufgabe während der Auswahl
  • einige Schlussfolgerungen sind weit hergeholt und dienen mehr dem Voranbringen der Erzählung als dem Nachahmen von Detektivarbeit
  • ... sind spielerisch aber sehr anspruchslos
  • keine deutschen Texte und kleine sprachliche Fehler in englischer Übersetzung

Wertung

PC

Stilvoller Noir-Thriller, der eine interessante Geschichte mit spannenden Höhepunkten erzählt, spielerisch aber trotz verschiedener Interaktionen belanglos bleibt.

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