Boneworks - Test, Action-Adventure, VirtualReality, HTCVive, OculusRift, ValveIndex
Nicht umsonst war Entwickler Stress Level Zero eines der ersten Studios, die öffentlich mit Valves neuen Index-Controllern experimentieren durften. In einem Youtube-Video mit Teammitgliedern auf dem Kanal The Node konnte man die Controller schon früh in Aktion bewundern. In Boneworks darf man schließlich allerlei Gegenstände eigenhändig mit den erfassten Fingern greifen, werfen, Gegner festhalten oder wegschubsen und mehr. Mittlerweile dürfen endlich auch Endkunden nach Herzenslust mit der Physik-Engine herumspielen. Legt man die Finger um zwei Regalstangen, kann man daran hinaufklettern. Oder man zerrt es zu sich heran und lässt es auf einen der seltsam anmutenden Drahtgitter-Gegner krachen, der sichtbar Schaden nimmt.
Endlich fummeln!
Hier besitzt alles und jeder ein gewisses Gewicht, das sich mit den vom Controller erfassten Finger durch die Gegend wuchten lässt. Ein Vorhängeschloss etwa stellt nach einigen Schlägen mit der Axt kein Problem mehr dar. Einen schweren Hammer ergreift man besser mit zwei Händen und auch die manisch um sich schlagenden Widersacher kann man erst einmal an den Armen festhalten und wegstoßen. Danach schnappt man sich z.B. eine der Waffen aus dem etwas fummeligen Holster bzw. Inventar und gibt dem aufdringlichen Techno-Zombie den Rest. Je nach Spiel-Guthaben kauft oder sammelt man Pistolen, Uzis, Sturm- und Scharfschützengewehre oder ein Exemplar mit dem äußerst praktischen Laserpunkt-Visier.
Das geht nur in VR!
Eigentlich führt das rund achtstündige Abenteuer durch eine Art Spiel im Spiel: Nachdem ich mich in einem verlassenen Labor per VR-Headset ins mysteriöse „Myth OS“ eingeklinkt habe, passieren in der virtuellen Stadt merkwürdige Dinge. In der Einleitung im Technologie-Museum stürze ich mich noch fröhlich in alle mögliche lustige Experimente, schleudere Äxte auf Dummies, entsichere diverse Waffen am Schießstand, zerschlage dünnes Glas oder wuchte Gewichte auf Schalter. Nachdem ich durch einen Müllschacht in die „Unterwelt“ des Museums gerutscht bin, merke ich aber schnell, dass hinterm schönen Schein viele Bugs und und auch Leid zu stecken scheinen. Überall finde ich umherirrende Putzroboter, philosophische Kritzeleien über die Qualen der virtuellen Welt und über die Frage, was im System nach einem Tod passiert. Immer wieder nehmen Kollegen aus der Außenwelt mit kurzen Videonachrichten Kontakt auf. Diese Einführung ist absolut faszinierend inszeniert! Immer wieder staunte ich über surreale Details wie fehlerhaft zuckende Materie oder Ranken, die sich aus der Nähe als technische Artefakte entpuppen.
Am verstörendsten sind allerdings die so genannten „Nullmen“ und andere fehlerhaft glitzernde Kreaturen, welche die zugemüllten Gassen unsicher machen. Leider stellen die langsam wankenden „Zombies“ fast nie eine ernsthafte Bedrohung dar – nicht mal, wenn mutierte Varianten aus der Ferne mit verpixelten Energie-Projektilen feuern. Wer gerade keine Munition parat hat, kann sich auch bequem mit einer Axt oder einer anderen Schlagwaffe durch die unmotivierten Horden arbeiten, die aufgrund schwacher KI übrigens oft hinter Mauern hängen bleiben. Nicht einmal die bizarren Exekutionskommandos gegen die Nullmen agieren besonders effektiv - sie balancieren übrigens auf bizarr surrenden Kugeln durch die Welt.
Nullmen mit 0% K.I.
Die Schießereien verkommen also oft zu langweiliger Pflichtarbeit. Wer nicht zu voreilig voranstürmt und ab und zu mit dem Stick oder dem eigenen Körper hinter einer halbhohen Deckung in die Hocke geht, dürfte kaum Probleme bekommen. Das gilt auch gegen die Headcrab-artigen Spinnen-Parasiten. Diese VR-Headsets mit Beinen versuchen zwar, wie ein Facehugger auf Gesichter zu springen, lassen sich aber leicht mit wachsamen Arm-Blockaden wegschubsen. Mit Hilfe einer Zeitlupenfunktion wird es ggf. sogar noch leichter. Schade dass das vorhandene Potenzial als Actionspiel nicht genutzt wurde! Die Shooter-Passagen in Stormland und vor allem die packenden Zweikämpfe in Asgard‘s Wrath zeigen, wie man ein VR-Actionspiel spannender umsetzt – selbst wenn es dabei nicht ganz so realistisch und physikbasiert abläuft.
Unterhaltsame Puzzles
Manchmal hat man sogar die Freiheit, selbst zu bestimmen, mit Hilfe welcher Gegenstände man eine bewegliche Plattform ans Ziel bringt. Mitunter wird es zwar frustrierend fummelig, anderswo sorgte ein rettender Einfall aber für schöne Erfolgserlebnisse, z.B. wenn mit Hilfe des Gabelstaplers ein hohes Mechanik-Gestänge blockiert wird. Zum Abschluss kletterte ich nicht selten an griffig gepolsterten Wänden ans Ziel – mühsam, aber immersiv! Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel liegt meist auf einem angenehmen mittleren Niveau: Nach kurzem Nachgrübeln und ein paar Experimenten kam ich meist auf den rettenden Einfall.
So cool die physikbasierte Bewegungssteuerung zu Beginn auch ist, auf Dauer geht sie mir manchmal ganz schön auf die Nerven. Mal glitcht ein wichtiger Gegenstand durch einen anderen, anderswo merke ich erst zu spät, dass ich mich nach wie vor unabsichtlich an einem Seil festhalte und daher festhänge. Wenn man sein Leben lang verinnerlicht hat, einen Controller stets festzuhalten, ist es gar nicht so leicht, einfach mal loszulassen. Genau das ist aber oft nötig: Damit sich meine Hände nicht unabsichtlich an der nächsten Wand, Stange oder Regal festklammern, muss ich die Handflächen komplett öffnen. Die Index-Controller sind schließlich mit einem Riemen an der Hand festgebunden. Schon kleine Berührungen der mittleren Griffstange können ein nerviges Zugreifen auslösen. Inmitten von Physikrätseln in einer surrealen Welt kann das natürlich unnötig verwirren: Manchmal wusste ich nicht, ob ich irgendetwas beim Puzzle falsch gemacht hatte oder schon wieder mein Finger zu nah am Controller lag.
Vorteil: Index-Controller?
Besitzer der Rift S haben diese Probleme natürlich nicht, da die Finger dort nicht so genau getrackt werden. Dort fühlt sich das Zugreifen mit den Trigger-Tasten natürlich nicht ganz so authentisch, aber immerhin gewohnter an. Der Nachteil daran ist offensichtlich und wurde auch von den Half-Life-Alyx-Entwicklern erwähnt: Die Hände ermüden schneller als bei der lockeren Handhaltung von Valves Controllern. Ein weiterer Vorteil des Index-Headsets ist das hellere Bild, vor allem in den finsteren Kanalisations-Levels. Dort findet man allerdings schon nach kurzer Zeit eine Nachtsicht-Headset, welches die Lage auf dem relativ dunklen LC-Display der Rift S entschärft.
Überwiegend ansehnlich
Zudem sorgt natürlich auch die allgegenwärtige Physik-Einbindung immer wieder für Hingucker. Insgesamt liegt man allerdings deutlich hinter der malerischen Pracht von Stormland oder dem Detailüberfluss von Asgard‘s Wrath. Monotone Wüsten-Kulissen wie in Arizona-Sunshine oder das schlichte Espire 1 werden aber klar von Boneworks geschlagen. Ein Core i7 9700K und eine GeForce RTX 2080 Ti hatten wie erwartet keine Probleme mit den höchsten Einstellungen. Lediglich bei hohem Supersampling gab es ab und zu leichte Bildraten-Einbrüche. Die epischen Flächen und finsteren Stabs des Synthie-Soudtracks fangen die Stimmung ebenfalls prima ein. Die Waffen könnten angesichts der hohen Präsenz aber ruhig kraftvoller klingen. Ein nerviges Detail sind übrigens die Speicherpunkte: Schließt man das Spiel, um eine Pause einzulegen, wird man beim nächsten Start oft wieder ein ordentliches Stück zurückgesetzt. Pausiert also am besten nach einer Ladepause, nachdem der Schriftzug Boneworks erscheint.
Eine Prüfung für den Magen?
Fazit
Für Experimente mit dem Finger-Tracking der Index-Controller ist Boneworks ein faszinierender Spielpatz – zumal sich die Physik-Puzzles auch mit anderen Controllern wie denen der Rift S als unterhaltsam erweisen. Auch die Atmosphäre des „Spiels im Spiel“ mit all ihren surreale Details und Anspielungen hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Als Shooter taugt das Spiel aber leider herzlich wenig, da man von den hirntoten, viel zu zaghaften Gegnern fast nie unter Druck gesetzt wird. Wozu all die Bleispritzen, Gravitationstricks und Schlagwaffen, wenn ich den Großteil der Gegner bequem mit einer Axt aus dem Weg holzen kann? Bleibt zu hoffen, dass Half-Life Alyx in diesem Bereich besser abliefert! Wer Spaß an moderner Bewegungs-Steuerung, physikalischen Experimenten und damit verbundenen Rätseln hat, wird aber trotzdem ordentlich bedient. Wer traurig darüber ist, dass Valve kein Portal für VR entwickeln möchte, könnte stattdessen also Boneworks eine Chance geben.
Pro
- coole Physik-Experimente mit größtenteils zerlegbarer Welt
- Einsatz der Index-Controller schafft eine beeindruckende Präsenz
- meist unterhaltsame, gut ausbalancierte Physik-Puzzles
- faszinierend surreale Welt
- lustige kleine Anspielungen, z.B. auf die Geschichte von VR
- stimmungsvoll-sphärischer Synthie-Soundtrack
Kontra
- fade, deutlich zu leichte Schusswechsel und Nahkämpfe
- stupide Gegner-KI
- einige arg grobschlächtige Flächen mit unscharfen Texturen
- Holster, Inventar und Klebenbleiben an Gegenständen wirken mitunter fummelig
- Wiedereinstieg an nervig weit entfernten Checkpoints
Echtgeldtransaktionen
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- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.