Lost Ember - Test, Action-Adventure, XboxOne, PlayStation4, Switch, PC

Lost Ember
13.12.2019, Matthias Schmid

Test: Lost Ember

Der mit dem Wolf läuft

Das deutsche Team Mooneye Studios hat über fünf Jahre an Lost Ember gearbeitet - nun ist das märchenhafte Erkundungsspiel endlich erschienen. Wir verraten im Test, ob sich der Indie-Entwickler mit der Produktion übernommen hat, was die Geschichte taugt und wieviel Journey im Abenteuer steckt.

Nachdem ich das Spiel durch hatte, machte ich mich im Netz auf die Suche nach Lost Ember. Ich hatte im Hinterkopf, dass der erste Trailer, der mich auf den Titel aufmerksam werden ließ, doch schon eine ganze Weile zurückliegen musste. Tatsächlich wird Lost Ember schon im Jahr 2014 erstmals „urkundlich erwähnt“ - als Vorschau im englischsprachigen Indie Game Mag, damals aber noch unter dem Projektnamen Desire. Das Spielkonzept, die Ruinen einer untergegangenen Zivlisation zu erforschen und dabei in die Rollen verschiedener Tiere zu schlüpfen, stand damals schon - da waren die Hauptverantwortlichen Tobias Graff, Pascal Müller, Maximilian Jasionowski und Matthias Oberprieler noch Game-Design-Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Zwei Jahre später spülte eine Kickstarter-Kampagne über 300.000 Euro in die vermutliche klamme Studiokasse, aus dem Abschlussprojekt der Studenten sollte sich tatsächlich ein kommerzielles Videospiel entwickeln; damals plante man die Auslieferung für März 2018, was sich in der Realität aber als nicht darstellbar erwies. Ein weitere Verschiebung im Juli 2019, aus dieser Zeit stammt auch der bislang letzte Post im Firmenblog, ließ nochmal Zweifel aufkommen, ob das Team die technischen Probleme und Bugs in den Griff bekommt. Doch Ende November wurde die letzte Hürde genommen - Lost Ember ist zum Preis von 29,99 Euro in den digitalen Gemischtwarenläden für PC, Xbox One und PS4 erhältlich.

Langer Weg

Der Entwickler hat sich ein paar sehr schöne Umgebungen für euren Wolf ausgedacht.
Der in die deutschen Wälder zurückkehrende Wolf als Sinnbild für die Natur, die eine vergangene Zivilsation überwuchert und sich ihr Territorium quasi zurückerobert - ein schönes Symbol hat sich das Team da ausgesucht. Als dezent abstrahierter Wolf mit staksigen Beinen und dünner Schnauze macht man dann auch die Spielwelt unsicher. Gleich zum Start bekommet der Wolf Besuch von einem orange leuchtenden Orb, dessen Schicksal mit dem seinen verknüpft zu sein scheint - beide Seelen konnten mit ihrem einstigen Leben nicht recht abschließen. Im Verlauf des Spiels werden an orange leuchtenden Punkten in der Spielwelt schick in Szene gesetzte Erinnerungsdioramen enthüllt - so erfährt man mehr über Wolf und Orb sowie die einst hier angesiedelte Hochkultur. Obgleich mich die Geschichte nicht durchgehend gepackt hat, ist die Intensität der Rückblenden lobenswert, ebenso der ungewohnte Mix aus Familiengeschichte und Leben-nach-dem-Tod-Mystik.

Diesen Wombat muss man einfach gern haben! Hier sehen wir den Racker an einer der hübschesten Stellen im Spiel
Von einigen monumentalen Gebäudestrukturen und Pyramiden abgesehen ist die Natur der Star in Lost Ember. Und trotz vieler schwacher Texturen und oftmals grober Geometrie ist das Gesamtbild ein stimmiges und schönes. Wenn da nicht diese Nachlade-Bildeinfrierer wären: Immer wieder treten diese auf Xbox One sowie PS4 auf und lassen das Bild für ein, zwei Sekunden grob stocken. Und trotz der Verschiebung haben es ein paar Bugs in die finale Version geschafft: So kann es schon mal sein, dass man einen Abhang herabrutscht und nur durch das Laden eines Checkpoints zurück auf den Weg gelangt; auch die Kameraführung in engen Gängen lässt schon mal unfreiwillig tief blicken - plötzlich kann ich durchs halbe Level schauen.

Natur pur

Dabei muss man auch sagen: Lost Ember ist zwar kein Red Dead Redemption 2 oder Assassin’s Creed Odyssey mit gigantischer Welt und hunderten Figuren, trotzdem hat Mooneye viel Mut bewiesen, indem man sich nicht darauf beschränkt hat, einen Wolf beim Naturspaziergang zu programmieren. Per Knopfdruck könnt ihr nämlich in alle anderen Tiere hineinspringen, die euch begegnen. Im Verlauf des sieben- bis achtstündigen Abenteuers dürft ihr mehr als ein Dutzend Tierformen annehmen, allesamt mit eigenständigen Bewegungsoptionen und Kontrollschemata. Das war sicher kein leichtes Unterfangen - es wird gerannt, gerollt, gehopst und sogar gegraben, geflogen und geschwommen. Vor allem die Fortbewegung unter Wasser oder in der Luft ist bekanntlich nicht leicht umzusetzen in digitaler Form. Den deutschen Entwicklern gelingt aber ein durchweg gutes, arcadiges Spielgefühl, egal ob man als Wombat herumtapst, mit dem Büffel in einer gigantischen Stampede galoppiert, als Kolibri frei durch den Wald schwirrt oder mit der Bergziege ins Hochgebirge kraxelt.

Rennen, schwimmen, fliegen

Tierpark

Flugstunde: Per Ente überbrücken wir rasch große Entfernungen - und können auf Inseln landen, deren Ufer für den Wolf zu steil wären.
Neckisch sind auch die kleinen Gimmicks, die einige Tiere mitbringen: Der verboten knuffige Wombat nascht Beeren, die Schildkröte zieht sich auf Knopfdruck in ihren Panzer zurück. Viel wichtiger sind aber ihre grundlegenden Vorteile hinsichtlich der Fortbewegung: Als Ente schwebe ich im Gleitflug elegant über gähnende Abgründe, als Elefant trample ich locker durch Bambus und mit der Bergziege sind selbst fast senkrechte Wände begehbar - als Wolf wären all diese Stellen unpassierbar. Durch solch natürliche Hindernisse drängt euch der Entwickler regelmäßig zum Kreaturenwechsel - das sorgt für Kurzweil und entzückt Tierfans; ständig freut man sich über die Niedlichkeit oder Anmut der nächsten entdeckten Art. Der Spielfluss gerät nie ins Stocken - die Hindernisse sind stets mit einem Minimum an Nachdenken zu überwinden, Schalterrätsel oder andere Kopfnüsse gibt es nicht. Dafür zahllose, weit verstreute Sammelgegenstände. Hier muss ich die Mooneye Studios jedoch rügen: Schon die „normalen“ Relikte (olle Waffen, Schmuck, Idole) sind tendenziell langweilig und lassen sich nicht schön im Menü betrachten, doch die dutzenden schäbigen Pilze motivieren mich so gar nicht zum Herumsuchen. Reizvoller sind ein paar legendäre Tiere, die emsige Forscher übernehmen können.

Lost Ember referenziert keine spezielle Hoch-kultur - die Einflüsse der Architektur von Maya, Inka & Co. sind aber offensichtlich.
Friedliches Spielprinzip, schöne Umgebungen, untergegangene Kultur: In puncto Spielgefühl drängt sich ein Vergleich mit dem Ausnahmetitel Journey auf, aber letzten Endes ist er doch ungeeignet: Lost Ember ist zwar ähnlich anspruchslos in puncto Fingerfertigkeit, durch die vielen raumgreifenden Flug-, Renn- und Schwimmpassagen wirkt es aber größer und ungleich actiongeladener; gleichzeitig ist die Geschichte konkreter und persönlicher. Allein wegen der ähnlichen Spielfigur scheint ein Vergleich mit dem kürzlich gestesteten Spirit of the North sinnvoller - das verlangt zwar deutlich mehr Hirnschmalz, kommt Lost Ember in puncto Spielwelt und Geschicklichkeitsaspekt aber nahe. Dank seiner interessanteren Story und der spielerischen Abwechslung gewinnt Lost Ember dieses Duell mit Vorsprung.

Fazit

Lost Ember muss man gern haben - wer keine akute Tierallergie hat oder schon bei kleineren technischen Unzulänglichkeiten die Flucht ergreift, der bekommt von dem spielerisch harmlosen, aber hübschen Erkundungsspiel viel geboten: eine abwechslungsreiche Spielwelt, eine gut geschriebene Geschichte mit ansprechender deutscher Vertonung und atmosphärischer Musik sowie eine Vielzahl von gut steuerbaren Tieren. Wegen der schnöden Sammelgegenstände ist der Anreiz, Lost Ember ein zweites Mal anzugehen (oder einzelne Bereiche erneut zu besuchen) zwar gering, während des ersten Durchlaufs ist die Motivation dafür durchweg hoch. Stets war ich neugierig, welches Biom oder Wetter ich entdecken, welche majestätischen Ruinen ich durchstreifen und welche Tierarten ich noch übernehmen kann. Zudem hat das Spiel das Herz am rechten Fleck - die Welt ist angenehm friedlich, die Kreaturen sind fast durchweg schön anzuschauen und es gibt eine spannende Familiengeschichte ohne überflüssigen Kitsch.

Pro

  • viele Tieren zum Übernehmen
  • gute, arcadige Steuerung
  • Tierfähigkeiten nötig zum Vorankommen
  • interessante Geschichte
  • viele optionale Sammelgegenstände,...
  • optisch stimmiges Gesamtbild
  • stilistisch toll präsentierte Erinnerungen
  • Ruinen und Wälder laden zum Erkunden ein

Kontra

  • Spiel stockt gelegentlich beim Nachladen
  • manche Checkpoints ein bisschen weit auseinander
  • ein paar Tiere sind sehr langsam
  • Kameraprobleme in engen Gängen
  • ...die aber großteils langweilig sind

Wertung

XboxOne

Spielerisch simples, aber schönes Erkundungsspiel mit interessanter Geschichte - ein buchstäblich tierisch gutes Abenteuer.

PlayStation4

Spielerisch simples, aber schönes Erkundungsspiel mit interessanter Geschichte - ein buchstäblich tierisch gutes Abenteuer.

PC

Spielerisch simples, aber schönes Erkundungsspiel mit interessanter Geschichte - ein buchstäblich tierisch gutes Abenteuer.

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Kommentare
4P|Matthias

herr schmid, ihr schreibstil gefaellt mir, klasse! ohne unnoetige vergleiche und in die laenge ziehenden abschweifungen oder wunschfeaturegeheule, wie das anderer redakteure. einfach nur das testen, was da ist. weiter so und danke!
Dabei liebe ich Vergleiche Das muss ich also etwas ausbauen...
Trotzdem: vielen Dank!

vor 4 Jahren
OberstSchmidt

Finds schade, dass so viele gute Titel nicht mehr Retail erscheinen!
Ich will eigentich keine Downloads für Konsolen kaufen! Bei Pc-Spielen komm ich ja nicht drum rum, aber bei meinen Konsolen nervt mich das tierisch!

vor 4 Jahren
Chwanzus Longus

herr schmid, ihr schreibstil gefaellt mir, klasse! ohne unnoetige vergleiche und in die laenge ziehenden abschweifungen oder wunschfeaturegeheule, wie das anderer redakteure. einfach nur das testen, was da ist. weiter so und danke!

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren