The C64 Fullsize - Test, Hardware, Spielkultur
Okay, die Zeit der Floppy-Laufwerke, Datasetten und beidseitigen 5,25-Zoll-Disketten ist endgültig vorbei – und das ist gut so. Denn die Neuauflage des C-64 hat diese Uralt-Peripherie genauso wenig nötig wie 9-Pin-Anschlüsse für Mäuse und Joysticks, serielle Schnittstellen für Drucker, ein fettes Netzteil oder den angestaubten Cinch-Videoausgang von damals. Stattdessen präsentiert sich der erneuerte Commodore-Oldie zumindest in dieser Hinsicht hochmodern: Retro Games hat die Anzahl der USB-Ports im Vergleich zum Mini auf vier verdoppelt und die Videoausgabe erfolgt über HDMI in einer hochskalierten Auflösung von 720p. Für die Energieversorgung begnügt sich der C-64 mit einem Mikro-USB-Anschluss. Im Lieferumfang findet sich zum einen das nötige Kabel, um das Gerät direkt über einen USB-Port am TV oder AV-Receiver (oder eine Power-Bar) mit Strom zu versorgen. Zum anderen hat Retro Games aber auch einen Netzstecker inklusive diverser Adapter beigelegt, um auf Wunsch auch eine direkte Verbindung zur Steckdose in aller Herren Länder zu gewährleisten. Auch ein HDMI-Kabel hat man dazu gepackt, so dass man umgehend loslegen kann und nicht noch anderweitig nötiges Zubehör besorgen muss.
Alt und doch modern
Neben der aufgestockten Anzahl verfügbarer USB-Anschlüsse ist der größte Vorteil des große C-64 gegenüber der Mini-Variante ohne Zweifel die vollwertige Tastatur. Musste man beim kleinen Bruder noch mühsam ein externes Keyboard anschließen oder umständlich auf eine virtuelle Tastatur zurückgreifen, genießt man hier endlich wieder die gleichen Freiheiten, wie man sie damals mit dem Original hatte.
Vollwertige Tastatur
Wer den C-64 dagegen vornehmlich zum Spielen nutzen will, sollte sich eher für den Start in der grafischen Karussell-Oberfläche entscheiden, wo man die 64 vorinstallierten Spiele einschließlich ihrer Cover und kleinen Infotexten durchrotieren kann. Im Gegensatz zur Mini-Variante hat man zwar einen Großteil der Bibliothek beibehalten, aber ein paar der Titel ausgetauscht. Neu dabei sind jetzt:
Eine Zeitreise in die 8-Bit-Ära
"Attack of the Mutant Camels"
"Bear Bovver"
"Destroyer"
"Gateway to Apshai"
"Gridrunner" (VIC 20)
"Hover Bovver"
"Iridis Alpha"
"Planet of Death"
"Psychedelia" (VIC 20)
"Silicon Warrior"
"Street Sports Basketball"
"Sword of Fargoal"
Trotzdem hinterlässt die Auswahl einen zwiespältigen Eindruck. Zwar finden neben den Sportspielen von Epyx (Winter Games, World Games, Summer Games II, California Games) auch weitere Klassiker wie Boulder Dash, Pitstop II oder die beiden Andrew-Braybrook-Werke Uridium und Paradroid, aber beim Großteil des Aufgebots handelt es sich um eher unbekannte Titel kleinerer Hersteller. Entsprechend vermisst man viele Spiele, die die C-64-Ära mitgeprägt haben. Spontan kommen mir The Last Ninja, Test Drive, Way of the Exploding Fist, Giana Sisters, International Karate, Wizball, Turrican, Pirates!, Maniac Mansion, Bubble Bobble in den Sinn... Die Liste ließe sich fortsetzen, da es auf dem Brotkasten so viel bessere Spiele gab als das, was Retro Games hier vermutlich aus Kostengründen auffährt.
Magere Auswahl
Zum Glück lässt sich die Bibliothek mit einem minimalen Aufwand erweitern. Alles, was man dafür braucht, ist ein USB-Stick im FAT32-Format und die entsprechenden ROM-Dateien, die man (noch) überall im Internet findet. Wie immer erfolgt an dieser Stelle der Hinweis, dass man sich rechtlich in einer Grauzone befindet, selbst wenn man die Originale noch besitzen sollte. Worauf es aber ankommt: Es funktioniert! Während man sich beim Mini-Modell erst umständlich behelfen und danach lange auf ein Firmware-Update warten musste, erkennt die Maxi-Variante umgehend den Stick und die Dateien, wobei sowohl Disk-Images (im D64-Format) als auch das Cartridge-Format CRT unterstützt werden. Steckt man den Stick in einen der USB-Ports, erscheint innerhalb weniger Sekunden eine neues Icon innerhalb der Karussell-Oberfläche, über das man auf den Stick zugreifen kann. Alternativ ist dies auch über Basic möglich.
Nachschub per USB
Schön dagegen, dass man seinen Spielstand jederzeit über ein überlagertes Menü speichern darf, das sich jederzeit auf Knopfdruck einblenden lässt und über das man sowohl die virtuelle Tastatur aufrufen als auch wieder zum Hauptbildschirm zurückkehren kann. Noch schöner wäre es aber gewesen, wenn man auch eine Rückspulfunktion integriert hätte, wie sie bei einige Mini-Konsolen oder Classic-Sammlungen mittlerweile üblich ist.
Alles sicher
In den Systemeinstellungen hat man die Wahl zwischen verschiedenen C-64-Modellen und kann sich zwischen einer Darstellung mit 50Hz oder 60Hz entscheiden. Darüber hinaus stehen diverse Bildformate zur Verfügung und wer es möchte, kann mit dem optionalen CRT-Filter auch mit Scanlinien einen alten Röhrenbildschirm emulieren.
Endlich Mikroschalter!
Im Gegensatz zum Vorbild fehlt dem Nachbau allerdings der Schalter, an dem man früher das Dauerfeuer aktiviert hat. Stattdessen finden sich vier rote Tasten, mit denen vor allem die Navigation innerhalb der Menüs erleichtert wird. Alternativ lassen sich auch andere Controller verwenden: Mein alter Competition Pro USB wurde problemlos erkannt und ließ sich anstandslos nutzen. Selbst die Menü-Navigation funktionierte, obwohl man den Tasten der angeschlossenen Pads leider nicht manuell ihre Funktionen zuordnen darf.
Fazit
Der C-64 ist zurück – und das ohne Floppy und 5,25-Zoll-Disketten! Mit dem großen Bruder der Mini-Variante gelingt Retro Games tatsächlich ein schönes Revival des einstigen Bestsellers von Commodore, der im 1:1-Maßstab vor allem von der vollwertigen sowie einsatzbereiten Tastatur profitiert, mit deren Hilfe man sogar wieder eigene Programmzeilen in BASIC tippen darf. Endlich muss man sich nicht länger mit der fummeligen virtuellen Tastatur herumschlagen oder mit dem Anschluss eines externen Keyboards einen USB-Port belegen, wobei die Verdopplung auf vier USB-Eingänge ebenfalls zu den positiven Aspekten der Fullsize-Version gehört. Trotz vereinzelter Highlights und dem Austausch mancher Titel markiert die Bibliothek an vorinstallierten Spielen aber immer noch einen Schwachpunkt beim Comeback, auch wenn die Bildqualität über HDMI klasse ist und sich die SID-Klänge dank der hervorragenden Sound-Emulation so fantastisch anhören wie damals. Dem kann man zwar durch mehr oder weniger illegale ROMs auf USB-Stick entgegenwirken, muss bei Multidisk-Software aber unter Umständen viel Fummelarbeit in Kauf nehmen oder die komfortable Karussell-Umgebung verlassen und auf die BASIC-Oberfläche ausweichen. Dort findet man über eine Option zur Medienverwaltung inklusive der Diskwechsel-Funktion, wie man sie auch von anderen Emulatoren kennt. Aber warum bietet man dieses Menü nicht auch im Karussell-Betrieb an? Dieser Umstand trübt den positiven Eindruck ein wenig, wenn man den C-64 Fullsize primär abseits der vorinstallierten Software und mit maximalem Komfort nutzen möchte. Trotzdem schön, dass der vollwertige Brotkasten wieder da ist und eindrucksvoll zeigt, was Commodores Kult-Heimcomputer damals ausgezeichet hat, auch wenn es rückblickend mittlerweile manchmal schwer fällt, eine ähnliche Faszination für grobe Pixel, extrem schwierige Herausforderungen und manche Düdelsounds zu empfinden wie damals. Entsprechend dürften manche potenzielle Käufer beim Preis von knapp 120 Euro eine Anschaffung überdenken - vor allem, wo die Mini-Variante mittlerweile für unter 50 Euro zu haben ist. Trotzdem darf Retro Games jetzt gerne beim Amiga weitermachen - von mit aus sofort in der Fullsize-Version...