Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging für Nintendo Switch - Test, Logik & Kreativität, Switch
Bringt Gehirn-Jogging wirklich die grauen Zellen auf Vordermann? Wie so oft scheiden sich auch in diesem Feld die Geister bzw. Neurowissenschaftler. Lutz Jäncke etwa resümierte 2013 mit relativ großem Medien-Echo, dass man sich die Zeit für Hirnjogging am Computer sparen könne. Er leitet den Lehrstuhl für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Ein anderer prominenter Kopf (sogar ein schwebender!) hält nach wie vor dagegen: Dr. Kawashima leitet das „Functional Brain Imaging Centre“ der Universität Tohoku – und taucht natürlich auch in der Switch-Ausgabe seines Trainings-Programms auf. Seine Aufgabe ist nicht nur das Herumalbern mit stilecht kantigen, erstaunlich dehnbaren Gesichtszügen. Zudem belegt er vor fast jeder Übung gewissenhaft mit Quellenangaben, welcher Bereich des Denkapparats laut welcher Studie gerade besonders gründlich gequält wird (z.B. anhand dieser Publikation ). Schade, dass es zu meiner Schulzeit noch keine schwebenden Köpfe gab - das hätte den Mathe-Unterricht um Welten erträglicher gemacht!
Ein wirksames Training?
Auch hier ist inmitten der manchmal drögen Aufgaben ein bisschen Auflockerung willkommen: Es handelt sich diesmal um einen Mix aus altbekannten, aber auch neuen Sprach-, Rechen- und Denk-Übungen. Beim Klassiker Sudoku wird man behutsam mit diversen Hilfen und automatischen Markierungen herangeführt: Spaß hatte ich daran aber nicht wirklich – als Kreativer würde ich nach wie vor lieber ein weniger abstraktes Kreuzworträtsel ausfüllen! Gut gefallen hat mir das Training des fotografischen Gedächtnis mittels eingeprägter Bilder, die zum Teil auf fiese Weise gespiegelt und über den Bildschirm verteilt werden. Angenehm fordernd wirkt auch die Doppel-Herausforderung, in der man auf dem oberen Bildabschnitt über Hürden springt (indem man auf ein Sprungfeld tatscht), während unten bewegliche Zahlen berührt werden.
Rückwärts einparken fürs Gehirn
Außerdem deutet sich hier bereits das klassische große Manko der Reihe an. Obwohl in der Disk-Fassung ein Stylus (mit breiter Spitze) mitgeliefert wird, habe ich die eine oder andere Tablette einen Hauch weniger präzise absetzen können als es mit einem Steuerkreuz möglich wäre. Hier hält sich der Nachteil bei der Handhabung noch in engen Grenzen. In anderen Modi ging mir der Einsatz der Konsolen-Gadgets schon stärker auf die Nerven. Dazu gehört die Infrarot-Erkennung mit abgezogenem Joycon, z.B. für Rechenaufgaben. Nicht immer fängt der schmale Kegel die Zahl meiner Finger (oder die Gesten beim Schere, Stein, Papier) rechtzeitig ein. Sogar die Schrifterkennung hat (selbst mit dem Stylus) wieder kleine Macken, auch wenn sie mich bei weitem nicht mehr so in den Wahnsinn trieb wie seinerzeit Kollegen Paul im DS-Original. Etwa eine bis drei Antworten pro Rechentest erkennt sie erst beim zweiten Anlauf, was vor allem bei der Ermittlung des „geistigen Alters“ nervt. Macht euch darauf gefasst, innerhalb weniger Tage um mehrere Jahrzehnte jünger zu werden. An diesem Punkt der menschlichen Anpassungsfähigkeit setzt übrigens auch die Kritik von Lutz Jäncke an: In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung schätzt er die Studienlage so ein, dass Hirntraining lediglich jene Funktionen verbessert, die den trainierten sehr ähnlich sind - nicht aber die allgemeine Intelligenz oder andere Hirnleistungen.
Bei der Netz-Anbindung steckt Nintendo (zumindest vorerst) wieder in der Steinzeit fest - und das, obwohl für Internet-Features eine kostenpflichtige Mitgliedschaft bei Nintendo Switch Online Pflicht ist. Beim weltweiten Vergleich mit anderen Hirnis muss man sich momentan mit einer Bestenliste und ggf. automatisch verschickten Rekord-Mails an Freunde zufrieden geben. Clevere Freundes-Herausforderungen wie z.B. in der Trials-Reihe hat man sich gespart; laut Menü ist aber immerhin eine Gehirn-Jogging-Weltmeisterschaft geplant. Über nähere Details zu Termin und Ablauf schweigen sich die Entwickler aber noch aus. Schade auch, dass Nintendo seine Nutzer wieder mit vorgeschriebenen Trainings-Plänen gängelt. Oft hat man schon nach wenigen Minuten alle möglichen Stempel pro Tag verdient. So darf man zwar weiter trainieren, bekommt aber erst am nächsten Tag weitere wichtige Stempel, die schließlich neue Übungen freischalten.
Nicht auf der Höhe
Fazit
Als Spieler ist mir die Anpassungsfähigkeit des Gehirns natürlich nicht fremd: Manch knifflige Mechanik aus Ori and the Blind Forest z.B. kam mir nach dem Durchspielen plötzlich so einfach vor wie Fahrradfahren. Jahre später fühlt man sich oft trotzdem wieder wie ein Kind, das gerade erst die Stützräder abgenommen hat. Oder man vergisst Mechaniken eines zehn Jahre alten Titels fast komplett ("Wie jetzt, das habe ich damals getestet?"). Ob Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging für Nintendo Switch also nur bestimmte Fähigkeiten trainiert oder der Effekt auch per „Ferntransfer“ anderen Bereichen zu Gute kommt, kann ich als Laie nicht beantworten. Das „Spiel“ bietet zumindest ein passables Trainings-Programm mit einigen unterhaltsamen sowie einigen drögen Übungen, von denen manche auch zu zweit lösbar sind. Nintendo hätte sich bei der Umsetzung aber mehr Mühe geben können: Verbesserungsbedarf besteht bei der rudimentären Online-Anbindung und vor allem bei den eingesetzten Konsolen-Gadgets. Die Schrifterkennung arbeitet zwar um Welten besser als in Teil 1 auf dem DS, sorgt aber etwa ein bis drei mal pro Durchgang für nervige Extra-Sekunden auf der Uhr. Auf kurze Sicht entsteht durchaus leichtes Suchtpotenzial, Abwechslung und Feintuning lassen aber etwas zu wünschen übrig.
Pro
- einige lustige Übungen fordern z.B. räumliche Auffassungsgabe...
- Kawashimas Kopf liefert häufig Erläuterungen und Quellenangaben
- charmante Albernheiten lockern das Training auf
Kontra
- ...andere wirken vor allem auf Dauer dröge bzw. monoton
- Schrift
- und vor allem Infrarot-Erkennung nicht immer zuverlässig
- (vorerst) nur rudimentäre Online-Anbindung
- nervig langsames Freischalten von Übungen an Kalendertagen
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