Kentucky Route Zero - Test, Adventure, Linux, XboxOne, Mac, PC, PlayStation4, Switch
Kentucky Route Zero ist kein Adventure, jedenfalls nicht im klassischen spielerischen Sinn. Es ist mehr Graphic Novel, in der es vor allem ums Lesen geht. Sicher: Es gibt zahlreiche Dialogoptionen sowie kleine Verzweigungen, die sich z.B. darum drehen, ob man den Personen folgt, die sich auf einem Schiff befinden, oder jenen, die kurz an Land gehen. So erhält man unterschiedliche Einblicke, beeinflusst aber nicht den Verlauf der Handlung. Aufgaben löst man schon gar nicht. Man klickt einfach und beobachtet, wie sie erledigt werden.
Über Null ans Ziel
Und trotzdem fühlt sich das zunächst sehr interaktiv an, da Cardboard Conputer – ein gerade mal drei Personen großes Independent-Studio – gleich auf mehreren Ebenen mit Erwartungshaltungen spielt. Ein Charakter verschwindet etwa, der sich gerade noch direkt neben dem Protagonisten befand. Und obwohl der alte Mann, Conway, meist im Mittelpunkt steht, wählt man häufig Dialogoptionen anderer Figuren oder steuert sie eine Zeitlang gar komplett.
Perspektiven wechseln ständig. Kamerabewegungen öffnen die Kulissen, weil sie durch Mauern hindurch führen. Oft genug stehen gar Antworten zur Verfügung, die verschiedene Vergangenheiten beschreiben, darunter die im Spiel selbst erlebten. Schreibt man diese Erinnerung quasi neu? Warum sitzen friedliche Bären in einem Bürogebäude? Wem gehören die Umrisse im flackernden Licht eines eingefallenen Stollens? Und hat es eine Bedeutung, dass die Gruppe irgendwann ein Videospiel spielt, dessen Handlung ihre Geschichte fortführt und damit neue Realität wird?
Verwirrend und faszinierend
... und ist vor allem visuell ausnehmend faszinierend. Die verzerrte Realität wirkt wie eine mythische Anderswelt, in die man sich mit Haut und Haaren fallenlassen kann. Über Licht und Schatten skizzieren die Entwickler starke Kontraste in monochromen Kulissen, um immer wieder auf überraschende Art in die dritte Dimension zu tauchen. Seltene Lieder fangen die Seele auf, sonst ist es abseits rauschender Radios oder geheimnisvoller Rufe weitgehend still.
Und trotzdem verhaspelt sich das Trio leider, verliert sich irgendwann in seinem Konzept, ohne es sinnvoll fortzuführen und hatte deshalb auch mich ab der Hälfte etwa fast komplett verloren. U.a. schließen sich nämlich immer mehr Personen der Gruppe um den alten Mann an, sodass die fokussierte Erzählung schon deshalb auf der Strecke bleibt. Man bleibt zudem immer häufiger am Wegrand stehen, um Anekdoten aus dem Leben Anderer zu erfahren, die schon zwei Minuten später keine Rolle mehr spielen.
In Bruchstücken erzählt
Wirkt der dritte Akt mit dem erwähnten Spiel im Spiel noch wie ein interessantes Zusammenführen der Beobachter vorm Bildschirm und der fiktiven Charaktere, trägt er inhaltlich schon kaum noch Neues bei. Akt vier fühlt sich schließlich wie ein erzwungenes Strecken der Spielzeit an, dem ich fast nichts mehr entnehmen konnte. Ständig wird man aufgehalten, um noch diese, später jene und dann eine weitere Anekdote zu lesen. Obwohl es auch später noch interessante Gedanken und Möglichkeiten der Interpretation gibt – etwa eine unter das Dach einer Lagerhalle verlegte Siedlung – funktioniert die Reise über recht lange Strecken nicht als geschlossenes Abenteuer. Weniger wäre sowohl in Bezug auf die Charakterriege als auch die erzählten Bruchstücke mehr gewesen.
Eine Sammlung von Anekdoten
Abgesehen davon empfand ich einige spätere Texte als seltsam profan. Wenn eine Person etwa ihre Version einer Anekdote erzählt, nur damit eine andere direkt im Anschluss ein anderes Licht darauf wirft, wirkt das wie ein lieblos hingeworfener Knochen. Würden ganz frühe, womöglich zentrale Erkenntnisse einen anderen Anstrich erhalten, wenn man sie viel später aus einer anderen Perspektive kennenlernt, hätte das einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. Auf solche Offenbarungen verzichtet Cardboard aber.
Und so findet Kentucky Road Zero schließlich ein Ende, das zum Glück noch einmal Fahrt aufnimmt, weil es die lange Reise in jeder Hinsicht schlüssig beendet. Schade, dass es zu diesem Zeitpunkt aber längst nur noch eine Sammlung von Anekdoten ist, die bei weitem nicht so geschlossen funktioniert, wie es die Filme von David Lynch tun.
Fazit
Vielleicht liegt es daran, dass Kentucky Route Zero ein konzeptionelles Relikt aus der Zeit vor Dear Esther und Telltales The Walking Dead ist. Auf jeden Fall hätten es keine fünf Episoden, verteilt auf sieben Jahre sein müssen, um diese Reise zu erzählen. Denn als Sammlung kurzer Anekdoten zieht sie sich zu lange hin, während ihr als interaktive Geschichte eine sinnvolle Einflussnahme ebenso fehlen wie größere erzählerische Bögen über mehrere Episoden hinweg. Dennoch wirft Cardboard Computer einen faszinierenden Blick auf ganz normale Menschen. Im Mittelpunkt stehen ihr Leben und ihre Erinnerungen, aber auch das Schicksal und die Macht es zu beeinflussen. Die eindrucksvolle Kulisse überrascht mit geheimnisvollen Ansichten, während der Kopf arbeitet, weil die bekannte Struktur von Raum und Zeit scheinbar ständig durchbrochen werden. Emotionale Anker sind hier wichtiger als kausale Ereignisfolgen. Und auch wenn vieles davon über die Dauer der Reise seine Wirkung verliert: Diese Art des Erlebens ist etwas ganz Besonderes.
Pro
- spielt mit Erwartungen an kausale erzählerische Logik
- überraschende audiovisuelle Momente...
- interessante interaktive Experimente als Bonusinhalte
- sowohl mit Maus als auch Gamepad spielbar
- einstellbare Schriftgröße
Kontra
- Akte drei und vier treten erzählerisch weitgehend auf der Stelle
- ... die gegen Ende abnehmen und letztlich keinen erzählerischen Zweck zu erfüllen scheinen
- interaktive Dialoge und kleine Verzweigungen erfüllen keinen spielerischen oder inhaltlichen Zweck
- ständiges Hinzufügen neuer Charaktere wirkt beliebig und schadet der zentralen Geschichte
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