Ghost Giant - Test, Adventure, PlayStationVR, PlayStation4, OculusQuest, VirtualReality

Ghost Giant
28.02.2020, Jan Wöbbeking

Test: Ghost Giant

Herzerwärmendes VR-Adventure

Hey, Geistriese: Drück mal das umgestürzte Baumhaus zurück an seinen Platz! Öffne mal ein paar Dächer und schau, was sich dahinter verbirgt! Der VR-Titel Ghost Giant (ab 17,52€ bei kaufen) lässt Puppenhäuser lebendig werden - jetzt auch auf Oculus Quest. Ähnlich wie in Trüberbrook thront man über einer hübschen Modellbaulandschaft – hier allerdings als unsichtbarer Helfer, der seinem eingeschüchterten Freund durch den harten Alltag mit seiner kranken Mutter hilft. Ein bewegendes Adventure mit optimierter Bewegungssteuerung? Die Antwort gibt‘s im Test.

Der Einstieg erinnert stark an Moss: Am Rande eines Waldsees entdeckt Protagonist Louis den Spieler als riesige blaue Geistergestalt, die mit dem Move-Controller allerlei Felsen aus dem Weg wuchten und andere schwere Objekte manipulieren kann. Auch die Präsentation weckt sofort Erinnerungen an die knuffige VR-Maus. Seltsam, dass sich auch der schwedische Entwickler Zoink für einen etwas infantilen Ton entschieden hat - trotz der VR-Altersbeschränkung, die im PSVR-Original bei zwölf Jahren lag. Zu Beginn ging mir Louis‘ weinerliches Auftreten voller Selbstzweifel noch auf den Keks. Als ich ihn und seine prekäre Lage näher kennenlernte, gewann er aber meine Sympathie. Er hat es schließlich ganz und gar nicht leicht und muss alles Mögliche für seine bettlägerige und depressive alleinerziehende Mutter erledigen.

Moss als Adventure?

Langsam freundet er sich mit der Situation an, einen großen unsichtbaren Freund dabei zu haben, der ihm in allen möglichen brenzligen Momenten aushilft. Je mehr Selbstbewusstsein er aufbaut, desto engagierter interagiert er auch mit mir: High Five! Fistbump! Bitte einmal hinter Ohr kratzen! Das tut gut. Autorin Sara B. Elfgren erweist sich als äußerst geschickt dabei, mit Hilfe der VR-Interaktion eine Geschichte zu erzählen, so dass man sich ganz beiläufig während der Aufgaben mit Louis anfreundet.

Hat man den gülden glänzenden Hebel gefunden, wird das Häuschen der Künstlerin gedreht und man besorgt sich Farben für den Malpinsel - z.B. Schwarz am Ölfleck aus dem kaputten Moped rechts unten - auf das man allerdings erst ein paarmal eindreschen muss.
Zahnräder, Knöpfe, Hebel, ein Kran und abnehmbare Dächer: Damit man hier alles richtig erreicht, lässt sich die Kamera wie in der PSVR-Fassung mit einer komfortablen Schwarzblende in drei Positionen drehen. Dank des tollen Roomscale-Trackings kann man sich neuerdings aber ohnehin einfach frei umdrehen oder in der pittoresken Kulisse umherspazieren, um sich die Details nach Wunsch aus der Nähe anzuschauen. Einfach wundervoll - auf der Oculus Quest funktioniert das Diorama-Prinzip tatsächlich noch eine ganze Ecke besser! Bei rein mechanischen Problemen kann ich meist schnell aushelfen: Ein paar vertrocknete Sonnenblumen ausrupfen, ein Rad ins kaputte Auto einsetzen und zum Anlassen anschieben - all das klappt hier noch ein wenig eleganter.

Deutlich verbesserte Oculus-Steuerung

Wenn ich am Rand der Kulisse herumfuhrwerken soll, stößt zudem nicht mehr die veraltete Move-Technik an ihre Grenzen. Wenn ich mir einen abgerissenen Kran-Arm schnappe, um mit ihm an entlegenen Bereichen des Schrottplatzes nach magnetischen Teilen zu angeln, ist das um Einiges weniger fummelig als im Original. Manchmal erscheint allerdings ein nerviger schwarzer Bildschirm mit der Mahnung, nicht den Spielbereich zu verlassen. Glücklicherweise bleiben zudem meine blau glühenden Geisterhände nicht mehr an den Rändern des einst schmalen Erfassungs-Kegels hängen. Kein nerviges Feintunen der PS4-Kamera, kein nerviges Bildschwanken. Man streift sich einfach das Quest-Headset über und wird höchstens beim Knobeln gestört, wenn ab und zu mal ein Objekt kurz hängenbleibt oder anderweitig herumzuckt. Nach einem Glitch erscheint es aber brav schnell wieder an seinem alten Platz. Kein Problem! 

Hat man ein Weilchen mit Ghost Giant verbracht, erinnert das Spielgefühl stärker an klassische Adventures als im Einstieg, der erst einmal langsam ans Thema und die Geschichte heranführt. Besonders viel Spaß hatte ich im Dorf mit seinen zahlreichen Drehmechanismen und aufklappbaren Dächern. Es ist fast so, als säße man mitten in einer Modellbaulandschaft voller herumwuselnder Bewohner und ausgetüftelter mechanischer Apparaturen.

Gemütliches Knobeln und Manipulieren

Auf der Quest ist es ganz leicht, sich ganz nah an die Figuren "heranzuschleichen", um sie aus der Nähe zu betrachten.
Der Großteil der Rätsel ist auf Einsteiger zugeschnitten. Mitunter muss ich mich inmitten der drehbaren "Puppenhäuser" aber ein wenig in die verschrobene Adventure-Logik der Entwickler hineindenken, die nicht immer auf Anhieb Sinn ergibt. Nach einigen Experimenten stellt sich meist aber ein befriedigendes Aha-Erlebnis ein. So helfe ich z.B. einer bekannten Krimiautorin in ihrem ausfahrbaren Hochhaus dabei, eine Schreib-Blockade zu lösen. Sie kann sich nur dann wieder entspannen, wenn ich ihrem schmollenden Käfigvogel den passenden Detektiv-Hut zurückhole, damit er endlich aufhört zu krächzen. Die Kopfbedeckung liegt allerdings in einem abgeschlossenen Kämmerchen, dessen Schlüssel von einem ununterbrochen zeternden Rentner bewacht wird. Wie lässt er sich nur beruhigen, um nebenbei die Stimmung im mehrstöckigen Haus zu verbessern? Ein cooles Erlebnis ist auch, andere Figürchen mit den eigenen Händen durch die Kulisse zu locken – z.B. einen Schokoladenliebhaber mit dem Duft von Pralinen. Dumm nur, dass er nebenbei auch Blumenliebhaber ist und immer wieder von Ärgernissen wie vertrockneten Blumen abgelenkt wird („zur Not wässere ich die armen Pflanzen mit eigenen Tränen!“).

Zwischendurch drückt man immer wieder Messingknöpfe und dreht an diversen Kurbeln. Dadurch heben sich Häuser aus der Versenkung, oder drehen sich um, so dass man durch die Rückseite ins Wohnzimmer schaut, in dem sich kurze Diskussionen abspielen. Wichtige Objekte erkennt man an glänzenden Metall-Ornamenten. Weiß man einmal trotzdem nicht weiter, lässt sich der kleine Held anstupsen, damit er ein paar nützliche, aber nicht zu offensichtliche Hinweise gibt.

Knöpfe, Hebel und Hüte

Leider lassen sich nicht alle Probleme im Leben durch mechanische Tricks lösen, z.B. wenn Louis aufgrund seiner chronischen Zeitnot schon wieder seinen besten Freund versetzt hat, obwohl die beiden eigentlich im Duett auftreten wollten. Die Musik spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle, schließlich war Mutter einst eine weltweit berühmte Chellistin. Schade, dass sich die Klang-Rätsel auf simple Minispiele im Senso-Stil beschränken. Oder man muss die passenden Farben aufspüren, um die lokalen Rollkragen-Hipster mit einem Gemälde zu beeindrucken.

Ahoy, Matey! Auf der Quest ist die hübsche Modellbaulandschaft sichtbar schärfer.
Und wozu der ganze Aufriss? Louis will natürlich in erster Linie endlich seine kranke Mutter aufheitern, die seit längerer Zeit nur noch apathisch im Bett liegt. Vor allem zum Ende hin wird es ergreifender, als ich gedacht hätte. Rechnet man Spielpausen und Kalibrierungs-Zicken nicht mit, ist schon nach rund drei Stunden Schluss. Schade, denn dann hatte ich mich gerade erst so richtig schön in der wundersamen Welt eingelebt. Im Laufe der Geschichte stolpert man über allerlei urige Typen, vom Pelikan-Matrosen bis hin zum raubtierkapitalistischen Plastikblumenfabrikant. Sogar das idyllische Moss wirkte auf einmal ein wenig langweilig, nachdem ich wieder aus der liebevoll designten Welt von Ghost Giant aufgetaucht war.

Beschauliche Kulissen

In den Bau und die wechselnde Beleuchtung der virtuellen Kulissen ist offenbar ähnlich viel Mühe geflossen wie beim realen Modelldörfchen von Trüberbrook. Wer sich nach einem beendeten Kapitel noch nicht sattgesehen hat, kann übrigens einige Sammelobjekte wie alberne Hüte aufspüren, die man den Figuren nach Belieben aufsetzen darf. Erstaunlich ist, wie hübsch und detailverliebt die Umsetzung für den Mobilchip der Quest geraten ist - und das, obwohl das Spiel nur etwas mehr als ein sparsames Gigabyte Speicherplatz belegt! Nur in sehr belebten Szenen durchbricht ein Ruckeln die Illusion - auf der Quest noch etwas stärker als auf der PS4. Da sich die Kamera in den festen Kulissen fast nie bewegt, stört das aber nur leicht. Selbst für schwache Mägen bleibt es fast immer komfortabel.

Fazit

Ghost Giant war für mich eine Liebe auf den zweiten Blick: Beim PSVR-Original haben mich vor einem Jahr die Macken der Move-Steuerung in eine genervte Grundstimmung versetzt, zumal manche Puzzles nicht gut genug auf die Technik abgestimmt waren. Mal erreichte ich wichtige Dinge im Randbereich nur schlecht oder musste andere Objekte unnötig lange manipulieren, bevor meine eigentlich richtige Idee funktionierte. Auch Louis' Auftreten wirkte zu Beginn übertrieben weinerlich. Doch je länger ich seine Welt und seine Probleme mit der kranken Mutter kennenlernte, desto mehr schloss ich ihn ins Herz – und desto mehr spürte ich, wie sehr ich als starker helfender Geist seine Selbstsicherheit stärken konnte. Entwickler Zoink und Autorin Sara B. Elfgren haben einen schönen Weg gefunden, das "persönliche" Gefühl von VR-Interaktionen für eine rührende Geschichte zu nutzen. Auch die insgesamt leichten Puzzles werden mit steigender Spieldauer komplexer und unterhaltsamer. Vor allem im beschaulichen Dorf hatte ich Spaß daran, mit eigenen Händen die Dächer abzurupfen, Gespräche zu belauschen und mit allerlei Hebeln und Mechanismen zu hantieren. Besitzer einer Oculus Quest müssen sich zum Glück kaum noch mit Steuerungs-Problemen herumschlagen, da mit dem tollen Inside-out-Tracking des kompletten Raumes alles viel besser von der Hand geht! Vor allem auf dem einst nervigen Friedhof hatte ich kaum noch Probleme, mit der Magnetangel entfernte Objekte zu erreichen, die dann z.B. als Taschenlampe für den verängstigten Louis oder als Gespenst für die sensationshungrige Geisterhaus-Influencerin dienen. Unterm Strich also ein sehr hübsch inszeniertes und bewegendes VR-Adventure mit unterhaltsamen Diorama-Knobeleien im Stil von The Room!

Pro

  • rührende Geschichte
  • viele urige Charaktere
  • liebevoll modellierte Schaukasten-Kulissen
  • unterhaltsame Mechanik-Puzzles mit vielen Hebeln und drehbaren Häusern
  • sehr komfortabel
  • lustige Interaktion mit den Figürchen fördert die Identifikation

Kontra

  • manche Puzzles zu einfach, einige andere zu verquer gedacht
  • stark belebte Szenen ruckeln ein wenig
  • endet nach nur drei Stunden etwas abrupt
  • keine deutsche Vertonung

Wertung

OculusQuest

Bewegendes Adventure mit urigen Diorama-Kulissen, dessen Steuerung auf Oculus Quest deutlich besser funktioniert als im PSVR-Original!

VirtualReality

Bewegendes Adventure mit urigen Diorama-Kulissen, aber auch einigen Macken bei Steuerung und Rätseldesign.

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