Half-Life: Alyx - Test, Shooter, HTCVive, VirtualReality, ValveIndex, OculusRift
Für viele Interessierte dürften schon die Hardware-Voraussetzungen eine erste Hürde darstellen. Half-Life: Alyx lässt sich schließlich nur mit Virtual-Reality-Headsets spielen. Besitzern einer VR-Brille lässt Valve allerdings erfreulich freie Wahl. Ob mit Rift, Vive, WMR oder der verkabelten Quest am PC - ob zwei Teleport-Varianten oder direktes Laufen: Hier lässt sich angenehm viel auf eigene Bedürfnisse einstellen. Wir haben mit der Valve Index und Rift S getestet. Zu Beginn ist vor allem mit Facebooks Headset ein wenig Menü-Gewurschtel nötig, um eine gängige Laufsteuerung im Sitzen hinzubekommen, bei der man auf Knopfdruck in die Hocke geht. Nach etwas Eingewöhnung funktioniert die Handhabung dann aber bestens: Linke Hand auf ein Heilpad, mit dem Kopf um die Ecke nach Gegnern spicken und mit der rechten Hand einen Kopfschuss nach hinten abfeuern. In solchen Momenten wird klar, dass sich das Spiel trotz größtenteils linearer Levels nur schwer für den Monitor umsetzen ließe.
VR only
Man darf z.B. auf dem Sims klettern, um ein Rollo aufzuziehen und mit der zweiten Hand lässig eine Granate durchs Fenster zu lupfen. Überraschung! Ihr wollt lieber die tödlichen Zungen der Barnacle-Deckenmonster mit Elektroschrott aus einem Korb füttern? Kein Problem! Für besonders viel Immersion sorgt das Greifen, Werfen und teils brenzlige Nachladen mit dem Finger-Tracking der Index-Controller. Dank druckempfindlichem Griff lassen sich sogar feinfühlige Spielereien wie das Zerquetschen einer Dose starten. Mit den Oculus-Touch-Controllern der Rift S kommt man nach etwas Umgewöhnung übrigens ähnlich gut in der Action zurecht; auch wenn es sich weniger intuitiv anfühlt.
Half-Life 1,5?
Die nur auf Englisch mit deutschen Untertiteln verfügbare Geschichte bleibt zunächst gradlinig, aber motivierend – vor allem, weil der Smalltalk über Funk zwischen Alyx und dem verschrobenen Russell so sympathisch rüberkommt. Umzingelt von Headcrabs will sie im Dunkeln einfach nur seine Stimme hören? „Sei spezifisch, Alyx! Worüber soll ich reden?“ Nachdem sie die Zeit vor der Invasion als Thema vorschlägt, ist Russell aber nicht mehr zu bremsen und betet minutiös die Zutaten und Besonderheiten des legendären Club Sandwich herunter. Und sobald Alyx ein neues stinkendes Monstrum entdeckt, verlangt er natürlich nach mehr Details über den Gestank – aus rein wissenschaftlichem Interesse, versteht sich.
Wenn später per Funk mehr Infos über die Superwaffe hereintröpfeln, wird die Geschichte immer spannender und teils sogar übersinnlich – so dass es zum Schluss sogar schwer wird, sich noch zu VR-Pausen durchzuringen und mal das Headset abzusetzen. Mehr verrate ich lieber nicht, aber Serienkenner können sich über schön eingeflochtene Anspielungen und Verknüpfungspunkte der Handlung freuen.
Auf dem Weg zur Superwaffe
Eine Freude ist es auch, mit den von Russell entwickelten „Gravity Gloves“ zu hantieren, die er ganz uneitel die „Russells“ getauft hat. Einfach auf einen beweglichen Gegenstand zielen, das Handgelenk schwungvoll nach oben oder zur Seite kippen – und schon fliegt das Objekt der Begierde in die Hand, die nur noch im passenden Moment geschlossen werden muss. Die Handschuhe ermöglichen zwar keine Nahkampf-Tricks oder innovative Physik-Experimente wie in Half-Life 2 oder Boneworks (zum Test). Im Gegensatz zum VR-Shooter von Stress Level Zero verliert sich Half-Life: Alyx aber nicht in Spielereien, aufgrund derer man sich oft plötzlich ungelenk im Kugelhagel verheddert.
Intuitive Feuergefechte
Auf dem Weg durch die verfallenen, von Combine-Technik und Pilzwesen durchzogenen Gebäude wird man schön von der begrenzten Lebensenergie und Munition zur Suche motiviert. Nach dem Durchwühlen der Schränke landen Upgrade-Währung, Granaten oder Energiespritzen spürbar verlässlicher im Inventar als etwa in Stormland (zum Test) oder The Walking Dead: Saints & Sinners (zum Test).
Die Besinnung aufs Wesentliche zieht sich durchs komplette Spiel. Zu Beginn wirkt die relativ kleine und konservative Waffen-Auswahl noch etwas enttäuschend, zumal sie sich nur leicht an Combine-Konsolen aufrüsten lässt - etwa mit Visieren, Feuermodi oder mehr Munitionskapazität. Doch im Gegenzug geht in keinem anderen VR-Shooter die Handhabung der Schießeisen so schön in Fleisch und Blut über, weil die Entwickler darauf verzichten, den Spieler mit unnötigen und selten eingesetzten Gadgets zu verwirren. Gerade für VR-Neulinge dürfte sich das als Segen herausstellen, da diese sich ohnehin erst einmal mit der Bewegungssteuerung und anderen Besonderheiten anfreunden müssen.
Weniger ist manchmal mehr
Die angenehm räumlichen 3D-Puzzles sind ebenfalls motivierend ausbalanciert. Zu Beginn wirken sie noch wie Spielereien, doch nach einigen Stunden wird es spürbar anspruchsvoller, Leuchtkugeln in die passende Form zu ziehen oder versteckte Kabel mit dem Multi-Tool nach manipulierbaren Schaltern abzusuchen. Die Puzzles brauchen sich nicht einmal hinter kompletten VR-Knobelspielen wie Form (zum Test) zu verstecken.
Arbeit für die grauen Zellen
Von solchen Macken abgesehen ist die Technik aber konkurrenzlos gut. Auf einer GeForce RTX 2080 Ti blieb es mit hohen Einstellungen, etwas Supersampling und bei 90 bzw. 120 Hertz Bildwiederholrate fast immer flüssig – sowohl mit der Index als auch der Rift S. Manche Orte in Asgard's Wrath (zum Test) wie die urige Kneipe sind zwar noch einen Deut hübscher, doch kein Spiel bietet durchgehend eine derartige Detailverliebtheit wie Half-Life: Alyx! Schon profane Dinge wie das verkratzte Metall und all die animierten mechanischen Feinheiten laden zur ehrfürchtigen Inspektion ein.
Das gilt natürlich auch für hübsch glänzende, von Staub und Alien-Pollen durchflutete Hotel-Bars oder die Maschinenräume der Combine. Lediglich die Beleuchtung wirkt in finsteren Räumen zu undynamisch – ganz ohne indirekt abstrahlendes Licht neben dem Kegel der Taschenlampe. Unterhaltungen mit Figuren wie einem verbündeten Vortigaunt-Alien dagegen sorgen mit ihrer urigen Inszenierung für dieses typische runde Spielgefühl, das gute Erinnerungen an Klassiker wie Uncharted 2 weckt – inklusive einem passend düsteren Mix aus Synthie- und Orchesterstücken. Das langsame Spieltempo erinnert allerdings eher an Doom 3 als an das schnelle Getänzel der Halo-Reihe. Das gilt vor allem in stockdunklen Tunneln voller Zombies und Headcrabs. Solche Momente fühlen sich beim stehenden Spielen noch unheimlicher und immersiver an als im Sitzen.
Der neue Grafik-König?
Mit Hilfe der Teleportation kann man sich zwar schnell vor Feindgruppen in Sicherheit bringen. Valve gleicht das jedoch gut durch schwer gepanzerte Combine-Krieger mit Flinten oder Geschützen aus, die aus unterschiedlichen Richtungen auf die gepflasterten Gassen und Marktplätze der Altstadt strömen. Zudem starten die Gegner auch mal offensive Vorstöße um Ecken herum. Von der KI-Brillianz eines Halo ist man zwar weit entfernt – die Gegner rücken trotzdem viel dynamischer vor als in den oft faden Schießereien aus Blood & Truth (zum Test).
Ganz individuell
Fazit
Es ist zwar schon einen Tag her, seit ich den Abspann von Half-Life: Alyx gesehen habe, doch meine Euphorie ist noch nicht verflogen. Ähnlich wie Astro Bot Rescue Mission (zum Test) es für den Plattformer getan hat, setzt auch Half-Life: Alyx neue Maßstäbe für sein Genre, an denen sich jeder künftige VR-Shooter messen lassen muss! Während der mitreißenden Story fühlt sich über 15 Stunden so vieles so gut, intuitiv und „richtig“ an - von der beeindruckenden Inszenierung mit seiner bombastischen Kulisse über den inspirierenden Einsatz der Bewegungssteuerung bis hin zu spannenden Kämpfen und vielen gelungenen 3D-Puzzles. Daher verzeihe ich dem Titel auch kleine Schwächen wie den Bossmangel oder die frustigen, teils fehlerhaften Schleich-Passagen in der Wodka-Destillerie. Das Schönste an Half-Life: Alyx ist aber, dass es endlich wieder ein Entwickler geschafft hat, seine mechanisch vielversprechenden Experimente in ein richtig professionelles Spiel zu verwandeln! Weniger ist manchmal mehr - das zeigt sich hier vor allem beim gelungenen Handling des überschaubaren Arsenals. Wenn die Hersteller wieder die Produktion von Headsets hochfahren können, dürfte das Spiel eine Menge neuer Fans für VR gewinnen!
Pro
- mitreißende professionelle Inszenierung
- eindrucksvolle Kulisse mit vielen liebevoll animierten Details
- üppige Spielzeit von 15 Stunden, die nicht gestreckt wirkt
- viele unterhaltsam designte 3D- und Umgebungsrätsel
- spannende Feuergefechte gegen Combine und aggressiv anrückende Monster
- vorbildlich eingesetzte Bewegungssteuerung
- coole, sehr nützliche Gadgets wie Russels Greif-Handschuhe
- passend düsterer Synthie- und Orchester-Soundtrack
- viel Einstellungsmöglichkeiten, u.a. für den Komfort
- auch mit freier Bewegung sehr komfortabel
- nützliche Kombination aus freier Bewegung und Teleport möglich
- verlässliches, angenehm einfach gehaltenes Inventar-System
- faires Speicher-System
- viel Humor und natürlich wirkende, lockere Dialoge
- tolle räumliche Abmischung, vor allem mit der Index
Kontra
- nervige, verwirrend designte Schleich-Passagen
- gelegentliche Bugs und Glitches
- kaum Bosskämpfe
- altbackene Beleuchtung in finsteren Arealen
- etwas ausgefallenere Waffen hätten nicht geschadet
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