Draugen - Test, Adventure, PlayStation4, PC, XboxOne

Draugen
21.02.2020, Benjamin Schmädig

Test: Draugen

Zeitreise ins kalte Norwegen

Von Amerika bis Graavik, ein von der Außenwelt fast komplett abgeschnittenes Dorf im kalten Norwegen, reist Edward Charles Harden auf der Spur seiner vermissten Schwester. Was heute ein Katzensprung ist, war in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein beachtliches Unterfangen, denn Edward scheut für seine Suche weder Zeit noch Mühe. Zum Glück ist er deshalb nicht alleine – und die lebendigen Unterhaltungen zwischen ihm und seiner jungen Begleiterin haben mich auch im Test der Umsetzung für PlayStation 4 und Xbox One noch an das famose Firewatch erinnert.

In gerade mal drei Stunden sind manche Spieler wohl durch diesen „Wander-Simulator“ gestürmt – eine Tatsache, die ich wie so oft nicht nachvollziehen kann. Fast das Doppelte der Zeit hat mich mein Ausflug nach Graavik jedenfalls gekostet, weil ich viele Momente auskosten wollte, anstatt so schnell wie möglich den jeweils nächsten Aktionspunkt zu erreichen. Immerhin ist Graavik nicht das technisch beeindruckendste, aber ein dennoch idyllischer Ort.

Ruhiges Erleben

Im Gegensatz zu Storm in a Teacup, die mit dem ebenfalls gerade erschienenen Close to the Sun hauptsächlich Kulissen erschaffen haben, an denen man lediglich einmal vorbeiläuft, nutzt Red Thread Games (Dreamfall Chapters) das kleine Dorf nämlich als überschaubare Bühne, auf der man verschiedene Orte mehrmals besucht. Das klingt nach etwas mehr als es ist, dennoch kommt der eigene Charakter des Dorfs durch das wiederholte Besuchen stärker zum Tragen. Zunächst unscheinbare Ecken gewinnen erzählerisch an Bedeutung, sodass man irgendwann eine emotionale Bindung entwickelt. Es gibt sogar Gelegenheiten, an denen sich Edward hinsetzen und beliebig eine Skizze seines Ausblicks zeichnen darf, was auf angenehme Art an Life Is Strange erinnert.

Als ich Graavik verlassen musste, war ich deshalb sehr froh darüber, dass Edward noch einmal in aller Ruhe durch die Siedlung schlendern durfte, und dass auch der finale Blick sowie die abschließende Unterhaltung in keiner Weise auf ein eiliges Ende drängten. Tatsächlich hatte ich erst kurz zuvor ein interessantes Gespräch geführt: Was war denn nun wirklich geschehen? Warum sind Edward und Alice dorthin gereist und was wird in Zukunft sein? Die Antworten hatten mich durchaus überrascht...

Auf Konsole hat das idyllische und geheimnisvolle Graavik nichts von seiner Faszination verloren.
Stimmt, ich hatte Alice noch gar nicht vorgestellt. Sie ist eine Freundin Edwards: keck, clever, ständig in Bewegung. Man kann jederzeit nach ihr rufen, falls sie vorausgeeilt ist, oder mit ihr sprechen, wenn sie sich am selben Fleck befindet. Dann kommentiert Edward die aktuelle Situation, stellt Fragen oder drückt aus, was ihn bedrückt. Immerhin finden sich die beiden in einem aus unerklärlichen Gründen verlassenen Dorf wieder – dazu gleich mehr.

Who the fuck?

Zuerst einmal bin ich begeistert davon, wie lebendig diese Unterhaltungen mit Alice inszeniert werden, weil sich Red Thread Games an mehreren Stellen Gedanken darum gemacht hat. Da fällt Edward seiner Begleitung etwa gelegentlich ins Wort: ein ganz alltägliches Phänomen, das viel zu selten in Skripten verwendet wird, obwohl es Unterhaltungen auf einfache Art einen authentischen Anstrich verleiht.

Abgesehen davon ist Alice ständig präsent. Geschickt hält sie sich zwar zurück, während man nach Hinweisen sucht oder sich einfach nur umsieht, tritt aber immer dann heran, wenn etwas Handlungstragendes geschieht. Einen großartigen Moment habe ich schließlich erlebt, als sie Edward im aufgebrachten Zustand eine Standpauke hielt. Einen Augenblick nur wollte ich mich da umsehen, um meinen nächsten Schritt zu planen, da faucht sie doch tatsächlich: „Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ Das passiert freilich nicht alle Nase lang, weil das eine spielerische Einschränkung wäre. In den entsprechenden Augenblicken ist es dann aber umso wirkungsvoller. Für einen kurzen Moment versank ich jedenfalls komplett in der Rolle und mehr kann ein Spiel kaum leisten.

Einen großen Anteil hat daran außerdem die physische Präsenz, mit der Edward in allen Szenen erkennbar ist. Er rudert ja nicht nur das Boot anfangs in Richtung Graavik, sondern öffnet auch alle Türen, liest aus Briefen und Büchern vor, legt sogar die Hand sichtbar aufs Fenster, wenn man hinausschaut u.v.m. Es gibt keine Aktion, die wie von Geisterhand geschieht. Alle Schriftstücke sind zudem lesbar; streng genommen benötigt man nie künstlich übers Bild gelegte Hilfetexte, um Nachrichten zu entziffern. So ist man immer direkt im Geschehen drin. Nur dass die Kamera Edward beim Zeichnen seiner Skizzen plötzlich von außen zeigt, ist ein ärgerlicher, insgesamt aber zum Glück seltener Immersionsbruch.

Hand aufs... Fenster

Schön ist nicht zuletzt, dass man in den Gesprächen mitunter die Wahl zwischen verschiedenen Antworten hat – falls man überhaupt antworten will. Wobei die Entwickler auch hier mitgedacht haben und viele Antwortmöglichkeiten detailliert beschreiben. So drückt Edward nichts aus, was man Alice gar nicht mitteilen wollte. Man sollte nur bereit sein sich in den Protagonisten hineinzuversetzen, denn oft deckt Draugen nicht alle denkbaren Antwortmöglichkeiten ab. Man merkt, dass Red Thread (der Name ist Programm) eine kohärente Geschichte mit einer klar definierten Hauptfigur erzählen will. Dieses Adventure ist kein Rollenspiel und über weite Strecken auch klarer definiert als die Telltale- und andere Titel, darüber muss man sich bewusst sein.

Und es ist schwer über den Verlauf der Ereignisse zu sprechen, ohne etwas Wichtiges vorwegzunehmen. Deshalb werde ich das auch nicht tun, ihr könnt allerdings wissen, dass man mit Edward nicht nur der von seiner Schwester gelegten Fährte folgt, sondern gleichzeitig ein dunkles Geheimnis aufdeckt. Sämtliche Knoten sind dabei verbunden und so erzählt Red Thread Games eine ebenso persönliche wie spannende Geschichte.

Knotenteppich

Vor allem das Unterhalten bzw. Interagieren mit Alice gelingt dem Spiel so gut, dass Erinnerungen an Firewatch wach werden.
Perfekt gelingt das allerdings nicht – aus verschiedenen Gründen. Der für mich offensichtlichste sind Abschnitte vor dem Finale, in denen recht unvermittelt entscheidende Teile der Geschichte relativ schnell aufgedeckt und Edward in aller Ausführlichkeit dargelegt werden. In diesen Minuten kam ich mir etwas überrumpelt vor, habe mir ein behutsames Heranführen an die Auflösungen gewünscht und dass ich Teile davon selbst herausfinden darf, anstatt sie gebündelt diktiert zu bekommen

Zusätzlich kann man Draugen durchaus vorwerfen, dass es wichtige Teile seiner Handlungsebenen relativ oberflächlich behandelt. Oder zumindest nicht mit der Sorgfalt, die ihnen andere Spielemacher hätten zukommen lassen. Ich glaube, dass Autor und Regisseur Ragnar Tornquist das auch nie vorhatte, sprich im Wesentlich andere Prioritäten verfolgt hat. Dennoch hätte manchen Aspekten eine Idee mehr Tiefe womöglich gutgetan.

Fantasie und Wirklichkeit

Doch wie gesagt: Wenn die Reise vorüber ist und Edward die Geschehnisse Revue passieren lässt, dann steckt man plötzlich auf interessante Weise in seiner Gedankenwelt. Dann macht Tornquist die Magie alltäglich und das Alltägliche magisch – und gibt der Fantasie damit einen Stellenwert, der ihr in diesem Zusammenhang häufig abgesprochen wird. Auch das klingt womöglich hochtrabender als es ist. Ich habe diesen gefühlvollen Schlussstrich unter das emotionale Abenteuer aber sehr genossen und mag Tornquists toleranten Blick, mit dem er dieses Abenteuer erschaffen hat.

Fazit

Betrachtet man alleine die Geschichte dieser Reise ins vergangene Jahrhundert, dann ist Draugen nach wie vor nicht das beste der Erzählspiele. Denn so spannend und vielschichtig die Handlung auch ist, so gehetzt werden entscheidende Elemente irgendwann einfach vorgetragen und so viel tiefer hätte man in Edward Harden und seine Schwester sowie die quirlige Alice blicken können. Gleichzeitig lebt die Handlung aber von einem angenehm toleranten Blick auf unsere von Wissenschaft und Fantasie interpretierte Welt – und noch mehr ist es die Art und Weise, mit der Red Thread Games dieses Abenteuer zum Leben erweckt: indem es den Ort der Handlung etwa nicht als vorüberziehende Kulisse, sondern als veränderliche Bühne nutzt. Mit einer starken phsysischen Präsenz ist der Protagonist dort ein glaubhafter Teil des Schauspiels, das vor allem deshalb so lebendig wirkt, weil die Dialoge in manchen Szenen selbst dem hervorragenden Firewatch in nichts nachstehen. Dank nachvollziehbarer Antwortmöglichkeiten, optionaler Kommentare bzw. Fragen sowie überraschend konsequenter Reaktionen der Gesprächspartner unterhält man sich als Edward jedenfalls ähnlich frei mit Alice, wie es die Protagonisten in Firewatch taten, sodass Draugen trotz seiner Schwächen auch auf den Konsolen einen starken bleibenden Eindruck hinterlässt.

Pro

  • spannende und fantasievolle Geschichte
  • ungewöhnlich ruhiges und erzählerisches interessantes Ausklingen
  • lebendige, glaubwürdige Unterhaltungen mit kleinen Entscheidungen
  • Gesprächsoptionen werden oft erklärt, sodass man richtige Antworten findet
  • keine magischen Auslöser Alter Ego führt alle Aktionen deutlich sichtbar aus
  • offener Schauplatz, durch den man aber gut geführt wird
  • einfühlsamer Soundtrack

Kontra

  • Plot trifft seine zentralen Themen nicht immer perfekt
  • übermäßig rasanter und monologlastiger Auflösung aller zentralen Handlungsfäden

Wertung

PlayStation4

Spannende und emotionale Reise in die Vergangenheit, die von lebendigen Dialogen und interessanten Charakteren lebt.

XboxOne

Spannende und emotionale Reise in die Vergangenheit, die von lebendigen Dialogen und interessanten Charakteren lebt.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.
Kommentare
Uwe sue

Danke dass ihr den Test "nachliefert".
4Players 85%+ -> Wunschliste -> Kauf -> Pile of Shame
exakt mein vorgehen - außer bei genres wovon ich fan bin und es kaum nachschub gibt. da gehen ich auf 80+ runter^^

vor 4 Jahren
Stephan_su

Ich habe es eben in knapp viereinhalb Stunden beendet, inkl. Lesen des Comics, welches als Extra aufrufbar ist (ich weiß nicht ob bereits zu Beginn verfügbar, empfehle aber dringend es erst nach Beendigung des Spiels zu lesen, es spoiler sonst zu viel).

Die Spielzeit ist für mich einer der beiden Kritikpunkte des Spiels. Ich kannte seinerzeit das PC Lets Play was mir evtl ein wenig zu Gute kam, aber bin trotzdem des öfteren in der wunderschönen Spielwelr verharrt, sehr viel mehr Zeit hätte ich nicht rausschlagen können.

Zweiter Kritikpunkt ist ein wenig das Ende. Keine Katastrophe, aber da hätte ich gerne einige Stränge gerne näher erklärt gehabt, zu ein paar Punkten fehlten mir dann doch nachvollziehbare Erklärungen. Es ist okay, aber hier würde ich mir eine "Special Edition" wünschen.

Star des Spiels war für mich, neben dem wirklich wunderschönen norwegischen Fjord, die eigentliche Hauptdarstellerin des Spiels, meine Begleitung Lissy. Toll in Szene gesetzt und umgesetzt, ich freue mich auf mehr von den beiden

Meine Wertung läge bei 80 bis 82%. Ich wurde gut unterhalten, dass Setting hat mir super gefallen, lediglich ein Bug zwang mich an einem Checkpoint neu zu laden. Leider ist der Wiederspielwert eher gering. Wer aber solche Spiele mag und mit der Spieldauer keine Probleme hat, der kann beruhigt zugreifen

vor 4 Jahren
dermoritz

Danke dass ihr den Test "nachliefert".
4Players 85%+ -> Wunschliste -> Kauf -> Pile of Shame

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Grauer_Prophet

Oha das hatte ich gar nicht am Schirm ...vil Iwan mal

vor 4 Jahren