Orwell: Keeping An Eye On You - Test, Adventure, iPhone, Mac, iPad, Linux, PC, Android
Was zur Hölle ist mit meinem Bildschirm los? Wieso flackert der jetzt? Was, die Menüs sind ausgegraut? Hey, ich bin hier der verdeckte Ermittler! Ich hab den Auftrag der Regierung, ich hab hier die digitale Macht! Was soll dieser Scheiß? Ohne weiter auf diesen emotionalen Ausbruch einzugehen, seid vorgewarnt: Orwell hat es in sich. Das liegt nicht nur daran, dass das Abenteuer mit einem Bombenanschlag beginnt und viele aktuelle Bezüge zu Datenschutz, Überwachung & Co thematisiert, sondern auch an der gekonnten dramaturgischen Verdichtung bis hin zu verstörenden Konsequenzen, die ein wenig an Eternal Darkness erinnern.
Verstörende Ermittlungen
Ich liebe es, wenn Spiele mit mir spielen, wenn sie auf mich und mein Handeln reagieren - und genau diesen Nerv treffen die Osmotic Studios. Dabei reiht es sich ein in die wenigen guten Abenteuer wie Firewatch oder Heaven's Vault, die auch aufgrund der lebendigen Kommunikation für glaubwürdige Charaktere sorgen. Orwell ist wesentlich statischer als die beiden, denn man erkundet keine sichtbare Welt aktiv, sondern sitzt lediglich hinter dem Computer des Orwell-Projekts. Aber von Beginn an wird man von Agent Symes angeleitet, um die "letzte Verteidigungslinie im Kampf gegen Terrorismus" zu formen. Wer ist für die Bombenanschläge verantwortlich?
Schnüffeln will gelernt sein
Es gehört zu den großen Herausforderungen einer nicht visuell erkundbaren Spielwelt, dass sie nur über Texte und Webseiten die Illusion erzeugen muss, tatsächlich eine zu sein. Auch wenn es einige faule Kompromisse gibt, weil man nicht wie im realen Internet wirklich alles anlicken und checken kann: Neue Schlagzeilen, Wetterberichte und ein stets wachsendes Archiv an teilweise vernetzten Links bis hin zu Dating-Portalen oder Angelvereinen sorgen dafür, dass man das Gefühl einer in sich stimmigen Gegenwart bekommt. Die beruht auf einem fiktiven westlichen Staat nach Vorbild der USA, der gerade zum Schutz seiner Bürger und Grenzen den Datenschutz aushebelt.
Fiktiver westlicher Staat
Dazu tragen vor allem die glaubwürdigen Charaktere bei, darunter Professoren, Anwälte, Musiker etc., die in einem Netz aus Beziehungen verbunden sind, das man erstmal entwirren muss. Dabei vervollständigt man quasi Biographien und ertappt sich bei den eigenen Vorurteilen, die durch Hobbys, Beruf oder Äußerungen entstehen. Aber Vorsicht: Wenn man einmal jemanden beschuldigt, indem man z.B. seine Aversion gegen die Regierung oder einen Spruch über eine Bombe als Datensatz hochlädt, kann man das nicht mehr aus Orwell zurücknehmen! Irgendwann reichen diese Indizien und der Verdächtige wird im Auftrag von Symes verhaftet - vielleicht sogar noch in dem Moment, in dem man auf seinem Rechner spitzelt. Das sind ebenso spannende wie unheimliche Momente.
Es gibt auch Leerlaufphasen in Orwell, in denen man alles nochmal durchwühlt, weil man die eine oder andere Aufgabe von Symes nicht sofort erledigen kann. Es entsteht aber meist ein eigenartiger Flow aus Neugier und Sammelreizen, wenn man während der Recherche plötzlich einen Chat live beobachten kann, darin die fehlenden Bankdaten extrahiert und direkt Zugriff auf das Konto bekommt, während sich Symes vor lauter Spitzeleifer überschlägt. Man bekommt ein Gefühl für die Macht, die in digitalen Daten steckt. Aber was noch viel wichtiger ist: Man bekommt auch ein Gefühl für den Machtmissbrauch, wenn man eine Person falsch einschätzt.
Leerlauf ja, aber es bleibt spannend
Fazit
Glückwunsch an die Osmotic Studios! Ich habe Orwell am Wochenende angefangen und direkt durchgespielt. Ich konnte einfach nicht aufhören, weil mich Story und Charaktere immer tiefer in den subversiven Datendschungel dieses fiktiven Überwachungsstaates gelockt haben. Auch wenn sich das Spieldesign auf das Lesen, Recherchieren sowie den Upload beschränkt, entsteht ein wesentlich dynamischeres Spielgefühl als in einer Visual Novel. Es gelingt den Entwicklern sehr gut, für emotionale Anbindung über kommunikatives Feedback sowie eine glaubwürdige Spiewelt zu sorgen. Digitale Macht und ihr Missbrauch werden wunderbar thematisiert. Die stellenweise Statik, so mancher fauler Kompromiss und fehlendes aktives Rätselflair werden von einer klasse Regie sowie einer gekonnten dramaturgischen Zuspitzung wettgemacht, in der das Spiel plötzlich böse zurückgrinst. Ich wünsche diesem Hamburger Team viel Erfolg mit den kommenden Projekten. Endlich gibt es nach Firewatch oder Heaven's Vault auch ein kreatives Storytelling-Adventure aus Deutschland, das sich international sehen lassen kann - zumindest war auch Gabe Newell angetan. Eine Android-Version ist übrigens in Arbeit.
Pro
- kreatives Storytelling-Experiment
- aktueller Bezug zu Datenschutz & Co
- glaubwürdige Charaktere
- klasse kommunikatives Feedback
- gut konzipierte fiktive Spielwelt
- tolle dramaturgische Zuspitzungen
- Eternal Darkness lässt grüßen
- auf Englisch oder Deutsch spielbar
Kontra
- zu wenig vormarkierte Datensätze
- gewisse Leerlaufphasen
- ab und zu wirre Menüführung
- einige faule Kompromisse im Pseudo-Internet
- habe etwas mehr aktives Rätselflair vermisst
- keine Übersicht aller Profile (interaktive Pinnwand)
Echtgeldtransaktionen
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- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.