Lies Beneath - Test, Shooter, OculusRift, VirtualReality, OculusQuest
Empfindliche Naturen dürften hier im Minutentakt vom VR-Hocker springen: Mal sind es nur mutierte Kopfkrabben, die mich beim konzentrierten Balancieren übers brüchige Eis überraschen. Anderswo tut sich der geschminkte Gothic-Geist der Fabrikantin Nadia Sokolova direkt vor meinen Augen derart unerwartete Dinge an, dass ich schreiend zurückweiche. Ein Großteil der drückenden Atmosphäre wird dabei vom dichten Soundteppich erzeugt - inklusive dämonischem Windhauchen, Klackern sowie einer druckvoll klaren, räumlichen Abmischung. Auch das Fehlen eines Kabels hilft natürlich dabei, die Außenwelt komplett auszublenden.
Spring!
Spielt sich all der Wahnsinn nur im Kopf der heimgekehrten Studentin Mae ab? Nach einem schweren Autounfall ist ihr verhasster Vater zumindest spurlos verschwunden und es gibt einen klaren Bruch in ihrer Wahrnehmung. Je tiefer sie sich in den Wald, die Höhlen und verwinkelten Fischerdörfer von „Slumber“ wagt, desto stärker sind die Orte aus ihren Erinnerungen mit finsteren Kreaturen übersät. Es ist bedauerlich, dass die Autoren trotz stilsicherer Einbindung schwebender Comic-Panels dabei so vage bleiben, denn die Geschichte selbst will auch nach Stunden nicht wirklich in die Gänge kommen (insgesamt ist man übrigens rund sechs Stunden unterwegs). Die negativen Erinnerungen an Ausflüge mit dem Vater, die dreckigen Sprüche der Seeleute am Kai, die kleinen Puppen, die immer wieder abgefackelt werden müssen: All das wird meist lediglich zum Rahmen fürs Dauergemetzel degradiert, das nur kleinen Rätsel-Einlagen zu bieten hat.
Action, Horror, Action
Beim Großteil der dämonischen Brut handelt es sich wie zu erwarten eher nicht um KI-Leuchten, da sie tendenziell mit vorhersehbaren Routinen unterwegs sind. Die Kämpfe werden aber immer wieder durch unerwartet zaghafte oder forsche Vorgehensweisen aufgelockert. So kann es passieren, dass eine eben noch lethargische Spuckspinne plötzlich nicht mehr nur tollwütige Köpfe zu mir schleudert. Stattdessen weicht sie blitzschnell drei Schüssen aus, klettert ruckartig einen Baum hinauf und empfängt mich erst wieder auf der anderen Seite des kleinen Waldlabyrinths.
Trotz Nahkampfwaffen wie Machete oder Axt sollte man möglichst auf Abstand kämpfen, da der Großteil der eigentlich lethargischen Biester eine ziemlich gute Beschleunigung besitzt. Deutlich weniger Spaß machen aber Szenen wie die Verteidigung in einer Waldhütte, die von einem versoffen klingenden Dämon und seinen Horden überfallen wird. Dort reagiert die eigentlich gelungene Steuerung mit ihrem angenehm einfachen Inventar nämlich nicht verlässlich genug, so dass ich wieder und wieder unverschuldet neu starten musste.
Ganz im Sinne der NRA
Erst als ich mir die Position jedes Gegners, der Patronen und auslegbaren Bärenfallen eingeprägt hatte, ließ sich die nervige Horde nach vielen Anläufen bezwingen. In der engen Hütte schmiss ich oft versehentlich eine Waffe weg oder griff z.B. nach einem Apfel, statt rechtzeitig zweihändig die Schrotflinte nachzuladen. Da die Dämonen durch alle Türen und Fenster schlüpfen, musste ich mich immer wieder umdrehen, worunter die Orientierung und das Zugreifen litt.
Ungewollte Stressfaktoren
Fazit
Seit Until Dawn: Rush of Blood hat mir kein VR-Shooter derart häufig einen Schrecken eingejagt: Die stockdustere Inszenierung von Lies Beneath mit ihrer bedrückenden Soundabmischung zwang mich immer wieder in ein Wechselbad aus Anspannung und überraschenden Gewaltausbrüchen. Außerdem ähneln die Animationen der sich malträtierenden Dämonen erstaunlich stark „echten“ Alpträumen. Kann Drifter Entertainment etwa meine Gedanken lesen? Beim Design könnte das durchaus sein, denn viel stylisher hätte ich mir solch eine Comic-Kulisse auch nicht ausdenken können. Abgesehen von technischen Kompromissen wie schlichten, repetitiven Texturen natürlich - bei der Hardware handelt sich schließlich um eine Oculus Quest. Die Action mit Flinte, Machete & Co. kann meist ebenfalls überzeugen, wirkt aber nicht immer ausgefeilt genug. Bei hektischen Verteidigungen gegen die Horden ist z.B. das Zugreifen zu ungenau und sorgte bei mir für viele unverschuldete Tode. Außerdem brauchte mein Magen häufiger mal eine Pause, woran vor allem das häufige Ruckeln in Kombination mit der geringen Sichtweite Schuld waren. Von solchen Macken abgesehen gehört Lies Beneath aber zu den besseren Actiontiteln auf der Quest. Kein Half-Life: Alyx, aber ein guter Shooter!
Update zur Version für Rift (S) vom 16. April 2020:
Wow - mein zweiter Anlauf mit der Rift S lief schon zu Beginn deutlich angenehmer und flüssiger ab als auf der Oculus Quest! Ohne die nervigen kleinen Ruckler zwischendurch lässt es sich viel besser in die unheimlich dichte Atmosphäre abtauchen, so dass ich fast alles um mich herum vergass und sogar bei manchen der schon bekannten Schreckmomente wieder zusammenzuckte. Nur ab und erinnerte mich das im Drehstuhl verhedderte Kabel daran, dass die völlig gestörte, blutige Geisterwelt nur zu meiner virtuellen Realität gehört. Auch einige visuelle Feineinstellungen im Menü sorgen für ein spürbar angenehmeres, augenschonenderes Erlebnis. Im Prinzip bleiben Kulisse und Texturen für einen PC-VR-Titel natürlich weiterhin ziemlich niedrig aufgelöst. In solch einem gelungenen Comic-Design fällt das aber gar nicht so negativ auf.
Pro
- sehr stilsicheres gezeichnetes Design
- professionelle Inszenierung mit Comic-Panels
- überaus gruselig animierte Monstrositäten
- furchteinflößende Bosse und Giganten
- fiese räumliche Soundkulisse setzt den Spieler noch mehr unter Strom
- Gegner setzen den Spieler meist gekonnt unter Druck
- gelungene Auswahl an Optionen für Komfort und Schwierigkeitsgrad
Kontra
- mitunter monoton durch Standard-Gefechte und ähnliche Hintergründe
- Steuerung nicht präzise genug für frustige Verteidigungswellen
- geringe Sichtweite beansprucht den Magen
- leichte aber häufige Ruckel-Einlagen stören Spielfluss und Wohlbefinden
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