Frostpunk: Der Letzte Herbst - Test, Taktik & Strategie, XboxOne, PlayStation4, PC

Frostpunk: Der Letzte Herbst
30.04.2020, Marcel Kleffmann

Test: Frostpunk: Der Letzte Herbst

Es ist zum Verzweifeln

In der großen Erweiterung Frostpunk: Der Letzte Herbst (ab 4,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) wird die Vorgeschichte von Frostpunk erzählt. Abermals gilt es zwischen Pest und Cholera zu wählen und moralisch delikate Entscheidungen zu fällen, um ein höheres Ziel zu erreichen. Aber ist es das wert? Unsere PUR-Leser haben die Erweiterung zum Wunschtest März gewählt, wir liefern jetzt allen Lesern den Test!

Die Stadt muss überleben! In Frostpunk bestand die Herausforderung darin, eine Stadt als letzten Zufluchtsort inmitten einer neuen Eiszeit zu errichten. Dabei sah man sich gezwungen, viele harte Entscheidungen zu treffen, in denen es vor moralischen Zwickmühlen nur so wimmelte. Oftmals mussten Opfer gezielt in Kauf genommen und gegen das große Ganze abgewogen werden, sofern das möglich war. Sprichwörtlich im Mittelpunkt stand der Generator, der als lebensspendende Wärmequelle in der Eiseskälte fungierte. Woher diese Generator-Idee stammt und wie der erste Testlauf ablief, diese Vorgeschichte erzählt die große Erweiterung "Der Letzte Herbst" (The Last Autumn). Unter der Führung der britischen "Imperial Exploration Company" versucht man an "Standort 113" einen Generator zu errichten, der die Einwohner der Stadt Liverpool vor dem künftigen Kältetod bewahren soll ...

Die Gründung von New Liverpool

Auch wenn sich das grundlegende Spielgeschehen um Stadtaufbau, Ressourcenbeschaffung, (viel) Mikromanagement und Entscheidungen sowie der zirkuläre Baustil in der Erweiterung wiederfinden, gibt es Unterschiede zur gewohnten Frostpunk-Mechanik, die auf den ersten Blick nicht alle ins Schwarze treffen.

Der lineare Generator

Rumms! Der Schacht für den Generator ist eingestürzt - ein lineares Ereignis, das immer in der Partie auftritt. Die Handlungsoptionen sind allesamt mäßig. Wenn man z.B. den verschütteten Tunnel freisprengt, rettet man zwar die Eingeschlossenen Arbeiter, aber 40 Prozent Fortschritt geht verloren. Oder man schickt ein Rettungsteam, sofern die Sicherheitsstufe es zulässt. Oder es passiert nichts, was die Motivation aller belastet.

Der Hauptstolperstein ist der mehrstufige Bau des Generators, der beim ersten Start besser erklärt werden könnte und dem Szenario einen sehr festen Rahmen gibt, da gewisse Ereignisse festgeschrieben sind und definitiv passieren werden, egal wie gut man sich schlägt. Sowohl der Schachteinsturz beim Generatorbau als auch der unausweichliche Einbruch des Winters passieren immer. Man kann fast die Uhr danach stellen. Weil das Geschehen weitgehend linear ist, verfliegen beim Neustart zunehmend die Überraschungsmomente - und Neustarts werden aufgrund des hohen Schwierigkeitsgrades erforderlich sein. An dieser Stelle wären mehr dynamische Ereignisse und mehr Freiraum für die kreative Problemlösung gut gewesen. So wird das Generator-Unterfangen zu einer Liste degradiert, die man abarbeiten muss, um Erfolg zu haben.

Das Frostpunk-Hauptszenario legt dem Spieler kein so enges Korsett an. Zugleich drückt die Linearität den Schwierigkeitsgrad nach oben, da gewisse Ziele bis zum Zeitpunkt X erreicht werden müssen, aber das verleiht den Entscheidungen, die zu fällen sind, eine zusätzliche Würze, da sie unter Druck geschehen. Trotzdem kann man sich darauf einstellen, dass das Szenario mehrfach wiederholt werden muss, weil Dinge, die hier nicht verraten werden sollen, passieren und alles auf den Kopf stellen. Hinzukommt eine seltsame Einschränkung, und zwar haben neue Gesetze und Erlasse eine Abklingzeit, die Entscheidungen "wichtig machen" soll, aber in einer Welt, die vor einer schweren Katastrophe steht, wenig Sinn ergibt. Hier wäre es sinnvoller gewesen, z.B. eine neue Ressource anstatt eines Cooldowns einzuführen.

Auf wen sollen wir uns verlassen? Arbeiter oder Ingenieure?


Ressourcen kommen per Schiff

Andere aus Frostpunk bekannte Schwierigkeiten sind in "Der Letzte Herbst" leichter zu überwinden. Nahrung ist z.B. über den neuen Angelsteg reichlich vorhanden und Ressourcen wie Holz, Kohle oder Stahl können über das Dock aus "der alten Welt" angefordert werden, sofern genug Arbeiter am Dock beschäftigt sind.

Ansonsten kümmert sich eine Vielzahl an Arbeitern und Ingenieuren um die Errichtung des Generators - und dabei sind Klassenkonflikte unumgänglich, zumal viele der Gesetze an die grausamen Arbeitsbedingungen zur Zeit der industriellen Revolution erinnern - und das wird in dieser Erweiterung noch viel weiter getrieben. Zumal man vor die Wahl gestellt wird, ob man sich auf die Seite der Arbeiter oder der Ingenieure stellen möchte, was ein bisschen an die Dichotomie zwischen Religion/Glaube oder Autorität aus dem Hauptspiel erinnert. Schlägt man sich auf die Seite der Ingenieure, muss man gehobene Unterkünfte für sie bauen, was der Stimmung bei den Arbeitern natürlich schadet.

Die zentralen Elemente, um die man sich in der Erweiterung kümmern muss, sind die Motivation und die Zufriedenheit der Einwohner. Beide wirken sich direkt darauf aus, wie schnell es an der Baustelle vorangeht. Sinkt die Motivation auf null, ist das Spiel nicht vorbei, aber die Auswirkungen auf den Generatorbaufortschritt sorgen früher oder später dafür, dass man als Leiter der Baustelle gefeuert wird.

Motivation und Unzufriedenheit

Die Stimmung und die Lage der Arbeiter können mit Gebäuden sowie neuen Verwaltungs- und Arbeitsgesetzen beeinflusst werden, wobei man bei vielen Entscheidungen zwischen Pest oder Cholera wählen muss. Auf dem Ingenieursweg können z.B. "billige Arbeiter" eingeschifft werden, und zwar verurteilte Straftäter. Dann müssen aber Wachtürme und Gefängnisse errichtet werden, um sie in Schach zu halten. Dieser autoritäre Ansatz schlägt bei den meisten Bürgern auf die Stimmung, aber es ist ein geschickter Weg, um schnell neue Arbeiter zu bekommen, die nicht so hohe Ansprüche stellen. Jedoch bekommt man immer wieder vor Augen geführt, welche Verbrechen die Kriminellen begangen haben und wie sehr solch eine Maßnahme an der Zufriedenheit der Bürger nagt. Das Wachpersonal kann ggf. seine Kompetenzen überschreiten und selbst für Ärger sorgen. Außerdem kann ein Gesetz erlassen werden, das es erlaubt, unschuldige Bürger für etwas zu bestrafen, was sie gar nicht getan haben, um neue billige Arbeitskräfte zu haben. Entscheidet man sich übrigens für den Arbeiterfokus (anstatt der Ingenieure), geht es um bessere Arbeitsbedingungen bis hin zur Gründung einer Gewerkschaft mit Wahl des Vorsitzenden, die man übrigens manipulieren kann.

Die Kapelle verspricht etwas Hoffnung.

Mit den Verwaltungsgesetzen wird hingegen festgelegt, wie man mit Kranken, der Ernährung und Leichen umgeht. So können bei der Arbeit verletzte Menschen mit teuren Prothesen versorgt oder nach Hause geschickt werden, was die Unzufriedenheit steigert. Leichen können entweder vor Ort bestattet oder in die alte Welt geschickt werden. Alles dreht sich um das Management von Ressourcen und die Machbarkeit der Motivation in einer ausweglosen Lage. Bei den Arbeitsgesetzen stehen die Sicherheit am Arbeitsplatz, Schichtdauer etc. im Mittelpunkt.

Wenn man eines in "Der Letzte Herbst" verhindern möchte, dann, dass die Arbeiter streiken, damit man seine Bauziele erreichen kann, was gar kein so leichtes Unterfangen ist, schließlich wird beim Bau des Generators auch Giftgas in mehreren Stufen freigesetzt, was die Gefahr am Arbeitsplatz und Krankheit erhöht. Wer will da schon arbeiten? Und noch in Doppelschichten? Hier gilt es wieder das richtige Fingerspitzengefühl und ein vertretbares Gleichgewicht zu finden, was man den Leuten zumuten kann, bevor die Unzufriedenheit steigt.

Streiks bringen das Chaos

Bevor es zu einem Streit kommt, setzen einem die Arbeiter eine Frist, um bestimmte Maßnahmen umzusetzen oder Gesetze zu erlassen. Zunächst kleine Forderungen zur Verbesserung der Lebensqualität oder der Reduktion der Arbeitslast. Lehnt man die ersten Forderungen ab, könnte sich das später als folgenschwer erweisen. Bricht der Streik aus, wird noch mehr Druck aufgebaut, da man nicht ewig Zeit für die Behebung hat und deswegen ein vertretbares Maß finden muss, bevor alles zusammenbricht - in solchen moralischen Grenzsituationen zeigt Frostpunk wieder seine Stärken und wenn man am Ende vor Augen geführt bekommt, was alles schiefgegangen ist und wie viele Opfer zu beklagen sind, überlegt man sich mit einem bitteren Beigeschmack, ob oder wie man es hätte besser machen können …

Ein neuer Versuch wird fällig ...

Insgesamt drei Erweiterungen hatten die 11 bit studios für Frostpunk angekündigt. "Der Letzte Herbst" ist der größte Downloadinhalt für 16,99 Euro, während das Hauptspiel aktuell bei 29,99 Euro liegt. Vor dieser Erweiterung ist das Mini-Add-on "Die Gräben" für 4,99 Euro erschienen. Es umfasst lediglich eine neue Karte für den Endlosmodus und die Möglichkeit, Brücken über tiefe Schluchten dieser Karte zu bauen. Als kostenlose Beigabe, z.B. für den Season Pass, mag dies in Ordnung sein, aber als ernst gemeinter DLC wirkt "Die Gräben" schon überteuert. Informationen zur dritten und letzten Erweiterung "Project TVADGYCGJR", die 12,99 Euro kosten wird, halten die Entwickler bisher unter Verschluss. Auch ein Season Pass wird angeboten (26,97 Euro), der alle drei DLC sowie zusätzlich den Soundtrack und ein digitales Artbook enthält.

Drei Erweiterungen und der Season Pass

Fazit

Zugegeben, es hat einige Zeit gedauert, bis Frostpunk: Der Letzte Herbst so richtig zünden wollte. Das Korsett um die mehrstufige Generator-Errichtung wirkte zunächst zu einschränkend und die geskripteten Überraschungen machten oft einen Neuanfang nötig, weil die Aufbau-Prioritäten falsch gelegt wurden. Diese linearen Faktoren stören zwar, sind aber nötig, um den Schwierigkeitsgrad hoch zu halten und den Druck aufzubauen, unter dem die Entscheidungen zu fällen sind - obgleich manche Beschränkungen aus der Luft gegriffen wirken. Viele sind moralisch höchst spannend, da man oft Pest gegen Cholera abwägen muss. Überraschenderweise geht es um Ausbeutung, Klassenkampf und die Erbringung von Opfern für ein vermeintlich höheres Ziel. Selbst nach einer gewonnenen Partie bleiben ein ungutes Gefühlt und die Frage zurück, was man hätte besser machen können. Obgleich manche Einschränkungen künstlich wirken und das Geschehen auf der kleinen Karte recht undynamisch ist, schlägt der moralische Hammer auch in der Erweiterung wieder voll zu.

Wertung

PC

Die Erweiterung ist eine harte Nuss und hat mit ihren linearen Macken zu kämpfen, aber die moralischen Dilemmata und komplexen Konsequenzen entschädigen dafür.

Kommentare
clorophyll

Frostpunk war meiner Meinung nach eines der besten Spiele der letzten Jahre. Last Autum habe ich aber noch nicht gespielt ... scheint sich aber zu lohnen.

vor 4 Jahren
SpookyNooky

Interessant, dass dieser Test gewünscht wurde. Sehr schön zusammengefasst. Allerdings sind die geskripteten Überraschungen nun keine mehr, wenn man den Test gelesen hat. Als Käufer des "Season Pass" habe ich das Szenario schon gleich nach Erscheinung zwei Mal durchgespielt. Neustarts wie im Test beschrieben sind nicht notwendig, wenn man Erfahrungen mit dem Hauptspiel hat. Der Schwierigkeitsgrad ist vergleichbar mit dem Hauptszenario des Hauptspiels, und liegt definitiv unter dem von The Fall of Winterhome.
Das Schöne an The Last Autumn ist die Neueinführung gut durchdachter Mechaniken, durch die man bekannte Mechaniken über Board werfen muss. Was Frostpunk aber letztlich leichter macht als sein Ruf es vorzugeben scheint, ist die Tatsache, dass die Mechaniken stets diskret sind. In vielen Spielen dieser Art schlägt man sich mit stufenlosen fluiden Werten herum, in Frostpunk gilt das Alles-Oder-Nichts-Prinzip, aus dem sich ein Risiko ableiten lässt. Dieses ist auch unmittelbar, das Ergebnis sofort spürbar. Dadurch hat man stets die Kontrolle, auch in The Last Autumn.
Leider ist nach zwei Mal durchspielen (pro Technologiebaum ein Durchgang) kaum noch etwas rauszuholen aus der Erweiterung, so dass es schnell an Reiz verliert.

vor 4 Jahren