The Shattering - Test, Action-Adventure, PC

The Shattering
29.04.2020, Michael Krosta

Test: The Shattering

Psycho-Therapie mit Stil

Es ist wieder an der Zeit, auf der berüchtigen Couch Platz zu nehmen, um mit Hilfe eines Therapeuten dem verloren gegangenen Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und sich seinen inneren Dämonen zu stellen: The Shattering setzt als Wandersimulator zwar auf altbekannte Mechaniken und Story-Klischees, aber Super Sexy Software und Deck 13 wollen den Psycho-Trip mit einem markanten Artdesign und kreativen Ideen aufpeppen. Ob es gelingt, lest ihr im Test.

Alkoholismus, Mobbing, Panikattacken, Suizidgedanken: Thematisch serviert The Shattering keine leichte Kost! Daher sollte man sich von der vorherrschenden Schwarz-Weiß-Optik mit ihrem Schwerpunkt auf helle Farbtöne und mitunter abstrakte Architekturen nicht täuschen lassen. Wenn man im Rahmen dieser Regressions-Therapie bei einem Trip in die Internats-Vergangenheit erneut mit dem gemeinen Mobbing seiner Mitschüler konfrontiert wird und der persönliche Horror audiovisuell eindrucksvoll mit dem hämischen Gelächter der Peiniger und dem Schluchzen des Opfers eingefangen wird, muss man genauso schlucken wie beim Besteigen der Badewanne, in der sich Protagonist John Evans im Alkoholrausch mit einer Schere die Pulsadern aufschneiden will.

Schwere Kost

Ihr merkt schon: The Shattering ist kein Gute-Laune-Spiel. Tatsächlich dürfte selbst bei manchen Frohnaturen nach der etwa vierstündigen Therapiesitzung die Lebensfreude von einer deprimierenden Gefühlslage beeinträchtigt werden. Daher kann man die Warnung zu Beginn des Spiels durchaus ernst nehmen: Wer ohnehin an Depressionen leidet oder in seinem Leben Probleme hat, die im Spiel thematisiert werden, sollte trotz des ansprechenden Artdesigns besser die Finger davon lassen. Denn ähnlich wie beim tristen Inside können einen auch die Erlebnisse in The Shattering ganz schön runter ziehen.     

Wer kennt es nicht? Die Panik, in der Mathestunde vor der ganzen Klasse vor der Tafel zu stehen und mit einer Gleichung zu kämpfen...
Aber genau das ist ja der Sinn der Sache. Von daher haben die Entwickler durchaus überzeugende Arbeit geleistet, das Thema psychische Krankheiten eindringlich in einem Spielerlebnis zu vermitteln – und das meist ohne auf billige Schockmomente zurückzugreifen. Trotz einiger Parallelen zu Layers of Fear, etwa bei den spontanen und mitunter eindrucksvoll visualisierten Umgestaltungen von Räumen oder plötzlichen Ortswechseln, steht der Horror aber nicht im Fokus. Stattdessen lernt man durch Rückblicke und Hinweise in der Umgebung die Hauptfigur langsam kennen und enthüllt als Spieler quasi gemeinsam mit dem Therapeuten, was sich zugetragen hat und warum man schließlich in der Praxis gelandet ist.

Kreative Ansätze

Na, welche Assoziationen weckt das Bild?
Neben altbekannten und mittlerweile recht abgedroschenen Elementen finden sich zwischendurch auch ein paar kreative Ansätze: So kann man in der Rolle des Autors z.B. das Schreiben seiner Geschichte mit Entscheidungen aktiv beeinflussen und beobachten, wie die Texte entstehen – und das teilweise sogar unterstützt von animierten Modellen. Auch geht man interessante Wege, um mit der Umgebung zu erzählen: Wirft man z.B. einen Blick auf den Kalender und hört im Hintergrund das Pfeifen der bekannten Happy-Birthday-Melodie, kann man prima die entsprechende Konnotation herstellen.

Über weite Strecken fährt man allerdings das übliche Programm auf, an dem die meisten Wandersimulatoren von Everybody's Gone to the Rapture bis Dear Esther kranken. Soll heißen: Spielerisch fällt auch The Shattering sehr flach aus und beschränkt sich in der Regel nur darauf, den nötigen Trigger in Form eines Gegenstands oder einer Handlung zu finden, damit es in der Geschichte weitergeht. Zwar sorgt in der Regel eine effektive Farbgebung oder die Platzierung von Objekten für Hinweise, doch in manchen Situation kommt man vielleicht nicht gleich auf die Lösung, wo und wie es weitergehen soll. Als angenehme Abwechslung habe ich die Momente empfunden, in denen man die Wahl zwischen verschiedenen Dialogoptionen bekommt – besonders in den kleinen Fragerunden zu den Bild-Assoziationen, die man zwar schon ähnlich in anderen Spielen wie Until Dawn gesehen hat, aber immer noch anziehend auf mich wirken. In einer kurzen Fluchtsequenz muss man außerdem die Beine in die Hand nehmen und die Sprint-Funktion erfüllt ihren Zweck. Zwischendurch durchwühlt man freilich wieder zahlreiche Schubladen und Schränke, in denen sich meist gar nichts oder nur nutzloses Copy&Paste-Zeugs befindet. Gibt es denn keine besseren und sinnvolleren Methoden, die Spieler von Wandersimulatoren aktiv einzubinden? Oder haben da Leute tatsächlich Spaß daran, damit sie ein bisschen mehr mit der Umgebung interagieren können, wenn es sonst schon so wenig zu tun gibt? Ich gehöre jedenfalls nicht dazu und kann diese „Öffnungsorgien“ beim Mobiliar langsam nicht mehr ertragen. Das ist nichts anderes als eine überflüssige Beschäftigungstherapie!      

Wo ist der Skript-Auslöser?

Die Szenerie wirkt stellenweise sehr bizarr und düster.
Die englischen Sprecher liefern überwiegend überzeugende Darbietungen, obwohl man eigentlich keine der Figuren zu Gesicht bekommt. Das ist freilich immer noch besser als die seltsamen Lichter-Silhouetten, die man beim schnarchigen Everbody's Gone to the Rapture über sich ergehen lassen musste, dessen Spielwelt zwar offener und freier war als hier, aber dafür auch deutlich langweiliger ausfiel. Eine deutsche Sprachausgabe gibt es nicht, stattdessen werden nur Untertitel geboten. Zwar werden oft sogar Schriftzüge auf Texturen lokalisiert, doch bei manchen Dokumenten oder durchaus relevanten Beiträgen im Radio oder TV wurde leider auf eine Übersetzung verzichtet. Hervorzuheben ist auf jeden Fall die stimmungsvolle Klangkulisse: Die Musik ist zwar eher auf Ambient ausgerichtet und hält sich damit überwiegend im Hintergrund, tritt aber in den richtigen Momenten aus dem Schattendasein hervor und untermalt wichtige Szenen oder Handlungen mit effektiven Klängen. Die Empfehlung der Entwickler, im Idealfall Kopfhörer beim Spielen zu verwenden, kann ich an dieser Stelle nur sekundieren. Denn erst so werden die perfekten Voraussetzung geschaffen, um in diese mitunter abstrakte und stellenweise verstörende Welt einzutauchen, bei der die Unity-Engine trotz detailarmer Kulissen und kleiner Areale manchmal an ihre Grenzen stößt und es als Folge dessen zu leichten Einbrüchen bei der Bildrate kommt.

Gute Sprecher, lückenhafte Lokalisierung

Fazit

Inhaltlich und spielerisch fährt The Shattering über weite Strecken so ziemlich alles auf, was man gefühlt schon in hunderten anderen Wander-Simulatoren gesehen hat. Angefangen bei Themen wie Alkoholismus und Mobbing über die dominierende Suche nach Aktionen zum Auslösen des nächsten Skripts bis hin zum redundanten Durchwühlen des Mobiliars, bewegt man sich meist auf bekanntem Terrain, das spielerisch nicht besonders viel zu bieten hat und seine Faszination vor allem aus den durchaus sehenswerten Veränderungen der Umgebung bezieht. Es gibt zwar kreative Ansätze, doch hebt sich The Shattering vor allem visuell dank seines ungewöhnlichen Artdesigns positiv von der Konkurrenz ab. Zudem gelingt es dem Studio, das psychische Trauma des Protagonisten recht überzeugend und z.T. mit beklemmenden Szenen einzufangen. Aber seid gewarnt: The Shattering würde ich nicht als ein Spiel bezeichnen, das Spaß macht: vielmehr kann einen das Erlebnis ziemlich runterziehen.

Pro

  • ungewöhnliches Artdesign mit effektiver Farbgebung
  • mitunter beeindruckende Verwandlungen von Schauplätzen
  • ein paar nette Psycho-Spielchen im Stil von Layers of Fear
  • atmosphärische Klangkulisse (vor allem mit Kopfhörern)
  • kreative Ansätze beim Storytelling
  • überwiegend gute (englische) Sprecher

Kontra

  • sehr deprimierende Stimmung
  • Aufgaben beschränken sich in der Regel auf die Suche und das Auslösen von Triggern
  • Schubladen und Schränke als überflüssige Beschäftigungstherapie
  • nur deutsche Untertitel und unvollständige Lokalisierung

Wertung

PC

The Shattering ist trotz kreativer Ansätze ein gewöhnlicher Wander-Simulator mit einem ungewöhnlichen Artdesign, der thematisch selbst Frohnaturen in ein Stimmungstief stürzen dürfte.

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Kommentare
Astorek86

Gestern durchgespielt, und kann die Wertung definitiv nachvollziehen. Wer gerne Wander-Simulationen in bedrückenden Geschichten "spielt", bekommt auch hauptsächlich das, was man sich drunter vorstellt. Aber so richtig innovativ davon ist "nur" der Artstyle, den Rest hat man woanders auch schon gesehen. Das Genre hat sich seit "Dear Esther" durchaus weiterentwickelt...

Fans von Walking Simulatoren können mMn. zugreifen, aber wer noch nie Fan von diesem Genre war, dem wird "The Shattering" auch nicht umstimmen. Die greifen besser auf "What Remains of Edith Finch" zurück, was eher dazu taugt, das Genre gern zu haben^^...

vor 4 Jahren