Crucible - Test, Shooter, PC

Crucible
02.06.2020, Benjamin Schmädig

Test: Crucible

Gleichförmiges Figurenverschieben

Es ist nicht einfach, im Gros der Online-Shooter herauszustechen. Die wenigsten sind ja um einzigartige Konzepte gestrickt, sondern kopieren einfach, was es bereits gibt. Und tatsächlich strotzt auch Crucible, die erste große Spiele-Produktion des Versandriesen Amazon, in unserem Test nicht gerade vor Ideen. Stattdessen versucht Entwickler Relentless Studios einfach folgendes: Man werfe Overwatch, League of Legends sowie Fortnite in einen Topf und fertig ist ein Hit. Oder?

Für alle, die sich den Free-to-play-Titel noch nicht selbst angeschaut haben: Crucible wird stets auf einer einzigen großen Karte gespielt, erinnert in dieser Hinsicht also an ein Battle Royale. In nur einer von drei Spielvarianten geht es allerdings darum, gemeinsam mit einem Partner als letztes Duo zu überleben, während in einem Team-Deathmatch-Modus zwei acht Kämpfer große Gruppen um Abschüsse ringen. Zentral ist vielmehr der Wettstreit zweier Vierer-Teams, die beide versuchen als erstes drei Herzen sporadisch auftauchender Schwärme zu erobern. Wo und wann diese Schwärme auftauchen, wird angezeigt und natürlich begegnen sich die Gruppen deshalb oft an genau diesen Punkten. Welches Team den Schwarm zerstört, ist dann nicht von Bedeutung. Es zählt allein das Einsammeln des Herzens.

Essenz und Herzen

An ein MOBA erinnert dabei die Charakterentwicklung der Heldinnen und Helden, die im Verlauf jeder Partie im Rang aufsteigen und auf jeder Stufe eine neue Fähigkeit erhalten. Entweder blenden kritische Treffer einen Gegner dann, man richtet unter bestimmten Umständen größeren Schaden an, eine die Sicht verschleiernde Dunstglocke kann manuell detoniert werden u.v.m. Um diese Charakterentwicklung zu beschleunigen, müssen Team und Teilnehmer Essenz sammeln, indem sie Tiere töten oder bis zu fünf Harvester einnehmen, die automatisch Essenz generieren. Neben weiteren Möglichkeiten die Ressource zu erhalten sind außerdem Schadens- und andere Verstärker in der Welt verteilt, weshalb das effektive Abgrasen des Levels unverzichtbar ist.

Crucible wirkt stark von Spielen wie Overwatch und League of Legends inspiriert.
Klingt gut, ist es im Ansatz auch – geht in der Praxis aber kaum auf und der Grund dafür ist u.a. das Level selbst. Denn im Wesentlichen handelt es sich nicht um eine große Welt, sondern einen relativ überschaubaren Kreis ohne nennenswerte Besonderheiten. Das Auftauchen der Verstärker verleiht den Partien zwar einen variablen Verlauf, trotzdem ist vor allem die Umgebung selbst so gleichförmig, dass das Herumlaufen über weite Strecken geradezu langweilig ist. Es gibt ja keine Gegner mit wirklich weit reichenden Waffen, die ein umsichtiges Vorankommen erzwingen würden. Auch besonders flinke Spione, die ihre Feinde schnell umkreisen oder schnell Harvester übernehmen, sucht man vergebens.

Gleichförmiges Verschieben

Hinzu kommt die Tatsache, dass praktisch jede Position auch für sich genommen eine recht weites, offenes Areal ist. Es gibt zwar Höhenunterschiede, abgesehen davon ist das Umlaufen dicker Felsen aber das Maximum der Überlegungen. Weil schmale bzw. verwinkelte Gänge fehlen, kann man sich nicht einmal kurz zurückziehen, sei es zum Heilen oder dem Neuordnen der Aufstellung. So weiß man bei den meisten Gefechten quasi im Vorfeld schon, dass der in Überzahl angreifende Trupp das Aufeinandertreffen gewinnt.

Als Free-to-play-Titel ermöglicht Crucible aus dem Spiel heraus das Kaufen von Individualisierungsmöglichkeiten und eines Battle Pass, der u.a. das globale Aufleveln beschleunigt. Außerdem sind direkt über Steam drei Pakete mit verschiedenen Inhalten erhältlich. Spielerische Vorteile erkauft man sich allerdings nicht.
Das ist auf Dauer schrecklich ermüdend, da taktisches Verständnis und geschicktes Bewegen kaum eine Rolle spielen. Das fast komplett fehlende Feedback, wenn man selbst getroffen wird, tut sein Übriges. Stattdessen erlebt man etliche Situationen, in denen ein Team so lange hinter einem Kontrahenten her rennt, bis es ihn endlich auf Null geschossen hat, was sowohl für Flüchtende als auch Angreifer frustrierend ist – schon alleine deshalb, weil das Aufteilen des Teams damit viel zu riskant ist. Und so zieht der komplette Trupp am besten geschlossen von Harvester zu Harvester, bevor er irgendwann den nächsten Schwarm ansteuert. Wobei der Austausch darüber, wohin genau es eigentlich gehen soll, dadurch erschwert wird, dass man in Crucible doch tatsächlich ohne Sprachchat auskommen muss. Wichtige Absprachen sind in diesem „kooperativen“ Shooter also tabu.

Glück im Unglück: Das passt hervorragend auf den Battle-Royale-Modus und das Team Deathmatch. Beide Varianten unterstreichen die Schwächen des Spiels nämlich überdeutlich, weil das profane Geballer dort sogar noch stärker im Vordergrund steht als ohnehin schon.

Auch das von Apex Legends inspirierte, z.T. kontextsensitive Ping-System erlaubt zwar das Markieren von Feinden, Heilkanistern u.m., lässt eine genaue Kommunikation aber nicht zu. Wobei das System mit dem letzten Update ohnehin so kaputt gepatcht wurde, dass das Markieren von Feinden und Positionen nicht mehr funktioniert. Das wird mit Sicherheit korrigiert, ist seit inzwischen mehreren Tagen aber ausgesprochen ärgerlich. Abgesehen davon kann man keine Markierungen setzen, die nur man selbst sieht, um etwa die schnelle Orientierung auf dem Weg zu einem fernen Ziel zu erleichtern.

Geben sie mir ein Ping!

Das wäre schon deshalb hilfreich, damit man sich nach dem (Wieder-)Einstieg schneller zurechtfindet und nicht ständig auf die Karte schauen muss. Auf der wird die eigene Figur nämlich so unscheinbar markiert, dass ich mich häufig erst mehrere Sekunden selbst suche, bevor ich meine relative Position zum Ziel erkenne. Unklar ist außerdem, warum man die Karte nicht während des Landeanflugs schon aufrufen darf und weshalb man nach dem Ankommen erst bewegungslos am Fleck steht, bevor man endlich die Steuerung übernimmt. Das alles wirkt seltsam unfertig.

Klar: Wer mit den Fähigkeiten seines Alter Ego umgehen kann, spielt auch unabhängig vom Team stark auf und behält in manch haarigen Situationen die Oberhand – gut, dass man sich im freien Training beliebig lange mit den Kämpfern vertraut machen darf. Zumal mit Nah- und Fernkämpfern sowie mächtig austeilenden oder eher unterstützenden Charakteren für jeden Geschmack etwas dabei ist. Ajonah kann ihre Position als Scharfschützin etwa verbergen und zieht sich mit einem Greifhaken schnell voran oder auf hohe Plattformen, während Drakahl fast ausschließlich mit seiner Axt zuschlägt, Earl mit dem Dauerfeuer seines MGs Gegner unter Druck setzt und Summer nicht nur per Jetpack vorankommt, sondern auch mit Flammenwerfer und Feuerbällen hantiert.

Wer kann was?

Trotz der interessanten Charaktere macht das gleichförmige Figurenverschieben wenig Spaß.
Mir gefällt zwar das recht gleichförmige Verschieben aller Charaktere nicht; ich wünschte, Bewegung und Angriffe würden stärker eine physische Präsenz vermitteln und sich mehr um Geschicklichkeit als das häufige Aktivieren von Fähigkeiten drehen. Es macht aber durchaus Spaß, mit den sehr unterschiedlichen Figuren zu experimentieren und sie in den richtigen Augenblicken wirkungsvoll einzubringen.

Nicht zuletzt kann man die Figuren auf vielerlei Art individualisieren, was nicht nur Outfits und Aufkleber ihrer Landekapseln betrifft, sondern auch Emojis und Emotes. Letztere ruft man über Kreismenüs ab, was praktisch ist, aber schon deshalb kaum verwendet wird, weil es bedeutend weniger Spaß macht als die Menge an Gesten, mit denen man in Division 2 z.B. unterhaltsamen Unsinn anstellt. Eine nette Idee sind Monologe, die man nach und nach freischaltet, um ein wenig über den gespielten Charakter zu erfahren, gelegentlich unterhalten sich die Kämpfer sogar mitten im Spiel. Aber mit guter Charakterisierung hat all das nur am Rande zu tun. Tatsächlich ist es in manchen Phasen einer Partie sogar seltsam still, ohne dass irgendeine Art von Spannung spürbar wäre.

Abschließend noch ein Wort zur Performance, die selbst auf der niedrigsten Einstellung und einer Auflösung von gerade mal 1080p nicht konstant 60 Bilder pro Sekunde leistet. Weil haptisches Geschick insgesamt keine allzu große Rolle spielt, ist das verschmerzbar – unverständlich aber trotzdem. Bei der normalen Jagd nach den Herzen stören die kleinen Einbrüche der Bildrate zum Glück kaum, im Team Deathmatch sind sie allerdings deutlich stärker und beim Spielen mit vollen Details sogar eine echte Störung. Nun hat Relentless versprochen das Problem in kleinen Schritten zu beheben. Ein kompetitiver Shooter müsste allerdings vom Start weg besser laufen!

Leistungsschwach

Fazit

Meine Vermutung: Crucible ist eine Art Testballon, mit dem Amazon sowohl die Server als auch die Handhabe eines Service-Titels erst mal auf Touren bringen will. Ausgesprochen inspiriert wirkt das ineinander Kippen populärer Spielinhalte jedenfalls nicht. Und allzu ausgefeilt spielt sich das Spammen der zahlreichen Fähigkeiten auch nicht. Taktische Finesse braucht man ohnehin kaum, zumal man sie aufgrund der offenen, gleichförmigen Umgebung nur wenig nutzen könnte. Und so schiebt man sich zu viert über eine hübsche, aber spielerisch uninteressante Karte und wundert sich über das Fehlen eines Sprachchats, ein unfertiges Ping-System sowie Einbrüche der Bildrate auf der niedrigsten Detailstufe. Dabei ist es grundsätzlich motivierend, die sehr unterschiedlichen Charaktere kennenzulernen und sie so effektiv zu spielen, dass ihre besonderen Stärken dem Team helfen. Auch die in der gesamten Umgebung verteilten Verstärker und das Erspielen eines möglichst schnellen Auflevelns sind reizvoll. Es ist nur schade, dass all das in einem so monotonen Figurenverschieben untergeht.

Pro

  • drei Spielvarianten...
  • Charaktere mit sehr verschiedenen Eigenschaften und Fähigkeiten
  • Verstärker und Harvester als wichtige Sekundärziele
  • gutes Tutorial und jederzeit freies Training
  • rudimentäres, teils kontextsensitives Ping-System...
  • zahlreiche Individualisierungsmöglichkeiten...

Kontra

  • ... die sich sehr gleichen und spielerisch größtenteils belanglos sind (TDM
  • und Battle-Royale-Varianten)
  • monotone Karte mit wenigen taktischen Optionen oder verschiedenen Wegen
  • Überzahl bzw. ständiges hinterher Rennen gewinnt praktisch jeden Kampf taktisches Aufteilen weitgehend sinnlos
  • kein Sprachchat
  • ... das momentan weitgehend defekt ist
  • ... die zum großen Teil uninteressant sind
  • Karte und Kompass bei Landeanflug und kurz nach Landung noch nicht verfügbar
  • eigener Charakter nicht schnell genug auf Karte auszumachen
  • viele lange und ermüdende, da spielerisch uninteressante Wege
  • mäßige Performance auch mit niedrigen Einstellungen, besonders im Team Deathmatch
  • schwaches Feedback über feindliche Treffer

Wertung

PC

Obwohl die Charaktere spielerisch interessant sind, fehlen der gleichförmigen Action taktische Optionen und technischer Feinschliff.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Battle Pass, dessen Inhalte minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
  • Es gibt Käufe nur für optionale Kosmetik wie Farben, Skins, Kostüme etc.
  • Käufe können minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
Kommentare
derbeoida

Das Gruppenbild graut mich. Diese standart breiige Grau. Furchtbar. Da kommt einem der Ekel richtig hoch. :kotz:
Diese nix Gut

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Der Chris

Ich glaub Crucible ist wohl so in etwa das, was dabei herauskommen würde, wenn man ein Spiel von einer KI konzeptionieren lassen würde.

vor 4 Jahren
casanoffi

Finds GOIL

Mal wieder ganz knallhart und entschieden ver-rissen, so lässig, einmal kräftig in die Buffe von Amazon Gaming

Beim Verriss eines großen Namens auf 4P muss man ja bekannter Maßen erstmal abwarten auf andere Tests - manchmal tauchen da auf einmal anderswo Awards auf
Wenn ich mir die grund-verschiedenen Spiele-Modis anschaue, dann kann das Balancing der Charaktere nur nach hinten los gehen. Crucible will anscheinend eine Eier-legende-Wollmilchsau sein.

Meiner Meinung nach bräuchte das Spiel mind. noch 9-12 Monate und sollte wengistens als Early Access gekennzeichnet werden.

Man kann das Spiel ja geil finden, aber das ändert nichts an den Schwächen, die es hat.
Ich halte die Wertung für hart, aber fair.

vor 4 Jahren
PfeiltastenZocker

Es hieße ja Konkurrenz belebe den Markt und wenn ein neues großes Studio aus dem Boden gestampft wurde von einem Konzern der sich bisher nicht an Videospiele gewagt hat, würde man das als gutes Zeichen sehen, mehr hochqualitative Kost mit größeren Budget gefertigt. Blöd nur wenn diese Spiele gleichförmig daher kommen und sich letzlich an einen ohnehin übersättigten Markt wenden, da man davon ausgeht bei dieser Zielgruppe das meiste Geld zu machen. Ein blick auf das Cover-Art reicht mir schon um zu sehen um was für eine Art Spiel sich handelt, darunter ist auch abermals jeder Archetyp in der Charakterriege vertreten. Nicht unlängst sind auch Bleeding Edge und Valorant erschienen und aberdutzende Indie Studios erhoffen sich ebenfalls den großen Wurf zu machen.
Ich kann es echt nicht mehr sehen und frage mich wo der kreative Impuls in der Industrie geblieben ist, einfach mal was neues noch nicht dagewesenes zu erschaffen. Oder wenigstens etwas was man schon längere Zeit nicht mehr getan hat. Hier versucht man nur den großen Reihbach zu machen, indem man die zigste Iteration eines Erfolgskonzepts liefert und einfach hofft der nächste Titel zu sein, auf den sich die Kiddies stürzen. *gähn*

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
LeKwas

Ich schließe mich dem an, was schon ddd1308 schrieb. Der Release ist keine zwei Wochen her, und die Playerbase ist bereits von >10.000 auf unter 1.000 eingebrochen. Gerade für ein F2P Spiel, wo in der Regel nur ein Bruchteil überhaupt regelmäßig Geld für ausgibt und das Ding damit gegenfinanziert, ist das miserabel.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren