Ghost of Tsushima - Test, Action-Adventure, PlayStation4, PlayStation5, PC

Ghost of Tsushima
14.07.2020, Jörg Luibl

Test: Ghost of Tsushima

Blut im Sommergras

Im Jahr 1274 wird die Insel Tsushima von den Mongolen angegriffen. Im Auftrag von Kublai Khan sollen sie ganz Japan erobern. Als sie zu Zehntausenden am Strand landen, stellen sich ihnen 80 berittene Samurai entgegen. Genau an diesem Punkt der historischen Überlieferung beginnt Ghost of Tsushima (ab 26,79€ bei kaufen). Danach öffnet sich eines der schönsten und elegantesten Abenteuer, die man in offener Welt erleben kann.

Es gelingt Sucker Punch (Sly Raccoon, inFamous) gleich in der ersten Begegnung zwischen den Japanern und den Mongolen, die unterschiedlichen Vorstellungen von Krieg zu demonstrieren: Ein Samurai prescht alleine vor, will nach alter Sitte in einem Duell antreten. Aber Kothun Khan begrüßt ihn mit Öl, verbrennt und köpft ihn. Er ist nicht für den Ruhm über das Meer gesegelt, sondern um mit allen Mitteln dieses störrische Land zu unterwerfen.

Ehre gegen Terror

Was nach Pathos und Schwarzweißmalerei klingt, entspricht durchaus der historischen Überlieferung. Natürlich wird Gut und Böse von Anfang an klar verteilt, aber die Mongolen setzten auf Terror als Kriegstaktik, marschierten in Formationen wie der Phalanx, während die Japaner in Schlachten des 13. Jahrhunderts noch den ehrenhaften Zweikampf suchten - zumindest unter Samurai.

Jin kämpft mit den 80 Samurai in der ausweglosen Schlacht.
Grausam und skrupellos waren sie natürlich auch, schließlich litt das alte Japan in nahezu allen mittelallterlichen Epochen an der Gewalt untereinander, an Bürgerkriegen und Fehden, die vor allem die Bauern ertragen mussten -  diese wichtigen Graustufen liefert die Story im weiteren Verlauf.

Der Khan nimmt seinen Onkel als Geisel mit in eine Festung.
Nicht falsch verstehen: Ghost of Tsushima ist ja kein simulatives Mittelalter-Rollenspiel im Stile eines Kingdom Come: Deliverance, sondern ein Abenteuer in offener Welt mit fiktiven Charakteren, dazu reichlich Sage und Legende samt mythischer Waffen und putzigen Füchsen, die man kraulen kann. Es gibt einige Dinge wie z.B. die Kanonen auf den Schiffen, die Donnerbüchsen oder Festungen sowie Elemente der Bewaffnung, die letztlich nicht historisch sind - die es also so nicht im Jahr 1274 gegeben hat.

Aber tatsächlich ritten am 4. November nur 80 Samurai unter dem Gouverneur der Insel, So Sukekuni, wohlwissend in ihren Tod.

Viel historisches Flair

Aber die Entwickler haben vieles andere gut recherchiert, sie benutzen z.B. originale Begriffe wie "Shashimono" für die Flaggen der Samurai, sie gehen auf den damals in Japan populären chinesischen Philosophen Sun Tzu (Die Kunst des Krieges), auf Buddhismus und Kami sowie den Volksaberglauben mit Kappa, Tengu & Co ein. All das nur in Facetten, aber: Sie sorgen damit für einen angenehm authentischen Rahmen. Und genau der könnte den einen oder anderen Spieler vielleicht neugierig machen, sich mit der Kamakura-Zeit (1185 - 1333) sowie den Mongoleninvasionen zu beschäftigen. Wer sich dafür interessiert, findet in diesem Video eine kleine Einführung.

Das Spiel beginnt genau an jener tragischen Stelle, als die 80 Samurai am Komoda-Strand in den Tod reiten: Man übernimmt Jin Sakai auf seinem galoppierenden Pferd, der zwar mit seinem Onkel, Fürst Shimura, noch einige Mongolen töten kann, doch dann von Pfeilen getroffen fällt. Aber er hat Glück, denn er wird von einer FRau namens Yuna schwer verwundet gefunden. Als Gegenleistung für ihre Hilfe soll er ihren Bruder, einen Schmied, vor den Mongolen retten. Aber Jin hat nur eines im Sinn: Erst seinen Onkel und dann ganz Tsushima befreien!

Vernunft gegen Besessenheit

Yuna schlägt sich als Diebin durch, kann selbst kämpfen und sorgt für einen vernünftigen Gegenpol zum allzu heroischen Jin und seiner Besessenheit, wie ein ehrenhafter Samurai zu handeln. Auch wenn seine Haltung aus moderner Sicht töricht wirken mag, bleibt Sucker Punch damit dem überlieferten Zeitgeist samt der Vorstellung von Ehre angenehm treu. Warum Jin dem Ideal des Bushido, dem Weg des Kriegers, derart selbstmörderisch folgen will, verdeutlichen schöne Rückblicke in seine Kindheit, die auch seine Unsicherheit zeigen.

In schönen spielbaren Rückblicken erfährt man etwas über Jins Jugend.
Es sind vor allem Schuldgefühle, die ihn antreiben, denn er konnte den Tod seines Vaters nicht verhindern. Er fühlt sich schwach, nicht wie ein Samurai. Gerade als Fürstensohn lastet das schwer auf ihm: Sein Gang hin zum Grab wirkt zwar idyllisch, aber alle Augen der Familie ruhen auf ihm. In dieser wunderbaren Szene zeigt ein Spiel quasi im Vorbeigehen nicht nur die beruhigende Weisheit, die in der Beseeltheit der Dinge und Natur liegen kann, sondern auch den sozialen Druck der Ehre. In den Blicken der Trauerenden liegt auch die Erwartung, sie aufrecht zu erhalten.

Die Beerdigung des Vaters gehört zu den stimmungsvollen Szenen des Einstiegs.
Aber Jin wirkt zu Beginn wie ein übereifriger und überaus dummer Mann, der nicht etwa – wie die clevere Yuna es empfiehlt - zur Festung der Mongolen schleicht, um seinen Onkel zu befreien, sondern tatsächlich zum Haupttor geht und Zweikämpfe sucht. Zwar kann er einige Mongolen töten und sogar den Khan auf sich aufmerksam machen, aber dann muss er gegen den überlegenen Feind Lehrgeld zahlen. Erst als er dem Tod nach einem Sturz ein zweites Mal knapp entrinnt, schmiedet er einen besseren Plan samt hinterhältiger Taktiken sowie wichtiger Verbündeter. Hier erkennt er, dass er einigen Idealen des Bushido sowie Lektionen des Onkels zuwider handeln muss. Und erst hier, nach diesem stimmungsvollen Prolog, öffnet sich das Abenteuer.

Unterdrückte Schönheit

Was für eine Landschaft!
Als sich die Landschaft das erste Mal zeigt, hat mich ihre Schönheit einfach nur verblüfft. Ich wusste ja von den Trailern, dass Ghost of Tsushima malerisch inszeniert wird. Aber wenn man selber die Kamera drehen und durch dieses Land wandern oder reiten kann, ist die Wirkung viel intensiver. Es ist eindrucksvoll, wenn der Wind durch die Gräser jagt, wenn sich tausende weiße Blüten von Chinaschilf im Sonnenlicht wiegen und Nebelfetzen über Wiesen wabern. Es gibt verwunschene Täler in einem Meer aus lila Blumen, Sturm umtoste Steilklippen und goldene Wälder mit riesigen Ginko-Bäumen. Selbst nach 30 Stunden hatte ich mich nicht sattgesehen und musste immer wieder den Fotomodus aktivieren. Wenn diese 700 Quadratkilometer große pazifische Insel tatsächlich so aussieht und so viel Abwechslung bietet, muss ich da mal hin...

Warum fasziniert das so? Die Inszenierung der wogenden Wiesen erinnert ein wenig an flower, das 2009 auf der PlayStation 3 erschien, nur dass Sucker Punch die Landschaft wesentlich natürlicher und aufgrund stimmungsvoller Lichteinflüsse sowie dem feinen Dunst noch eindringlicher wirken lässt. Hinzu kommt ja ein Tag- und Nachtwechsel sowie Gewitter und Regen, die die Palette an Stimmungen nochmal erweitern. Übrigens: Die stimmungsvolle Dämmerung am Morgen und Abend wird tatsächlich in die Länge gezogen - zeitlich also nicht korrekt, aber ich habe das sehr genossen. All das wird musikalisch untermalt von den Kompositionen der filmerfahrenen Ilan Eshkeri (47 Ronin, Kick-Ass) und Shigeru Umebayashi (Crouching Tiger, Der Fluch der goldenen Blume), die auch einige akustische Facetten der alten Samurai-Filme erklingen lassen.

Flower lässt grüßen

Lust auf Kurosawa-Flair in Schwarzweiß?
 Auch wenn man im technischen Detail der Texturen, des Wassers oder hinsichtlich der Animationen der Pferde nicht an Red Dead Redemption 2, Death Stranding oder The Last of Us Part 2 herankommt, ist das eines der prächtigsten Spiele dieser Generation. Sucker Punch fotorealisiert nicht bis ins Kleinste, sondern stilisiert ins Malerische: Es sind vor allem Licht, Farben und Wettereffekte, die hier auftrumpfen. Im Gegensatz zu den technischen Problemen von Days Gone läuft Ghost of Tsushima übrigens einwandfrei, ohne Pop-ups oder Tearing sauber und stabil in 30fps. Hinzu kommen natürliche Mimik und Gestik in den Dialogen dank des professionellen Motion-Capturings, so dass die Gespräche in höchster Qualität ablaufen. Und alles, was man an Türmen oder Gipfeln selbst in weiter Entfernung am Horizont noch klar sieht, kann man irgendwann erkunden.

Die Kulisse sorgt immer wieder für Hingucker.
Vor allem in den ersten Stunden, wirkt diese kleine Insel doch sehr weitläufig. Der Wind sieht aber nicht nur klasse aus, sondern erfüllt noch andere Zwecke: Zum einen zeigen sich in ihm laut Story die alten Götter bzw. die Seele des verstorbenen Vaters, so dass Sucker Punch an die mit den Siegen von Tsushima verknüpfte Entstehung des Begriffes “Kamikaze”, göttlicher Wind, anknüpft - zwei Taifune sorgten jeweils für den Rückzug der Mongolen. Zum anderen leitet er Jin zu einem Ziel, wenn man z.B. die Karte öffnet und ein Fragezeichen oder auch einen entdeckten Ort markiert, zu dem man später sofort schnellreisen kann. Ansonsten kann man sein Pferd jederzeit per Pfiff herbeirufen und dorthin galoppieren - oder eben spazieren, was ich tatsächlich die meiste Zeit über gemacht habe.

Vom Wind getrieben

Der goldene Wald - so heißt er auch im Spiel.
Wer den Wind nicht als Routenplaner möchte, kann natürlich darauf verzichten - oder ihn über einen Wischer auf dem Touchpad rufen. Ich habe ihn als elegante optionale Hilfe geschätzt, zumal er ja nicht so plump wie ein Pfeil oder gar eine goldene Spur à la Fable eingebunden ist, sondern Story und Spielmechanik elegant vereint. Außerdem kann man sich auch allein an authentischen Tiergeräuschen sowie Gezwitscher orientieren: Das Bellen der Füchse kann man ebenso aus der Distanz vernehmen wie das Trällern der goldgelben Vögel – sie führen einen dann zu einem Inari-Schrein oder an besondere Orte. Das kann bei den Vögeln auch mal ein versteckter Schatz oder ein Lager sein. Apropos Tiere: Jagt man Wildschweine, prescht der Rest der Rotte schnell davon und Rehe gelten als heilige Tiere. Die ergeben übrigens auch kein Fell bei Beschuss und ziehen ein wenig vom aktuellen Legendenstatus ab – spürbare Folgen hat das allerdings nicht; zumal es auch kein Moralsystem gibt. Trotzdem erkennt man hier und an anderen Stellen, dass Sucker Punch vielleicht mal weiter in die Tiefe gehen wollte, schließlich gab es in inFamous noch ein komplexeres System an Konsequenzen.

Aber die Legende muss sich erstmal um Jin bilden. Zunächst ist er zwar der scheinbar letzte Samurai, und genießt als Adliger direkt den Respekt der Bewohner, die sich auch vor ihm verbeugen – und ihn offensichtlich unterstützen wollen. Aber noch erzählt man sich keine Geschichten von der möglichen Befreiung der Insel, weil alle unter der Knechtschaft der Mongolen leiden, die man überall im Land spürt und vor allem auch sieht - das "Environmental Storytelling" ist überaus gelungen, auch wenn es auf lange Sichte einige ähnliche Situationen wie etwa an einem Baum gefesselte und mit Pfeilen durchsiebte Krieger oder qualmende Wagen am Straßenrand gibt.

Die Legende wächst

Jin muss seine Fähigkeiten erst verbessern.
Erst wenn Jin Missionen meistert und den Leuten hilft, wächst sein Ruhm in mehreren Rängen wie „Der wandernde Samurai“ bis hin zum legendären Geist an. Sobald er dabei Zwischenstufen erreicht, bekommt er Technikpunkte, die er in seine Fähigkeiten investieren kann: Dabei hat man die Wahl, ob man eine der vier Kampfhaltungen um neue Hiebe verfeinern will, ob man eine der sieben Techniken der Ablenkung, wie etwa bessere Paraden oder Pfeilabwehr, eine der sieben Techniken des Ausweichens, wie etwa Rolle oder Reitersprung, erlernen will. Man kann aber auch die Suche nach speziellen Orten über Winde weiter erleichtern oder, was zumindest für Kampf und Infiltration sinnvoller ist, in die coolen Entwicklungstaktiken investieren.

Aber man kann auch mal in heißer Quelle "sinnieren"...
Denn da gibt es z.B. die sehr nützliche Fähigkeit des Attentats, das man zu einem doppelten sowie dreifachen Kettenmanöver ausweiten kann: Sobald Jin von oben oder aus der Deckung ein Trio von Mongolen sieht, kann er sie in einem tödlichen Tanz auf einmal besiegen. Das wird wunderbar animiert und ist natürlich sehr nützlich. Stehen die Feinde zu weit auseinander, kann er sie über Windglocken an einen Ort locken. Aber nur wenn er diese Fähigkeit verbessert, kann er auch mehrere Feinde auf einmal an einen Punkt locken.

Ketten des Todes

Jin eignet sich also, auch auf Anraten Yunas, einige unehrenhafte Manöver an. Doch gleich beim ersten Stealth-Kill überkommt ihn das schlechte Gewissen: Es gibt eine Rückblende in seine Jugend und eine Lektion mit seinem Onkel, in der es um Ehre und den Kampf von Angesicht zu Angesicht geht. Es ist schön, dass die Regie auch seine Zweifel zeigt. Und es ist auch schön, dass sich das bei den Mongolen rumspricht, denn selbst der Khan konfrontiert den Onkel mit dem "brutalen" Neffen. Wer sich nicht so sehr wie ein Shinobi oder Ninja (das Wort taucht übrigens trotz diverser Techniken bis zur Rauchbombe und Kunai nie im Spiel auf), sondern ein Samurai verhalten will, kann das noch coolere Herausfordern verbessern.

Ähnlich wie in einem Western kann man sichtbare Gegner zu einem Duell herausfordern, falls man noch nicht zu nah dran ist. Wenn man z.B. in einem Gebüsch geduckt oder reitend auf eine gewisse Distanz heran kommt, hat man ein Zeitfenster für die Aktivierung des Duells: Dann schaltet die Kamera erst in eine seitliche Ansicht, um das Annähern des Kontrahenten zu zeigen. Danach muss man die Hand an sein Katana legen, indem Dreieck gedrückt hält. Man darf jetzt erst loslassen, wenn der Gegner eine Angriffsbewegung macht: Stimmt das Timing, wird er mit einem Hieb in Zeitlupe niedergestreckt; stimmt es nicht, wird man selbst getroffen und erleidet großen Schaden, ist zu Beginn fast tot.

Duell im Samurai-Stil

Die Duelle werden klasse inszeniert.
Das ist ein klasse System, denn hier kommt fast ein wenig Max-Payne-Flair auf, auch wenn es natürlich recht leicht anmutet. Aber das Duell wird nochmal durch Finten und Kombos gesteigert: Zum einen täuschen Gegner später einen Angriff nur an, so dass man einmal abwarten muss - tolle Idee! Zum anderen kann man diese direkten Todeshiebe bis auf drei steigern, so dass nach einem erfolgreichen Schlag die beiden ersten heranstürmenden Mongolen ebenfalls mit einem spektakulären Hieb getötet werden - auch nur, falls dieser im Moment ihres Angriffs erfolgt.

Kleidung könnt ihr anpassen: Hüte, Maske und Rüstung sind wählbar.
Auch wenn man diese Herausforderungen irgendwann souverän meistert: Ich habe mich an diesen eleganten Szenen einfach nicht sattsehen können. Vor allem, wenn man danach sein Katana auf Knopfdruck in einer fließenden Bewegung samt dem Säubern der Klinge wegsteckt. Hier fühlt man sich wirklich wie in seinem eigenen Samurai-Film: Und wer es ganz à la Akira Kurosawa (u.a. Die sieben Samurai) mag, der kann noch den coolen Schwarzweißfilter und japanische Sprachausgabe aktivieren; deutsche Untertitel gibt es auch. Wer übrigens auf das Blut verzichten will, kann es abschalten; außerdem hat Sucker Punch vorbildlich an die Barrierefreiheit gedacht.

Blutiger Flow statt tausend Tode

Die Entschlossenheit erhöht man an den Bambus-Ständen.
An diesen Beschreibungen erkennt man schon, dass das Kampfsystem einen anderen Fokus setzt als etwa ein Nioh 2 oder Sekiro: Shadows Die Twice. Es geht hier eher um den blutigen Flow, weniger um die große Vielfalt an Klingen und Manövern oder den hohen Anspruch, weshalb Genre-Veteranen auf jeden Fall auf „Schwer“ spielen sollten. Trotzdem ist das auf normal kein reines Hack’n Slay, so dass Sucker Punch eine goldene Mitte trifft: Man muss schon blocken, ausweichen und im richtigen Moment der Parade kontern, wenn man gewinnen will.

Außerdem sollte man später je nach Gegner eine von vier Haltungen einnehmen, um gegen Schwert-, Schild- oder Speerträger sowie die großen Barbaren effizienter zu sein. Hat man aber einmal die richtige Haltung, reichen einfache Kombos, um den Gegner erst ins Taumeln zu bringen und dann niederzustrecken. Und selbst die etwas spannenderen „Bosskämpfe“ meistert man spätestens nach zwei, drei Versuchen – selbst, wenn man die Haltungen nicht weiter ausgebaut hat.

Im Gegensatz zu den Kampf-Abenteuern von Team Ninja oder From Software kann man sich weniger waffentechnisch spezialisieren (es gibt Bögen und Katana) sowie viel leichter gegen eine Übermacht gewinnen. Selbst wenn man seine Ziele nicht fixieren darf und die Kamerasicht mal wieder blockiert ist, kann man sich selbst im Getümmel behaupten. Jin darf sich ja auf Knopfdruck mitten im Kampf heilen und das Zeitfenster für die Paraden nochmal in den Fähigkeiten vergrößern – sogar für das rechtzeitige Wegrollen kann man später einen direkten Kill erlernen. Er verliert beim Blocken keine Ausdauer, kann immer wegrollen und spätestens wenn er auch Pfeile ablenkt, ist er auf einer höheren Position weit überlegen.

Tödliche Leichtigkeit

In der Wildnis trifft man auf Überlebende in kleinen Lagern.
Zumal die Feinde einer nach dem anderen hinauf stürmen, die Leiter eines Turms wie Lemminge erklimmen oder nacheinander in seine Pfeile rennen, die er über eine Zeitlupe in Kopfschüsse verwandeln kann. Die Gegner-KI ist der größte Schwachpunkt des Spiels, auch bei Infiltrationen liegt sie klar hinter jener aus Sekiro, Uncharted 4 oder gar The Last of Us Part 2: Da kann man eine Wache vom Turm schießen, ohne dass die vom anderen Turm in Sichtweite das bemerkt. Zwar alarmieren sich die Mongolen bei Leichenfunden (man kann sie nicht verstecken) per Hornruf, dann wird auch die Gegend abgesucht, sie pflügen sogar teilweise mit ihren Krummsäbel durch das Gras, aber innerhalb eines Lagers wird so schlecht kommuniziert, dass sogar der Anführer manchmal im Zelt bleibt - oder erst aufwacht, wenn man all seine Soldaten massakriert hat.

Die vier Haltungen erlernt man, indem man Mongolen-Anführer besiegt oder beobachtet.
Diese meist in goldenem Schuppenpanzer mit Vollhelm gerüsteten Krieger sind zwar etwas gefährlicher, zumal man sie nicht auf einen Schlag von hinten töten kann, bleiben als Gegner aber recht blass. Und was extrem plump wirkte: das Brüllen – egal ob sie Gefangene anschreien oder Trainieren. Das sind jedenfalls keine erkennbaren Persönlichkeiten und sie bilden keine militärtaktische Elite, die der Khan irgendwie steuert – es gibt also keine Hierarchie wie im Nemesis-System wie in Mittelerde: Schatten des Krieges. Sie reagieren auch nicht, wenn Jin im Umfeld ein Lager nach dem anderen erobert. Aber: Immerhin gibt es nach dem ersten Kapitel eine Offensive des Khans, die zumindest nochmal für eine "geostrategische" Bedrohung sorgt. Außerdem begegnen einem dann weitere, teilweise besser gerüstete Feinde.

Der Wind ist auch ein Routenplaner.
Trotz dieser Defizite sowie offenen Wünsche entsteht überaus flüssige morbide Unterhaltung. Mir hat das Infiltrieren sowie der Kampf weiter Spaß gemacht, nicht nur weil das Hauen und Stechen klasse animiert wird – man merkt in den Schwertkampfszenen, dass Sucker Punch von Martial-Arts-Experten beraten worden ist. Hinzu kommen sehr schöne Kleinigkeiten wie etwa die Angst der Feinde nach besonders fatalen Hieben: Wenn man z.B. den tödlichen horizontalen „Himmelsschlag“ einsetzt, bleibt selbst einigen Mongolen erstmal die Luft weg, sie stammeln und manche lassen sogar die Waffe fallen oder bitten kriechend um Gnade. Hier hat man ein kurzes Zeitfenster, um die Verblüffung auszunutzen - klasse Idee!

Tenchu auf Speed

Manchmal erinnert das Ganze auch an ein Tenchu auf Speed, zumal man auf so viele Arten nahezu jedes Gebäude und jede Festung infiltrieren kann: Man kann sich durch Lücken im Zaun zwängen, unter Häusern wie eine Schlange kriechen, auf Dächer klettern und über Gassen springen, auf Balken tänzeln oder durch Luken vom Dach in die unteren Etagen einsteigen. Man kann durch Papierwände meucheln, Feinde mit Geräuschen weglocken, Kunai aus dem Handgelenk werfen, Hornissen-Nester oder Feuerschalen per Pfeil für Ablenkung nutzen oder mit einer Rauchbombe für Verwirrung sorgen und im dichten Qualm fliehen oder darin zum spektakulären Kettenkill ansetzen. Und das macht einfach Laune!

Zudem steigt der Anspruch spätestens ab der zweiten Hälfte an, was übrigens gut zur geografischen Zweiteilung der Insel passt: Plötzlich setzen die Mongolen auch Blendgranaten ein, die einem die Sicht rauben, oder feuern aus Donnerbüchsen. Oder man darf nicht sofort bei der Infiltration auffallen, weil sonst Geiseln getötet werden: Wer plump vorwärts stürmt, muss die Mission erneut starten. Außerdem sichern sie ihre Lager bald mit Adlern ab, die einen viel früher entdecken und patrouillieren mit Hunden. Aber die tibetanischen Mastiffs sehen besser aus als sie wittern: Selbst wenn man sich direkt vor ihnen hinter einem Zaun versteckt, schlagen sie nicht an. Schießt man ihr Herrchen mit einem Pfeil tot, bleiben sie manchmal stehen. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zum authentischeren Verhalten der Vierbeiner in The Last of Us Part 2. Aber Ghost of Tsushima hat noch mehr zu bieten als Kampf, darunter eine gute Story, einiges an Rollenspielflair und tolle Überraschungen en detail.

Tödliche Leichtigkeit

Im Gegensatz zu den Kampf-Abenteuern von Team Ninja oder From Software kann man sich weniger waffentechnisch spezialisieren (es gibt nur Bögen und Katana) sowie viel leichter gegen eine Übermacht gewinnen. Selbst wenn man seine Ziele nicht fixieren darf und die Kamerasicht mal blockiert ist, kann man sich selbst im Getümmel behaupten. Jin darf sich ja auf Knopfdruck mitten im Kampf heilen und das Zeitfenster für die Paraden nochmal in den Fähigkeiten vergrößern – sogar für das rechtzeitige Wegrollen kann man später einen direkten Kill erlernen. Er verliert beim Blocken keine Ausdauer, kann immer wegrollen und spätestens wenn er auch Pfeile ablenkt, ist er auf einer höheren Position weit überlegen.

Zumal die Feinde einer nach dem anderen hinauf stürmen, die Leiter eines Turms wie Lemminge erklimmen oder nacheinander in seine Pfeile rennen, die er über eine Zeitlupe in Kopfschüsse verwandeln kann. Die Gegner-KI ist der größte Schwachpunkt des Spiels, auch bei Infiltrationen liegt sie klar hinter jener aus Sekiro oder gar The Last of Us Part 2: Da kann man eine Wache vom Turm schießen, ohne dass die vom anderen Turm in Sichtweite das bemerkt. Zwar alarmieren sich die Mongolen bei Leichenfunden (man kann sie nicht verstecken) per Hornruf, dann wird auch die Gegend abgesucht, aber innerhalb eines Lagers wird so schlecht kommuniziert, dass sogar der Anführer manchmal im Zelt bleibt.

Diese meist in goldenem Schuppenpanzer mit Vollhelm gerüsteten Krieger sind zwar etwas gefährlicher, zumal man sie nicht auf einen Schlag von hinten töten kann, bleiben als Gegner aber recht blass. Und was extrem plump wirkte: das Brüllen – egal ob sie Gefangene anschreien oder Trainieren. Das sind jedenfalls keine erkennbaren Persönlichkeiten und sie bilden keine militärtaktische Elite, die der Khan irgendwie steuert – es gibt also keine Hierarchie wie im Nemesis-System eines Schatten von Mordor. Sie reagieren auch nicht, wenn Jin im Umfeld ein Lager nach dem anderen erobert. Immerhin gibt es nach dem ersten Kapitel eine Offensive des Khans, die zumindest nochmal für eine Bedrohung sorgt.

Jin braucht ja die Hilfe anderer Krieger, um Tsushima zu befreien: Und genau darum drehen sich die gold markierten Hauptmissionen, die für die Bildung der Legende die meisten Punkte bringen. Erst wenn er weitere Verbündete gewinnt, darunter einen Schmied, der den wichtigen Wurfhaken herstellen muss, die berüchtigten Strohhut-Ronin, eine Fürstin aus altem Adel sowie einen berühmten Bogenschützen, kann er sich an die Befreiung seines Onkels wagen. Jeder dieser Charaktere verfügt über eine eigene Biographie und eine schön ausgearbeitete Questreihe in bis zu neun Kapiteln, die man jederzeit unterbrechen kann, um die Insel weiter frei zu erkunden.

Verbündete in Hauptmissionen

Man kann interessanten Charakteren in Missionen folgen.
Diese Struktur erinnert an jene aus Days Gone und die Missionen selbst sind angenehm abwechslungsreich: Mal verfolgt man Spuren nach einem Attentat und darf nicht entdeckt werden, hilft bei einer Rache, enttarnt Verräter, sucht Verwandte, infiltriert Gebäude, versteckt sich in einem Sake-Fass und holpert mit dem Wagen ins Lager, legt einen Hinterhalt oder wehrt sich selbst gegen einen Überfall, während man mit Pfeilen sogar Wiesen in Brand stecken kann. Es gibt keine klassischen Rätsel, aber man sucht häufiger in den Missionen aktiv nach Spuren, indem man z.B. einen Tatort nach Hinweisen durchstöbert und danach den sichtbaren Fußabdrücken oder Blutflecken in den Wald folgt. Ich empfehle von Beginn an, die Benutzeroberfläche in den Menüs auf das Wesentliche zu reduzieren, sonst leuchtet manches zu aufdringlich.

Dabei ist man auch kooperativ unterwegs, teilweise auch in kleinen Gruppen zu Pferd und lernt die Charaktere und ihre Motive besser kennen – ähnlich wie in Naughty Dogs Abenteuern unterhält man sich auf dem Weg zum Ziel. Und manchmal muss man schmunzeln, wenn Yuna Jin mit all seiner anstrengenden Würde und Disziplin mal wieder aufzieht. Trotz heiterer Zwischentöne bleibt die Stimmung aber eher ernst, begegnet man immer wieder verzweifelten Bauern oder pflügt wie ein Todesengel durch Lager: Wenn verletzte Mongolen weg kriechen, kann man ihnen übrigens den Todesstoß versetzen - oder einfach abwarten.

Kooperation und kleine Entscheidungen

Wieso regnet es Frösche? Verbeugt euch mal vor einer Frosch-Statue...
In den Missionen kann man ab und zu auch Entscheidungen bei ablaufender Zeit treffen, ob man z.B. eher Verständnis für einen Charakter zeigt oder sich auf seinen Kodex zurückzieht. Das wirkt ein wenig überflüssig, weil das letztlich keine Konsequenzen auf die Story hat, aber sorgt in den Dialogen für etwas mehr Leben. So ergeben sich nicht nur interessante Anekdoten, man erlebt auch einige erzählerische Überraschungen in diesen Hauptmissionen. Schön ist auch, dass die Koop-Partner einem teils die Wahl lassen, ob man aus der Poition heraus in den offenen Kampf gehen will oder eher einen nach dem anderen meuchelt, woran sie sich dann anpassen - auch wenn die Partner-KI hier manchmal klar ins Sichtfeld läuft, was die Wachen ignorieren.

Gerade in diesen Missionen wird auch deutlich, dass nicht nur die Mongolen der Feind sind - es gibt Banditen und Verräter. Sucker Punch hält auch dem Bild des ehrenhaften Kriegers oder selbstlosen Priesters mitunter auch gekonnt den Spiegel vor, denn der Egoismus hat vor Bushido und Buddhismus nicht Halt gemacht - und auch Samurais lügen.

Wer die Insel frei erkundet, kann viele Spuren der Invasion finden: Zerfetzte Banner wehen an halb verkohlten Türmen, manche Häuser sind eingestürzt oder Belagerungsgerät wartet noch vor Toren. Neben dem auf lange Sicht natürlich etwas wiederholungsanfälligen Aufsuchen von Schreinen, heißen Quellen, Bambusständen, Friedhöfen oder alten Säulen, die alle andere Boni bringen, kann man auch auf zufällige Ereignisse treffen, die man aus Rollenspielen von Skyrim bis The Witcher 3 kennt.

Rollenspielflair in offener Welt

Besonders lustig ist, dass die Schwarzbären in den Wäldern auch andere Wanderer oder ganze Patrouillen in Kämpfe verwickeln (oder umgekehrt) – diese Gefechte kann man aus der Distanz beobachten und sie gehen immer anders aus. Aber meist fliegt ein Mongole im hohen Bogen durch die Büsche. Wer es auf das Fell des Bären abgesehen hat, muss evtl. keine Pfeile verschwenden...

Ab der Mitte des Spiels verändern sich einige Dinge...
Erzählerisch interessanter wird es, wenn man mitten in der Wildnis Notizen findet und dann Spuren einer geflohenen Familie folgt. Oder wenn man plötzlich Hilferufe hört, vielleicht im letzten Moment eine Exekution verhindern kann oder eine Patrouille aus Mongolen mit Gefangenen beobachtet. Die bedanken sich übrigens nach der Befreiung  manchmal nicht nur mit Proviant, sondern auch mit einer neuen Quest. Und wenn man Lager von Flüchtlingen entdeckt, kann man nicht nur auf Händler zugreifen, sondern erhält vielleicht im Gespräch den Hinweis auf eine Legende oder ein Gerücht.

Hier gibt es tolle kleine Geschichten, in denen es trotz des eher historischen Ansatzes auch um einige Aspekte der japanischen Mythologie geht, also um Kami und Kappa, um Yokai und Tengu. Falls euch das Thema interessiert, haben wir hier zwei Videos parat. Es gelingt Sucker Punch jedenfalls sehr gut, den Volksaberglauben zu integrieren. Jin kann diesen sagenhaften Erzählungen dann meist in grau markierten Nebenmissionen auf den Grund gehen.

Spuren japanischer Mythologie

zu Beginn könnt ihr euch eines von drei Pferden aussuchen und einen Namen dazu.
Was hat es z.B. mit dem Geisterwald auf sich? Warum hängen da überall Leichen an den Bäumen? Die Mongolen waren es jedenfalls nicht. Und haben die Banditen der alten Frau tatsächlich den Reis gestohlen? Wer erst lauscht, anstatt sofort zuzuschlagen, kann manchmal auch mehr erfahren und die Mission gewaltlos lösen. Man hat ab und zu also die Wahl, übrigens auch, ob man einen flüchtenden Banditen tötet oder ziehen lässt – vielleicht verbreitet er ja die Legende des Samurai? Auch in diesen Szenen hat man das Gefühl, dass Sucker Punch vielleicht mal etwas mehr Rollenspiel anstrebte. Stichwort: Moral und Karma.

Die Steuerung ist schnell verinnerlicht.
Hinzu kommt trotz der sich wiederholenden Szenen, denn letztlich befreit man natürlich meist Gefangene oder Lager, das gute Gefühl, dass man die Insel langsam befriedet: Wenn man ein Dorf befreit, sieht man ähnlich wie in The Witcher 3, wie die Leute wieder in ihre Häuser ziehen und alles reparieren. Manchmal ergibt sich dann auch eine weitere Mission, wenn man später zurückkehrt. Besonders interessant und meist etwas gefährlicher sind die Geschichten um die mythischen Waffen und Rüstungen, die von Musikanten erzählt werden: Folgt Jin diesen Hinweisen, kann er sie finden - aber muss dabei mt deutlich mehr Gefahren rechnen, denn auch die Mongolen oder andere Mächte haben es manchmal darauf abgesehen. So entsteht ein überaus vielfältiges Abenteuerflair.

Sucker Punch geht dabei also nicht in die Tiefe eines klassischen  Rollenspiels: Vieles bleibt an der Oberfläche, es gibt keine Dialogbäume. Und wenn man die Häuser der Bewohner betritt, kann man sich wie in The Witcher 3 am Proviant bedienen - auch wenn es allen sichtbar schlecht geht. Hier wird der folgenlose Diebstahl immerhin dadurch abgeschwächt, dass die Bauern diesen Samurai sofort begrüßen und ihn meist unterstützen wollen – sie sammeln sogar und spenden an einem Tempel, an dem man nach genug guten Taten seine Belohnung abholen kann. Trotzdem hätte man das besser lösen können, indem man diese Beute gar nicht in bewohnten Häusern verteilt und nur nach Missionen ausschüttet.

Beute und Ausrüstung

Ab und zu muss man das Gelände taktisch erkunden.
Ähnlich wie in The Last of Us Part 2 ertappt man sich dabei, wie man alles in Räumen durchstöbert – auch in Lagern oder Wäldern kann man auf Knopfdruck abgreifen bzw. ernten. Zunächst wirkt das Sammeln von Holz, Metall, Stoff und Waren in je drei Typen komplett überflüssig, so wie die meisten Ökosysteme in Spielen, denn sie erzwingen ja letztlich unrealistisches Verhalten. Dieses „Blitzlooten“ mit R2 hat mich aber irgendwann nicht mehr gestört, zumal man das Leuchten aus der Distanz, wie etwa Bambus in Wäldern, ja komplett ausschalten kann. Danach muss man schon sehr genau vor einem Strauch stehen, um ihn zu ernten.

Wofür braucht man all den Kram? Zum Aufrüsten natürlich. So kann man, hier sind wir bei unrealistisch, sowohl sein Katana als auch Tanto, sowohl seinen Kurz- als auch Langbogen in mehreren Stufen hinsichtlich Schaden, Reichweite & Co verbessern. Auch die Rüstung, sei es jene des Samurai, des Ronin oder des Wanderers lässt sich in dieser Art mehrstufig verbessern, so dass sie mehr Schaden abhält, besseres Verstecken erlaubt oder schnelleres Bogenschießen. All das benötigt nicht nur Eibenholz, Eisen oder das seltene Gold, sondern auch sehr viel Proviant, so dass man sich spezialisieren muss. Und wofür sind die Blumen? Damit kann man spezielle Farbmuster freischalten oder auch Hüte. Schließlich kann man in sein Katana auch noch Talismane stecken, starke goldene und schwächere graue, die wiederum die Heilung, das Parieren, die Tarnung, die Beute oder anderes anpassen.

Immer wieder entdeckt man schöne Orte. An denen man auch  mal Sake trinkt...
Zurück zur Spielmechanik: Gefallen haben mir auch die teilweise überraschend langen Klettertouren zu den Kami-Schreinen, weil sie abseits des Kampfes und des Infiltrierens für akrobatische Unterhaltung à la Uncharted 4 sorgen. Auch hier geht es eher um den Flow, weniger um den Anspruch: Jin kann sich an markierten Simsen hochziehen sowie über Abgründe und auf Äste springen. Manchmal muss man auch durch enge Tunnel kriechen oder schwimmen. Wenn Feinde nahen, kann er sich etwas unter Wasser begeben und die Luft anhalten, aber das tiefe Tauchen in all den schönen Seen bis zum Grund ist leider nicht möglich.

Klettern à la Uncharted

Dafür setzt Jin irgendwann seinen Wurfhaken ein, um daran zu schwingen oder in Bergsteigermanier steile Wände zu erklimmen. Dann wird es spielerisch etwas anspruchsvoller, zumal man sich bei tiefen Stürzen verletzen oder sterben kann - erst wenn man das Abrollen erlernt, kann man sich auch in die Tiefe stürzen. Aber das Schöne an diesen Passagen ist eher der Weg zum Ziel, der einen trotz zunächst offensichtlicher Torii-Tore und selbst Wind schon mal den richtigen Pfad suchen lässt. Wenn man dann ganz oben ankommt, kann man den Panoramablick über diese wunderschöne Insel genießen.

Dass mich Ghost of Tsushima trotz der schwachen Gegner-KI sowie einiger repetitiver Sammelmechaniken sehr gut unterhalten hat, liegt auch an den vielen Kleinigkeiten, wie etwa der Angst der Feinde im Kampf oder dass man für heilige Rehe keine Felle bekommt, die verdeutlichen, dass sich Sucker Punch kreative Gedanken gemacht hat. Oder dass man vor einem Gefecht die taktische Lage inspizieren kann, indem man optimale Stellen erkundet. Zwar hat man immer das Gefühl, dass der letzte konsequente Schritt fehlt, dass man mehr Fehler machen und mehr Konsequenzen spüren kann. Aber im Gegensatz zu anderen Spielen gibt es einfach viele liebevolle Details. Übrigens: Achtet mal im schwarzweißen Kurosawa-Modus auf den veränderten Sound, ihr Freunde der historischen Akustik!

Die Magie der Kleinigkeiten

Wer Flöte spielt, ändert das Wetter.
Damit meine ich auch, dass z.B. die Pfeile im Köcher exakt der aktuellen Anzahl entsprechen, dass man Kurz- und Langbogen anders einsetzt oder die Art und Weise, wie Jin sein Katana wegsteckt. Auch dass die Feinde tatsächlich Mongolisch sprechen oder dass man ihre Anführer beim Trainieren beobachten kann, um ebenso wie für ihre Tötung an Erfahrung zu gewinnen: findet man eine erhöhte Position im Lager, muss man eine gewisse Zeit R2 drücken. Oder dass man in einem Gespräch mit einem Nebencharakter mal eben auf den chinesischen Philosophen Sun Tzu zu sprechen kommt, den damals alle japanischen Samurai gelesen haben. Das Wetter ist mies? Oder zu schön? Spielt auf der Flöte ein kleines Lied und es ändert sich!

Das ist einfach ein wunderschönes Spiel.
Es gibt zudem magische Momente, wenn man sich z.B. an den richtigen Stellen verbeugt - also nicht nur an den (plump) markierten: Mit einem Wischer nach unten kann Jin ja diese typisch japanische Respektbekundung zeigen. Macht er das an bestimmten Orten, reagiert die Luft um ihn herum vielleicht mit einem Wirbel oder einem Insektenschwarm. Wenn Jin das vor einem der Toten macht, die man überall in der Landschaft finden kann, meist aufgespießt oder hingerichtet, spricht er nicht nur eine, sondern eine von mehreren Grußformeln wie „Ich hoffe, du findest Frieden.“ Es sind diese spielerisch vollkommen irrelevanten, aber für die Atmosphäre wichtigen Details, die ich sehr schätze! Und als ich mich auf dem Weg zu einem Kami-Tempel vor einer Frosch-Statue verbeugte, regnete es tatsächlich... Frösche! Das war einfach nur verdammt cool.

Die Toten ehren und Haikus dichten

Auch die Waffen wurden klasse modelliert.
Abschließen möchte ich diesen Abschnitt über die Magie der Kleinigkeiten mit dem poetischen Flair, das natürlich sehr gut zu diesem Spiel passt: Wenn Jin in einer heißen Quelle entspannt, um seine maximale Gesundheit ein wenig zu erhöhen, kann er z.B. über seinen Vater, den Kampf oder die Ehre "sinnieren" – man darf immer aus zwei Themen wählen. Noch interessanter wird es mit den Haiku, einer japanischen Gedichtform: Findet Jin einen Platz dafür, kann man einen dreiteiligen Vers dichten, indem man selbst zwischen jeweils drei Worten wählt – das Ergebnis ziert dann ein Stirnband, das man anlegen kann. Bevor ich einen holprigen Vers von mir aus dem Spiel zitiere, lasse ich lieber den berühmten Haiku-Dichter Matsuo Basho (1644-1694) sprechen:

Nur Sommergras

Ist von den Träumen

Der Krieger geblieben

Fazit

Was für eine zauberhafte, teilweise poetische Stimmung! Ghost of Tsushima ist ein wunderschönes Abenteuer. Wer sich für die Samurai interessiert, darf sich auf eine ästhetische und spielerische Eleganz freuen, die der Tradition des Alten Japan würdig ist. Auch wenn das natürlich keine historische Simulation ist: Egal ob Haiku, Kami oder Bushido – viele Facetten dieser fernöstlichen Kultur werden sichtbar. Obwohl die offene Welt im technischen Detail nicht allerhöchstes Niveau und die Gegner-KI große Schwächen zeigt, entsteht eine vom Wind berauschte Atmosphäre: Wenn man zwischen Nebelfetzen in einem goldenen Wald sein Katana zieht, um mit tödlichen Hieben in Zeitlupe durch zwei, drei Feinde zu tanzen, hört man das entfernte Echo von Akira Kurosawa. Hier entsteht nicht die Vielfalt oder der hohe Anspruch eines Nioh 2 oder gar Sekiro, auch die Akrobatik samt Kletterhaken oder die Stealth-Action mit Ninjaflair sind eher light zu nennen. Aber dafür wird Jins Geschichte besser erzählt, sie überrascht mit Charakteren und Geschichten, zeigt zudem kreative Mechaniken en detail. Sucker Punch trifft für mich die goldene Mitte aus Erkundung, Storytelling, Sammelei, Quests und Action. So entsteht über 40 Stunden ein sehr guter Spielfluss in malerischen Landschaften. Ich kann euch nur empfehlen, dem Weg dieses Kriegers zu folgen! Abschließen möchte ich diesen Test mit einem Haiku von Matsuo Basho (1644-1694):

Nur Sommergras
Ist von den Träumen
Der Krieger geblieben

Pro

  • Samurai-Abenteuer mit historischem Hintergrund
  • ausgepsrochen markantes ästhetisches Flair
  • solide erzählte Story mit interessanten Charakteren
  • gute Verflechtung von Haupt- & Nebenmissionen
  • Dialoge mit Gefährten und kleinen Entscheidungen
  • viele Aspekte japanischer Mythologie von Kami bis Kappa
  • poetisches Flair durch Haiku und Sinnieren an Quellen
  • abwechslungsreiche Missionen mit Überraschungen
  • sehr guter Spielfluss aus Erkundung, Sammeln & Kampf
  • sehr guter Duellmodus mit One-Hit-Kills
  • klasse Animationen und Zeitlupen-Perspektiven
  • viele klasse Details von Verbeugung bis Beobachten
  • wunderschöne Landschaften
  • klasse Licht-, Nebel- und Dunsteffekte
  • elegante Einbindung des Windes in Kulisse und Spiel
  • gutes Erzählen über Landschaft & Ereignisse
  • aktives Spurensuchen über Fußabdrücke
  • eingängiges Kampfsystem mit Block, Konter & Co
  • Knopfdruck-Kombos bei Bambus-Minispielen
  • cool: manche Hiebe sorgen für Angst unter Feinden
  • reiten und Kampf vom Pferd aus
  • nützliche Stealth-Manöver (Kill, Rauch, Ablenkung)
  • sehr detaillierte historische Waffen und Ausrüstung
  • Adler als Alarmtiere der Mongolen
  • Entwicklung von Fähigkeiten, Waffen & Ausrüstung
  • Klettern in Gebirgen & Co à la Uncharted
  • Wurfhaken als akrobatische Ergänzung à la Sekiro
  • witzige Zufallskämpfe zwischen Bären & Mongolen
  • Tiere fliehen authentisch
  • Artefakte & Gegenstände als 3D-Objekte
  • brennbare Wiesen, Brand- & Sprengpfeile, Bomben
  • deaktivierbares Leuchten von Rohstoffen & Anzeigen
  • verdammt gute Musik und Soundeffekte
  • gute deutsche Lokalisierung
  • cool: Japanisch & mongolische Sprache der Feinde
  • cool: optionaler Schwarzweißmodus
  • faires automatisches und manuelles Speichern
  • drei jederzeit wechselbare Schwierigkeitsgrade
  • Fotomodus

Kontra

  • schwache Gegner-KI
  • zu leichte Lager-Infiltration
  • einige repetitive Sammel-Spielmechaniken
  • ab und zu unübersichtich im Kampf (keine Fixierung)
  • Mongolen-Anführer bleiben zu blass
  • Hunde als Wachen schlecht eingebunden
  • Proviant aus Häusern von Bewohnern mitnehmen
  • einige plumpe Animationen (Langbogen trifft Feind)
  • übertriebenes Gebrüll der Mongolen

Wertung

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.
  • Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.
Kommentare
dx1

Offtopic in den weiterhin geschlossenen, oben verlinkten Thread verschoben.

Erläuterung ►dort.

vor 3 Jahren
dx1

Ich hab mal was abgtrennt und nach "Let's talk about" verschoben:

Normalisierung von Gewalt

vor 3 Jahren
History Eraser

Es geht nicht um Erfahrungspunkte und das man alle Naselang was freischalten kann, sondern um interessante Orte, Charaktere oder Quests. Da ist eben nix.

Das Windfeature ist ganz nett, nutzt sich aber auch schnell ab. Genau wie die überzeichnete Grafik.
Finde eigentlich schon, dass sich zb die Shinto Schreine oder die Quests für die legendären Techniken abheben. Das Windfeature ist wie gesagt nichts großes, aber trägt halt zu den Flow bei, den mir vergleichbare Open World Titel einfach nicht geboten haben. Ich bin beim spielen einfach "in the Zone" und werde nicht durch Menü, Maps, etc. abgelenkt.

Die Strohhutbande, der Schnappsbrenner oder die Adachi Mutter sind jetzt drei Sachen, die mir aus Nebenquests noch in Erinnerung geblieben sind.

Bin wie gesagt noch nicht durch und es ist gut möglich, dass auch bei mir noch diese Ermüdungserscheinungen eintreten. Aber scheint ja auch für dich ein paar unterhaltsame Stunden gegeben zu haben. (oder du bist einfach ein sehr positiv eingestellter Mensch und du dachtest, es wird noch ^^)

Edit: Sorry, du warst das nicht mit den 20 Stunden.

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
Khorneblume

Ich verstehe das Argument von Mark und Ahti sehr gut. Genau das hält mich bis zum heutigen Tag vom Kauf des Spiels ab. Dabei habe ich sogar immer wieder phasenweise Bock drauf gehabt, weil eben der Markt an Samurai Games eher dünn gesät ist. Dann schaue ich mir Gameplay Let's Plays an und lese nochmal rein, komme aber letztlich immer zu dem Entschluss Finger davon zu lassen, weil ich den Hype bei diesem Spiel, wie bei den meisten OW Titeln nicht mehr nachvollziehen kann.

Repetitives Open World Gameplay wird für mich auch durch RPG Elemente nicht attraktiver, wenn ich effektiv immer das gleiche tue und dadurch sehr schnell bei mir Abnutzung eintritt. In diesem Punkt wirkt Tsushima auf mich nach wie vor abseits vom großartigen Szenario zu austauschbar und beliebig. Würde hier genau wie mit jedem AC einfach mitten drin die Lust verlieren. In dem Punkt finde ich übrigens 90% aller OW Spiele komplett überbewertet und kann den Hype nur selten nachvollziehen. Wenn dahinter intelligentes Spieldesign wie bei MGSV steckt, trägt sowas für mich über die gesamte Dauer, da man immer wieder neuen Herausforderungen und Gameplay Momenten ins Auge blickt, die wieder einen Reiz entfachen.

Scheinbar trifft man mit dem eher oberflächlichen, auf Wiederholung ausgelegten Gameplay und Missionsdesign aber den üblichen Massengeschmack.

vor 3 Jahren