PC Engine Core Grafx Mini - Test, Hardware, Spielkultur

PC Engine Core Grafx Mini
17.06.2020, Matthias Schmid

Test: PC Engine Core Grafx Mini

Starke Mini-Konsole

Mal was Gutes von Konami: Die Wiedergeburt der einstigen Import-Traumkonsole PC Engine überzeugt im Test mit klasse Emulation, hoher Software-Qualität und einer Extraportion Japan-Exotik.

Wer im Deutschland der 1980er und 1990er Jahre Kind war und sich in dieser Zeit ins Video- und Computerspielen verliebt hat, der wird die damit verbundenen Geräte wohl nie vergessen: NES und Game Boy, C64 und Amiga, Mega Drive und Super Nintendo. Pixelige Grafik, piepsiger Sound, kaputte Joysticks, Reinpusten in Module. Doch nur die, die Ende der 1980er schon Hardcore-Zocker waren und über die finanziellen Mittel verfügten, Importspielen nachzujagen, kennen das Gefühl, das Japanern bereits 1987 die PC Engine bescherte. Alle anderen müssen wohl oder übel glauben: Das Ding war eine Sensation!

Exotischer Power-Zwerg

Das Hauptmenü ist ähnlich dem anderer Mini-Konsolen - lediglich der Switch zwischen Japan- und US-Software (das Icon ganz rechts unten) ist einzigartig.
Nur ein Jahr nachdem in Europa das olle NES aufschlug, ermöglichte der 16-Bit-Grafik-Chip der PC Engine bereits deutliche feinere Grafiken, fast ohne Sprite-Flackern und mit bunterer Farbpalette. Oftmals waren die mit Abstand besten Arcade-Ports jener Zeit auf der PC Engine zuhause! Fabrikant NEC, in der zweiten Hälfte der 1980er der weltgrößte Chiphersteller, hatte zusammen mit dem Spiele-Spezialisten Hudson Soft ein 25.000 Yen (ca. 140 Euro) teures Gerät auf die Beine gestellt, das auch aus heutiger Sicht rundum erstaunlich ist: Es maß nur 14 x 14 x 4 cm (das entspricht circa 4 aufeinander gelegten CD-Hüllen) und wurde mit Spielen auf HuCards gefüttert - das waren circa Kreditkarten-große Speicherkarten. Sega hatte beim Master System mit den Sega Cards anfänglich auf ein ähnliches Speichermedium gesetzt. Die PC Engine war in Japan richtig erfolgreich und ein ernstzunehmender Herausforderer für Nintendo und Sega - das Gros der sieben Millionen verkauften Gerät ging im Mutterland über den Ladentisch. Dort erschienen auch zahlreiche Updates, Add-ons und Spezialvarianten: Neben einem CD-ROM-Laufwerk, das bereits 1988 erhältlich war (!) und diversen äußerlichen Unterschieden (Form, Farbe) gab es z.B. eine Version mit verbesserter Grafik-Hardware (SuperGrafx) oder integriertem Laufwerk (PC Engine Duo). Sogar zwei Handheld-Versionen erschienen in Fernost 1990 bzw. 91: Die PC Engine GT wirkte wie ein bulliger schwarzer Game Boy, die graue PC Engine LT mit ihrer Klapp-Funktion wie der Urahn des Game Boy Advance SP. In die USA kam die PC Engine übrigens, in größerem schwarzen Gehäuse und leidlich erfolgreich, als Turbo Grafx-16 auf den Markt, in Europa war das Gerät aufgrund der schwachen Performance in Nordamerika nur in sehr geringer Stückzahl in England und Spanien erhältlich.

Schlichtes Karton-Design, guter Inhalt: Neben dem Gerät und einem Pad (mit drei Meter Kabel) liegen HDMI- und USB-Kabel plus eine Anleitung bei.
12 x 11,5 cm misst die vor mir liegende, graue Variante der PC Engine Mini - „PC Engine Core Grafx Mini“ prangt auf dem Karton. Das Gerät gibt es nämlich in drei Varianten: Japaner erhalten eine kleine weiße PC Engine, Amerikaner die der Turbo-Grafx-16-Form nachempfundene, schwarze Variante Turbo Grafx-16 Mini und wir Europäer eben die 4Players vorliegende, graue PC Engine Core Grafx Mini. Das Gerät stammt von Konami, weil die seit knapp zehn Jahren alle Markenrechte des ehemaliger Entwicklers Hudson besitzen, und wird exklusiv über den Versandriesen Amazon vertrieben. Allerdings nicht in Deutschland (wir berichteten), sondern nur in drei europäischen Ländern: England, Frankreich und Italien. Aufgrund der Corona-Krise konnte der ursprünglich für März anberaumte Release nicht eingehalten werden, mittlerweile ist das schicke Teil aber immerhin über amazon.co.uk für 100 Pfund (112 Euro) erhältlich.


Exklusive Neuauflage

Die Liste der enthaltenen Spiele ist lang - und etwas komplizierter als wir es von Mega Drive Mini & Co. gewohnt sind: 51 unterschiedliche Titel sind auf der europäischen Variante enthalten. Die teilen sich, auch im Menü, in zwei separate Lager auf: japanisch und englischsprachig. Die Sektion „japanisch“ umfasst 32 Titel, trotz der Sprachbarriere sind die meist tadellos spielbar: Hüpfspiele und 2D-Shooter zum Beispiel. Von den enthaltenen Rollenspielen oder Kojimas frühem Adventure Snatcher lässt sich dies freilich nicht behaupten - dafür erfahrt ihr in unserem Rückblick, warum das eines der besten Cyberpunk-Spiele ist. Die Sektion „englischsprachig“ umfasst 25 Spiele, darunter auch storylastige RPGs oder Action-Adventures z.B. Ys Book 1&2 oder Neutopia. Wer jetzt flugs 32 und 25 addiert, kommt natürlich nicht auf die weiter oben proklamierte Summe von 51 Titeln - das liegt aber lediglich daran, dass sich einige Titel in beiden Lagern doppeln. Eine komplette Liste findet ihr auf Konamis offizieller Produktseite .

Von der exotischen und zweigeteilten Spieleauswahl abgesehen, fühlen sich Besitzer anderer Mini-Konsolen sofort heimisch: Im Menü schaltet man die Titel durch, in den Optionen wählt man neben der Sprache oder dem Hintergrundbild vor allem das Bildformat aus: Die gebotenen Optionen (von 4:3 über eine kleinere Original-Variante bis hin zu gestrecktem 16:9) sind ordentlich, den schäbigen CRT-Filter hätte man sich aber sparen können. Witzig ist die Bild-Option, mit dem Rahmen einer virtuellen PC Engine GT spielen zu können. Generell ist die Portierung den Retro-Profis von M2 vortrefflich gelungen - die Spiele, egal ob einst auf HuCard oder CD veröffentlicht, wurden klasse emuliert. Die 720p-Bildausgabe ist knackscharf und bringt die Pixeloptik der Spiele prächtig zur Geltung. Die von manchen Käufern kritisierte Eingabe-Verzögerung ist bei kaum einem der Titel spielerisch relevant - und wird wohl nur dem auffallen, der die Originalkonsole zum direkten Vergleich daneben liegen hat. Das (von Hori) hergestellte Gamepad - leider liegt nur eines bei - gefällt mit spürbarem Gewicht, guten Buttons, knackigem Steuerkreuz und drei Meter Kabellänge. Die einstigen Originalcontroller der PC Engine lassen sich nicht nutzen, die Hori-Pads werden nämlich per USB angeschlossen. HDMI- und Micro-USB-Kabel liegen bei, ein Netzteil wie erwartet nicht.

Business as usual

Bonks erstes Abenteuer erschien Ende 1989 - dafür sieht es grafisch noch ordentlich aus.
Für jedes enthaltene Spiel gibt es vier Speicherplätze, eine Rückspulfunktion oder Museums-Galerien hat Konami leider nicht implementiert. Zubehör wie weitere Joypads oder das Multitap, um z.B. Bomberman mit mehr als zwei Spielern zocken zu können, ist separat erhältlich. Bevor ich zu einigen ausgewählten Titeln komme, ein paar Worte zur Spieleauswahl allgemein: Die kann man durchaus als hochinteressant und erlesen bezeichnen, sie umfasst große Konami- und Capcom-Namen, eine Vielzahl starker 2D-Shooter (die im Retro-Handel fast unerschwinglich sind), Hudsons kultige Eigenmarken plus große Action-Abenteuer und Rollenspiele. Perfekt ist sie aber natürlich nicht: Sport- und Rennspiel-Fans vermissen etliche namhafte Titel (z.B. Final Match Tennis, OutRun oder Chase H.Q.), Shooter-Connaisseure hätten gern noch Mr. Heli und Raiden gespielt und Japan-Fans sicher Spaß mit Shin Megami Tensei oder Ranma 1/2 gehabt.

Akumajou Dracula X Chi no Rondo legt voll los: Nach dem stimmmungsvollen Intro geht es schon im ersten Level gegen riesige Felsgolems und einen Feuerdrachen.
Erster Anspieltipp ist natürlich Akumajou Dracula X Chi no Rondo (besser bekannt als Castlevania: Rondo of Blood). Bereits das Intro mit deutscher (!) Sprachausgabe sorgt für Gänsehaut, aber auch spielerisch und grafisch ist diese Castlevania-Episode bis heute stark. Ähnlich mächtig beginnt Kojimas Snatcher, auch hier verblüfft die angesichts des Alters (1992) eindrucksvolle (japanische) Sprachausgabe des einstigen CD-Rom-Spiels; allerdings dreht die Sprachbarriere allen nicht des Japanischen Mächtigen schon nach dem Intro den Spaß ab. Perfekt spielbar sind dagegen die feinen Arcade-Ports von Splatterhouse oder Ghouls ’n Ghosts (heißt hier: Daimakaimura) oder das farbenfrohe Hüpfspiel New Adventure Island mit seinen Skate-Einlagen und drolligen Tierchen. Auch der Bubble-Bobble-Nachfolger Parasol Stars, das Rennspiel Victory Run, der Flipper Alien Crush, das Golfspiel Power Golf oder Irems mythologisch angehauchter Sidescroll-Actioner Ninja Spirit sind heutzutage noch richtig gut spielbar - und überzeugen mit grafischer Finesse, die dem 16-Bit-Lager um SNES und Mega Drive meist deutlich näher ist als deren 8-Bit-Vorfahren.


Die Spiele

Strategen führen Krieg in Nectaris, Abenteuer stürzen sich in die Welt von Ys Book 1&2 oder sind erstaunt, dass Hudson mit den Neutopia-Spielen bereits 1989 und 1991 zwei außerordentlich gute Zelda-Klone programmiert hat, die sich optisch wie spielerisch gut gehalten haben. Die beiden Bomberman-Episoden (’93 & ’94) sowie zwei bissig-bunte Bonk-Hüpfspiele beweisen zudem, dass Hudson zusammen mit Nintendo, Sega, Konami, Capcom, Irem oder Sunsoft damals eines der potentesten japanischen Entwickler und Publisher war. Die beiden Bonk-Titel zum Beispiel spielen zwar nicht so schnörkellos oder rasant wie Mario und Sonic, haben aber ihren ganz eigenen Charme und stellen dank Bonks Kopf-Attacken und der kuriosen Urzeit-Welt eine willkommene Alternative zum weithin bekannten Jump’n’Run-Einerlei dieser Ära dar.

"Ginga Fukei Densetsu Sapphire" lautet der volle Name des legendären PC-Engine-Shooters Sapphire. Nach einem spektakulären Anime-Intro geht es direkt los mit Weltraum-Schlachten.
Ihrem Nerd-Ruf als beste Shoot’em-Up-Hardware ihrer Zeit wird die PC Engine auch in der vorliegenden Mini-Form mehr als gerecht: Gradius 2, Galaga ’88 und der bestechende R-Type-Port sorgen für eine starke Grundlage. Cho Aniki, Fantasy Zone plus Star Parodier bieten Kurioses und Quietschbuntes. Dazu gesellen sich Konamis Salamander und der buchstäbliche Luxus-Shooter Sapphire (googelt ruhig mal die eBay-Preise). Hudsons Soldier Blade oder Red Companys Lords of Thunder und Air Zonk, aber auch Naxats Psychosis runden ein nicht nur hochwertiges, sondern auch spielehistorisch hochgradig reizvolles Ballerspiel-Paket ab, das auf dem Gebiet der Mini-Konsolen bisher konkurrenzlos ist.

Fazit

Die PC Engine Core Grafx Mini ist nicht perfekt: Die Amazon-Exklusivität nervt, der im Vergleich zum Mega Drive Mini stattliche Preis hätte immerhin das Beilegen eines zweiten Pads nahegelegt. Die minimale Eingabeverzögerung stört mich persönlich überhaupt nicht und das Problem, dass natürlich ein paar persönliche Lieblinge fehlen, hat jede Mini-Konsole. Dafür ist das beiliegende Pad klasse und die Spiele sind tadellos emuliert, egal ob sie einst auf HuCard oder CD-ROM vorlagen. Die Software-Palette fällt mit über 50 Spielen sehr luxuriös aus - und im Wesentlichen haben sich viele Titel erfreulich gut gehalten. Zwar ist auch hier typische Einmal-starten-und-weg-damit-Software dabei, doch in einem Punkt überragt die PC Engine Core Grafx Mini alle bisherigen Kleinkonsolen: Beim Durchschalten und Ausprobieren der Spiele packt mich eine große Entdeckerlust. Als Retro-Freund habe ich viele Titel selbst schon via Emulator gezockt oder kenne sie zumindest vom Hörensagen, zudem hatte ich mir bei meinem ersten Japan-Trip 2006 diese niedliche Konsole selbst nachgekauft. Aber diese ganzen, oft Japan-exklusiven, heute teils sündhafte teuren Perlen nun auf einem kleinen Gerät vor mir zu haben, das ist klasse. Nach und nach entdeckt man einen spannenden Shooter nach dem anderen, lernt die Qualität von Hudsons Eigenentwicklungen schätzen und kann nachfühlen, wie cool diese Hardware damals gewesen sein muss.

Wertung

Spielkultur

Pflichtkauf für Retro-Liebhaber: in puncto Emulation, Umfang und Software-Qualität rundum überzeugende Kleinkonsole, die einen interessanten Einblick in die japanischen Spiele der späten 80er und frühen 90er bietet.

Kommentare
sabienchen.banned

Und? Ist der Plastikschrott schon langweilig geworden?
... Bei den ganzen ShmUps?...
Noe.
Guter Kauf.

vor 4 Jahren
Flux Capacitor

Ist nun angekommen.

Heute Abend wird das gute Stück (vermutlich) ausprobiert. ..^.^''
Und? Ist der Plastikschrott schon langweilig geworden?

Habe hier noch NES, SNES Mini und Neo Geo X rumliegen. War ein Abend lang ganz lustig, danach Staubfänger.

vor 4 Jahren
sabienchen.banned

Ist nun angekommen.

Heute Abend wird das gute Stück (vermutlich) ausprobiert. ..^.^''

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Nuracus

Damals konnte ich die Spiele dieser Konsole höchstens in der Video Games bildhaft anschmachten
Ja genau so wars bei mir auch, wie alt war ich da ... so 7 oder 8 oder so? Das ging völlig über meine Vorstellungskraft hinaus, dass es da diese mythische Konsole geben soll, die hier unmöglich zu bekommen sein soll.

Rückblickend sowas von überhaupt kein Verlust, so wirklich was zu bieten hatte das Teil nun echt nicht - abgesehen vom vermutlich besten 16 Bit Castlevania (streiten sich die Leute immer noch, welches der 3 es sein soll, ob Rondo, Super oder Bloodlines) und Shmup über Shmup über Shmup (von denen es auf den beiden anderen Konsolen, gerade auf dem Mega Drive, ebenfalls mehr als genug hervorragende Titel gab, Aleste, Thunder Force, R-Type ...).
Technisch/grafisch sehen die übrigen Spiele nun auch eher wie ein Zwischenschritt von 8 und 16 Bit aus.

vor 4 Jahren
Fox81

Von Konamis Seite aus ist das aber sicher nicht vorgesehen.
Wenn das nicht (inoffiziell) vorgesehen wäre, gäbe es sehr einfache Möglichkeiten dies hardwaretechnisch zu verhindern, bzw. extrem zu erschweren. Die einfache Modbarkeit der Minikonsolen ist Kalkül, seitens der Hersteller.
Das kann man natürlich so Interpretieren.

vor 4 Jahren