Carrion - Test, Action-Adventure, XboxOne, PlayStation4, PC, Switch

Carrion
28.07.2020, Matthias Schmid

Test: Carrion

Monster im Blutrausch

Carrion (ab 5,85€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) dreht den Spieß um: Hier wird der Spieler zur garstigen Alienkreatur, die Jagd auf Forscher und Soldaten macht. Wie viel Spaß steckt in der pixelig-blutigen Alien-Hommage - und warum verzichtet das Spiel trotz Metroidvania-Elementen auf eine Karte?

Könnt ihr noch zählen, wie oft ihr schon beim Passieren eines Lüftungsschachtes zusammengezuckt seid, vor übermächtigen Gegnern flüchten musstet oder ein vielarmiges Monster mit MG-Salven zurückgedrängt habt? Vermutlich nicht! Die Herausforderung, es als unterlegenes Menschlein mit garstigen Entitäten aus dem All, dem Meer oder einer anderen Dimension aufzunehmen, ist einfach zu verführerisch - und deshalb eines der Standardmotive von Action- und Horrorspielen. Carrion dreht den Spieß um - und zwar um einiges konsequenter, als es in der Vergangenheit viele Titel taten, wo man ganz einfach nur den bösen Antihelden, den Killer oder den Anführer einer Orkschar spielen durfte. In Carrion ist man tatsächlich das überlegene Monster, das einfache Bergarbeiter im Blutrausch zerpflückt, wackeren Forschern Todesschreie entlockt und Soldaten den Kampfmech unter dem Hintern weg bzw. in Stücke reißt.

Jäger statt Gejagter

Gute Idee: Feinde zu übernehmen, macht Laune und erweitert die spielerischen Möglichkeiten deutlich.
Als widerlicher Blob, dessen geifernde Münder und zuckende Tentakel ständig in Bewegung sind, bricht man aus einem Forschungslabor aus und kämpft sich in den nächsten sechs bis acht Stunden durch zweidimensionale Höhlenkomplexe voller Schächte, Röhren, Schotts, Gänge, Schleusen und Wasserläufe. Mit dem linken Stick dirigiert man die fließenden, tänzerisch-eleganten Bewegungen des Scheusals, via rechtem Stick streckt man die gierigen Tentakelfinger aus, um Hebel zu bewegen oder Feinde zu packen. Die Pixelmenschen werden dann effektvoll in zwei Teile gerissen, an die Wand geworfen oder an selbiger entlanggeschmiert. Carrion ist daher auch erst ab 18 Jahren freigegeben - keine schlechte Leistung für ein Pixelspiel im Jahr 2020. Und es ist in puncto Stil und Gewaltdarstellung konsequent, kennt man Butcher, das letzte Spiel derselben Kreativköpfe. Generell ist die Stimmung zwar düster und etwas bedrohlich, aber doch deutlich weniger furchteinflößend als in besagtem Butcher, das mit seinem dreckig-rohen Pixellook stark in Richtung Quake-Demake ging. Neben dem dichten, atmosphärischen Sound ist die Kreatur der eindeutige Star des Spiels - auch nach Stunden ist es noch faszinierend, wie ein tödlicher Geist von Raum zu Raum zu gleiten.

Gegner mit Flammenwerfer setzen unser Monster im Nu in Brand - da hilft nur die Flucht in ein Wasserbecken. Außerdem sieht der Feuereffekt ziemlich cool aus.
Das Ziel des Spiels ist das stetige Vorankommen in Richtung Ausgang - weil sich die Umgebungen aber optisch stark ähneln, ist man meist nur auf der Suche nach dem nächsten Schott oder Durchgang zum Reinquetschen. Es gibt Fähigkeiten, die einem das Weiterkommen an ehemals unpassierbaren Stellen erlauben, dazu ein bisschen Backtracking und viel Suchen nach dem nächsten Ausgang - trotzdem kommt Carrion in puncto Komplexität und Levelqualität nicht an die typischen Vertreter der beliebten Spielart heran. Selbst Blasphemous, Owlboy oder The Messenger, die das Metroidvania-Konzept vielfach nur dosiert einsetzen, wirken in diesem Punkt ausgeklügelter. Das hängt auch mit dem Fehlen einer Karte zusammen - in Carrion muss man sich das Labyrinth im Kopf selbst zusammenbauen, was angesichts des optischen Gleichklangs und der unzähligen Durchgänge und Röhren nicht immer einfach und, viel wichtiger, nicht immer spaßig ist. Auch beim wiederholten Abarbeiten von mal drei, mal vier Schaltern, damit ein mehrfach gesichtertes Tor aufgeht, fühlt man sich nicht klug, sondern saust eher planlos durch die Gänge und kommt durch Ausprobieren am Ende doch an alle gewünschten Orte.

Metroidvania?

Der garstige Blob selbst wird im Verlauf des Spiels mächtiger: Bald lernt man einen Tentakelschuss oder das kurzzeitige Unsichtbarmachen, später kommen Fähigkeiten wie die Wurm-Transformation und das Übernehmen von Menschen hinzu. Das Besondere daran: Je nach aktueller Größe der „Spielfigur“ steht euch nur ein bestimmtes Set an Fähigkeiten zur Verfügung. Wer Schaden nimmt und damit kleiner wird oder in Wasserpfützen freiwillig einen Teil seiner Biomasse ablegt, kann zwar nicht mehr Holzbarrikaden durchbrechen, dafür aber das Unsichtbarkeits-Feature nutzen. So gelangt man Stück für Stück an Laserbarrieren vorbei, öffnet meterdicke Metallschotts oder drückt sich in der schwimmenden Wurm-Form durch kleine Löcher.

Tentakel-Porno?

Eine klassisch erzählte Geschichte gibt es in Carrion nicht: Keine Text-Logs, keine Dialoge, keine Sequenzen - klar passt das irgendwie zum Monster-Sujet, andererseits lässt es die Welt auch ziemlich leer und beliebig wirken. Was dort passiert ist, wer mit wem kämpft - dafür gibt es lediglich ein paar Rückblick-Passagen, wo man kurz als Forscher statt als Monsterblob die unterirdischen Komplexe erkundet.



Carrion setzt auf einen düsteren Pixellook - die Effekte, wenn der Blob über Menschen herfällt, sind außerordentlich grob.
Damit ist Carrion trotz der neu hinzukommenden Fähigkeiten ein tendenziell monotones Unterfangen: Wege-Sucherei folgt auf hektische Kämpfe mit Soldaten, danach geht es wieder ein Weile durch Röhren und Tunnel, stets auf der Suche nach dem nächsten Punkt zum Durchquetschen. Am meisten Spaß macht es, wenn man Feinde erfolgreich narrt: Man täuscht mit einem Tentakel einen Angriff von rechts an, woraufhin sich die toughen Gegner mit den Elektroschild in diese Richtung wenden. Dann schickt man schnell von links einen Arm aus, um einen unachtsamen Kollegen zu übernehmen - und schon ballert der, an einer roten Leine geführt, seine Kameraden nieder. In diesen Momenten ist Carrion nicht nur besonders befriedigend, sondern auch ein erfreulich unverbrauchtes Spielerlebnis.

Fazit

Gerne würde ich Carrion ein besseres Zeugnis ausstellen: Weil die Spielidee toll ist und konsequent umgesetzt wurde - als Menschen zerreißendes und verschlingendes Blob-Monster durch finstere Gänge zu gleiten, fühlt sich unverbraucht an und steuert sich dabei exzellent. Allerdings gefallen mir weder der Ansatz, zum Einsetzen aller Fähigkeiten immer wieder Biomasse ablegen müssen, noch die Gleichförmigkeit der Umgebung. Bei all den Rohren und Schleusen fehlen mir coole Schauplätze und Landmarken, die mir das Zurechtfinden in der komplex aufgebauten Spielwelt erleichtern. Wenn die Entwickler schon bewusst auf eine Karte verzichten, müssten sie in dieser Hinsicht dann wenigstens abliefern. Ja, ich bin stets ordentlich vorangekommen - habe mich dabei aber nie clever oder sonderlich gut gefühlt, sondern wollte stets nur irgendwie den nächsten Durchgang finden. Dass Carrion für Freunde von blutigen Pixeln oder unverbrauchten Spielkonzepten trotzdem einen Blick wert ist, verdankt es seinem eleganten Spielgefühl und den kurzen Spaßspitzen bei den Kämpfen - die Entwickler haben stets an gut platzierte Durchgänge und Geheimwege gedacht, damit man als Monster Katz und Maus mit seinen Opfern spielen kann.

Pro

  • unverbrauchte Spielidee
  • sehr elegante Blob-Steuerung
  • schmutzig-schöne Pixeloptik
  • viele Speicherpunkte
  • reizvolles Katz- und Maus mit den Feinden
  • Flammenwerfer sieht fett aus

Kontra

  • keine Karte
  • Biomasse-Feature schlecht erklärt
  • optisch zu gleichförmig
  • man sucht oft nur stupide nach dem nächsten Durchgang
  • Geschichte bleibt zu vage
  • Abschnitte als Mensch spielerisch schlecht

Wertung

XboxOne

Einfallsreiches Spielprinzip, cooles Monster. Doch Level-Design und monotoner Spielablauf enttäuschen auf Dauer, auch das Fehlen einer Karte nervt.

PC

Einfallsreiches Spielprinzip, cooles Monster. Doch Level-Design und monotoner Spielablauf enttäuschen auf Dauer, auch das Fehlen einer Karte nervt.

Switch

Einfallsreiches Spielprinzip, cooles Monster. Doch Level-Design und monotoner Spielablauf enttäuschen auf Dauer, auch das Fehlen einer Karte nervt.

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Kommentare
NoCrySoN

Habs nach 4h nun auch durch. Wirklich schöner kleiner Titel.

Orientierungslosprobleme gab es eigentlich kaum, da jeder Abschnitt nahezu nur einen Pfad zuließ. Höchstens am Ende eines solchen musste man vllt nochmal kurz überlegen. Wenn man natürlich ganz an Ende die Möglichkeit bekommt und wahrnehmen möchte, die alten Abschnitte zurückzukrabbeln, ja dann wirds kompliziert.

Grafisch und von Design ist es ok, aber da könnte man wesentlich mehr rausholen, vor allem auch was die Animationen der Menschen angeht.

Insgesamt aber sehr zufrieden.

Empfehle auch hier wiedermal, für Leute denen das allgemeine Konstrukt zusagt, vor allem Zombie Night Terror. Meinst Meinung nach noch ein ganzes Stück besser. Ähnlich nur mit Zombies, düster, böser Humor und mit rund 30h ist man gut beschäftigt. Eine Perle die 4players durch die Lappen ging.

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
herrdersuppen

Ich spiele sehr selten im Pixellook aber das hier empfand ich als ein sehr stimmungsvoll und geniales Monster Design. Kaum ein anderes Spiel kommt mMn dem Alien Feeling aus den Filmen so nahe. Das liegt zum einen daran, dass man sich in der Station einnistet und verschiedene Mutationen durchläuft. Aber auch an der gnadenlosen Brutatlität. Man schnetzelt sich durch das Level ohne große Gegenwehr (Mensch und Maschine werden innerhalb von Sekunden abgemurkst). Der niedrige Schwierigkeitsgrad hat mich ausnahmsweise kaum gestört, da es das Unbesiegbarkeitsgefühl des Aliens noch verstärkt.
Die Kritik dass man sich schnell verläuft, kann ich so unterschreiben. Meine Versuche, in bereits durchgequerten Levels nach verpassten Achievements zu suchen, habe ich schnell aufgegeben.
Ich hätte mir aber statt einer Minimap lieber ein übersichtlicheres Leveldesign gewünscht.

vor 4 Jahren
Siggi77

Mir hat's gefallen. Hätte aber ne Stunde kürzer sein können. Ja ich weiß, das geht nur ein paar Stunden

vor 4 Jahren
ssj3rd

Vielleicht sollte man nochmal betonen das ein Spiel mit knapp 70% kein schlechtes Spiel ist, sondern durchaus ein gutes bis sehr gutes. Wieso müssen Spiele immer 90% bekommen, damit sie als gut empfunden werden?
Ein Daihatsu ist per se auch kein schlechtes Auto, kaufen würde ich mir trotzdem keins

vor 4 Jahren
casanoffi

Muss mir Butcher nochmal geben, seitdem ist ja auch etwas Zeit vergangen und damals hatte ich dieses Genre noch nicht so auf dem Schirm. Hauptsächlich durch Ori und Hollow Knight hab ich meine Liebe dafür gefunden.

Ignore-Schranke?
Muss ehrlich zugeben, in den letzten 13 (?) Jahren hat sich da so einiges angesammelt, an manchen Tagen bin ich recht empfindlich und dann geht sowas schnell.
Ich leide, nach der Einschätzung meiner Frau, regelmäßig an männlichem PMS

Oftmals weiß ich schon gar nicht mehr, warum da einige drin sind (aber meistens reicht es, den Kommentar anzeigen zu lassen, dann hab ich zumindest ne Ahnung, warum...). In der Regel war die Person recht aggro, beleidigend oder einfach nur ganz besonders arrogant und vermessen. Oder ich war eben gerade empfindlich...

vor 4 Jahren