Mortal Shell - Test, Rollenspiel, PlayStation4, PC, XboxSeriesX, XboxOne, PlayStation5
...gehören spätetens seit Dark Souls zum Floskelsortiment der Spielewelt. Und schon im Einstieg schreit Mortal Shell, übersetzt "Sterbliche Hülle", geradezu nach diesen Adjektiven: Man erwacht als eine Art Zombie in einer Höhle, schreitet durch nebulöse Gänge, bekommt ein Schwert und verlässt nach einem scheinbar aussichtslosen Bosskampf das Tutorialgebiet. Nicht aufrecht, sondern durch einen engen Tunnel kriechend - die surreale Geburt eines Helden, der ohne Wissen und Schutz nackt umher stromert.
Gnadenlos, mysteriös und düster...
Man erstellt also keinen Charakter mit fester Klasse, sondern wechselt diesen je nach Hülle - später auch on the fly über den Einsatz von Artefakten. Interessant: Man kann theoretisch auch darauf verzichten, sich von den Hüllen komplett fernhalten. Aber wer waren diese vier toten Krieger? Wo ist man überhaupt? Was ist das Ziel?
Konzert auf dem Friedhof
Aber es gibt weder ein Tagebuch, einen Kompass noch eine Karte in dieser Welt. Man sollte aufgrund verschachtelten Wege, Tunnel und Höhlen selbst eine zeichnen, aber bekommt zumindest über Visionen an Gräbern, Instinkt genannt, einige Anhaltspunkte über Geländemerkmale, wo sich z.B. die anderen Hüllen befinden - eine viel bessere Idee als die klare Markierung von Orten auf einer Karte.
Auch die Geschichte bleibt nebulös: Abseits der Dialoge mit NSC beschränkt sich das Storytelling auf ein paar lesbare Inschriften sowie gesprochene Gedanken aus der Vergangenheit eines Helden, sobald man seine Fähigkeiten entwickelt - die sehr stimmungsvoll auf Englisch intoniert werden, dazu gibt es deutsche Texte. Aus all diesen Fragmenten ergibt sich erst ein Bild dieser Welt, wenn man tief in dieses Abenteuer abtaucht.
Unheilvoll und rätselhaft
Dark Souls lässt grüßen
Die Unterschiede erkennt man zunächst an kreativen Kleinigkeiten: Wenn man stirbt, wird man ein paar Meter aus seiner Hülle geschleudert und ist wieder nackt mit wenigen Lebenspunkten unterwegs, während die Feinde kurz versteinert sind. Jetzt hat man ein kleines Zeitfenster: Wird man bei ihrem Erwachen getötet, ist es vorbei und man wacht bei der Lady auf. Schafft man es jedoch in wenigen Sekunden in die Hülle zurück, ist man voll geheilt (!) wieder in der Rüstung und kann direkt zuschlagen!
Extraleben ohne Hülle
Und was passiert, wenn man stirbt? Wenn man es nicht zurück in die Hülle schafft? Man verliert alles Tar, kann aber als nackter Klassenloser mit ein wenig Lebenskraft noch herumlaufen, auch wieder zuschlagen oder besser fliehen und sich sofort wieder eine andere Hülle über das enstprechende Artefakt anlegen. Erreicht man dann als frisch geschlüpfter Ritter den Ort seines Todes, kann man sein bis dahin gesammeltes Tar wieder einsammeln.
Ein Spaziergang wird das aber trotzdem nicht: Man erholt sich nicht automatisch und hat keine automatisch aufgefüllten Heiltränke wie beim Estus aus der Soulsreihe, sondern muss Pilze pflücken, die immerhin langsam nachwachsen. Man ist auf Beute wie Rattenbraten & Co angewiesen, die einem nur etwas Leben zurückbringen - nur die Lady heilt einen komplett.
Tanz mit dem Tod
Im Kampf sticht vor allem ein innovativer Aspekt heraus: Man kann sich in der Defensive verhärten. Dann bildet sich ein steinerner Panzer wie bei einem Golem, an dem Hiebe abprallen, wobei man das auch während des Angriffs machen kann, was coole Manöver einleitet - aber Vorsicht: das hält nicht ewig und muss frisch aufgeladen werden! Zwar muss man sich daran erstmal gewöhnen, aber es entsteht ein angenehmer Fluss aus Attacke, Parade, Verhärten und Wegrollen, wobei vor allem die erfolgreichen Konter klasse inszeniert werden.
Taktische Verhärtung
Neben üblichen leichten und schweren Hieben kann man Konter bei gutem Timing setzen. Und die bringen einem auch wertvolle Gesundheit - mit einem Haken: Man kann sie nur ausführen, wenn man genug Entschlossenheit hat, die sich wiederum nur langsam aufbaut, wenn man Feinde attackiert. Aber Vorsicht: Sie sinkt wieder ab, wenn man passiv ist! Erst wenn man also in kurzen Abständen kämpft, füllt sich eines von mehreren Segmenten vollständig und bleibt es dann auch - dieser Fokus auf Offensive erinnert ein wenig an Bloodborne.
Die Macht der Entschlossenheit
Die Hiebe sind ansonsten angenehm wuchtig, vor allem die sehr effizienten Sprungattacken wirken fast schon zu stark, denn sie machen den riskanten Konter weniger relevant. Es kommen zudem noch zwei Spezialangriffe hinzu, sobald man sein Schwert z.B. mit dem ersten "Stachel" aufgewertet hat - den rammt man seinen Feinden in einem akrobatischen Sprung in den Körper. So fallen auch mächtige Ritter nach wenigen Treffern! Rüstet man zudem sein Schwert bis zur fünften Stufe auf, ist man sehr stark, dann verwandeln sich die ersten Gebiete fast in eine Hack&Slay-Region.
Kleine Bugs und harte Sprünge
Apropos: Die Sprünge von oben samt Verhärtung mit Bereichsschaden am Boden klangen cool als Fähigkeit, aber man kann sie viel zu selten einsetzen. Aber diese Defizite sind nicht schwerwiegend und zum Teil auch aus der Soulsreihe bekannt. Unterm Strich konnten mich die Kämpfe jedenfalls richtig gut unterhalten.
Weniger motivierend ist, dass es in der über Unreal Engine befeuerten, solide bis gut texturierten Kulisse fast keine physikalischen Auswirkungen gibt: An einigen Stellen kann mal eine Holzbarriere einschlagen, um z.B. durch Tunnel zu kriechen oder dahinter einen Schatz zu finden. Man kann Kisten oder Zelte anonsten nicht zerstören, sichtbare Gegenstände nicht aufnehmen, zudem gibt es kaum Interaktion mit der Umgebung und kaum Rätsel. Man freut sich daher regelrecht, wenn man dann die erste Bodenplatte findet, die scheinbar etwas bewirken kann, wenn man vorher ein paar andere Mechanismen auslöst. Und man freut sich noch mehr, wenn es ab einem bestimmten Punkt auch einen düsteren Wechsel in der Weltkonzeption gibt, den man auch selbst herbeizaubern kann - falls man mehr Anspruch in bekannten Gebieten und weitere Einblicke sucht.
Stimmungsvoll, aber etwas statisch
Recht lange ist man mit derselben Klinge unterwegs, bevor man sie an der Werkbank in fünf Stufen verbessern kann. Wenn man das macht, was sehr nützlich ist, ergibt sich ein anderes Problem: Die Freude über andere Waffen wie etwa den zweihändigen Streitkolben oder Hammer und Meißel wird gedämpft, wenn man das geweihte Schwert bis dahin schon auf Stufe 5 gebracht hat, denn so ist es einfach mächtiger und nützlicher.
Die Charakter-Entwicklung ist recht reduziert und über lange Phasen gibt es eine zu starke Ähnlichkeit zwischen den vier Hüllen: Zwar haben sie alle drei unterschiedliche Werte bis maximal 10 Punkte in den Bereichen Haltbarkeit (=Leben), Ausdauer und Entschlossenheit, aber sie teilen sich alle Bewegungen und Angriffe. Um es platt zu formulieren: Es gibt da neben dem Krieger keinen Fernkämpfer, Magier oder Dieb - die einzige Waffe auf Distanz, eine sehr coole Panzerballiste, können alle an der Werkbank freischalten.
Reduzierte Charakter-Entwicklung
Selbst wenn man bei der Lady die zehn Fähigkeiten einer Hülle entwickelt, dauert es recht lange, bis sich diese auf das Spielerlebnis auswirken, zumal nur sieben davon exklusiv sind, davon einige recht überflüssig und nur wenige wie etwa das Vergiften oder der Erwerb von Entschlossenheit bei Gesprächen mit NSC sofort markante Unterschiede bieten. Zudem teilen sich alle vier Hüllen den freischaltbaren Tritt, den Härtesprung (von oben fallen lassen und in der Luft verhärten für Bereichsschaden) und das Extraleben. Apropos: Warum muss man soetwas Schnödes wie den Tritt tatsächlich bei allen vier Hüllen freischalten?
Hüllen spielen sich zu ähnlich
Fazit
Ihr vermisst Dark Souls? Ihr sehnt euch nach Bloodborne 2? Dann besucht die verfluchten Reiche von Mortal Shell: Das könnte euch für 20 bis 30 Stunden Heimatgefühle bescheren. Mit vielen Fragen im Kopf kämpft man sich durch eine verwunschene Welt voller Vampire, Ritter und Bestien. Das sehr gute Artdesign verbindet düstere Fantasy mit Horror sowie einem außerirdischen Hauch. Kaum ein anderes Spiel kommt so nah ran an die ebenso monumentale wie mysteriöse Stimmung à la From Software - das ist fast ein Seelenverwandter. Dabei tanzt Cold Symmetry auf der Klinge zwischen Hommage und Kopie, denn so einiges wirkt abgekupfert, aber die Briten fügen auch spielmechanisch Kreatives in eigener Weltkonzeption hinzu - die ab einem bestimmten Punkt mit einem düsteren Wechsel überraschen kann. Zwar bleibt man hinsichtlich Leveldesign, Erkundung, Charakterentwicklung sowie Bossen klar hinter der Qualität der Soulsreihe. Dafür sorgt das wuchtige Kampfsystem mit dem Verhärten ebenso für frische Impulse wie das Prinzip der Vertrautheit oder der wechselnden Körper. Und in welchem Abenteuer sieht man seine untoten Feinde am Lagerfeuer Gitarre spielen? Unterm Strich ist das richtig gute Unterhaltung für alle Soulsfreunde. Aufgrund der gemäßigten Schwierigkeit sowie der Extraleben ist es aber auch der ideale Einstieg für alle, die es werden wollen.
Pro
- Kampf-Abenteuer à la Dark Souls
- interessante Weltkonzeption
- klasse Artdesign
- angenehm verzweigtes Leveldesign
- prächtige verwunsche und monumantale Areale
- wachsende Vertrautheit mit Gegenständen
- sinnvolle Idee mit den Visionen/Instinkten
- gutes taktisches Parade- und Kontersystem
- kreative Impulse und Kombos im Kampf durch Verhärten
- einige Abkürzungen und versteckte Schätze
- Gefechte gegen mittlere und große Bosse
- Panzerballiste ftw!
- Welt ab bestimmter Stelle in zwei Varianten
- Feinde anlocken mit der Gitarre
- faires Speichersystem, Chance nach dem Tod
- sehr gute englische Sprecher und deutsche Texte
- gut sortiertes Archiv mit Texten, Gegenständen etc.
Kontra
- einige zu starke Souls-Anleihen (Lady etc.)
- vier "Klassen" spielen sich zu ähnlich
- lange nur Nahkampf, keine Würfe, Schüsse oder Magie
- arg reduzierte Charakter-Entwicklung, einiges überflüssig
- einige lange Laufwege in sowie Recycling bekannter Gebiete
- keine Rüstungen wechseln
- einige Kamerazicken, nerviges Überleiten vom Kriechen
- einige Bugs in der Kollisionsabfage
- Vertikale spielt kaum eine Rolle
- kaum Rätsel oder Umgebungsinteraktion
- Fehler in der Soundabmischung (nah/fern)
- keine deutsche Sprachausgabe
- keine Multiplayer-Funktionen
Echtgeldtransaktionen
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- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.