Yakuza: Like a Dragon - Test, Rollenspiel, PlayStation5, XboxSeriesX, PC, XboxOne, PlayStation4
Die Änderungen gehen ja sogar noch weiter, denn obwohl manche Szenen in Kamurocho spielen, also dem zentralen Schauplatz aller Vorgänger der Hauptserie, verschlägt es Kasuga recht schnell nach Yokohama, wo er den Großteil seines ersten Abenteuers als Rollenspielheld verbringt.
Klassisch japanisch
„Rollenspielheld“... klingt seltsam. Passt aber deshalb, weil Ichiban mit Videospielen aufgewachsen ist und sich spätestens dann in Abenteuer wie Dragon Quest hineinversetzt, wenn er in Prügeleien mit kleinen und großen Ganoven gerät. Dabei teilt Ichiban nicht in Echtzeit Schläge und Tritte aus, sondern führt seine Aktionen Zug für Zug im taktischen Rundenkampf aus und wartet anschließend darauf, was seine Gegner tun.
Er hat außerdem meist drei Begleiter an seiner Seite, denen man ebenfalls Aktionen zuweist und die genau wie ihr Anführer im Level aufsteigen, dadurch stärker zuschlagen und damit sowohl aktive als auch passive Fähigkeiten dazugewinnen. Das erinnert also ein bisschen an Final Fantasy 7 Remake, das ja ebenfalls in diesem Jahr erschien und in dem man eine ebenso geradlinige Geschichte erlebt wie hier. Mit anderen Worten: Like a Dragon hier ist kein Rollenspiel wie Cyberpunk 2077 oder Skyrim, sondern ein klassisches japanisches.
Raus aus Tokio!
Ganz allgemein hätte dem Spiel ein straffer Start schon deshalb besser zu Gesicht gestanden, weil es so etwa fünf Stunden dauert, bis man sich endlich dauerhaft frei in der offenen Welt bewegen kann. Und auch das nur, falls man Dialogzeilen wegklickt, bevor sie komplett gesprochen wurden. Die virtuellen Schauspieler erklären ja ständig und ausführlich, warum A zu B, C, D und schließlich E führt, bevor sie endlich bei X ankommen.
Und diese Eigenart behält Like a Dragon leider bei. Man erlebt ja keine spannenden Überraschungen und interessanten Entwicklungen. Man bekommt sie diktiert. Dabei ist Segas Erzählbuch einmal mehr vollgestopft mit plötzlichen Wendungen – die dermaßen willkürlich aus dem Nichts auftauchen, dass den Autoren gar nichts anderes übrig bleibt, als sie in seitenlangen Fußnoten zu begründen. Mit einer modernen interaktiven Erzählung hat das nichts zu tun. Nicht einmal als gute Visual Novel empfinde ich diesen Sprech- bzw. Lesemarathon.
Ichiban Kasuga kommt also nach Yokohama, genauer gesagt nach Isezaki Ijincho, das dem realen Einkaufsviertel Isezakicho nachempfunden ist. Noch genauer landet er unter Obdachlosen, weshalb sich viele Einblicke um das Leben auf der Straße drehen sowie um Menschen, die in einfachen oder schwierigen Verhältnissen zurechtkommen. Ich kann nicht sagen, wie nah das Spiel an der Realität ist, wenn es die Lebensumstände etwa japanischer Hostessen skizziert. Der Blick auf häufig vernachlässigte Teile der Gesellschaft tut der Erzählung aber gut.
Ganz unten ankommen
Immerhin wird dieses Szenario auch spielerisch umgesetzt, da Kasuga z.B. unter Getränkeautomaten oder in Müllsäcken nach Geld oder wertvollen Gegenständen sucht und in einem Minispiel gar auf dem Fahrrad Dosen sammelt. Bedauerlicherweise häuft er aber durch das Erfüllen zahlreicher Aufgaben recht schnell extrem hohe Summen an, was den bodenständigen Ansatz komplett aushebelt. Sinnvoll ist lediglich, dass er die Hälfte des mitgeführten Betrags gleich wieder abgeben muss, falls man einen Kampf auf offener Straße verliert – was dafür sorgt, dass man Areale mit starken Gegnern vorsichtig oder anfangs lieber gar nicht erkundet. Nur wenn man das Geld auf ein Konto einzahlt oder ausgibt, ist es vor einem solchen Verlust sicher. Auf diese Art grenzt Like a Dragon wenigstens den ganz großen Geldsegen seiner Vorgänger ein.
Mario in Yokohama
Das neue Yakuza ist eben kein Actionspiel, sondern ein Rollenspiel – und leider eins der Sorte „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“. Viele Gegenstände oder Vorteile erhält man nämlich nur über die Minispiele, was für sich genommen gerade noch in Ordnung wäre. Auch viele weitere Gegenstände und Vorteile erspielt man sich aber über das Abklappern etlicher Wege, die nur eins zum Ziel haben: das Abklappern weiterer Wege, damit man daraufhin noch mehr Wege abklappern kann.
Kein Dank für die Blumen
Wenn Ichiban einer Dame etwa einen Blumenstrauß bringen soll, um die Beziehung zu ihr zu verbessern, ist das einzige Ergebnis ein Dialogfenster, das mir mitteilt, dass sich die Beziehung verbessert hat. Später muss er ihr dann gleich fünf (!) Sträuße besorgen, um das gleiche Ergebnis zu erhalten. Und so rennt man entweder durch die halbe Stadt, um für viel Geld Sträuße unterschiedlicher Sorten zu holen, oder man kauft Samen, geht die einpflanzen, kehrt später zur Ernte zurück, geht die Blumen anschließend binden und übergibt sie endlich der jungen Frau, um das erwähnte Dialogfenster anzuglotzen. Das Ganze wiederholt man dann bei weiteren Personen. Ich habe keine Ahnung, was diese Zeitverschwendung hier zu suchen hat. Ein einziges Mal und mit sichtbaren Konsequenzen hätten die Blumen ein richtig liebenswertes Ereignis sein können...
Es hört beim Blumentragen ja nicht auf; Yokohama blinkt und glitzert auch überall dort, wo Kasuga eine Sammelwährung für einen weiteren exklusiven Shop findet und wo er außerdem Koffer sowie Tresore mit irgendwelchen Gegenständen öffnet. Seinen Höhepunkt findet der Unsinn aber erst beim Sammeln von Insekten, die man für das Erfüllen vieler Nebenmissionen benötigt. Denn dafür geht man am besten auf eine Wiese, rennt dort minutenlang im Kreis und drückt ständig die Taste zum schnellen Aufsammeln. Hammer! Spieldesign par excellence.
Größer – nicht besser
Aber halt, einige der Sammel- und Nebenaufgaben kann man ganz einfach abkürzen – indem man per Mikrotransaktionen Materialien kauft, mit denen Kasuga bessere Ausrüstung herstellen lässt, oder über die er seine Charakterwerte verbessert. So funktioniert Rollenspiel!
Nun bedeutete Yakuza schon immer, so viel Zeit wie möglich in einer unterhaltsamen Welt zu vertrödeln, und das ist grundsätzlich großartig. Allerdings musste man in den Vorgängern bedeutend weniger Hürden durch spielerisch belangloses Umherrennen überwinden, da die interessanten Aktivitäten selbst im Vordergrund standen. Auch die in der Vergangenheit meist drolligen, manchmal guten Nebenmissionen haben an Qualität verloren, wobei in auffallend vielen das Anklicken eines Gesprächspartners schon reicht, um sie zu erledigen. Oft muss man nichts finden, keine richtigen Antworten geben und nicht einmal kämpfen. Selbst mit Nebenmissionen verbundene Kurzgeschichten gibt es nicht mehr oder so selten, dass sie kaum der Rede wert sind. Charaktere folgen ja auch weder einem Tagesablauf noch gehen sie verschiedenen Tätigkeiten bzw. Erledigungen nach. Gerade hier hatte ich mir einen Fortschritt erhofft, wenn Sega schon von Action auf Rollenspiel umstellt.
Belangloses Umherrennen
Dabei gibt es durchaus gute Ideen wie Gespräche unter den Mitgliedern in Ichibans Gruppe, über die man die Beziehung der Figuren festigt. Auch wenn sie zusammen essen gehen, um ihre Gesundheit wiederherzustellen, und man die richtigen Menüs zusammenstellt, wechseln sie ein paar Worte, während man in einer Bar, die als Stützpunkt dient, kurze Geschichten mit ihnen erlebt und beides ebenfalls ihren Zusammenhalt stärkt. Doch selbst diese halbwegs wichtigen Erzählungen werden fast ausschließlich am Tresen diktiert. Dritte Personen betreten zufällig genau in diesen Augenblicken das Haus oder man wird für ein paar Sekunden an einen anderen Schauplatz teleportiert, wo mal eben langjährige Handlungsstränge aufgelöst werden. Das ist vor allem in dieser Frequenz schlicht hanebüchen. Warum begegnet man manchen Figuren nicht wenigstens zufällig beim Erkunden der Stadt? Wieso hängen keine interessante Nebenmissionen an den Geschichten der Begleiter?
Ach, und was hat es mit Kasugas Freunden überhaupt auf sich? Wie gesagt: Maximal drei sind ständig an seiner Seite und schlagen zu, wenn er auf herumstreunende Taugenichtse trifft oder im Rahmen der Handlung diversen Mafiosi eine Lektion erteilt. Schließlich prügelt man nicht mehr solo, sondern befehligt im Rundenkampf alle Figuren selbst. Jede einzelne führt ihre Aktion dann sofort aus und wartet anschließend die Handlung des folgenden Gegners oder Gefährten ab. Diese Reihenfolge wird wie üblich von einem dafür verantwortlichen Charakterwert beeinflusst.
Wenn Freunde zuschlagen
Bewegen muss man die Haudegen nicht. Man wählt lediglich aus, ob sie normal zuschlagen, ob sie einen Gegenstand nutzen, um z.B. Gesundheit wiederherzustellen oder Granaten zu werfen, oder ob sie eine ihrer zahlreichen Fähigkeiten einsetzen. Dazu zählen mächtige Angriffe, die mal einzelne Feinde treffen, mal mehrere erwischen oder bei denen verschiedene Gruppenmitglieder gemeinsam zuschlagen. Damit solche gemeinsamen Attacken möglich sind, muss die Beziehung der Figuren ein bestimmtes Level erreicht haben. Alle weiteren Aktionen sowie passive Verstärker erhalten sie schrittweise durch das Erreichen neuer Charakterstufen.
Und hossa, dieses neue Kampfsystem ist klasse! So sehr mich das profane Ablaufen Yokohamas ärgert, so viel Spaß habe ich am häufigen Kämpfen. Zumal Straßenzüge mit schwachen Gangstern später auch mit stärkeren Gaunern gefüllt werden, sodass man sich nie langweilt. Trifft man dennoch auf Kanonenfutter, schaltet man eine praktische Automatik ein, um dabei zuzusehen, wie Kasuga & Co. kurzen Prozess mit dem Gesindel machen.
Runden-Taktik mit Echtzeit
Selbst beim automatischen Ablauf sollte man allerdings das ständig präsente Echtzeitelement im Auge behalten und kurz vor einem ankommenden Treffer etwa die Taste zum Blocken drücken, um den eingehenden Schaden zu reduzieren. Abgesehen davon bewegen sich alle Charaktere ständig umher, was man bei Angriffen mit Bereichsschaden bedenken sollte. So kann es von Vorteil sein, direkt nach Beginn eines Gefechts schnell zuzuschlagen, wenn alle Feinde noch nah beieinander stehen. Genau wie Kiryu hebt Kasuga außerdem Gegenstände auf, die sich in Reichweite befinden, um damit mächtig zuzuschlagen. Und man sollte bedenken, dass Widersacher einen Kämpfer manchmal vom Weiterlaufen abhalten, falls man versucht einen direkt hinter ihnen stehenden Gegner anzugreifen. Das alles verleiht den Prügeleien eine lebendige Dynamik und spiegelt auf gelungene Art das dezente Chaos der früheren Echtzeitkämpfe wider.
So erlebt man kleine Höhepunkte, wenn man die über verschiedene Berufe spezialisierten Mitstreiter so einsetzt, dass sich alle Fähigkeiten sinnvoll ergänzen. Spätestens an dieser Stelle macht es sich auch bezahlt, dass man Dutzende Stunden Ressourcen gesammelt hat, um die Ausrüstung damit zu verbessern. Dass man viel Geld angehäuft und in einen Quiz investiert hat, um Ichibans Charisma oder Intellekt zu steigern, damit er bestimmte Berufe ausüben kann. Und dass man einige der Minispiele wieder und wieder gespielt hat, um u.a. starke Waffen zu kaufen.
Rollenspiel in der Realität
Klassisch Rollenspiel ist nicht zuletzt das Zusammenstellen und Entwickeln der Party, denn alle Mitglieder können wie erwähnt unterschiedliche Berufe ausüben – was nichts anderes bedeutet, als dass sie spezielle Ausrüstung nutzen und bestimmte Angriffe ausführen können. In den Berufen steigen sie dabei unabhängig vom allgemeinen Fortschritt auf, sodass stärkere Figuren nicht nach jedem Wechsel bei Null beginnen. Dass man die Berufe dabei im Büro eines Jobcenters wechselt, empfinde ich als eine weitere gelungene Verbindung zum Alltag in Yokohama.
Weniger gelungen ist hingegen eine Möglichkeit des Auflevelns und Sammelns von Ausrüstung: das Durchkämmen eines audiovisuell schrecklich öden Systems immer gleicher Gänge, in denen zumindest aber angenehm zähe Kontrahenten warten. Und auch mit der Tatsache, dass man einige Berufe über Mikrotransaktionen kaufen kann, tut Sega seinem Spiel keinen Gefallen. Nun bin ich heilfroh, dass Yakuza-Titel überhaupt rechtzeitig und diesmal sogar in englischer Sprache sowie mit deutschen Texten in unseren Breiten veröffentlicht werden. Aber kann das denn nur auf so unangenehme Art refinanziert werden?
Fazit
Ich mag Ichiban Kasuga. Er sieht mit 40 zwar noch so jung aus wie als Zwanzigjähriger, ist nach dem grimmigen Kazuma Kiryu aber ein erfrischend leichtfüßiger Nachfolger des Yakuza-Urgesteins. Und er schlägt ähnlich eindrucksvoll zu – wenn auch auf ganz andere Art als sein Vorgänger. Denn die Rundenkämpfe sind abwechslungsreich, angenehm fordernd und fangen auf überzeugende Art sogar das Chaos frenetischer Echtzeit-Prügeleien ein. Zusammen mit der motivierenden Charakterentwicklung sowohl des Protagonisten als auch seiner Begleiter liegt hier deshalb die größte Stärke der Neuausrichtung. Nicht glücklich bin ich allerdings darüber, dass der Wechsel vom Action- zum Rollenspiel auch wenig gelungene Änderungen mit sich bringt. Anstatt die lebendigen Schauplätze sowie die Geschichten ihrer Bewohner zu stärken, stülpt Sega nämlich ein System etlicher Fleißaufgaben über die Spielwelt und rückt diese damit in Richtung einer belanglosen Kulisse, an der man nur mal schnell vorbei rennt – um sich auf dem Weg schon in blinkendem Sammelkram zu verlieren und am Ziel lediglich einen Knopf zu drücken. Das und die nicht enden wollenden Erklärtexte bemühter erzählerischer Wendungen sowie die ins Spieldesign eingreifenden Mikrotransaktionen sind leider der Grund dafür, dass die guten Neuerungen nicht auch für ein gutes Spielerlebnis sorgen.
Pro
- fordernde Rundentaktik mit gut eingeflochtenen Echtzeitelementen
- wahlweise automatisches Kämpfen samt Festlegen der groben Taktik
- ausführliche Geschichte und viele kleine Episoden abseits des roten Fadens...
- Charakterentwicklung über Fähigkeiten und frei wählbare Berufe
- freies Zusammenstellen und Ausrüsten der Party
- Beziehungen unter Partymitgliedern beeinflussen Charakterfortschritt und Optionen im Kampf
- halbwegs unterhaltsame Retro- und Minispiele zum Zeitvertreib
Kontra
- gegnerische Angriffe mitunter schwer erkennbar
- mäßig intelligente Gegner und mitunter seltsame Laufwege aller am Kampf Beteiligter
- ...die in tausenden Erklärzeilen vorgebetet werden, anstatt Teil des interaktiven Erlebens zu sein
- etliche Entwicklungen und Aktionen erfordern Freischalten oder Erfüllen zahlreicher Fleißaufgaben
- erzählerisch meist komplett belanglose Nebenmissionen
- starre Umgebung mit vielen Anklickpunkten statt lebendig wirkender Welt
- zäher Einstieg mit lange eingeschränkten spielerischen Möglichkeiten
- keine relevanten Entscheidungen oder anderes Beeinflussen von Spielwelt bzw. Charakteren
- einige Berufe, Ressourcen und mehr sind über Mikrotransaktionen erhältlich
- schrecklich eintöniges Tunnelsystem als Dungeon zum Aufleveln und Sammeln
- einige Areale sind detailarm, spielerisch leer und grafisch tw. hässlich
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Erhältlich sind Pakete mit Berufen, Figuren für ein Minispiel, Boostern, um Fähigkeiten zu steigern sowie Ressourcen, Kostümen und Musikstücken.
- Man kann die Spielzeit über Käufe verkürzen, Pay-to-Shortcut.