Paradise Killer - Test, Adventure, Switch, PC
Keine Sorge: Paradise Killer ist weitaus weniger abstrus, als es zunächst den Anschein hat. Es braucht nur eine Weile, bis man sich vollends in diese eigenwillige Welt hineingedacht hat. Ich bin jedenfalls recht lange ziellos umher geirrt, bis ich Sinn und Spielfluss des Szenarios verinnerlicht hatte. Man muss erst mal verstehen, dass es sich um eine eigenständige Realität handelt, die jenseits der unseren existiert, obwohl sie durchaus mit ihr verbunden sein könnte, dass die Namen von Personen wie Vorgänge oder Beschreibungen einer Berufung klingen, dass die erwähnten Pappaufsteller tatsächlich Charaktere darstellen und dass man den Mordfall theoretisch gar nicht aufklären muss, sondern sofort nach Erhalt der Aufgabe vor den Richter treten und beliebig Schuldzuweisungen aussprechen könnte.
Welcome to paradise!
Ein zentrales Merkmal ist nämlich die große Freiheit, mit der man sich als Love Dies (kurz: LD) frei auf der Insel bewegt, immer mit allen Figuren sprechen und eben jederzeit den Prozess starten kann, der als großes Finale dient. Dialoge und Täter sind dabei immer die gleichen – man entscheidet lediglich darüber, wen man verurteilen möchte. Warum man das macht, bleibt einem komplett selbst überlassen.
Zwiebelmuster
Dem britischen Indie-Studio Kaizen Game Works gelingt es dabei ganz hervorragend die Spannung zu halten, ohne seine Spieler mit einer Flut an Informationen zu überfordern. Ein Grund dafür sind die ausgesprochen gut sortierten Fakten in LDs Computer, genannt Starlight: Sämtliche Hinweise, Spuren, Beteiligte und andere Daten werden dort automatisch so eingetragen, dass man jederzeit den Überblick über die oft miteinander verwobenen Geschehnisse behält.
Ein anderer Grund ist das ständige Vertiefen des Szenarios, dem Kaizen nicht nur eine ins Auge fallende Oberfläche spendiert, sondern vor allem eine faszinierende Mythologie. Nach dem anfänglichen Sprung ins kalte Wasser bin ich den überall ausgelegten Krümeln jedenfalls sehr aufmerksam und höchst interessiert gefolgt. Weil das schrittweise Kennenlernen der Welt wichtig fürs Erlebnis ist, will ich nur nichts vorweg nehmen und lediglich so viel sagen, dass die Entwickler geschickt unsere Wirklichkeit und ihre Legenden nutzen, um eine auch innerhalb der Spielewelt wunderbar eigenständige Realität zu erschaffen.
Akrobatisches Entdecken
Wichtig ist das nicht nur zum Aufspüren von Beweisen, sondern auch zum Auflesen von Blutkristallen, die als Zahlungsmittel zum Freischalten von Schnellreisepunkten sowie der Schnellreise selbst dienen. Es ist seltsam: Denke ich über Paradise Killer nach, müsste das recht profane Hüpfen und Sammeln eigentlich furchtbar langweilig sein. Weil alles Gefundene aber für die Ermittlung von Bedeutung ist, die Mythologie vertieft oder wertvolle Währung bringt, funktioniert es erstaunlich gut. Durch die Freiheit beim Erkunden hat man einfach das Gefühl jedes Indiz durch eigenes Geschick zu entdecken und das ist ein großer Ansporn. Zumal man gelegentlich auch kleine Rätsel lösen muss, um z.B. verschlossene Türen zu öffnen.
Tatsächlich hatte ich lange Zeit so viel Spaß am Hochspringen und Herumstochern, dass ich den farbenfrohen Krimi als Kandidaten für unseren Gold-Award vorgemerkt habe. Ich habe dieses ebenso abstrakte wie lebendige Paradies in vollen Zügen genossen – schon alleine wegen des hervorragenden Soundtracks , den man jederzeit in einem hochklassigen Club auflegen könnte. Doch spätestens nach dem Finale, also der großen Verhandlung, war ich mit einem Mal enttäuscht. Denn dort wird klar, dass Paradise Killer trotz seiner Vorzüge nicht viel mehr ist als die „3D-Version“ einer gut geschriebenen, spielerisch aber sehr überschaubaren Visual Novel.
Absch(l)uss
Dabei geht es mir nicht mal um die Gespräche, in denen man jede Figur im Grunde stets das Gleiche fragt und deren Ausgang man selbst durch Multiple-Choice-Verzweigungen nicht entscheidend lenkt. Das ständige Hin und Her zwischen den Charakteren ist interessant genug, um davon abzulenken. Es geht mir auch nicht um das private Plaudern mit den Verdächtigen, über das man offenbar die Beziehung zu ihnen verbessert, in Wirklichkeit aber nur dafür sorgt, dass sie irgendwann ein, zwei Hinweise preisgeben. Selbst die nahezu anspruchslosen Rätsel ziehen das Erlebnis nicht entscheidend herunter, auch wenn das alles gerne stärker ausgearbeitet sein könnte.
Sammeln statt konstruieren
Man erfährt auch nicht unbedingt, ob man eigentlich richtig lag. Der jeweilige Fall ist mit dem Ausführen des Urteils praktisch gegessen. Das hat natürlich seinen Reiz. Es sorgt aber auch für eine ernüchternde Beliebigkeit. Würde man im Nachgang der Verhandlung wenigstens die Konsequenzen der gefällten Urteile erleben... Das ist überhaupt eine der größten Schwächen: Man lernt die Charaktere nicht wirklich auf einer emotionalen Ebene kennen. Sie erzählen zwar von sich, insgesamt ist das Abarbeiten der immer gleichen Gesprächsoptionen aber zu sehr auf das Abtasten der Faktenlage optimiert. Zumal die Pappaufsteller fast immer an den gleichen Flecken stehen.
Zu allem Überfluss war die große Verhandlung auch noch ein Kinderspiel. Nachdem ich etliche Stunden lang darum bemüht war einen Überblick über alle Handlungsfäden zu bewahren und nach jeder Unterhaltung einen genauen Blick auf die neuen Notizen geworfen hatte (schließlich kann man einstellen, dass sie extra angezeigt werden), fand ich es jedenfalls richtig ermüdend, das alles lediglich noch einmal vorgekaut zu bekommen, spielerisch aber kaum aktiv zu sein.
Mitdenken erwünscht?
Wäre es wenigstens möglich, die verschiedenen Anklagen einzeln zu verhandeln anstatt in einem kompletten Rutsch und hätte sich nach den jeweiligen Verhandlungen die Dynamik unter den Figuren entsprechend den Entscheidungen verschoben – das hätten spannende Ermittlungen sein können! Allermindestens hätte den Entwicklern ein Grund einfallen können, aus dem man nicht endlos viel Zeit zum Beschaffen aller Informationen hat, sodass man abwägen müsste, welche Beweisketten man priorisiert und welche man vielleicht durchs Raster fallen lassen muss. Alleine das hätte den Ermittlungen einen ganz anderen Schwung verliehen.
Fazit
Ich hätte es mir einfach machen und Paradise Killer in einem schnellen Rutsch durchspielen können, um möglichst schnell alle Indizien zusammenzutragen und das Finale zu erleben. Im Grunde wird ja nur das verlangt: laufen, klicken, laufen, klicken und am Ende irgendjemanden beschuldigen, für dessen Schuldspruch man ausreichend viele Beweise gesammelt hat. Die Verurteilung erledigt sich dann von alleine. Das mag im Sinne einer Visual Novel in Ordnung sein, aber warum suggeriert das Spiel dann, man müsse tatsächlich einen Fall aufklären? Stattdessen war ich sowohl spielerisch an der Aufklärung des Mords als auch emotional am Schicksal der Charaktere kaum beteiligt – was mich vor allem deshalb ärgert, weil ich das Erforschen und Kennenlernen dieses eigenwilligen Szenarios sehr genossen habe! Zum einen ist es nämlich ungemein motivierend, durch geschicktes Überlegen und Klettern an wichtige Hinweise sowie interessante Informationen zu gelangen, und zum anderen fand ich es klasse, diese fantasievolle, leicht verstörende Realität mit ihren verqueren Charakteren kennenzulernen. Ständig fügt sich ein Puzzleteil ans andere, während man zu jazzigem Pop durch abstrakte Kunst spaziert. Das hat richtig viel Spaß gemacht und nimmt ja auch den mit Abstand größten Teil der Spielzeit ein, weshalb ich Paradise Killer allen Interessierten, denen bewusst ist, dass sie sich auf eine Art erweiterte Visual Novel einlassen, ans Herz lege. Schade nur, dass die in einem so erschreckend beliebigen Finale endet.
Pro
- sowohl äußerlich als auch erzählerisch faszinierende Welt
- vielschichtiger Krimi mit ständig neuen Facetten
- gutes Aufbereiten aller Informationen im Menü
- komplett eigenständiges Erkunden und Aufspüren von Indizien, dass
- das Lösen kleiner Rätsel und Meistern kniffliger Sprünge erfordert...
- großartiger Soundtrack
- famoses eigenständiges Artdesign
Kontra
- zuweisen der Schuld ist komplett beliebig
- komplett automatisches Formulieren von Beweisketten
- kein Zeit
- oder sonstiger Zugzwang, der zum Setzen von Prioritäten zwingt
- kein emotionales, sondern rein faktisches Kennenlernen aller Verdächtigen
- ... sehr einfach Rätsel verdienen die Bezeichnung kaum
- technische, hauptsächlich grafische Schwächen der Switch-Version
- ausschließlich englische Sprache und Texte
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