Iron Harvest - Test, Taktik & Strategie, PlayStation4, XboxOne, XboxSeriesX, PC, PlayStation5
Iron Harvest spielt in der Welt von 1920+ von Jakub Rozalski (Scythe). In der alternativen Geschichte nach dem großen Krieg kämpfen drei Fraktionen in Europa gegeneinander: Polania, Rusviet und das sächsische Imperium. Alle drei Fraktionen orientieren sich unschwer an realen Vorbildern, haben aber eine große Besonderheit: Sie führen nicht nur die typischen Infanterie-Einheiten ins Feld, sondern setzen auf große Dieselpunk-Kampfroboter, Exoskelette oder Mechs als Panzerersatz - mit einem ebenso einmaligen wie kreativ übertriebenen Design.
Alternative und spannende Welt
Der Kern des Spiels ist eine umfangreiche Einzelspieler-Kampagne mit insgesamt 21 Missionen und passenden cinematischen Zwischensequenzen, in denen man der Reihe nach die drei Faktionen abklappert. Man beginnt mit Polania und muss sich der Reihe durchkämpfen. Andere Fraktionen darf man zu Beginn nicht wählen.
Ein guter Feldzug
Der Feldzug beginnt mit einem Schneeball-Tutorial und spielenden Kindern, das einem die grundlegende Infanterie-Deckungsmechanik à la Company of Heroes beibringt. An der Seite einer "jungen Heldin" begleitet man eine Widerstandsgruppe, in der immer wieder die Kriegshandlungen hinterfragt, das Töten stigmatisiert und Hoffnung geschürt werden. Pseudo-Pathos und einige peinliche Charakter-Momenten gibt es dennoch. Auch in späteren Einsätzen werden in den langen Zwischensequenzen immer wieder die Schattenseiten der Konflikte und die Probleme mit der industrialisierten Kriegsführung und den Massenvernichtungswaffen aufgegriffen.
Diese Geschichte wird anhand von Helden in Zwischensequenzen sowie in Ingame-Kamerafahrten erzählt. Die Cutscenes wirken bemüht und sind weitgehend ordentlich inszeniert, wirken aber im Bereich von Mimik, Gestik und der Haardarstellung (Bärte!) der Charaktere recht rückständig. Bei den Ingame-Videos muss man weitere Abstriche machen, weil die Animationen der mickrigen Soldaten-Modelle viel zu wenig hergeben, da die Klonsoldaten bei mitreißend gemeinten Ansprachen teilnahmslos in der Gegend stehen. Trotzdem ist das Niveau für das Echtzeit-Strategie-Genre gut und die Story verbindet die Kampagnen sinnvoll, was aber primär auf das faszinierende 1920+-Szenario und den stimmigen Soundtrack zurückzuführen ist. Nichtsdestotrotz hätte die Spielwelt sicher noch mehr Stoff hergegeben.
Das Missionsdesign ist um Abwechslung bemüht, wenngleich die Einsätze verhältnismäßig lang sind und mehrstufige Primär-, Sekundär- sowie Herausforderungsziele bieten. Die Missionen können durchaus fordernd und aufgrund von Mehrfronten-Konflikten ziemlich hektisch sein, wobei sich der Schwierigkeitsgrad auf drei Stufen einstellen lässt. Viele Einsätze drehen sich um ein Thema, sei es die Rettung von Unschuldigen oder die hochgradig clevere Nutzung eines Eisenbahngeschützes auf einem Schienennetz. Es gibt auch Helden-zentrierte Missionen, wie eine Schleich-Mission, die jedoch eher nervig in Erinnerung bleibt, da das Stealth-Geschehen nicht gut genug lesbar ist. An die Kreativität der StarCraft-2-Einsätze kommt King Art Games nicht heran, obgleich einige Missionen richtig gut sind.
Kreative Missionsideen
Company of Heroes lite
Auf dem Schlachtfeld orientiert sich Iron Harvest vor allem an Company of Heroes, aber an einer Lite-Version. Infanterie-Soldaten sollten bei Gefechten z.B. in Deckung gehen, was sich immer mal wieder als frickelig erweist (aber besser als in der Demo) und die Computerintelligenz von eigenen und feindlichen Truppen zeigt nicht immer ihre Stärken. Natürlich sollte man versuchen, den Gegner mit Unterdrückungsfeuer festzunageln und ihn dann in die Flanke fallen, aber manchmal spielen die Einheiten nicht mit und wenn sich eigene Truppen und Gegner zusammen an einer Sandsackbarriere treffen, entstehen teilweise absurde Szenen. Manchmal laufen die Gegner an Ressourcen oder Übernahmepunkten vorbei, ignorieren das Missionsziel oder schaffen es, bei Beschuss nicht selbstständig in Deckung zu gehen, während sie dies manchmal von alleine machen. Diese KI-Aussetzer sind vielmehr das Problem und erhöhen das nötige Mikro-Management.
Die Einheiten-Vielfalt der Infanteristen der drei Fraktionen ist ziemlich unspektakulär. Sie können zumindest ihre Waffe austauschen oder Standgeschütze wie Miniguns oder Kanonen nutzen. Erst die Mechs und Kampfläufer bringen die richtige Würze und Wucht in die Gefechte, schließlich lassen sich nahezu alle Objekte auf den Karten mit entsprechender Feuerkraft dynamisch zerstören - und wenn Artillerie, Mörser und Co. einschlagen, bleibt kein Stein auf dem anderen. Die Mechs reißen Gebäude bei bloßen Bewegungen ebenfalls ein. Die Deckungsmöglichkeiten sind auch zerstörbar, weswegen sich viele Infanteristen im Kampf gegen die Maschinen nur auf ihre Schnelligkeit und panzerbrechende Waffen verlassen. Die Zerstörung auf den Schlachtfeldern ist mit das Eindrucksvollste an Iron Harvest - und das ist abermals der knalligen Soundkulisse zu verdanken. Wenn die eisernen Kampfmaschinen über eine etwas bessere Wegfindung verfügen würden, Staus an Engstellen vermeiden und gerne gleich den direkten Weg durch das Gebäude nehmen würden, wärem sie im Einsatz noch stärker.
Maue Infanterie, tolle Mechs, wenig Tiefgang
Enttäuschend sind hingegen Basisbau, Ausbaumöglichkeiten und Taktiktiefe. Das Spiel fokussiert sich auf das Mikro-Management beim Truppenkommando, hektische Mehrfronten-Konflikte und das Auskontern von Einheiten nach dem Schere-Stein-Papier. Das meiste findet an der Front statt. Der Basisbau ist nur rudimentär. Es gibt Hauptquartier, Kaserne, Werkstatt, Bunker, Sandsäcke und das wars. Die meisten Gebäude haben zwei Ausbaustufen. Es gibt keine Möglichkeiten, die Einheiten in einem Techlabor aufzuwerten oder gezielt mit neuen Fertigkeiten zu versorgen, um die eigene Taktik anzupassen. Alles ist sehr rudimentär. Gleiches gilt für das Ressourcen-Management. Stahl und Öl liegen als wertvolle Pickups auf den Karten oder werden von stationären Quellen produziert, sofern man sie erobert hat. Auch Flaggenpunkte für Siegpunkte und ein Einheitenlimit dürfen nicht fehlen.
Übersichtliche Unterschiede
Die Unterschiede zwischen den drei Fraktionen halten sich in Grenzen. Die Infanterie-Einheiten von Polania können die "Mechwarrior" gut nerven, wirken sonst eher technologisch rückständig und günstig. Das sächsische Imperium setzt auf eher langsame Truppen mit viel Feuerkraft und hoher Reichweite, ideal um bestimmte Punkte zu verteidigen. Die Rusviets verfügen über mobilere Einheiten mit viel Feuerkraft, die meist keine große Reichweite haben. Diese Unterschiede kommen, wenn überhaupt, erst in fortgeschrittenen Partien zum Tragen. Mehr Unterschiede bei den generellen Spielstilen wären wünschenswert gewesen, zumal die Einheiten selbst nur über Standard-Funktionen verfügen und die Spezialfähigkeiten der Helden insgesamt zu zaghaft wirken. Das höchste der Gefühle ist, dass die Mechs auf ihrer Rückseite mehr Schaden erhalten und die Einheiten im Kampf an Erfahrung gewinnen und nach Rang-Aufstiegen spürbar stärker werden. Viel mehr Komplexität gibt es leider nicht. Und manchmal wirkt es so, dass die Einheiten eher träge auf Befehle reagieren. Der Rückzug der Infanteristen ist ohnehin zu langsam.
Neben der Kampagne bietet Iron Harvest im momentanen Zustand zu wenig. So gibt es nur sechs Karten für Gefechte gegen KI oder andere Spieler, drei Herausforderungskarten und einen Multiplayer-Modus mit Quickplay und eigenen Matches. Der versprochen Koop-Modus für die Kampagne soll später im September folgen. Ebenso nachgeschoben werden neue Karten, der Start der Ranglisten-Saison, der Kodex als Glossar und die Auto-Cast-Funktion für Spezialfähigkeiten, was schon der Verdacht weckt, dass das Spiel zu früh auf den Markt gebracht wurde. Die verschobene Veröffentlichung im Epic Games Store untermalt dies ebenfalls. Zumal die Kommunikation seitens Entwickler und Publisher besser sein könnte, da das Spiel auf Steam mit dem Koop-Modus beworben wird, ohne diesen aktuell zu bieten - und die Bekanntgabe der September-Roadmap ließ ebenso mehrere Tage auf sich warten.
Abseits der Kampagne
Fazit
Mit Iron Harvest gibt es nach langer Durchstrecke endlich wieder gute Echtzeit-Strategie - dank des hervorragenden 1920+-Szenarios, einer vorbildlichen Story-Kampagne mit leichten Abstrichen und guten Missionen. An den Infanterie-Gefechten hatte ich nicht so viel Freude, u.a. wegen der mauen Standard-Truppen und dem nicht immer treffsicheren Deckungssystem. Erst wenn die eisernen Kampfmaschinen auf das Schlachtfeld stampfen, zeigt Iron Harvest seine Stärken, da insbesondere das dynamische Zerstörungssystem für mächtig Wumms sorgt. Wenn jetzt noch die Wegfindung etwas besser wäre und sich die Fraktionen stärker unterscheiden würden! Zumal das grundlegende Kampfsystem à la Company of Heroes Lite ohnehin mehr taktische Komplexität vertragen könnte. Abseits der Kampagne zeigt sich Iron Harvest ausbaubar, da es zu wenige Karten gibt und mehrere Inhalte (Koop, Kodex etc.) nachgeschoben werden. Für Solo-Strategen, die wenig Wert auf Basisbau legen, ist das Spiel mit seiner Kampagne gerade noch eine gute Partie.
Pro
- hervorragendes Szenario (1920 )
- gute Story-Kampagne
- dynamische Zerstörung auf dem Schlachtfeld
- wuchtige und kreative Kampfmaschinen
- Story-Prämisse und nachdenkliche Ansätze
- um Abwechslung bemühte Missionen
- lange Einsätze mit mehreren Zielen
- Einheiten gewinnen an Erfahrung
- ordentliche Inszenierung der Geschichte
- stimmiger Soundtrack und wuchtige Soundkulisse
- drei Schwierigkeitsgrade
- viele sinnvolle Spieloptionen
- Mech-Design
Kontra
- überschaubare taktische Komplexität
- inkonsistentes KI-Verhalten und Aussetzer
- kaum Basisbau und Upgrades; wenig Spezialaktionen
- Wegfindungsmacken und Mechstau
- Mimik, Gestik, Haare, Bärte in Zwischensequenzen
- Animationen der Infanterie in Ingame-Cutscenes
- zu wenig Karten (Gefecht, Multiplayer)
- Koop-Modus, Kodex, Ranked werden nachgeschoben
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Die Deluxe Edition wird eine Mini-Kampagne und ein großes Add-on umfassen.
- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.