The Suicide of Rachel Foster - Test, Adventure, PC, Switch, XboxOne, PlayStation4

The Suicide of Rachel Foster
14.09.2020, Matthias Schmid

Test: The Suicide of Rachel Foster

Welcome to Hotel Montana

Im Spannungsfeld zwischen Stephen Kings Shining, Kojimas P.T. und Campo Santos Firewatch: The Suicide of Rachel Foster (ab 14,44€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) fasziniert mit stimmungsvoller Kulisse, intensiven Gesprächen und großartiger Beleuchtung. Auf PC hat uns der Aufenthalt im eingeschneiten Berghotel überzeugt - aber wie schlägt sich der Ego-Thriller auf Konsolen?

Nach dem Tod ihrer Eltern steht Nicole eine unangenehme Aufgabe bevor: Dem letzten Wunsch ihrer Mutter entsprechend, soll sie das verlassene Hotel ihrer Eltern veräußern und den Erlös der Familie von Rachel Foster zukommen lassen. Jener Schulkameradin, die sich vor zehn Jahren das Leben nahm, nachdem eine Affäre zwischen ihr und Nicoles Vater aufgeflogen war. Nicole und ihre Mutter hatten das Hotel damals in großer Eile verlassen. Nur der Vater war im abgeschiedenen Timberline Hotel geblieben und hatte inmitten von Bücherstapeln gebrütet, ob Rachel zum Zeitpunkt ihres Selbstmordes wirklich schwanger gewesen war. Und was dran war an den Gerüchten, dass sie an diesem Tag vielleicht doch nicht ums Leben gekommen ist…


Familiendrama

An einem stürmischen Winternachmittag des Jahres 1993 kehrt Nicole ins Timberline zurück, lenkt ihren Wagen über die schon schneebedeckten Passstraßen von Montana - jenem dünn besiedelten Bundesstaat an der kanadischen Grenze. Dort angekommen beginne ich, in Ego-Sicht das Hotel zu erkunden: Ist es gruselig? Nein, noch nicht - aber sehr stimmungsvoll. Von der düsteren Garage gelange ich zunächst in einen kleinen Museumsraum, mit alten Skiern und Berg-Diorama. Dann geht es weiter ins verwaiste Büro von Nicoles Vater, ich höre den Anrufbeantworter ab. Der Anwalt, der Nicole bei Abwicklung des Hotelverkaufs helfen soll, hat eine Nachricht hinterlassen - natürlich verspätet er sich, teilt mir aber immerhin mit, wo ich den Generalschlüssel finde.

Als Kind hat Spielfigur Nicole in dieser Wohnung im Westflügel des Hotels gelebt - als sie zurückkehrt, werden viele Erinnerungen wach.
In den einstigen Familienräumen, die sich innerhalb des Hotels befinden, wird Nicole so sehr von ihrer Vergangenheit eingeholt wie das nur irgend möglich ist: Ihr Vater hat ihr Jugendzimmer im Originalzustand konserviert - irgendwie heimelig, aber auch schräg. Wenig später die nächste schlechte Nachricht: Das Telefon klingelt, der nette Herr am anderen Ende stellt sich als Irving Crawford vor, Mitarbeiter der örtlichen Federal Emergency Management Agency. Der Schneesturm werde zunehmend schlimmer, er rät Nicole davon ab, heute noch das Hotel per Auto zu verlassen. Sturkopf Nicole will das nicht hören - sie möchte so rasch wie möglich dieses ungeliebte Kapitel ihrer Vergangenheit abschließen. Jetzt, wo sich auch noch der Anwalt-Typ verspätet, kann ihr das ganze Unterfangen gestohlen bleiben...

Zurück im Kinderzimmer

Doch zurück in der Garage ist der Autoschlüssel weg: Hat sie ihn verlegt? Ein blöder Zufall? Oder ist das Hotel doch nicht so verlassen wie gedacht? Tausend Gedanken schießen ihr durch den Kopf. Doch der freundliche Irving am anderen Ende der Leitung beruhigt sie: Stromnetz und Heizung seien trotz des Alters des Hotels in gutem Zustand, Dosenfutter für mehrere Wochen sei vorhanden, außerdem stehe er der eingeschneiten Nicole jederzeit mit Rat zur Seite. Sie kann die helfende Stimme fortan sogar bei ihren Erkundungsgängen durchs Hotel mitnehmen - übrigens ähnelt das Telefon, das sie nutzt, frappierend dem Motorola DynaTac, einem einst 4.000 Dollar teuren Stück Technik, das auf dem US-Markt ab 1983 langsam das Mobilfunk-Zeitalter einläutete.

In den folgenden Stunden entspinnt sich eine zarte Beziehung zwischen Nicole und dem Mann am anderen Ende der Leitung. Und der Spieler fühlt sich stark an Firewatch erinnert, jenem erzählerischen Glanzstück von Entwickler Campo Santo. Und wie dort Henry und Delilah Funkkonkakt halten und langsam Einblick in ihre Leben gewähren, so erfährt man auch in The Suicide of Rachel Foster immer mehr von dem, was einst Dramatisches in Hotel und Kleinstadt geschah. Wie Nicole ihre Schulkameradin wahrnahm, wie die Lokalpresse auf den Fall reagierte, was Nicoles Vater nach der Abreise von Frau und Tochter unternahm. Die Gespräche sind dabei angenehm abwechslungsreich - mal ist Nicole zynisch oder verschlossen, ein ander Mal plaudert sie mit Irving wie mit einem alten Freund.



Firewatch Hotel?

Obgleich das Spiel auf Schockmomente verzichtet, ist es weniger subtil als Firewatch, die Dialogregie wirkt nicht ganz so feinsinnig und durchdacht. Nicoles Antworten, die man als Spieler auswählt, haben zwar Einfluss auf die Gespräche - echte Konsequenzen ergeben sich daraus aber nicht. Außerdem finde ich es schade, dass ich, von wenigen Momenten abgesehen, nicht selbst die Initiative zum Telefongespräch ergreifen kann - Nicole ruft, wenn in einem Raum etwas passiert ist, automatisch an oder wird angerufen.

Manche Türen sind anfangs noch verschlossen - mal schauen, ob ihr im Spielverlauf auch in diesen Korridor kommt...
Der Schauplatz Timberline Hotel selbst ist viel weitläufiger als man in den ersten Spielminuten denkt: Es gibt einen abgesperrten, weil baufälligen Flügel, endlose Kellerkorridore, Speise- und Ballsaal und natürlich viele Standard-Hotelzimmer - Nicole darf zwar nicht jeden Raum inspizieren, während der vier bis fünf Spielstunden fühlt sich die Größe des Anwesens aber genau richtig an. Per Zoom-Funktion kann ich alles komfortabel anschauen, einige Gegenstände wie Dokumente, Bücher, Putzmittel oder Werkzeuge nimmt Nicole auf Knopfdruck zur genaueren Inspektion in die Hand. Außerdem findet man im Spielverlauf Polaroidkamera, Taschenlampe und Mikrofon - mit diesen Utensilien ausgestattet, kann Nicole ihre Umgebung gründlicher untersuchen. Was wohl unter den Zwischenböden und hinter der zugestellten Kellertür verborgen ist?

Bleibt noch der eingangs gezogene Vergleich mit P.T., jener mittlerweile legendären Demo für Hideo Kojimas eingestelltes Horror-Projekt Silent Hills: In mancher Hinsicht ähnelt The Suicide of Rachel Foster nämlich auch dieser. Die langen Hotelflure, die vielen Türen, die Gegenstände auf Tischen, deren Begutachtung sich lohnt. Vor allem aber ist es die hervorragende, realistische wirkende Beleuchtung, die mich an P.T. erinnert hat. Die Blooming-Effekte der Lampen oder des Schneesturms außerhalb der Hotelfenster sind großartig, dazu gesellt sich ein geschicktes Spiel mit der Tiefenschärfe.



Silent Hotel? 

Ordentliche Texturen, aber mega Beleuchtung: Schummrig beleuchtete Innenräume treffen auf vom Schnee reflektiertes Tageslicht von draußen - das sorgt für eine tolle Lichtstimmung.
Ja, The Suicide of Rachel Foster ist einer dieser "Walking Simulatoren", quasi ein Wanderspiel innerhalb eines Hotels: ohne Action-Einlagen und ohne Adventure-Rätsel. Ab und zu muss ich einen Raum akribisch unter die Lupe nehmen oder bei der Suche nach einer versteckten Tür Gespür beweisen - Kopfnüsse erwarten Nicole im Timberline Hotel aber keine. Die niedrige Spielgeschwindigkeit und der in der ersten Hälfte träge Spielfluss tragen zur eigentümlichen Atmosphäre bei, was ungeduldigen Naturen sauer aufstoßen könnte. Andererseits fühlt es sich auch ehrlich und realistisch an, dass man sich bei der der Suche nach einem Gegenstand erstmal aufgeschmissen fühlt - schließlich war Nicole zehn lange Jahre nicht in den Räumlichkeiten.

Beide Konsolenversionen (PS4 und Xbox One) geben keinen Anlass zur Beanstandung - das Spiel sieht so ansprechend aus wie die PC-Fassung, lenkt sich ähnlich schnörkellos und läuft technisch sauber.

Fazit

Weil die Geschichte und vor allem, wie sie ausgeht, das A und O von The Suicide of Rachel Foster ist, verzichte ich auf weitere Details zum Fortgang der Story. Keine Sorge, die im Haupttext geschilderten, konkreten Ereignisse stellen die Ausgangssituation im Spiel dar oder passieren in den ersten zwanzig Minuten. Mir hat der Titel tatsächlich richtig gut gefallen: Der Schauplatz ist angenehm verwinkelt, aber doch so abgeschlossen, dass ich mich am Ende super zurechtfand. Der realistische Look von Tischen, Teppichen, Fluren, Tresen, Vorhängen & Co. trägt viel zur greifbaren Atmosphäre bei. Das Spiel ist nicht wirklich angsteinflößend - unheimlich und verlassen wirkt die Herberge, welche nicht zufällig an das legendäre Overlook-Hotel aus Shining erinnert, aber durchaus. Das Prunkstück sind unterm Strich aber die intensiven Gespräche von Nicole und Irving, die das ausgestorbene Hotel mit Leben zu füllen vermögen. Da verzeihe ich auch die paar Situationen, an denen ich nicht recht wusste, wo es weitergeht und ein, zwei zu offensichtliche Story-Entwicklungen. Wer Firewatch, den PC- und Xbox-360-Grusel Anna oder auch What Remains Of Edith Finch mochte, der sollte diesem Mystery-Krimi eine Chance geben. Auch auf den Konsolen von Sony und Microsoft, denn technisch ist das Spiel hier ebenso sauber wie auf dem Rechner.

Pro

  • einzigartige Stimmung im Hotel
  • interessante Geschichte und Personen
  • stark geschriebene Dialoge
  • gut englische Sprecher und deutsche Texte
  • alternatives Ende
  • handbetriebene Taschenlampe
  • läuft auch auf Konsole sauber
  • super Beleuchtung mit top Blooming- & Unschärfe-Effekten

Kontra

  • keine deutsche Synchro wählbar
  • manchmal ist es unklar, wo es weitergeht
  • Dialog-Optionen haben keine spielerischen Folgen
  • geringer Wiederspiel-Anreiz trotz des alternativen Endes
  • man kann nicht selbst zum Telefon greifen

Wertung

XboxOne

Mystery-Krimi in verlassenem Hotel: Interessante Charaktere und spannende Dialoge machen das Ego-Adventure zum Geheimtipp - auch auf Konsole.

PlayStation4

Mystery-Krimi in verlassenem Hotel: Interessante Charaktere und spannende Dialoge machen das Ego-Adventure zum Geheimtipp - auch auf Konsole.

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Kommentare
No Cars Go

Spoiler
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Nur dass ich hier natürlich weiß, dass mich keinerlei Feinde oder Munitionsknappheit erwarten werden, sondern ausschließlich die grundsätzliche Atmosphäre.
Das solltest du vielleicht auch in Spoiler-Tags setzen. Denn so klar ist das nicht unbedingt und es trägt in meinen Augen auch stark zur Atmosphäre bei, wenn man das nicht weiß.
Spoiler
Show
Bei einem anderen Spiel war es genau umgekehrt. Da dachte man die meiste Zeit, einen einfachen Walking-Sim mit Rätselelementen vor sich zu haben, bis einen dann der Endgegner verfolgte und töten konnte. Das hatte ich hier auch im Hinterkopf, weshalb es für mich alles andere als klar war, dass da nicht doch irgendwo eine echte Gefahr lauern könnte. Ich danke dem anderen Spiel insofern auch dafür, mir diese Angst gegeben zu haben, sodass ich nicht einfach denke "ach, ist ja nur ein Walking-Sim, da kann ja nichts passieren".
Leute, die so eine Angst vor Spoilern haben, dass sie weder Trailer schauen noch auch nur im Vorfeld in Erfahrung bringen, welchem Genre das Spiel zuzählt, das sie da kaufen, werden dann auch nicht hier im Forum lesen, oder?
Das erscheint mir schon extrem unwahrscheinlich. Wer kauft sich denn Age of Empires, um sich davon überraschen zu lassen, zu welchem Genre dieser Titel wohl beiträgt und ob es nicht nach 60 % der Spielzeit noch in einen Ego-Shooter umschlägt? Wandersimulatoren polarisieren so sehr, da wird schon jeder wissen mittlerweise, worauf er sich ganz grundsätzlich einlässt.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
CritsJumper

4h ?! Ach schade, hab eben an gefangen. Dann lasse ich mir Zeit!

vor 4 Jahren
Ryo Hazuki

Okay bin durch am Stück 4h, war schon eine interessante Erfahrung. Jedoch eher ein nachdenkliches Spiel für mich, wie Last of Us Part 2 auch etwas ungemütlich an einigen Stellen.

vor 4 Jahren
VaniKa

Spoiler
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Nur dass ich hier natürlich weiß, dass mich keinerlei Feinde oder Munitionsknappheit erwarten werden, sondern ausschließlich die grundsätzliche Atmosphäre.
Das solltest du vielleicht auch in Spoiler-Tags setzen. Denn so klar ist das nicht unbedingt und es trägt in meinen Augen auch stark zur Atmosphäre bei, wenn man das nicht weiß.
Spoiler
Show
Bei einem anderen Spiel war es genau umgekehrt. Da dachte man die meiste Zeit, einen einfachen Walking-Sim mit Rätselelementen vor sich zu haben, bis einen dann der Endgegner verfolgte und töten konnte. Das hatte ich hier auch im Hinterkopf, weshalb es für mich alles andere als klar war, dass da nicht doch irgendwo eine echte Gefahr lauern könnte. Ich danke dem anderen Spiel insofern auch dafür, mir diese Angst gegeben zu haben, sodass ich nicht einfach denke "ach, ist ja nur ein Walking-Sim, da kann ja nichts passieren".

vor 4 Jahren
No Cars Go

Mich erinnert es an Gone Home und das fand ich in Gegensatz zu Firewatch und What remains of Edith Finch nicht so toll.
Ich spiele es aktuell und bin fast durch. Es trifft ziemlich genau die Mitte zwischen Gone Home und Firewatch, ohne ganz deren Klasse zu erreichen. Ist aber immer noch locker eine 7/10 für mich.
Wenn ich so durch die Korridore und Kellertreppen stakse, bin ich regelmäßig auch unweigerlich an das Herrenhaus aus Resident Evil 7 erinnert. Nur dass ich hier natürlich weiß, dass mich keinerlei Feinde oder Munitionsknappheit erwarten werden, sondern ausschließlich die grundsätzliche Atmosphäre.
Spoiler
Show
Gruselfaktor liegt nach meinem Dafürhalten (und mich beeindruckt in dem Bereich zB das erste Silent Hill bis heute) allenfalls bei einer 3/10. Ist definitiv locker noch geeignet für eine Kinder-Halloween-Party. FSK irgendwo zwischen 6 und 12.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren