Neo Geo MVS X - Test, Hardware, Spielkultur

Neo Geo MVS X
08.12.2020, Matthias Schmid

Test: Neo Geo MVS X

Spielhalle. Zu Hause.

500 Euro teuer, 13 Kilo schwer, 50 installierte Neo-Geo-Hits: Für Retro-Enthusiasten klingt das Neo Geo MVS X wie ein feuchter Arcade-Traum. Wir haben den Mini-Spielautomaten auf Herz und Nieren getestet und verraten, ob das Gerät sein Geld wert ist.

Stolze 70 x 57 x 47 Zentimeter misst der wuchtige Karton, in dem das Neo Geo MVS X geliefert wird - da sehen selbst die stattlichen Boxen von PS5 und Xbox Series X im Vergleich mickrig aus. Befreit man den roten Arcade-Automat von circa zwei Kilo Kartonagen, bleiben immer noch gut 13 Kilo Hardware übrig. Die verteilen sich auf: ein Holzgehäuse (64 x 50 x 40 cm), einen 17-Zoll-TFT-LCD (4:3-Format, 43 cm Diagonale, Auflösung: 1280 x 1024), zwei Arcadesticks, zwei volle Sechs-Buttons-Layouts (obwohl eigentlich nur vier benutzt werden), vier Knöpfe für Credits, Menü und Start, dazu ein Drehregler für die Lautstärke-Regelung der ordentlichen Stereo-Lautsprecher. An der Rückseite des Geräts sitzen der Eingang für den Stromstecker (mit kleinem externen Netzteil), ein USB-Port (Typ A) für künftige Patches (und vermutlich Jailbreaks) sowie der Power-Button.

Dickes Paket

Macht was her im Wohn- oder Daddelzimmer: Das bedruckte und beleuchtete Marquee des MVS X.
Schaltet man das Neo Geo MVS X an, leuchtet das mit vier Spielelogos (Metal Slug 3, Garou: Mark of the Wolves, Samurai Shodown 2, The King of Fighters '98) bedruckte Marquee - so nennt der Arcade-Kenner die Leiste über dem Bildschirm - einladend auf. Nach kurzer Ladezeit erscheint das MVS X Logo - und erinnert Retrofans natürlich sofort an SNKs legendäres Spielhallensystem MVS, das Multi Video System. Mit diesem Austausch-Konzept, durch das Arcade-Betreiber verhältnismäßig günstig die Spiele in ihren Automaten tauschen konnten, gelang dem japanischen Soft- und Hardware-Hersteller SNK Anfang der 1990er der große Durchbruch. Der Clou: Die Hardware-Power war identisch zur Heim-Variante AES (Advanced Entertainment System) - dadurch war es erstmals möglich, Arcade-Perlen in perfekter Qualität zuhause erleben zu können. Wegen der extrem hohen Spielepreise und bescheidener Vertriebsstrukturen in Europa eroberte das Neo Geo AES jedoch nie den Massenmarkt und blieb stattdessen ein Luxusspielzeug betuchter Zocker und ausgemachter Prügelspiel-Fans. Mittlerweile sind die einstigen Objekte der Begierde, die farbenfroh gepixelten 2D-Hits, über diverse Kanäle in perfekter Qualität spielbar - zunächst als japanische NTSC-Spiele für PS2, dann über die Virtual Console der Wii und heute entweder auf Spezialgeräten (Neo Geo Mini, Neo Geo Arcade Stick Pro) oder in Form von unzähligen Download-Titeln in allen Digital-Shops.

In angeschaltetem Zustand leuchtet das Marquee oben hell, unten seht ihr die kompletten Sticks und Buttons für zwei Spieler.
50 alte Titel sind auf dem Gerät vorinstalliert und wollen, alleine oder zu zweit, mit unendlich Credits (schöner Credit-„Nachwurf“ per Button) gedaddelt werden - wahlweise jeweils in der MVS- oder AES-Version; bei wenigen Titeln kann Blut an- und ausgeschaltet werden. So umfassenden Zugriff auf die Einstellungen (z.B. Schwierigkeit) wie die Titel der ACA-Neo-Geo-Reihe bietet das MVS X aber nicht. Die 50 Spiele sind ziemlich prügellastig und teilen sich wie folgt auf: zehn Mal The King of Fighters (94-2003), sechs Mal Samurai Shodown (Teil 1-6), acht Mal Fatal Fury (inkl. Garou: Mark of the Wolves), vier mal World Heroes (1,2, 2 Jet, Perfect), zwei Mal Art of Fighting (1,3), zwei Mal Last Blade (1,2), dazu Savage Reign und Kizuna Encounter. Soll heißen: 34 mal wird klassisch in Versus-Manier gekämpft. Die restlichen 16 Titel verteilen sich auf einen starken Metal-Slug-Block (1,2,X,3,4,5), die drei Sidescroll-Klopper der Sengoku-Reihe, die Actiontitel Magician Lord und Shock Troopers sowie fünf Sportspiele (Super Sidekicks, Top Player's Golf, 3 Count Bout, Baseball Stars Professional, Football Frenzy).

50 mal Arcade-Spaß

Das ist fraglos eine stattliche wie hochwertige Auswahl - die sich auch in etlichen Titeln angenehm von der Software-Palette des Neo Geo Mini oder des Neo Geo Arcade Stick Pro unterscheidet. Allerdings ist mir das Gebotene angesichts des Preises von 500 Euro (dazu später mehr) nicht genug, schließlich gibt es knapp 150 MVS-Spiele: Ich vermisse weitere Fußball- oder Basketball-Titel, dazu arcadige Rally-Rasereien oder kultige Klassiker wie Windjammers, Top Hunter, NAM 1975 oder Puzzle Bobble. Auch freakige Exoten wie Zupapa!, The Super Spy, Mutation Nation oder Ganryu hätte ich gerne mal wieder gezockt. Und schließlich ist die Shoot’em-Up-Fraktion um Viewpoint, Blazing Star, Ironclad und Last Resort komplett abwesend - ein Unding!

Einstellungsmöglichkeiten gibt es nur wenige - am wichtigsten ist die pixelgenaue Skalierung, damit sehen die Spiele sensationell aus.
In Zusammenarbeit mit dem koreanischen Arcadebauer Unico hat SNK ein handwerklich überzeugendes Gerät auf die Beine gestellt: Das MVS X ist schwer, sauber verarbeitet, hat gummierte Füße und beleuchtete Elemente. Die Sticks und Buttons sind ordentlich und erinnern tatsächlich an viele Arcade-Kabinetts der 1990er, die ich im Italienurlaub selbst beackert habe - allerdings können sie nicht mit der Wertigkeit von Top-Komponenten (wie z.B. von Sanwa) mithalten; und die Sticks klicken auch nicht so angenehm. Das System-Menü ist überschaubar und wurde lausig ins Deutsche übersetzt - allerdings ist das höchstens peinlich, aber kein echter Makel. Neben der Sprache und der Wahl, ob man MVS- oder AES-Version zockt, ist nur die unter „Spielqualität“ verborgene Einstellung wichtig: „Pixelskalierung“ sorgt für ein perfekt pixeliges Bild, „Pixelscanlinie“ kann sich mit seinen Scanlines ebenfalls sehen lassen; die anderen Modi wie „Glattskalierung“ plus drei weitere leiden unter einem unsäglichen Absoftungseffekt, der Kennern der Originale die Tränen in die Augen treibt - Finger weg! Im Hauptmenü sind alle Spiele mit Hülle abgebildet, nach der Auswahl und einer kurzen Ladezeit von unter zehn Sekunden ist man im pausier- und speicherbaren Spiel; sämtliche Titel sind klasse emuliert und laufen so sauber wie auf der Original-Hardware; Abstürze oder ähnliches habe ich nicht erlebt.

Software & Preis

Dickes Ding: Wer sich das unter den Baum stellt, braucht eine stattliche Nordmann-Tanne.
Im Shop auf der Webseite von SNK kostet das MVS X, das seit Ende November offiziell erhältlich ist, 500 US-Dollar plus 75 Dollar Versand nach Deutschland - beim aktuellen Wechselkurs landet man damit am Ende bei gut 475 Euro (ohne Zollgebühren und Einfuhrumsatzsteuer). Für 100 Dollar extra kann ein circa 80 cm hoher Standfuß mitbestellt werden, damit man das Teil im Stehen daddeln kann - auf einem Tisch macht sich das Teil meiner Erfahrung nach aber ebenso gut. Wer nicht direkt in Übersee bestellen will, kann dies auch beim deutschen Vertriebspartner Worldwide Distribution tun - für das Gerät plus Versand werden dort 599 Euro fällig.

Fazit

Happiger Preis, diverse Lücken in der Software-Palette sowie nur ordentliche Sticks und Buttons. Und trotzdem ist das Gerät für mich ein echter Gewinner. Warum, das möchte ich ausführen: Das Spielgefühl, das mir das Neo Geo MVS X beschert, ist so wunderbar nah am feuchten Spielhallentraum der 1990er wie keine andere Hardware bisher. Ich besitze den Neo Geo Arcade Stick Pro vom letzten Jahr, ebenso das Neo Geo Mini und die coole Capcom Home Arcade, zudem zocke ich leidenschaftlich diverse Arcade-Archives- und ACA-NeoGeo-Titel per hochwertigem Arcade-Stick auf dem heimischen 65-Zoll-TV. Aber keine dieser Lösungen kommt dem Spielhallen-Original so nahe - beim MVS X faszinieren mich die Nähe zum guten Bildschirm, während man zockt, dazu die Lautstärke-Regelung per hochwertigem Drehregler und die wuchtige Präsenz des Geräts. Komfort-Funktionen wie Speicherstände und solide Filter-Einstellungen sowie hübsche Details wie das bedruckte Marquee und der Fake-Münzeinwurf runden den guten Gesamteindruck ab. Und natürlich spielt es auch eine Rolle, dass viele großartige Games, allen voran Garou, Metal Slug oder KoF '98 am Start sind...

Wertung

Spielkultur

Grandioses Arcade-Feeling fürs Wohnzimmer: Wer 500 Euro übrig hat, erfüllt sich einen Retro-Traum - allerdings könnten die installierten Neo-Geo-Hits zahlreicher und die verbauten Komponenten hochwertiger sein.

Kommentare
Scour1

Dachte mir auch als erstes wie das Ding mit 2 Spielern funktionieren soll.

vor 3 Jahren
Chwanzus Longus

Werd das Gefuehl nicht los, dass bei playmore noch so ein ding, Volume 2 mit dem Rest der fehlenden Spiele veröffentlichen wird...

vor 3 Jahren
Ploksitural

es reizt schon sehr, aber die Spieleauswahl ist (für mich!) leider nicht so berauschend.

vor 3 Jahren
Chwanzus Longus

Danke fuer die antwort. Also, irgendwie erinnert mich das Ding an ne gummipuppe ohne beine...

vor 3 Jahren
HellToKitty

Wie gross wirkt denn der Bildschirm und wie? So wie damals bei den original automaten? Sieht auf den Bildern vor allem an den Seiten abgeschnitten und klein aus. Und ich glaube die Bildschirme lagen damals auch schräger drin, oder? Die fehlenden Spiele wird man sicher nachkaufen oder reinhacken koennen.
Das MSV X ist etwas kleiner als das original Cabinet. Der Monitor wurde von einem schmalen schwarzen Bezel (Rand/Rahmen) umrahmt, war relativ aufrecht angebracht und hat fast die komplette Breite ausgefüllt. Vor dem Monitor war nochmal eine Glasscheibe.

Ansonsten gab es natürlich auch andere Automaten wo die Monitore mitunter sehr schräg angebracht wurden und natürlich Cocktailtables wo der Monitor flach wie auf einem Tisch lag. Moon Patrol kenne ich so.

Sehr geil - Punta Sabbioni, das sind nur 5km Luftline zum Camping Mediterraneo, wo mein kleiner Arcade-Himmel war. War so circa in den Jahren 1990 bis 1998 sehr oft da. Vielleicht sind wir uns in den Spielhallen von Jesolo ja mal über den Weg gelaufen
Die Welt ist klein. In Jesolo war ich auch öfters. Kann also gut sein, dass wir uns übern Weg gelaufen sind. Ich hab die Jahre 1985 - 1995 mitgenommen.

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren