Empire of Sin - Test, Taktik & Strategie, XboxOne, PlayStation4, PC, Mac, Switch
Das ist doch mal was: Offenbar ist John Romeros Familie Teil des Spiels. Denn als seine Frau und federführende Entwicklerin verschiedene Mafiabosse als spielbare Figuren einführte, wurde Johns Großmutter eine davon . Ihr gehörten nämlich tatsächlich Bars und Bordelle – wenn auch in Mexiko. Doch das reicht, um ein mit Geschichten um Al Capone und anderen Legenden angereichertes Szenario zu besetzen. Ein Szenario zur Zeit der US-amerikanischen Prohibition, in den Zwanziger Jahren des damaligen Chicagos.
Familienangelegenheiten
Man wählt also einen von zahlreichen Bossen, die alle über verschiedene Eigenschaften verfügen. Der eine zahlt weniger für den Unterhalt von Bordellen, die andere beim Aufbau von Casinos. Sie alle verfügen außerdem über einen diplomatischen Vorteil, wenn es um die Beziehungen mit anderen Familien geht, sowie eine besondere Fähigkeit im Rundenkampf. Das kann ein starker Nahkampfangriff sein oder das Attackieren mehrerer Gegner mit nur einem Zug.
Und dann beginnt der Wettlauf um Kneipen, Brauereien, Casinos und mehr. Denn darum geht es: die meisten davon zu besitzen, um die anderen Familien aus der Stadt zu treiben bzw. unter ihrem Pflaster zu begraben. Dazu müssen die Lokalitäten erfolgreich sein, denn ihr Unterhalt kostet ebenso Geld wie das Bezahlen der dort stationierten Wachen und der Lohn von Mitstreitern, die gemeinsam mit dem Boss in den Kampf ziehen. Schon das Anheuern neuer Kämpfer kostet einen stattlichen Betrag – ist aber wichtig, um irgendwann auch starke Kontrahenten und ihren Personenschutz zu besiegen.
Was wird ausgeschenkt?
Auch Waffenstillstände handelt man selbst aus oder nachdem ein anderer Boss an den grünen Tisch ruft. Man schließt Handelsabkommen, bittet um Unterstützung in Bandenkriegen gegen andere Familien oder kommt dem entsprechenden Aufruf eines Verbündeten nach. Beziehungen sind wichtig und entscheiden darüber, ob man das eigene Imperium friedlich aufbaut oder einfach die Bars und Bordelle anderer Bosse angreift. Die könnte man anschließend immerhin übernehmen, zerstören oder schlicht ausrauben. Und wer es sich bei alldem mit der Staatsmacht verscherzt, kann sogar die Polizei bestechen, um auch dort für gute Beziehungen zu sorgen.
So weit, so gut. Die Idee, das Szenario und die grundlegenden Mechanismen sind klasse, zumal Romero auch das rundentaktische Verschieben so souverän inszeniert, wie man es von einem XCOM sehr ähnlichen Spiel erwartet. Man führt auch hier pro Zug und Charakter maximal zwei Aktionen aus, von denen die erste das Bewegen, die letzte aber stets das Ausführen einer Aktion ist. Man wechselt zwischen Primär- und Sekundärwaffe, lädt nach, heilt Mitstreiter und lässt die Kämpfer per Overwatch automatisch schießen, falls sich ein Feind während seines Zugs in ihr Blickfeld verläuft.
Immer auf der Hut
Hinzu kommen der Einsatz von Granaten oder Erste-Hilfe-Taschen sowie besondere Fähigkeiten, mit denen die Kämpfer starke Nahkampfattacken ausführen, sich und andere auch ohne Verbandstasche heilen oder Explosionen nahezu unbeschadet überstehen. Ähnlich wie der XCOM-Ableger Chimera Squad entscheidet dabei eine Charaktereigenschaft über die Reihenfolge, mit der Freund und Feind am Zug sind.
Nicht zuletzt erhält man durch Handel, auf dem Schwarzmarkt sowie als Beute nach gewonnenen Gefechten Waffen und Ausrüstung, die man seinen Kämpfern eigenhändig zuteilt. Und je länger sie Teil der Familie sind, desto mehr Fähigkeiten erlernen sie. Pro Levelaufstieg entscheidet man sich dann auch hier, welche von zwei oder drei Fertigkeiten man ihnen beibringt. Sie steigen sogar in der Hierarchie auf und machen einzelne Viertel ertragreicher, wenn man sie dort als Lieutenant an den Schreibtisch versetzt, oder infiltrieren gegnerische Familien, um Geld zu stehlen oder gar den Boss zu ermorden.
Es kann jederzeit geschehen
Gleichzeitig kommt es deshalb freilich vor, dass man ohne besondere Lust auf einen Bleiwechsel genau dort „spazieren“ geht, wo sich zwei verfeindete Fraktionen gegenseitig vor die Flinte laufen. Überhaupt werden alle an Ort und Stelle befindlichen Figuren immer in die Kämpfe einbezogen. Gut ist das, wenn sich das stark bewachte Casino eines Verbündeten gleich auf der anderen Straßenseite befindet. Weniger praktisch ist es, falls die Polizei ausgerechnet in diesem Augenblick dort patrouilliert. Zu bedenken gilt es außerdem, dass Bosse, mit denen man sich im Krieg befindet, jederzeit eine oder gar mehrere Lokalitäten angreifen könnten, wo dann nur das meist schwache Personal Wache schiebt...
Anstrengendes Dauerfeuer
Nehmt z.B. die gerade erwähnten Angriffe feindlicher Syndikate, wegen denen man direkt hintereinander und praktisch ohne Unterbrechung gleich mehrere Etablissements verteidigen muss, indem man die spielerisch langweiligen Wachen befehligt. Der aufgrund seiner Fähigkeiten starke und spielerisch interessante Boss samt seiner ähnlich interessanten Begleiter befindet sich ja meist ganz woanders, auf keinen Fall aber an mehreren Orten gleichzeitig. Also verschiebt man rudimentär ausgebildete Normalfiguren in oft langweiligen Scharmützeln oder hat Glück, wenn massiv überlegene Gegner dem Ganzen ein schnelles Ende bereiten.
Viel schlimmer ist gar das über weite Strecken ordentliche, mit schöner Regelmäßigkeit aber auch absolut idiotische Verhalten von Freund und Feind, die nämlich gerne ohne jede Not eine sichere Deckung verlassen, nur um im folgenden Zug wieder dorthin zurückzukehren. Bei einem Fluchtversuch stellen sie sich zudem gerne direkt vor einen Gegner, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzugeben.
Keiner da – aber alle kämpfen
Hinzu kommen in vielen Fällen seltsam niedrige Trefferwahrscheinlichkeiten sowie Ärgernisse wie das folgende: Will ich einen meiner Charaktere heilen, läuft die aktuelle Figur doch glatt vier Felder weit und stellt sich ohne Deckung neben den Verwundeten – obwohl sie zu Beginn des Zugs bereits direkt neben ihm in Deckung hockte! Ich verstehe auch nicht, weshalb man die Fähigkeit, mit der Kämpfer nach besonders langen Bewegungen noch eine Aktion ausführen können, manuell aktivieren muss, wenn sie ohne Abklingzeit ohnehin bei jedem Zug zur Verfügung steht. Das ist für sich genommen eine Kleinigkeit, lässt aber durchschimmern, wie wenig Zeit die Entwickler auf wichtige Feinarbeit verwendet haben.
Hatte ich zuvor außerdem beschrieben, dass man jederzeit in Kämpfe unter verfeindeten Bossen geraten kann, so sei jetzt auch erwähnt, dass man in diese Kämpfe gar nicht eingreifen darf. Man hat dann angeblich keine Ziele, obwohl man sonst jederzeit alle Lokale betreten und selbst die Wachen verbündeter Imperien attackieren kann. Ich musste daher schlicht warten, bis ein solcher Rundenkampf vorüber war – eine ulkige Spielsituation. Auf jeden Fall keine besonders spannende.
Ähnlich unausgegoren wirkt die Benutzerführung, sei es beim Ausrüsten der Kämpfer oder beim Verwalten der Familienangelegenheiten, denn viele Menüs sind grundsätzlich zwar gelungen, im Detail aber dermaßen unübersichtlich und unhandlich, dass mir schnell die Lust daran verging. Dass man die unglaublich lange Liste eigener Etablissements etwa nicht mit dem Mausrad durchsuchen kann, ist ein Unding. Ich musste das Spiel außerdem immer dann neu starten, wenn sich zwei bestimmte Menüs dauerhaft so überlagerten, dass eins von beiden nicht mehr benutzbar war. Unübersichtlich ist ja sogar Chicago selbst, da jedes Viertel mit seinen ausschließlich rechtwinklig angeordneten Straßen praktisch gleich aussieht, weshalb das Durchkämmen der Stadt furchtbar öde ist.
Mission Impossible
Und dann wollen die konkurrierenden Bosse auch noch ständig mit einem reden, weshalb man fast immer auf dem Weg zu einem grünen Tisch ist, um einen Waffenstillstand auszuhandeln, gemeinsam gegen einen Kontrahenten vorzugehen oder lediglich ein Geschäft vorzuschlagen. Cool natürlich, dass der Ruf des eigenen Alter Ego dessen Eigenschaften und damit seine Gesprächsoptionen beeinflusst; die Drohung eines gefürchteten Bosses zieht eben mehr als die eines Neueinsteigers. Doch erstens hat man die immer gleichen Dialoge sehr bald mehrmals gelesen und zweitens weiß man bei vielen angebotenen Deals gar nicht genau, worauf man sich eigentlich einlässt. Die Beschreibungen sind viel zu schwammig, als dass man eine vernünftige Entscheidung treffen könnte, weshalb ich die häufigen Gespräche bald satt hatte.
Empire of Bugs
Zu allem Überfluss begann während eines solchen Gesprächs ein Gefecht, in das offenbar irgendwelche meiner Leute verwickelt waren. Die Kamera fuhr deshalb auf die Übersichtskarte hinaus – zeigte mir aber nicht an, wo gekämpft wurde. Ich konnte also weder den Kampf austragen noch in das Gespräch zurück, weshalb mir einmal mehr nur der Neustart blieb. Weder kann noch will ich all die kleinen Fehler aufzählen, denen man hier begegnet. Seid aber gewarnt, dass manche Überraschung auf euch wartet.
Fazit
Ich verstehe nicht, warum Empire of Sin überhaupt in diesem Zustand veröffentlicht wurde. Alleine die sich ständig überschlagenden Ereignisse – man kann sich kaum eine Minute lang mal in Ruhe um den Ausbau der Etablissements oder die Charakterentwicklung kümmern – versprühen eine dermaßen unrhythmische Hektik, dass man schon deshalb die Lust verliert. Könnte man den Ablauf der Zeit wenigstens verlangsamen... aber nicht einmal das geht. Die unübersichtlichen, teils fehlerhaften oder schlecht navigierbaren Menüs verstärken das Problem. Hinzu kommen fehlerhafte Missionen, die man nicht abschließen kann, Programmabstürze sowie weitere Späße. Und dass dann nicht einmal die im Kern zumindest ordentliche Rundentaktik motiviert, macht den Spaß endgültig zunichte. Viele Gefechte sind viel zu leicht, können aber nicht automatisch ausgetragen werden können, während das Verhalten von Gegnern und Verbündeten oft zum Haareraufen ist. Unterm Strich sind in diesem Zustand weder das Spieldesign noch die einzelnen Elemente ausgereift, weshalb Empire of Sin wie eine frühe Konzeptstudie wirkt. Ein gut funktionierendes Spiel ist es leider nicht.
Pro
- stimmungsvolles Szenario und interessante Verbindung aus Echtzeitaufbau und Rundentaktik
- zahlreiche Bosse als spielbare Charaktere mit jeweils eigenen Fähigkeiten
- Spezialisieren aller Bosse und Mitstreiter über kleine Charakterentwicklung
- fließender Wechsel von freiem Bewegen und Kämpfen
- Fähigkeiten des Bosses beeinflussen Gesprächsoptionen
Kontra
- Ereignisse überschlagen sich ständig, geordnetes Erarbeiten von Zielen ist kaum möglich
- keine Zeitbeschleunigung oder -verzögerung
- einige Missionen können nicht abgeschlossen werden
- unhandliche Menüs: Ausrüstung kann nicht mit aktueller verglichen werden und z.B. Missionsziele oder Etablissements befinden sich in langen, schlecht überschaubaren Listen, in denen das Mausrad z.T. nicht funktioniert
- alle Stadtviertel sehen gleich aus
- Gefechte können nicht automatisch ausgetragen werden
- Gegner und Verbündete treffen idiotische Entscheidungen im Kampf
- unübersichtliches Verhandeln und unlogisches Verhalten von Handelspartnern sowie teilweise auch Vertragsbedingungen, die nicht verhandelt werden können
- oft ist nicht klar, was mit anderen Mafiabossen getroffene Abkommen genau bedeuten
- fummeliges Anwählen von Figuren in Gefechten
- ständig gleiche Umgebungen sind auf Dauer taktisch uninteressant
- Kämpfer verlassen ihre Deckung beim Heilen und anderen Aktionen, obwohl sie direkt neben anderem Charakter stehen
- seltsame Trefferwahrscheinlichkeiten, u.a. bei Gegnern direkt vor einem Kämpfer
- Wände, Bäume und andere Objekte verdecken mitunter die Sicht
- viele weitere kleine Fehler teils technischer, teils inhaltlicher Art
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt keine Käufe.