Potentia - Test, Action-Adventure, PC

Potentia
17.02.2021, Jörg Luibl

Test: Potentia

The Worst of Us?

Die türkischen Entwickler von Wily Pumpkin wollen euch für knapp 20 Euro in das Endzeit-Abenteuer Potentia entführen. Dass es einige auf Steam an The Last of Us erinnert, liegt vermutlich an Gemeinsamkeiten wie Szenario, Schultersicht sowie einer Spielmechanik, die sich auf Stealth und Action konzentriert. So ein Vergleich mag ein PR-Segen sein, aber kann zugleich zum Fluch werden. Denn es ist es nicht immer klug, wenn man sich als kleines Studio zu sehr an großen Vorbildern orientiert.

Das Abenteuer von Victor beginnt an einer Bahnstation. Er will seine Frau Anna treffen, ein Feuerwerk erhellt die Nacht und die Leute feiern, weil  gerade der Krieg vorbei ist. Man weiß nicht genau in welcher Zeit oder Stadt man sich befindet, aber Wolkenkratzer und englische Bezeichnungen lassen eine gegenwärtige US-Metropole vermuten. Die Station erkundet man in Schultersicht, in der einiges zwar statisch, aber mitsamt der Leute, Graffito und Anzeigetafeln noch ganz solide aussieht.

Friede, Freude...

Der Veteran und der Passant führen einen Dialog aus der Hölle...
Der Schrecken beginnt allerdings, sobald man sich den ersten Dialog zwischen einem Passanten und einem Veteranen anhören muss. Das liegt nicht nur an Mimik und Gestik, sondern auch am Inhalt - die komplette Situation wirkt einfach nur plump. Genauso wie der plötzliche Übergang von Luftballons und Partylaune zur Katastrophe: Kaum steigt Victor in die Bahn, gibt es einen Anschlag, Leute lösen sich brennend in Nichts auf - fast wie Streichhölzer.

Zwischen Alarm und Feuer sucht Victor nach Anna, die er trotz Rauch und Sprints ohne einen Fleck auf dem sauberen Anzug findet. Nach diesem schlechten Einstieg wird man darüber informiert, dass die Regierung gestürzt, die Städte verlassen und die Endzeit angebrochen ist. Drei Jahre später kämpfen alle in einer neuen Welt ums Überleben. Die Kamera schwenkt in eine scheinbar ausgestorbene Stadt, die zumindest wie eine grob texturierte Designstudie zu The Last of Us aussieht.

...aber ein böses Feuerwerk

Das Szenario sowie die Spielmechanik erinnern zumindest ein wenig an The Last of Us.
Natürlich fällt der technologische Klassenunterschied zu Top-Spielen sofort ins Auge, selbst wenn man alles von den Texturen, Kantenglättung bis Schatten oder Sichtweite auf Ultra stellt und in 1920 x 1080 loslegt -  gerade weil die Endzeit von so vielen namhaften Studios inszeniert wurde. Aber für so ein kleines Team von vier Entwicklern ist die Kulisse in Ordnung. Auch wenn einiges an Copy & Paste im Gelände erkennbar ist und vor allem Vegetation und Explosionen zu wünschen übrig lassen, hat man sich doch viel Mühe gegeben, auch Kleinigkeiten zu designen, zumal sich einige Animationen im Nahkampf sehen lassen können. Aber selbst wenn der Blick auf Autowracks und Hausfassaden kurz die Hoffnung schürt, dass es gleich reizvoll oder gar dramatisch wird, sorgt Victor mit seinem dümmlichen Grinsen sofort wieder für Distanz statt Identifikation.

Warum er sich da so locker sonnt, als ihn ein Funkspruch von Anna erreicht, bleibt das Geheimnis einer Regie, die komplett überfordert ist mit Charakteren, Dialogen und Spannungsaufbau. Anstatt sich am eigenen Firmenmotto "Create New Horizons" zu orientieren, hat man sich an all den filmisch inszenierten Vorlagen orientiert, die man eben nicht so leicht kopieren kann, wenn man zu viert ist und jemand nebenbei eine Story schreibt. Das Schlimmste ist: Der Held spricht seine Gedanken immer mal wieder laut aus - und das ist meist grauenhaft. Gesprochen wird übrigens wahlweise auf Englisch oder Türkisch, die Texte wurden aber mit einigen Lücken und Fehlern ins Deutsche übersetzt.

Überforderte Regie

Kühlschrank schieben, weiter klettern.
Immerhin lernt man bei der Erkundung der ersten Schlauchareale, dass man neben dem Sprinten auch Objekte wie Boxen oder Schränke verschieben kann, um danach zu klettern und über Container, Brücken oder Fenster vorwärts zu kommen - wobei es neben kleineren Inkonsequenzen (da kann man sich über hüfthohe Barrieren schwingen, drei Meter weiter nicht) zu einigen Bugs mit geöffneten Türen kommt. Außerdem kann man in die Hocke gehen, um zu schleichen und Feinde sogar per Pfiff anlocken - was aber nur leidlich nützlich ist, da das Feindverhalten so robotisch ist. Nachdem man ein Brecheisen gefunden hat, darf man diese auch von hinten erledigen, was - wie erwähnt - sogar ganz gut animiert wird. Alternativ kann man auf eine Pistole zurückgreifen, dann kommen Granaten, später Sturmgewehr und Bogen hinzu.

Warum kann ich aus dieser Deckung nicht über das Hindernis hinweg anvisieren?
Die Steuerung ist okay: Man kann Schnelltasten belegen oder über ein einblendbares Kreismenü die Waffen wechseln. Etwas verwirrender ist die optionale Anzeige des nächsten Ziels, die auch potenzielle Gegner darstellt. Überhaupt stört die Schrift, wenn man Munition & Co aufsammelt. Zwar soll es laut der über acht Episoden laufenden Story um das knallharte Überleben gehen, aber man findet recht häufig Munition und kann auf dem normalen der drei Schwierigkeitsgrade gut vorwärts kommen. Mit der Zeit regeneriert man zudem Energie, die man auch zum Heilen einsetzen kann. Wenn es mal knifflig wird, liegt es meist daran, dass die ansonsten dumme KI einen auch in Deckung erkennt oder in Übermacht antritt. Auf taktischer Ebene gibt es leider wenig zu experimentieren, da diese Feinde für kreatives Katz- und Mausspiel nicht geeignet sind.

Kampf ohne Wucht

Die Texte wurde ins Deutsche übersetzt - aber es gibt noch türkische Reste.
Das größere Problem ist: Die Kämpfe sind langweilig, teils störrisch. Mal abgesehen von der fehlenden Wucht und Akustik sorgen mechanische Defizite schnell für Ernüchterung, zumal die Übergänge von Nah- zum Fernkampf sehr holprig sind. Ganz übel: Wenn man hinter einer hüfthohen Deckung hockt, kann man den klar erkennbaren Feind nicht mal flüssig anvisieren, weil das Fadenkreuz einfach nicht mitmacht - arghs. Ihr könnt übrigens mit Maus und Tastatur oder einem Gamepad spielen; mit dem Xbox-Controller lief das sauber.

Immerhin können sich die Animationen nach einem Hinterhalt sehen lassen.
Die Gefechte werden jedenfalls so altbacken inszeniert und die KI ist so berechenbar, dass keine situative Spannung jenseits einer gewöhnlichen Schießbude aufkommt. Man muss hier nicht gleich The Last of Us oder Days Gone als Vergleich heranziehen, da reichen auch Spiele wie I Am Alive von 2012 (!), das wesentlich intensiver und auch psychologisch interessanter war, weil es Konflikte auf kreative Art darstellte. Aber Potentia lässt frische Impulse vermissen, die gerade kleine Projekte brauchen, um sich irgendwie abzuheben - hier wirkt vieles nur wie nachgezeichnet und kopiert.

The Worst of Us?

Man kann auch Räume erkunden.
Da kann man in der Kritik auch nicht berücksichtigen, dass da "nur" vier Leute aktiv waren, denn man begibt sich ja selbst in diese Arena. Außerdem haben viele kleine Studios, die noch weniger Leute hatten oder gar Soloprojekte waren, bewiesen, dass man mit innovativen Ansätzen sogar Gold und Platin erobern kann - man denke an Horace, das 90% im Test abgestaubt hat und von Paul Newman sowie Sean Scaplehorn entwickelt wurde.

So erreicht Potentia als pure Third-Person-Action, von der es da draußen so viel gibt, nicht mal Mittelmaß. Jedenfalls wollte ich irgendwann einfach nur mal durchrennen statt zu kämpfen - an schwer bewaffneten Typen vorbei. Und das Schöne war: es klappte sogar. Die ballerten zwar, aber verfolgten mich nicht richtig. Jetzt konnte ich in aller Ruhe leere Gassen erkunden oder in Räumen Schubladen öffnen, in denen meist nix drin war außer meinem Kopf, der hineinragte. Immerhin ist das Spiel, das letztlich wie eine Tech-Demo wirkt, nach etwa drei Stunden vorbei.

Fazit

In Zeiten wie diesen, in denen so wenig prominente Spiele erscheinen, kann man sich öfter mit kleineren Entwicklungen beschäftigen. Und manchmal sind coole Geheimtipps wie Sunless Skies, Oxygen Not Included, Overload, Disco Elysium oder Horace dabei. Aber Potentia gehört trotz vieler positiver Steam-Bewertungen nicht dazu. Es orientiert sich an großen Endzeit-Abenteuern wie The Last of Us, kann auf grafischer Ebene solides Niveau erreichen, aber scheitert komplett an der Regie und serviert eine gerade noch ausreichende Spielmechanik. Nach einem der schlechtesten Einstiege der letzten Jahre ballert und schleicht man sich für knapp drei Stunden emotionslos durch ein Spiel, das im Gegensatz zum zehn Jahre älteren I Am Alive weder kreative Impulse noch situative Spannung oder echtes Survival-Flair erzeugen kann. Hier wirkt vieles hölzern, künstlich und erzählerisch schwach. Nicht falsch verstehen: Das ist kein Schrott, also kein "The Worst of Us" - aber als Erlebnis im Kontext aktueller Spiele mit ähnlichem Ansatz ist das gerade noch ausreichend. Mein Tipp an Wily Pumpkin für das nächste Projekt: Versucht lieber eine kreative Mechanik anzubieten als gleich das ganz große Kino zu kopieren. Und stellt bitte einen guten Storywriter ein - oder: lasst sie einfach ganz weg.

Pro

  • solide Endzeit-Kulisse
  • Mix aus Schleichen und Kampf
  • drei Schwierigkeitsgrade
  • Maus/Tastatur oder Gamepad nutzen
  • deutsche Übersetzung der Texte

Kontra

  • schwacher Einstieg
  • ganz schlimme Dialoge und Texte
  • ein Held zum Abgewöhnen
  • nervige Fehler beim Anvisieren aus Deckung
  • Nah
  • und Fernkampf wirken zu hölzern
  • Schussmechanik ohne Wumms
  • schwache Gegner-KI, schaut durch Hindernisse
  • viele leere Schlauchareale, kaum Interaktion
  • uninspirierte Musik, magere Akustik
  • keine deutsche Sprachausgabe
  • Lücken und Fehler in deutschen Texten
  • einige grafische und inhaltliche Bugs
  • keinerlei kreative Ideen, nur schwache Kopie

Wertung

PC

Das ist kein Schrott, kein "The Worst of Us", man kann es also spielen - aber als Erlebnis im Kontext aktueller Spiele mit ähnlichem Ansatz ist das gerade noch ausreichend.

Echtgeldtransaktionen

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  • Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.
Kommentare
Lightningfast

Nichts ist nutzloser als schlechte Spiele. Hab ich noch nie verstanden, warum sich kleine Studios an solche Projekte wagen, die ja nur scheitern können. Geld und Manpower hätte man da doch lieber in ein Indie-Spiel mit eigenen Ideen fließen lassen, das hätte dann wohl auch eine Daseinsberechtigung gehabt.
Und vor allem: Warum wird überhaupt Zeit und Manpower dafür verwendet um es auch noch zu testen?...

vor 3 Jahren
Ryo Hazuki

Naja, ich hab ja die Demo gespielt und das Ding kostet ja nix.. , dass hier soll ja nicht so lange gehen 3-4h, war auch eher ein Grund. Außerdem fand ich schon witzig wie das Kern Gameplay eines The last Of Us umgesetzt hatten, Geduckt rum-schleichen, irgendwas verschieben und Dinge einsammeln, dass fühlt sich identisch an, dazu noch gemütliche Melodien.

es hat sich zumindest nicht super schlecht angefühlt sondern nur ein wenig schlecht
Marktlücke erkannt! Du solltest Dein Gameplay streamen und Oliver Kalkofe und Peter Rütten engagieren, es entsprechend zu kommentieren

"Willkommen bei SchleGaZ!"
Also Kapitel 5 konnte ich dann nicht mehr . Da ploppen auf einmal überall Gegner auf und die Story ...also es gibt wirklich keine, selbst Troma Filme haben mehr Story. Trotzdem ist das Gameplay jetzt nicht ganz schlecht, es ist halt nur egal ob man schleicht oder schießt.

"WIE LANGE WAR ICH WEG?!"
"Ungefähr 19 Stunden.."

Ich denke das bleibt der beste Dialog.

vor 3 Jahren
mr archer

Im übrigen hatte das Osmanische Reich halb Südosteuropa inkorporiert - von daher wäre Potentia natürlich im Osteuropa-Thread gelandet :)

vor 3 Jahren
mr archer

Hi hi. Da habe ich doch beim Lesen leichte spiel- und 4pforenbiografische Flashbacks ...
Der für mich schönste Thread mit Zocker-Bezug, den ich je in den Weiten des Netzes erleben durfte. Hach!
Wie traurig ich war, als ich feststellen musste, dass all die tollen Screenshots nicht mehr vorhanden sind und somit dem jährlichen Lesevergnügen ein Ende gesetzt wurde. :'(
Ich habe ihn vor ein paar Wochen mal wieder durchgelesen. Ja ja. Da hatten wir einen schönen kleinen Klassenfahrtmoment zusammen, hier im 4p-Forum.

vor 3 Jahren
OchsvormBerg

Nichts ist nutzloser als schlechte Spiele. Hab ich noch nie verstanden, warum sich kleine Studios an solche Projekte wagen, die ja nur scheitern können. Geld und Manpower hätte man da doch lieber in ein Indie-Spiel mit eigenen Ideen fließen lassen, das hätte dann wohl auch eine Daseinsberechtigung gehabt.

vor 3 Jahren