Paradise Lost - Test, Adventure, XboxSeriesX, PlayStation4, PlayStation5, PC, XboxOne
Um die eingangs gestellte Frage gleich zu beantworten: In diesem Fall träge. Sogar sehr träge gestaltet sich der von PolyAmorous entwickelte Ausflug durchs tiefe Höhlen- und Bunkernetzwerk, in dem die Deutschen einen erstaunlich großen Rückzugsraum erschaffen hatten. Um ein Spiel handelt es sich bei Paradise Lost nicht wirklich: Stattdessen schreite ich selbst bei gehaltener Lauftaste mit quälend langsamer Geschwindigkeit über den linearen Pfad mit kleinen Abzweigungen und drücke bei weiß aufleuchtenden Kreisen aufs Knöpfchen. Wenn’s hoch kommt, wird gleichzeitig ein Stick zur Seite gedrückt (am PC ist alternativ eine Maussteuerung möglich).
Bunker-Ausflug auf Valium
Die einzige Herausforderung besteht hier darin, in der oft dunklen Umgebung die nächste weiße Kreismarkierung zu finden und mich im passenden Winkel davorzustellen, da sich die leicht haklige Eingabe als etwas zickig erweist. Auch verstreute Briefe und Audiologs lassen sich konsumieren, wodurch ich wichtige Hintergründe zum Verständnis der Story lerne. „Begehbare Graphic-Novel“ oder der negativer belegte Begriff „Walking-Simulator“ dürften das Genre vermutlich passend einordnen.
Eher Erzählung als Spiel
Doch schon bald nehme ich mit Hilfe fortschrittlicher Kommunikations-Terminals Kontakt zu einem mysteriösen Mädchen namens Ewa auf. Kann ich ihr trauen? Hat sie Verbindungen zu polnischen Rebellen, welche die Anlage offenbar irgendwann eingenommen hatten, von denen mittlerweile aber ebenfalls jede Spur zu fehlen scheint? Noch überraschender ist allerdings, welch enormer Fortschritt im unterirdischen Bunkerreich erreicht wurde. Ich will nicht zu viel verraten, aber der verstorbene Verschwörungs-Youtuber Axel Stoll wäre vermutlich stolz auf die Technik der „Grottennazis“ aus Paradise Lost.
Erstaunliche Fortschritte
Als ich erst einmal in die Thematik eingetaucht war, haben die Geheimnisse hinter den monströsen Maschinenparks, Computer-Terminals, Widerstandskämpfen und Ewa aber doch noch mein Interesse geweckt – zumindest ansatzweise. Visuell ist all das schließlich sehr stimmungsvoll in Szene gesetzt. Die gigantischen Raketenwerften, retro-futuristischen Terminals und mystisch verzierten Höhlen bieten vor allem auf dem PC mit Ultra-Einstellungen einen prachtvollen sowie detailverliebten Ausblick. Auch die slawische Mythologie spielt bei Malereien und religiösen Tendenzen des Widerstandes eine Rolle.
Geheimnisvolle Technik
Wie sich in Aufzeichnungen zeigt, entbrannte nach dem Kampf gegen die Nazis ein brutaler, teils religiös fanatischer Streit um Grundsatzfragen zum weiteren Leben unter Tage. Auch hier kann ich die Themen nur andeuten, da vor allem die Nutzung einer bestimmten Nazi-Technologie zu einem wichtigen Streitpunkt wird. Wie so oft kann der Fortschritt in solch einer Notlage Fluch oder Segen bedeuten und bringt allerlei interessante ethische Fragen mit sich.
Mangel an Persönlichkeit
Soll ich Ewa in einer Entscheidungs-Sequenz über Funk sagen, dass ich ihr traue oder nicht? Ich habe nicht die geringste Ahnung, da ich weder sie noch Szymon kenne. Beide unterhalten sich fast ausschließlich mit der gleichen Monotonie in der Stimme über Probleme, die vor oder hinter ihnen liegen, statt auch mal menschliche Anekdoten oder Erlebnisse wie in Half-Life: Alyx einzustreuen. Mit Hilfe solcher Geschichten hätte man die Distanz zur Realität des Spielers besser überbrücken können, um eine emotionale Bindung zu ihm aufzubauen. Nicht einmal bei der finalen Entscheidung des Spiels kratzte mich der Ausgang. Stattdessen wollte ich nur noch, dass das schrecklich träge Erzähl-Abenteuer endlich ein Ende nimmt!
Grafische Abstriche
Fazit
Paradise Lost zeigt anschaulich, warum ein interessantes Thema und eine ansehnliche Kulisse keine gute Charakterzeichnung oder echte Spielmechaniken ersetzen können. Die detailreich erdachte Sechzigerjahre-Stadt der Nazis voller Nuklearwaffen und wahnwitziger Technologie besitzt zwar durchaus ihren Reiz – und sehr hübsche Panoramen. Die Hauptfiguren Ewa und Szymon bleiben aber bis zum Ende hin praktisch unbeschriebene Blätter ohne nennenswerte Persönlichkeitszüge. Daher interessierte mich auch ihre Verbindung zu den wendungsreichen Geschehnissen im Widerstandskampf wenig, zumal die Entwickler sich für einen schrecklich trägen Erzählstil entschieden haben. In etablierten Medien wie Film oder Computerspiel sind fähige Regisseure mittlerweile ziemlich geübt darin, spannende oder bewegende Momente in den Vordergrund zu stellen. Dieses begehbare Erzähl-Abenteuer jedoch verliert sich oft in schrecklich langsamen Spaziergängen und der sinnlosen Imitation von Spielmechaniken mit hakligem Knöpfchendrücken.
Pro
- detailverliebte Kulissen
- stimmungsvoll ruhiger, schön abgemischter Soundtrack
- geheimnisvolle Nazi-Technologie weckt die Neugier...
- interessante ethische Fragestellungen werden angerissen...
Kontra
- platte Charakterzeichnung baut keinerlei Bindung auf
- schrecklich fades Knöpfchendrücken imitiert Spiel-Interaktionen
- ...Nazi-Technik wirkt zum Teil aber übertrieben fortschrittlich
- ...ethische Fragen werden aber nicht tiefgehend genug erforscht
- träge Laufgeschwindigkeit
- haklige Steuerung
- keine alternativen Speicherstände oder Entscheidungs-Diagramme
Echtgeldtransaktionen
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- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.