HTC Vive Pro 2 - Test, Hardware, VirtualReality, HTCVive

HTC Vive Pro 2
28.05.2021, Jan Wöbbeking

Test: HTC Vive Pro 2

HTC kontra Fliegengitter

Seit Jahren kämpfen Hersteller von VR-Headsets gegen sichtbare Pixel - und mit der HTC Vive Pro 2 ist tatsächlich ein bedeutender Sieg gelungen! Dank 5K-Auflösung erahnt man nur dann noch Spuren des Bildschirmrasters, wenn man im Spiel z.B. auf eine weiße Wand starrt. Warum aber die Auflösung nicht alles ist, klären wir Test.

Es ist fast schon ein unheimliches Gefühl, unterm Headset erstmals keine Pixel mehr zu sehen. Vielleicht auf Alyx' Hand? Nope. Oder da hinten beim Strider? Fehlanzeige! Erst als ich mich im TestHMD-Tool vor eine komplett helle Wand stelle und gewissenhaft drauf starre, erkenne ich noch kleine Reste des Musters, aus dem die RGB-Stripe-Pixelmatrix des verbauten LC-Displays zusammengesetzt ist. Im Spielbetrieb fällt mir der Effekt sogar seltener auf als wenn ich vor meinem 1080p-Monitor sitze - endlich haben wir diesen Punkt erreicht!

Tod dem Raster!

Es ist ein derart faszinierendes Erlebnis, dass ich erst mal minutenlang wie ein staunendes Kind über den Balkon von Half-Life: Alyx schritt, um mir erneut alle hübschen Details aus der Nähe anzuschauen. Selbst das Zielen per Kimme und Korn fühlt sich plötzlich so präzise an wie nie zuvor! Abgeklärte Besitzer der hochaufgelösten HP Reverb G2 dürften einen ähnlichen Effekt schon kennen: Doch selbst dieser Liebling von Simulations-Fans muss sich mit seinen 2.160 x 2.160 Pixeln pro Auge geschlagen geben, da HTC diesmal Screens mit 2.448 x 2.448 Bildpunkten pro Auge auffährt. Zum Vergleich: Bei der Oculus Quest 2 sind es 1.832 x 1.920 Pixel pro Seite, bei der Valve Index 1.440 x 1.600. Lediglich die Pimax Vision 8K X bietet mit zwei nativ angesteuerten Displays à 3.840 x 2.160 Pixel noch mehr Auflösung und Sichtfeld (bis zu 170 Grad). Der relativ kleine Hersteller hat sich allerdings durch häufige Lieferschwierigkeiten und Verarbeitungs-Probleme nicht gerade den besten Ruf erarbeitet.

Bevor ich näher auf technische Details eingehe, erkläre ich erst einmal, worum es sich überhaupt handelt: Die HTC Vive Pro 2 ist ein klassisches VR-Headset, das primär für den verkabelten Betrieb an einem schnellen Spiele-PC gedacht ist. Das schwache Inside-out-Tracking der HTC Vive Cosmos wurde über Bord geworfen, so dass man wieder die hochpräzise Erfassung des Lighthouse-Systems genießt. Der Investitions- und Installations-Aufwand ist dadurch allerdings höher: Wie bei der Valve Index müssen zunächst zwei kleine Tracking-Würfel ("Basis-Stationen") an der Wand montiert oder im Regal aufgestellt werden. Neue Controller hat sich HTC gespart. Wer möchte, nutzt einfach Valves recht beliebte Index-Controller und seine schon vorhandene Tracking-Hardware mit dem einzeln erhältlichen Headset (799 Euro). Alternativ greift man zum kompletten Bundle mit den veralteten Vive-"Knochen" sowie Tracking-Stationen - für insgesamt 1.399 Euro. Das Headset richtet sich also klar an Enthusiasten und Geschäftskunden, da schließlich auch ein kostspieliger PC Pflicht ist.

Ground Control an Major Jan: Im Vergleich zur geschrumpften Konkurrenz wirkt die Vive Pro 2 wie ein klobiges Relikt - allerdings ein sehr bequemes! Der vor dem Mund hängende Gesichts-Tracker ist übrigens nur optionales Zubehör (siehe Seite 4).
Beim Gehäuse-Design hat HTC es sich einfach gemacht: Vieles gleicht den Vorgängermodellen Vive Pro (zum Test) und Vive Pro Eye, darunter die komplette Form (mit leicht geänderter Farbgebung), das unter Windgeräuschen leidende Mikrofon oder die nur mäßig klingende Audio-Lösung: Die eingebauten Ohrmuscheln lassen sich zwar praktisch herunterklappen. Sie werden aber nicht dicht genug an die Ohren gedrückt, um den theoretisch vorhandenen Bass auch hören zu können. In der Praxis bleibt der klare aber bassarme Standard-Sound also hinter der Index zurück, schlägt die "plärrenden" Schlitze der Quest 2 oder Rift S aber deutlich (es sei denn, man stöpselt dort eigene gute Kopfhörer an). Als genial erweist sich nach wie vor der unschlagbar bequem ausbalancierte Sitz für lange Spiel-Sessions - obwohl das Gerät spürbar schwerer und klobiger ist als die aktuelle Konkurrenz.



Altbekanntes Gehäuse

Nun will ich die Fans einer guten Bildqualität aber nicht länger auf die Folter spannen - HTC-China-Präsident Alvin Wang Graylin warb schließlich auf Twitter mit üppigen 120 Grad Sichtfeld (horizontal). Das weite Bild müsste also für ein authentischeres Gefühl der Wahrnehmung sorgen, um noch besser im Spiel zu versinken. Solche Messungen des Field of View (FOV) sind bekanntlich sehr subjektiv und varrieren von Person zu Person stark; mein IPD liegt mit 66 Millimetern tendenziell schon eher im größeren Bereich. Bei meiner Form von Schädel und Augenhöhlen zumindest wurde das Versprechen nicht erfüllt: Im TestHMD-Tool lag mein horizontales Sichtfeld nur bei 96 Grad (vertikal sogar nur bei 72 Grad) und somit in ähnlichen Bereichen wie die Quest 2 (H/V: 88/88). Setzte ich später wieder die Index (H/V: 106/106) auf, wirkte auf Anhieb alles viel größer und vor allem nach oben und unten hin weniger "gedrängt" als beim "Breitbild" der Vive Pro 2.

Die Fotos durch die Linse können leider nicht vermitteln, wie unglaublich detailreich Half-Life: Alyx mit der Vive Pro 2 aussieht. Bis in die kleinsten Gassen lässt sich das Geschehen ausspähen.
Vermutlich spielt dabei auch das Gesichtspolster eine Rolle, das viel dicker ausfällt als bei der Konkurrenz und die Augen so weiter vom Bildschirm fernhält (ein ähnlicher Effekt also wie bei der HP Reverb G2). Mit einer Brille leidet das FOV noch stärker, da man das verstellbare Frontteil des Headsets dann noch weiter ausfahren muss. Mich persönlich stören solche Unterschiede beim kompletten Sichtfeld übrigens kaum. Mir fiel allerdings sofort negativ auf, wie wenig sich der gemeinsame Sichtbereich der beiden Augen überschneidet (Stichwort: Binocular Overlap). Wenn ich z.B. in SteamVR in der Mitte meines Home-Zimmers stehe und still an die Wand starre, sehe ich nur die mittlere der drei Wandtafeln mit beiden Augen. Die zwei Tafeln rechts und links davon sind jeweils nur noch mit einem Auge zu erkennen - das sieht auf der Index und vor allem der Quest 2 deutlich natürlicher aus!



Enttäuschung beim FOV

Natürlich spielt diese Überschneidung der zwei Augen auch eine wichtige Rolle für die Tiefenwahrnehmung, z.B. zum präzisen Erkennen von Plattformen wie im Jump-'n'-Run Ven VR Adventure. Schade auch, dass es zu den Rändern hin schneller unscharf wird als mit der Quest 2. Der scharfe Bereich in der Mitte der des Bildes (Edge to Edge Clarity) kam mir deutlich kleiner vor als bei Facebooks Headset, aber immerhin noch größer als bei der Index. Ähnlich sieht es beim ordentlich geratenen Sweet Spot aus - also dem scharfen Zentrum der Linsen, das man für eine klare Sicht möglichst mittig vor den Augen zurechtrücken sollte: Er wirkt etwas kleiner als bei der Quest 2, aber leicht größer als bei der Index.

Löblich ist, dass sich wie beim ähnlich robusten, professionell verarbeiteten Vorgänger viel mehr einstellen, austauschen und reparieren lässt als bei der Konkurrenz - vom Gesichtspolster am Klettverschluss bis hin zum Kopfriemen. Die dicke Rundum-Polsterung sorgt übrigens für einen sehr bequemen, sicheren Sitz. Da die Ränder so gut abschließen, machte sich allerdings schon nach rund einer Stunde die starke Wärmeentwicklung bei der Technik im Headset bemerkbar - gerade noch erträglich, aber sogar wärmer als bei der Index. Die neuen doppelten Linsen schlagen sich beim Thema Glare (Überstrahlen bei starken Kontrasten) etwas besser als die Valve Index (ebenfalls mit dualem Linsen-Design). Auch hier erkenne ich bei weißen Buchstaben vor pechschwarzem Grund deutlich die Fresnel-Ringe sowie störende Spiegelungen und Lichtkegel (God-rays). Der Effekt ist allerdings deutlich weniger ausgeprägt als bei der Valve Index: Mit der Vive Pro 2 tanzen lange nicht so viele mehrfach gespiegelte weiße "Blobs" über die Linse.

Modular und wertig

Raver dürften sich über die knalligen Farben des Displays freuen: Die Farbtöne des recht hellen, kontrastreichen Displays wirken hier deutlich kräftiger, so dass bunte Kunststoff-Oberflächen fast schon neonartig leuchten. Im Vergleich zu den gedämpfteren, aber realgetreueren Farben der Index ist es weitgehend Geschmackssache, welche Farbdarstellung man bevorzugt. Doch wie sieht das Bild in finsteren Horror-Spielen wie Wraith: The Oblivion - Afterlife aus, in denen die Quest 2 einem die Gruselstimmung schon mal mit ihrem Grauschleier verderben kann? Die Schwarzwerte der Vive Pro 2 sind für LCD-Verhältnisse ordentlich. Sie bleiben aber weit von der Finsternis eines OLED-Displays wie in der PlayStation VR oder gar auf einem aktuellen LG-Fernseher entfernt. Das blasser wirkende Bild der Quest 2 hinkt übrigens in fast allen genannten Aspekten hinterher - abgesehen von der recht guten Auflösung von 1832 x 1920 Pixeln pro Auge (Index: 1440 × 1600).

Project Cars 3 zeigte sich nicht ganz so überfordert von der hohen Auflösung wie sein weniger arcadelastiger Vorgänger (Foto durch die Linse).
Es wird Zeit, über die Strippe zu diskutieren, an der man über die Roomscale-Spielfläche schreitet. Die fünf Meter Kabel bis zur Breakout-Box (löblicherweise mit Ein-/Ausschalter) sind an sich eine ordentliche Länge. Bei mir wurde die nutzbare "Leine" allerdings ein wenig verkürzt, da sich die Steckdosenleiste weiter hinten in der Raumecke befindet. Zusätzlich zum dem Display-Port-Stecker (1.4 für volle Auflösung nötig!) und dem USB-Kabel (ab 3.0 alias "3.2 gen1") gibt es nämlich erneut einen Netzteil-Stecker, der mit seiner fetten Bauform gleich über zwei Steckdosen ragt. Geht es nicht wenigstens hier mal etwas schlanker, HTC? Alles andere als schlank ist dagegen das Spektrum des bewährten mechanischen IPD-Reglers von 57 bis 72 Millimeter. Bei Facebook muss man auf solch einen "Luxus" verzichten, da die Quest 2 nur drei grobe Einrastungs-Stufen für den persönlichen Pupillen-Abstand bietet.



Mit IPD-Regler und Viveport

So viel zur Hardware, doch wie sieht es beim Betrieb auf dem PC aus? Nach Anschluss und Einrichtung mit der Viveport-Software (ein registrierter Account ist Pflicht) erkennt das SteamVR-Tracking das Headset und sorgt für verlässliche Unterstützung mit der Steam-Bibliothek. Ein Vorteil am alternativen Viveport-Store ist auf Wunsch natürlich die Möglichkeit der umfangreichen Spiele-Flatrate Viveport Infinity zum Festpreis (ähnlich wie der Xbox Game Pass). Im Gegensatz zu Facebooks VR-Systemen muss man bei HTC aber auf große Exklusivtitel im Stil von Lone Echo 2 verzichten (bzw. man kann sie lediglich auf Software-Umwegen per "Revive" spielen).

Wem beim Begriff Augen-Tracking das Wasser im Mund zusammenläuft, wird mit dem entsprechenden Modul "Droolon F2" bedient. Das Zubehör vom chinesischen Partner-Hersteller "7invensun" soll im dritten Quartal 2021 erscheinen und ist auch mit HTCs Standalone-Headset Vive Focus 3 kompatibel. Letzteres ist im Gegensatz zur Vive Pro 2 ausschließlich für den Geschäftskunden-Bereich gedacht.
Als deutlicher Nachteil erwies sich im Test mal wieder, dass HTCs Software bei weitem nicht so sauber und problemlos funktionierte wie bei Facebook oder der Index. Neben SteamVR lief z.B. immer auch die "Vive Console" nebenher, die gerade bei einem derart hochaufgelösten Headset für ärgerliche Probleme sorgte. Die native Auflösung von 4896 x 2.449 (90 Hz) konnte ich z.B. manuell nicht zum Laufen bringen. Obwohl mein PC alle Hardware-Voraussetzungen erfüllte, klappte stattdessen lediglich höchstens die verringerte Auflösung von 3.672 x 1.836 (90 Hz) oder eine "automatische" Einstellung. Diese Automatik wählt laut HTC die bestmögliche Auflösung für die jeweilige Grafikkarte - nähere Details dazu konnte man uns bisher aber nicht verraten. Auch ob oder wann die "Display Stream Compression" (DSC, ab DisplayPort 1.4) zum Einsatz kommt, wurde noch nicht erläutert. 120 Hertz sind theoretisch auch mit nativer Auflösung möglich - bei uns führte diese Einstellung aber lediglich zu Fehlermeldungen.



Software-Probleme

Doch selbst mit all diesen Mankos sorgt das meist nicht mehr sichtbare Pixelraster für einen beeindruckend detailreichen Eindruck! Selbst feinste Texte in den Heften des Überlebens-Abenteuers The Walking Dead: Saints & Sinners lassen sich gestochen scharf lesen und in Half-Life: Alyx wirken aufgeschlitzte Leichen plötzlich deutlich plastischer und ekliger! Im Physik-Shooter Boneworks profitieren vor allem die Spiegelungen und feinen Oberflächen von der gestiegenen Detailfülle. Außerdem fiel mir erst nach dem Absetzen des Headsets auf, wie erstaunlich entspannt sich meine Augen anfühlten. So sorgt also auch die Detailtreue dafür, dass längere Spiel-Sitzungen möglich werden als mit anderen Headsets.

Je nach Spiel war auch die Performance mit meiner GeForce RTX 2080Ti und einem Intel i7-8700K besser als befürchtet (bei einer SteamVR-Auflösung von 2672 x 2672). Das unheimlich gut optimierte Half-Life: Alyx lief selbst auf fast durchgehend höchsten Einstellungen wie ein Traum - zumal ich hier sogar die meisten neuen Details in den hochaufgelösten Umgebungen entdecken konnte! The Walking Dead: Saints & Sinners schlug sich auf relativ hohen Einstellungen tapfer und flüssig, wobei hier in einer derart hohen Auflösung vieles noch cartoonartiger wirkte als auf der Index.

Bessere Performance als erwartet

Sogar der von Details überflutete Weltraum in Star Wars: Squadrons bewegte sich auf "High" noch flüssig - auch wenn die Grafikkarte dabei wie ein Düsenjet klang, der versuchte, eine PS4 Pro zu übertönen. Auch hier fallen in der hohen Auflösung Schönheitsfehler stärker auf, z.B. bei den stereoskopischen Spiegelungen im Hangar. Der Eindruck im All das ist trotzdem atemberaubend, was bei mir sogar die Übelkeit verringerte. Technisch weniger anspruchsvolle Titel wie The Room VR: A Dark Matter oder das kantige Paper Beast hatten auf höchsten Einstellungen keinerlei Probleme, mit der hohen Auflösung 90 Frames zu halten.

Ein Blick auf die Linsen. Am Rand sieht man gut, wie dick und breit die bequemen Kopfpolster ausfallen: Sie könnten allerdings auch ein Grund für das verhältnismäßig kleine Sichtfeld sein, da sie den Kopf weiter von den Linsen entfernt halten als bei anderen Headsets.
Im Test gab es allerdings auch einige Problemkinder: Respawns Shooter Medal of Honor: Above and Beyond zeigte sich völlig überfordert und kam selbst auf mittleren oder niedrigen Einstellungen gelegentlich ins Stottern. Project Cars 2 musste ich ebenfalls in vielen Optionen stark herunterregeln, zumal dort nerviges Kantenflimmern auftrat. Project Cars 3 schlug sich auf mittleren Einstellungen besser, zumal der Bildeindruck insgesamt sauberer blieb. Der Traum, auch entfernte Wagen noch weit entfernt gestochen scharf zu sehen, hat sich also in beiden Rennspielen von Slightly Mad bisher nicht erfüllt - da es dort einfach noch etwas zu unscharf bzw. unsauber blieb.

Rucklige Ausreißer

Bei der automatischen Auflösung in der Viveport-Konsole setzte OpenVR Benchmark die Rendering-Resolution von SteamVR übrigens auf 2.332 x 2.332 bei 90 Hertz. Das Tool spuckte ein Durchschnitts-Ergebnis von 24,35 FPS aus - laut der Software ein normales Ergebnis für diese Kombi aus GPU und Headset. HTCs Hardware-Empfehlungen bewegen sich übrigens in erstaunlich niedrigen Gefilden: Der Hersteller empfiehlt als Grundvoraussetzung für die volle 5K-Auflösung bei 120 Hertz lediglich eine GeForce RTX 2060/Radeon RX 5700 und einen Intel Core i5-4590/AMD Ryzen 1500.

Ein Blick durch die Linse auf Half-Life: Alyx im hochaufgelöstem Kabel-Betrieb...
Bei niedriger Auflösung mit 90 Hertz seien sogar nur eine GeForce GTX 1060 oder eine AMD Ryzen 1500 nötig. Unserer Einschätzung nach sollte man ein derart hochaufgelöstes Headset lieber mit entsprechend aktueller PC-Hardware befeuern - oder lieber gleich zur ressourcensparenden Konkurrenz greifen.

Niedrige Specs?

Als enttäuschend erwies sich der Einsatz des für 399 Euro erhältlichen HTC Vive Wireless Adapter. Dabei handelt es sich um eine Art Plastik-Hörnchen, das aufs Headset bzw. den Kopf geschnallt wird und mit Hilfe einer im PC eingebauten PCIe-Karte betrieben wird (wichtig sind ein halbwegs aktueller Prozessor und eine freie Sichtlinie zur Antenne, mehr dazu Test). Der Durchsatz der damaligen WiGig-Hardware auf 60 Ghz liefert einfach nicht genügend Bandbreite für die hohe Auflösung, so dass lediglich die Modi Balanced (1.224 x 1.224, 90 Hz) oder "Automatisch" zur Verfügung stehen. Das Ergebnis ist in jedem Fall ein deutlich unschärferes Bild, das auch eine ganze Ecke hinter den Drahtlos-Modi der Quest 2 zurückbleibt (via Air Link oder Virtual Desktop). 120 Hertz sind kabellos grundsätzlich nicht vorgesehen.

Wie läuft es drahtlos?

...und drahtlos mit dem Wireless-Adapter und zwangsweise reduzierter Auflösung.
Beim Betrieb mit dem Vive Wireless-Adapter stören am unteren Bildrand sogar ein paar leichte Kompressionsartefakte - zumal wir auch beim drahtlosen Spiel einige Fehlermeldungen und Abstürze erlebt haben. Gelungen wirkt hingegen die geringe Eingabeverzögerung, die fast so direkt reagiert wie das verkabelte Spiel. Freunde von Musik- oder Sportspielen wie Beat Saber oder FitXR dürften hier also minimal besser abschneiden als mit der Quest 2 und Air Link/Virtual Desktop. Vorher ist allerdings auch deutlich mehr Montage-Einrichtung nötig als bei Facebooks einsteigerfreundlichen Lösungen. Mit Blick auf die Zukunft bleibt zu hoffen, dass HTC bei geplanter Hardware auf den kommenden Standard Wi-Fi 6E setzt. Diese Technik könnte mit Hilfe moderner Router relativ unkompliziert niedrige Latenzen und hohe Bandbreiten ermöglichen.

Schön, dass bisheriges Zubehör der vorigen Pro-Modelle auch vom aktuellen Headset unterstützt werden. Um beim Test noch nerdiger auszusehen, habe ich mir also auch zwei Vive-Tracker (3.0, je 139 Euro) und einen Facial-Tracker (139 Euro, z.B. für Meetings in Sync) von HTC ausgeliehen. Mit diesem Zubehör lassen sich an allen Vive-Pro-Modellen (und vielen anderen VR-Headsets) z.B. Mund- und Fußbewegungen tracken. Als altmodischer Spieler-Typ, der sich eher selten in soziale Apps wie Rec Room oder VRChat vorwagt, habe ich zwar nur bedingte Einsatzgebiete für die Erweiterungen, faszinierend ist die Technik natürlich trotzdem. Nachdem das Kästchen mit den mitgelieferten Klebestreifen an die Front geklebt war und vor meinem Mund hing, imitierte mein Avatar in der Online-Welt von Neos schon recht ordentlich meine Mundbewegungen.

Älteres Zubehör wird unterstützt

Selbst wenn ich die Wangen aufblies, die Zunge herausstreckte oder die Unterlippe herunterzog, wurde das wiedergegeben. Gute Zeiten für all jene, denen sprachliche Beleidigungen oder Fingergesten per Index-Controller zu langweilig geworden sind. Schade allerdings, dass HTC das Augentracking bei der Vive Pro 2 erst als Add-on von einem Fremdhersteller nachliefert. Für authentische Emotionen (oder das vermutlich ressourcensparende Foveated Rendering der PSVR2) wäre die Erfassung der Blickrichtung wichtig. Die zwei Körper-Tracker verrichteten ihren Dienst aber einwandfrei. Wenn ich spontan Lust auf eine Runde Breakdance mit Trackern an den Füßen bekomme, kann ich direkt loslegen - in der Praxis also nie. Aber auch fürs Motion-Capturing von Animationen dürfte das Zubehör nützlich sein, oder für die in China beliebten VTuber aus Japan. Mit den Tundra-Trackern ist übrigens auch ein kleineres Konkurrenz-Produkt in Arbeit, das zudem nur ein einziges USB-Dongle für mehrere Körper-Tracker benötigt.

Schreien oder nicht schreien: Mit Hilfe des Gesichts-Trackers lässt sich im Online-Treffpunkt Neos VR sogar die Zunge herausstrecken.
Apropos China: Laut Industrie-Insidern wie dem Youtuber Nathie und seinem Bruder David de Jong ist die alte Vive Pro dort im Großteil der VR-Spielhallen installiert. Da Facebook dort nicht vertreten ist, könnte diese HTC-Dominanz auf dem eigenwilligen chinesischen Markt dafür sorgen, dass auch der Vive Pro 2 insgesamt gute Zukunfts-Chancen bevorstehen - trotz HTCs finanzieller Rückschläge auf dem westlichen Markt. Zudem hat das Unternehmen seinen VR-Fokus in den vergangenen Jahren immer weiter auf den Geschäftskundenbereich verlagert. Auf diesem lassen sich schließlich mit Garantie- und Service-Verträgen höhere Margen erzielen als im Endkunden-Preiskampf mit dem unschlagbar günstigen Konkurrenten Facebook und seiner Daten-Verwertung.

Stark in China

Fazit

Endlich ist es passiert: Die Bildschirme der Vive Pro 2 mit 2.448 × 2.448 Pixeln lassen das Fliegengitter derart gut verschwinden, dass selbst Reste des Pixelrasters nur noch selten zu erkennen sind. Ein beeindruckendes Erlebnis also, die Erfahrung wird allerdings von vielen kleinen technischen Macken getrübt. Trotz der Positionierung als Premium-Headset wirkt vieles einfach noch unausgegoren. Dazu gehören vor allem der kleine mittlere Bereich, in dem sich das Bild beider Augen überschneidet (Binocular Overlap) und die vielen Fehlermeldungen sowie Abstürze bei der Software, die das "Ausfahren" der vollen 5K-Auflösung mit 120 Hertz erschweren oder sogar verhindern können. Für Neulinge, die sich lieber unkompliziert die Quest 2 überstreifen und exklusive Spiele genießen, ist ohnehin ein zu hoher Investitions- und Installations-Aufwand nötig. Der Umstieg auf die Vive Pro 2 lohnt sich also primär für Enthusiasten, die schon einen schnellen PC, die hochpräzisen Lighthouse-Stationen und Index-Controller besitzen. Doch selbst sie sollten überlegen, ob das tolle Panel und der unerreichte Tragekomfort ihnen die Einschnitte an anderer Stelle wert sind. Die Index etwa besitzt nach wie vor ein größeres Sichtfeld, obwohl HTC gerade in diesem Bereich massiv die Werbetrommel rührte. Die Quest 2 wiederum bietet ein insgesamt klareres Bild mit einem größerem Sweetspot, zumal der optionale Drahtlos-Betrieb dort mit höherer Auflösung und einer einfacheren Einrichtung abläuft. Ich würde die Vive Pro 2 allerdings der HP Reverb G2 vorziehen, damit ich von Haus aus das hochpräzise Lighthouse-Tracking und meine Index-Controller nutzen kann, statt mit dem schwächeren WMR-Tracking zu leben oder die Index-Controller über technische Umwege einzurichten. Unterm Strich hat sich HTC also wieder ein wenig gesteigert, was nach der gefloppten Vive Cosmos mit ihrem schwachen Tracking aber auch nicht all zu schwer war.

Wertung

VirtualReality

Die hohe Auflösung und der Tragekomfort begeistern, allerdings stören Schwächen bei anderen Bild-Aspekten und der Software das Erlebnis.

HTCVive

Die hohe Auflösung und der Tragekomfort begeistern, allerdings stören Schwächen bei anderen Bild-Aspekten und der Software das Erlebnis.

Kommentare
purple_hazeXjackthahorror

wie ist die brille im vergleich zur index?

vor 3 Jahren
Tas Mania

Okay, kurzes Update zum Mod mit dem Cool XG Foam Replacement Set for Oculus Quest 2 (das schmalere der zwei beiliegenden Polster): Das Gesichtspolster passt recht gut per Klettverschluss an die HTC Vive Pro 2 und das FOV ist durch den geringeren Abstand dann bei mir deutlich besser: Vertikal 90 statt 72 Grad und horizontal 112 statt 96 Grad (also etwa in meinen Index-Bereichen von 106/106, nur breiter und nach oben/unten hin schmaler). Die Probleme im Bereich Binocular Overlap werden dadurch auch etwas kleiner, da sich das Stereo-Bild beider Augen auf einer spürbar größeren Fläche überschneidet (trotzdem noch kleiner als bei Quest 2 oder Index).

Warnung: Allerdings stößt dann auch meine Nase vorne ans Plastik und die Linsen beschlagen schneller. xD Für mich ist die Mod also nicht praxistauglich.

Per Mod mit dem dickeren der zwei Cool-XG-Polster sind es vertikal noch 86 Grad und horizontal 108 Grad, doch auch hierbei stößt die Nasenspitze vorne dauerhaft gegen das Gehäuse.

Zur Einordnung: Meine Nase ist schon eher groß als klein, aber auch nicht wirklich ein großer Zinken.
Danke für deine breaking news!

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
Herschfeldt

......
Bin nicht allein mit meiner Meinung... VG.
PS.: Momentan hab ich eh keine Zeit für das Aufbauen, bin zu sehr mit Days Gone beschäftigt....

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
monthy19

Ich werde mit Kabeln nicht mehr warm.
Wenn man einmal eine Quest hatte, will man wirklich nichts anderes mehr.
Da bin ich sicher. Auch wenn das Bild besser ist. Die Möglichkeit sich im Raum zu bewegen ist unglaublich.
Auch als Erfahrung. Also mitten im Spiel sein. Es gibt nichts besseres.
Aber es muss ja auch jeder selber wissen.

vor 3 Jahren
4P|Jan

Per Mod mit dem dickeren der zwei Cool-XG-Polster sind es vertikal noch 86 Grad und horizontal 108 Grad, doch auch hierbei stößt die Nasenspitze vorne dauerhaft gegen das Gehäuse.

Zur Einordnung: Meine Nase ist schon eher groß als klein, aber auch nicht wirklich ein großer Zinken.
Vielleicht noch den eyrelief etwas lockern bis die Nase Freiraum hat? Wäre interressant zu wissen ob die beiden Cool XG Polster überhaupt von der Polsterung noch reichen würde, wenn man mal länger zocken möchte.

Können die Cool XG Polster denn die 850g Gewicht irgendwie erträglich verteilen, wie z.B. die standard Polster die bei der Vive Pro 2 dabei sind? Oder sind die sogar angehmer und eine empfehlung, wenn man keine probleme mit der Nase hätte?
Schwer zu sagen, weil das unangenehme Gefühl auf der Nase so präsent war, die Gewichtsverlagerung wirkte aber tendenziell auch mit Cool XG noch angenehm.

Die Eye-Relief-Verstellung bringt keine Besserung, weil die Nase gegen das andere Gehäuseteil drückt.

Hier mal ein Beispiel-Video mit mir, um meine "Nasen-Maße" ein wenig einschätzen zu können:

https://www.4players.de/4players.php/tv ... sicht.html

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren