Carve Snowboarding - Test, Sport, VirtualReality, OculusQuest

Carve Snowboarding
03.06.2021, Jan Wöbbeking

Test: Carve Snowboarding

Fast wie auf der echten Piste?

Harte Zeiten für Sportmuffel, die gemütlich ins Sofa versunken ihre Tricks abziehen wollen. In Carve Snowboarding vom 1080°-Macher Giles Goddard lehnt man sich per Bewegungssteuerung in die Kurve, und greift im Sprung praktisch mit den eigenen Händen ans Board. Warum das sehr immersiv, aber auch ganz schön knifflig werden kann, erklären wir im Test für Oculus Quest.

Wie setzt man ein authentisches Snowboarding-Gefühl um, ohne einen Fuß-Controller zu benutzen? Entwickler Chuhai Labs lässt den Spieler die Balance-Bewegungen mit ausgestreckten Armen ausführen. Einfach seitlich zur Strecke aufs virtuelle Board stellen, die Arme ausstrecken, die Controller behutsam in den Kurven neigen und zu Sprüngen kurz in die Luft reißen. So authentisch und immersiv fühlte sich die Abfahrt auf einem Brett vermutlich noch nie an – vor allem, wenn man die noch realistischere Kantensteuerung aktiviert! Da der Körper voll involviert ist, hatte ich trotz wilder Manöver nicht einmal Übelkeitsprobleme! Das hätte ich nach meinen VR-Problemen mit Rallye-Spielen nicht erwartet.

Hände sind die neuen Füße!

Der Komfort profitiert auch von einer geschickt als Eisrand getarnten Vignette auf der Skibrille. Lediglich ein Muskelkater in den Schultern machte sich nach einer langen Spiel-Session abends bemerkbar – damit kann ich leben. Schade, dass man im Abfahrtsmodus nur auf Zeit statt gegen menschliche Gegner fährt. Bestenfalls der eigene Geist bzw. der von weltweiten Könnern taucht vor mir auf – sofern die fehlerhaften Ranglisten nicht gerade wieder verrückt spielen.

Manche freigeschalteten Boards eignen sich für Geschwindigkeit, andere für waghalsige Abkürzungen oder Tricks.
Trotzdem handelt es sich um ein entspanntes und zugleich forderndes Erlebnis. Einfach mal die Hänge hinunter rauschen, einige schön platzierte Höhlen und Abkürzungen erwischen und unterschiedlich gefärbte Schneearten ausnutzen (gelbe gibt es glücklicherweise nicht!). Und dann ist da noch der zweite große Modus, mit Tricks für einen Punkterekord auf Zeit. Wie, du kennst keinen Truck Driver oder die Dracula Method? Na dann schau doch im Internet nach! Obwohl es sich sowohl im Abfahrts- als auch im Trick-Modus um ein einfach gestricktes Arcade-Spiel handelt, ist die Einführung für Neulinge deutlich zu kurz geraten. Keine Trick-Lexika, keine ausführlichen interaktiven Tutorials – hier gibt es nur eine kurze spielbare Erklärung der Grundmechaniken.

Echte Sportler im Vorteil?

Der knifflige Einstieg offenbart aber auch, wie nah sich die Umsetzung der Tricks schon am Original bewegen. Wer zwischendurch das Headset absetzt und sich auf Youtube ein echtes (!) Snowboarding-Tutorial anschaut, kann die benötigten Grabs mit etwas Können danach direkt im Spiel umsetzen. Wahnsinn, oder? Die Hände greifen zwar nicht unter die echten Füße des Spielers, sondern nur auf halber Höhe in die Luft, aber die Bewegung ist nah am Original. Nach dem Absprung bewege meine Hände mit den Bewegungscontrollern einfach an den entsprechenden Punkten ans Board, halte eine Weile die Grifftaste gedrückt und versuche, sauber zu landen. Schön, dass wir an diesem Punkt angelangt sind.

Das richtige Zielen beim Zugreifen erweist sich trotz kleinem Diagramm als gar nicht so leicht. Der Eisrand zur Übelkeitsvermeidung (und vielleicht auch zur Entlastung des Grafikchips) wirkt unterm Headset übrigens lange nicht so fett wie es auf dem Screenshot aussieht.
Der Bruch zwischen den Eingaben des Spielers und der Spielfigur ist mit diesem Spiel also wieder einmal kleiner geworden. Dieses Potenzial hat offensichtlich auch Chef-Entwickler Giles Goddard erkannt, der schon in N64-Zeiten als Programmierer von 1080° Snowboarding eine leitende Funktion inne hatte. Über 100 Tricks ergeben sich aus Kombinationen der verfügbaren Griffe und Drehungen. Als Anfänger ohne echte Snowboarding-Erfahrung machte ich allerdings zunächst häufiger mit all den Felsen und Bäumen am Rande diverser Abkürzungen Bekanntschaft, statt sauber die geforderten Grabs abzuliefern. Warum wurde das gerade als Rocket Air gewertet und nicht als Crossrocket Grab mit überkreuzten Händen? Oft konnte ich nicht wirklich sagen, ob die Erkennung zu ungenau arbeitete oder ob ich einfach ein zu blutiger Anfänger war. Vermutlich ist daran auch der Umstand schuld, dass hier so vieles ausschließlich mit der Bewegungssteuerung kontrolliert wird – und sich die verschiedenen Eingaben ein wenig in die Quere kommen.

Der Flugverkehr nimmt wieder Fahrt auf

Echte Snowboarder könnten hier eine deutlichen Vorteil besitzen, weil sie die Positionen der Hände schon verinnerlicht haben und intuitiv verlässlicher abspulen können. Ich habe allerdings auch nach einigen Stunden noch damit gekämpft, die übertrieben hohen Punktzahlen für genügend Medaillen zu erreichen, um weitere Exemplare der sechs Kurse freizuschalten. Auch das eingeblendete Diagramm des Boards mit vereinfachten Hand-“Slots“ half nur sehr bedingt dabei weiter, sie auch passend mit den Händen zu treffen.

Schliddern, rotieren und zugreifen

Das Aufrechterhalten der Kombos wird aber immerhin ein wenig von den einfacher zu meisternden Slides auf Geländern oder Spins erleichtert. Keine Angst, bei Letzteren müsst ihr euch nicht persönlich um die eigene Achse drehen. Stattdessen werden mit gehaltenem Trigger ein wenig die Arme bewegt, so dass nur das Board vor einem rotiert (der Magen dankt!). Wie genau das umgesetzt wird, muss aber wieder mal alleine ausgetüftelt werden. Flips (z.B. Salti) werden leider nicht geboten. Vorhanden ist dagegen eine alternative Möglichkeit, im Sitzen zu spielen.

Bestenlisten und Geister sind nur manchmal zu erreichen - und leiden unter übermenschlichen Zeiten bzw. cheatenden Spielern.
Der Freischaltkram bietet durchaus eine passable Langzeitmotivation, u.a. mit Pisten, Handschuh-Designs, Mixtapes und natürlich unterschiedlichen Boards mit diversen Werten fürs Fahr- und Freestyle-Verhalten. Schade jedoch, dass die Trick-Veranstaltungen - wie schon erwähnt - so viel kniffliger ausfallen als die Abfahrten. Grafisch schlägt sich der Titel recht ordentlich. Mit der Quest 2 erblickte ich hier und da zwar plötzlichen Grafikaufbau oder einen Nachlade-Hänger. Die idyllisch glitzernden, unterschiedlich nachgebenden Schneepassagen wurden aber glaubwürdig umgesetzt – selbst wenn es nicht so beeindruckend detailreiche Panoramen wie in The Climb 2 gibt.

Eher etwas für zwischendurch?

Der abwechslungsreiche konfigurierbare Soundtrack kommt nicht nur mit fluffig-verträumtem Indie-Gesäusel daher: Mit „Mad as Hell“ von Black Mustang vs. Kerrier District haben die Entwickler auch einen echten elektronischen Brecher und Geheimtipp aus dem Jahr 2009 ausgegraben (siehe Trailer). Für Freunde von Synkopen und Frühneunziger-Techno ein wahrer Genuss! Spielt auf jeden Fall mit Köpfhörern: Manche Titel massieren die Ohren mit fast schon übertrieben viel Bass, und auch die räumlichen Schnee- und Windgeräusche tragen viel zum Präsenzgefühl bei! Die gemütliche Hütte als begehbares Menü sorgt ebenfalls für Wohlfühl-Atmosphäre.

Ausflüge an den Streckenrand lohnen sich, weil dort Symbole für Freischaltkram warten.
Meiner Meinung nach sollte jeder Entwickler intensiver VR-Spiele seinen Nutzern solch ein Refugium zum entspannen anbieten. Auf dem Bett wartet sogar ein streichelbarer Hund und hinter der Tür ein Sprüche klopfender Stoner-Dude. Sweet! Von solchen liebevollen Kleinigkeiten abgesehen merkt man dem Spiel allerdings an, dass nur ein verhältnismäßig kleines Team daran gearbeitet hat – wie so oft im VR-Bereich. Rennen mit KI-Gegnern, Online-Rennen, Freundes-Herausforderungen oder dergleichen fehlen hier leider, von den aufwändigen Sportler-Karriere-Modi anderer Spiele kann ich hier nur träumen. Mit seinen 19,99 Euro richtet sich der Titel aber ohnehin eher an Freunde einer schnellen Runde zwischendurch – passend zum Spielablauf, der körperlich mehr fordert als z.B. ein Shooter. Ich kam aber nicht so schnell ins Schwitzen wie beim Boxen oder in Musikspielen, was sich vorteilhaft auf die letzten kühlen Juni-Tage auswirken dürfte.

Hütte, Hund und Dude

Fazit

Mit Carve Snowboarding hinterlässt schon wieder ein VR-Titel ein zwiespältiges Gefühl: Einerseits ist es cool, dass Chuhai Labs eine Umsetzung des Sports gelungen ist, die sich so realgetreu und mitreißend anfühlt! Hier wird schließlich mit intuitivem In-die-Kurve-Lehnen der Bewegungs-Controller und authentischen Griffen ans Board gesteuert! Komplett ausgefeilt wirkt die Technik aber noch nicht, da die virtuellen Griffel nicht immer zuverlässig genug am Board landen. Es fehlen einfach tiefergehende Tutorials oder zumindest Trick-Lexika, um nicht ständig das Headset für Tipps und Recherchen abnehmen zu müssen. Zudem wirken die nur zwei Modi ohne KI-Gegner und Online-Rennen auf Dauer etwas karg. Wer sich auf eine steile Lernkurve einlässt, ein geübtes Körpergefühl oder gar echte Snowboarding-Kenntnisse mitbringt, könnte hier aber trotzdem auf seine Kosten kommen!

Pro

  • intensives, sehr intuitives Fahrgefühl
  • authentisch umgesetzte Trick-Steuerung nah am Vorbild
  • cooler Soundtrack
  • trotz wilder Action erstaunlich komfortabel
  • sympathische Hütte zur Erholung zwischendurch

Kontra

  • Trick-Modus viel kniffliger als die Zeitrennen
  • ...Griff-Steuerung aber nicht immer verlässlich genug
  • keine KI
  • oder Online-Rennen
  • karger Umfang ohne komplexe Karriere oder dergleichen
  • Bestenlisten und Geister leiden unter Fehlern/Cheatern

Wertung

VirtualReality

Ein erstaunlich authentisches Spielgefühl wird von Balance-Problemen und dem überschaubaren Umfang ausgebremst.

OculusQuest

Ein erstaunlich authentisches Spielgefühl wird von Balance-Problemen und dem überschaubaren Umfang ausgebremst.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.
  • Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.
Kommentare
treib0r

Ich habe den Spiel keine 10 Minuten geben können. Die Immersion wurde für mich an so vielen Stellen gestört, dass ich direkt eine Rückerstattung beantragt habe.
Das liegt nur zweitrangig an der kargen Grafik. Details, Abwechslung, markante Stellen auf der Piste und Tiefschnee sucht man vergebens.
Die maximale Geschwindigkeit war bei mir begrenzt. Mag sein, dass das am Board lag. Allerdings spielt das Board dbzgl keine Rolle, wenn ich von einem 10% auf 20% Gefälle fahre und dennoch gleich langsam bleibe. Fühlte sich wie mit angezogener Handbremse an.
Das Spiel hat Potenzial. Allerdings hat es mich im jetzigen Zustand eher an eine Alpha erinnert.

vor 3 Jahren