Chivalry 2 - Test, Action, XboxSeriesX, XboxOne, PC, PlayStation5, PlayStation4
Nicht, dass das heute anders wäre, aber im Mittelalter möchte ich auf keinen Fall dabei gewesen sein, wenn die Herren Fürsten und Könige mal wieder für ein paar Hektar Land ihr Volk aufeinander hetzten. Das konnte nämlich gar nicht anders enden als in Eintöpfen aus Fleisch und Gedärm. So schnell wie sich da von irgendwo ein scharfes Eisen in den Körper bohrte, man Blut bespritzte Rüstungen kaum voneinander unterscheiden konnte und aus dem Nichts auch noch scharfe Pfeile geflogen kamen – dazwischen das Schreien und Stöhnen mal mehr, mal weniger gelernter, auf jeden Fall ums nackte Überleben ringender Opfer, die eine Brücke halten, ein Dorf anzünden, Gold stehlen oder ihren Herzog beschützen müssen: Wer Braveheart gesehen hat, kann sich in etwa vorstellen, was einen da erwartet hat. So stellt es Chivalry 2 jedenfalls dar.
„Also gut, einigen wir uns auf unentschieden.“
Nur sieht man hier eben auch, wie sich ein paar Gegenspieler auf Katapulte setzen und sich so über die halbe Karte teleportieren. Bringt überhaupt nix! Geht aber. Einige schnappen sich auch Fässer, um sie Feinden auf die Köpfe zu wuchten. Oder man schmeißt Widersachern einen Fisch – ja, einen Fisch – entgegen, den man am Marktplatz aufgegabelt hat. Man setzt eine Art Karussell in Gang, dessen Arme unaufmerksame Feinde watschen, macht blöde Sprüche, lacht gellend auf und freut sich dabei über eine Stimme, die nach heldenhaftem Crescendo plötzlich bricht oder vom ersten Moment an schon erbärmlich krächzt.
Nein, es gibt sogar einen erzählerischen Hintergrund. Der frei erfundene Mason-Orden und die ebenso fiktiven agathischen Ritter tragen einen Konflikt aus, wie sie es im Vorgänger sowie der ursprünglichen Half-Life-2-Modifikation Age of Chivalry bereits taten – was allerdings schon deshalb keine echte Rolle spielt, weil es abseits von Tutorial und Training gegen die KI nicht einmal den Ansatz weiterführender Solo-Inhalte gibt. Ihr müsst nur wissen, dass hier die Roten gegen die Blauen kämpfen und evtl. die Seite wechseln, falls eure Freunde mal wieder beim Gegner starten.
Ach ja, die Story: Krieg, Mittelalter, Multiplayer, Punkt.
Denn Chivalry 2 ist ein grob an Battlefield angelehntes Schlachtgemälde für bis zu 64 Teilnehmer, die sich entweder im Team Deathmatch so lange die Rüben einschlagen, bis dem ersten Team die begrenzten Leben ausgehen, oder bis die Angreifer in einem missionsbasierten Einsatz eine Reihe an Zielen erfüllt haben, wovon sie die Verteidiger natürlich abzuhalten versuchen. Beide Modi befinden sich in einem Pool, aus dem der nächste Einsatz vom Zufall bestimmt wird, wobei die missionsbasierten Karten die deutlich interessanteren sind.
In der Schlacht von Finsterwald sollen die Masons etwa einen Herzog töten, der sich in seiner Burg verschanzt hat. Dafür müssen sie zunächst mal ihre Katapulte sowie anderes Gerät vors Tor karren, selbiges stürmen, bis zum Herzog vordringen und den dann auch noch niederstrecken. Beim Schlachten von Coxwell sollen die Ritter von Agatha hingegen verhindern, dass die Roten erst mehrere Häuser vor den Toren einer Siedlung niederbrennen, bevor sie den Ort plündern und einnehmen. Für Abwechslung sorgt dort nicht nur das Aufnehmen und in Sicherheit Bringen von Beute, falls man ein Mason ist. Witzig (und freilich schnell vorüber) ist auch der Start als mit Schippe oder Mistgabel „bewaffneter“ Bauer auf agathischer Seite.
Rein spielerisch steckt in Chivalry 2 jedenfalls so viel, dass es eine helle Freude ist. Alleine dass man jede fallengelassene und herumstehende Waffe aufheben und benutzen kann, ist klasse. Selbst Bogenschützen können sich ja Dolch und Schild krallen – oder beides nacheinander werfen, um sich anschließend einen Speer zu schnappen. Sie müssen an Munitionskisten außerdem recht häufig Nachschub holen und können ihre Geschosse an kleinen Feuern anzünden.
Für besonders Wahnsinnige gibt es übrigens noch das freie Deathmatch, also ganz ohne „Team“. Ich belasse es dahingehend mal bei einem: „Frohes Sterben, Leute!“
„Ihr kriegt mich nicht!“
Herrlich auch, wie verhasst Bogen- sowie Armbrustschützen sind und deshalb oft mit besonders wütendem Schwung niedergestreckt werden. Ratzt man als Fernkämpfer einem anstürmendem Gegner allerdings in letzter Sekunde noch einen Pfeil in die Stirn oder wechselt schnell genug auf die schwache Sekundärwaffe, um sich erfolgreich zu verteidigen, ist das ein umso größerer kleiner Sieg. Überhaupt entwickeln sich mitunter ausgesprochen unterhaltsame Privatduelle gegen ganz bestimmte Kontrahenten über ein gesamtes Match hinweg.
Finte, Konter und viel mehr
Obwohl man diese Grundlagen schnell versteht, dauert es eine Weile, bis alle Bewegungen und Timings in Fleisch und Blut übergehen. Umso mehr Spaß macht es dann allerdings mit einer Klasse, die man gut beherrscht, gleich mehrere Feinde aufzumischen. Ich will euch nichts vormachen: Es bleibt immer ein selbstmörderisches Schnetzeln, bei dem man früher oder später tot am Boden liegt. Genau das soll es ja auch sein. Irgendwann hält man sich aber so lange auf dem Schlachtfeld, dass man wichtige Positionen hält, dem Gegner an empfindlichen Stellen Schaden zufügt oder einfach nur etwas verdammt Unterhaltsames erlebt.
Für viel Variation sorgen dabei auch die bereits angerissenen vier Klassen, da sie nicht nur mit verschiedenen Waffen in den Kampf ziehen, sondern sich auch unterschiedlich schnell bewegen und über eigene Spezialfähigkeiten verfügen. Einige heilen Mitstreiter, andere werfen Öl-Fässchen, die eine kleine Fläche in Brand stecken, und wieder andere stellen massive Schilde oder spitze Barrikaden auf. Je länger man eine Klasse spielt, desto mehr Waffen und Unterklassen schaltet man dabei frei, was ausgesprochen motivierend ist, da diese tlw. sehr verschieden sind und damit zusätzliche Spielweisen eröffnen.
Klasse und Masse
Was sich hingegen in keiner Weise aufs Spiel auswirkt ist das rein optische Individualisieren der Kämpfer, wobei man jeder Klasse beider Parteien anders aussehende Waffen oder Rüstungen verpasst und sogar Aussehen sowie Stimme der Kämpferinnen und Kämpfer auswählt. Weil man dafür im Gefecht verdientes Geld benötigt und für einige Gegenstände auch ein bestimmtes Level erreicht haben muss, ist das eine gelungene Belohnung für erfolgreiches Sterben und Sterben lassen.
Zusätzlich gibt es eine alternative Währung, die man für Echtgeld kaufen kann, vor deren Kauf man allerdings einen Hinweis bestätigen muss, auf dem die Entwickler kurz erklären, warum es diese Einnahmequelle gibt, und darum bitten, die rein optionale Währung nur in einer gesicherten finanziellen Situation zu kaufen. Das macht die ehemaligen Modder noch mal sympathischer als es ihr Spiel ohnehin schon tut.
Beim Individualisieren fällt allerdings auch auf, dass das Menü besonders auf den Konsolen seltsam unübersichtlich ist. Es ist nicht mal schlecht strukturiert, aber die Art und Weise, mit der Menüs ineinander verschachtelt sind, sowie die Tatsache, dass der jeweils gewählte Menüpunkt nicht immer sofort erkennbar ist, machen das Hantieren in den Optionen recht unhandlich. Hinzu kommt der Fehler, dass nicht alle Einstellungen gespeichert werden, weshalb ich z.B. die Bewegungsunschärfe jedes Mal aufs neue abschalten darf und auch Teile der Steuerung schon wiederholt einstellen musste.
Über Kreuz, aber nicht in alle Richtungen
Alles in allem und trotz des unterhaltsamen Spektakels muss man außerdem sagen, dass Chivalry 2 auch mit all seinen Vorzügen vor allem auf Dauer eine recht monotone Angelegenheit bleibt. Das ständige aufeinander zu Rennen sowie die Handgemenge sind ja stets die gleichen. Und so sehr ich verstehe, dass man zu Release erst einmal ein schnelles Matchmaking sicherstellen will, vermisse ich die Möglichkeit nicht missionsbasierte Karten aus der Rotation zu werfen, da diese Einförmigkeit dort naturgemäß noch stärker ausgeprägt ist.
Einbahnstraßen-Action
Und eine kleine Bitte gerade in diesem Zusammenhang noch zum Schluss: Gönnt uns eine kurze Pause, bevor die nächste Partie startet! Das wäre nämlich nicht nur zum Luftholen gut; man könnte dann auch mal einen Blick auf die zuletzt freigeschalteten Waffen und Unterklassen werfen, um sie gezielter einzusetzen.
Fazit
Was für eine herrlich zynische Lehrstunde in Sachen Mittelalter! Chivalry 2 inszeniert das bestialische Abschlachten auf den Feldern armer Bauernopfer, die als krächzende Protagonisten an der Seite blutverschmierter Ritterrüstungen ihre Waffen schwingen, so pointiert wie einen Monty-Python-Sketch. Dabei steht der schwarze Humor gar nicht im Mittelpunkt, denn es ist das ausgeklügelte Kampfsystem und es sind die unheimlich vielen Möglichkeiten ins Geschehen einzugreifen, wegen denen ich hier eine Runde nach der anderen starte – zumindest so lange, bis die auf Dauer doch recht einförmigen Scharmützel eine Pause verlangen. Bis es so weit ist, genieße ich den martialischen Tanz aus Angriffen und Blöcken sowie Tritten und Schüssen in vollen Zügen, schmeiße meine Klingen an gegnerische Köpfe und kichere, wenn sie dort steckenbleiben oder meine Kämpfer einen blöden Spruch raus hauen. Auch wenn es immer nur für ein paar Runden funktioniert: Chivalry 2 ist vielleicht das beste Battlefield, das es nie gab!
Pro
- einfaches bzw. intuitives, aber erstaunlich umfassendes Kampfsystem
- aufheben neuer und fallengelassener Waffen sowie von Fässern u.a. Dingen
- werfen von Waffen, Selbstmord, Bedienen von Geschützen und andere Möglichkeiten
- unverschämt unterhaltsame, manuell aktivierbare Kampfschreie und Kommentare
- bis zu 64 Spieler
- Crossplay über alle Plattformen...
- ständig wechselnde Aufgaben machen Verlauf sehr abwechslungsreich
- Respawns immer als Gruppe in Intervallen, anstatt alleine gegen eventuelle Überzahl
- motivierendes Freischalten neuer Waffen und Kämpfertypen
- hervorragende Balance aus makaberem Schlachtgemälde und schwarzem Humor
- relativ zahlreiche Möglichkeiten Kämpfer verschiedener Klassen zu individualisieren
Kontra
- erzwungene Tode aufgrund angeblichen Desertierens beim Verlassen des jeweils aktiven Areals
- auf Dauer in sich sehr einförmiges Spiel
- keine Pause: nach jeder Partie startet umgehend eine neue
- auf Konsolen unübersichtliches und unhandliches Menü, auch in den Scharmützeln
- speichert einige Einstellungen nicht
- ... aber keine plattformübergreifenden Partys und kein Crossplay zwischen PS4 und PS5
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt Käufe nur für optionale Kosmetik wie Farben, Skins, Kostüme etc.
- Man kann die Spielzeit über Käufe nicht verkürzen, kein Pay-to-Shortcut.
- Man kann sich keine Vorteile im Wettbewerb oder der Karriere verschaffen, kein Pay-to-win.