Psychonauts 2 - Test, Plattformer, PC, PlayStation4, XboxOne, Linux, Mac, PlayStation5, XboxSeriesX

Psychonauts 2
02.09.2021, Jan Wöbbeking

Test: Psychonauts 2

Wahnsinnig charmant

Hüpf-Ausflüge in fremde Gehirne, wild verzerrte Gedankengebilde und viel, viel englisch vertonter Humor: All das und mehr bekommen Freunde psychedelischer Action-Plattformer derzeit in Psychonauts 2 geboten – im Rahmen des Xbox Game Pass sogar frei Haus. Wir überprüfen, ob die fünf Jahre seit der Crowdfunding-Kampagne Tim Schafers Baby gut getan haben oder eher nicht.

Nach dem Kickstarter-Erfolg von Yooka-Laylee witterte auch Schafer seine Chance, den eigenen Fan-Liebling fortzusetzen – und „3D-Action-Adventures mit Farben und Humor" weiteren Aufwind zu verschaffen. So viel sei vorweggenommen: An Farben mangelt es dem Spiel ganz gewiss nicht! Auch der Humor wird hier zwischen den Kämpfen überaus üppig eingestreut. Viele flapsige Kommentare zwischen den Hauptfiguren und in zahlreichen Zwischensequenzen sorgen auf Anhieb für dieses typische „Premium-Gefühl“, das sich auch bei Double Fines älterem Projekt Brütal Legend einstellt.

Überaus bunte Psyche

Die erzählerischen Inzenierung der wilden Geschichte erweckt immer wieder den Eindruck, zur Hauptfigur eines professionellen Animationsfilms zu werden. Im Gegensatz zu Teil 1 haben sich Double Fine und Publisher Microsoft diesmal aber eine deutsche Synchronisation der zahlreichen Dialoge gespart. Stattdessen gibt es lediglich deutsche Texte und Untertitel.

Die erste Mission fühlt Dr. Lobotos Psyche auf den Zahn.
Die Geschichte knüpft chronologisch an den Vorgänger von 2005 und das VR-Adventure Psychonauts in the Rhombus of Ruin aus dem Jahr 2017 an. Neulinge dürften sich nach einem kurzen Rückblick zunächst ausgiebig am Kopf kratzen, wenn der zwischen Genie und Wahnsinn schwankende Schwall über ihre Auffassungsgabe hinweg schwappt. Unser Tipp lautet: Einfach nicht von der Vielzahl an Figuren und Nebengeschichten überwältigen lassen – denn der entscheidende Ausgangspunkt der Handlung wirkt gar nicht so komplex, wie es zunächst scheint.

Weiter geht’s!

Nach der Rettung des großen Vorsitzenden der Psychonauten, Truman Zanotto, muss die Organisation einem geheimen Auftraggeber auf die Schliche kommen. Bösewicht Doktor Loboto hatte Truman in sein Unterwasserversteck im „Rhombus of Ruin“ entführt und mit einem Serum seine Erinnerungen gelöscht. Innerhalb der Organisation für hellseherische Spionage nimmt aber niemand den brabbelnden Doc für voll. Es muss also einen deutlich weniger debilen Hintermann geben. Dieser spukt schließlich schon im frühen Spielverlauf in Lobotos Visionen herum. Sogar die eigentlich für tot erklärte, hochgefährliche Maligula könnte eine Rückkehr planen und die Welt ins Unglück stürzen, wenn an den Visionen etwas dran ist. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Suche nach Maligulas legendärem Gegenspieler Ford Cruller, der sich dank Teleportationsfähigkeiten gleich an zahlreichen Orten des Hauptquartiers herumtreibt.

Ist jemand zu Hause? Agent Ford Cruller erweist sich als wortwörtlich zerstreut.
Hier kommt der junge Praktikanten-Held Razputin „Raz“ Aquato ins Spiel: Nach Ungereimtheiten wie einem Hirn-Diebstahl macht er es sich zur Aufgabe, nicht nur schnöde Hol- und Bringe-Quests abzuklappern, sondern die Organisation nach dem Maulwurf zu durchkämmen. Nach und nach erschließt sich dabei der Zugang zu neuen Gebiete wie den Wald vor der Tür, in dem Raz auf seine Akrobaten-Familie trifft. Ein Teil der Verwandschaft hegt noch einen Groll gegen den verlorenen Sohn. Warum muss er auch ausgerechnet mit jenen verfluchten PSI-Kräften experimentieren, vor denen die Legende doch so eindringlich warnte?

Praktikant gesucht

Die Zirkus-Kunststücke des jungen Helden und übersinnliche Fähigkeiten helfen ihm aber bei mannigfaltigen Gelegenheiten weiter. Beim Hüpfen, Grinden oder einem Schwebeflug etwa entfaltet sich ein herrlich entspannter, aber trotzdem fordernder Rhythmus. Die Randbereiche der Areale sind zwar nicht ganz so perfektionistisch ausbalanciert wie etwa in Marios 3D-Titeln – der Rest wirkt aber erfreulich rund - vor allem nach etwas Gewöhnung ans Management der Fähigkeiten auf dem Controller. Vorm PC darf man alternativ auch Maus und Tastatur benutzen. Schon die Außenwelt bietet skurrile Akrobatik-Herausforderungen wie Baumstümpfe auf einem aufwärts fließenden Wasserfall. Dazu gesellen sich versteckte Durchgänge, die mit den Flammen der Pyrokinese abgefackelt werden oder kleine Puzzle-Einlagen. Letztere erfordern z.B. das Tragen schwerer Zahnräder per Pyrokinese zu einer defekten Seilbahn.

Bereits die Figuren in der realen Welt besitzen ein wunderbar verschrobenes Design – z.B. der einst berüchtigte Coach Morry mit seinen erstaunlich kegelförmigen Proportionen. Sogar Raz’ „Mitschüler“, die ihn erst einmal ordentlich hänseln und seine Kleidung stehlen, sorgen mit einer gehörigen Portion Persönlichkeit dafür, dass die wilden Eskapaden der ungewöhnlichen Welt greifbarer werden. Damit auch die Nachwuchs-Agenten auf Missionen an gefährliche Orte mitkommen dürfen, begeht Raz sogar ein Kapitalverbrechen: In den Synapsen von Lehrerin Hollis Forsythe manipuliert er ihr Risikobewusstsein derart, dass ein extrem faszinierender, bizarrer Mix aus Hospital und Casino entsteht. Ein belastendes Erlebnis aus ihrer Vergangenheit betrifft schließlich einen Ideenklau aus der medizinischen Forschung, den sie bis heute nicht ganz überwunden hat.

Charakterköpfe

Beim Einstieg in die Hirne zentraler Figuren wie ihr wird es also noch deutlich wilder als in der Realität - dank exzentrischer Persönlichkeitszüge, Dämonen der Vergangenheit und allerlei verborgener Ängste. Inmitten von einarmigen Organ-Banditen versuchen Skellettpüppchen ihr Glück in der Lotterie fürs eigene Kinderglück – und zanken sich nebenbei darum, ob der Weg dorthin ihnen überhaupt Spaß bereitet. Auch im ekligen Zahnmeer von Dr. Loboto oder einem psychedelischen Rockkonzert voller Regenbogenbrücken wird die überbordende Kreativität des Teams deutlich. An jeder Ecke gibt es Unmengen bizarrer Winkel und Verstecke zu entdecken.

Im Kampf gegen Zensoren und andere schrullige Widersacher...
Am meisten Spaß machen hier geistige Kräfte wie die „Mentale Verbindung“, mit der glühende Synapsen verknüpft werden. Auf den Ausflügen in die Psyche müssen nämlich auch räumliche Blockaden gelöst oder umgepolt werden, indem sich der Held in großer Höhe von einem Gedanken-Knotenpunkt zum nächsten zieht. Hierbei hat das Team einen eleganten Weg gefunden, heikle psychische Themen mit viel Humor anzusprechen. Hat sich eine neuer Weg zwischen den schwebenden Begriffen „Urteilsvermögen“ und „Aufgeben“ eröffnet, kann Raz im passenden Zickzackkurs von Knoten zu Knoten zischen, um sie zu verbinden. So sorgt er z.B. für die Erkenntnis, dass Mäßigung oder ein Rückzug manchmal die geschicktesten Lösungen sein können. Mit Hilfe der „Mentalen Verbindung“ lassen sich zudem auch Gegner wie die aggressiv durch die Gegend stempelnden Zensoren oder wild gewordene Killer-Kaninchen von Plattformen ziehen – äußerst befriedigend!

Bitte knacken Sie mit den Synapsen!

Der Großteil der aufmotzbaren Fähigkeiten wirkt ebenfalls gelungen. Dazu gehören eine Zeitlupe gegen blitzschnell rotierende Ventilatoren, aufladbare Energieprojektile direkt aus dem eigenen Geist oder der Balanceakt auf einer Kugel, der eine agilere Fortbewegung und höhere Sprünge ermöglicht. Die gestiegene Komplexität hat aber auch ihre Schattenseiten, denn bei der Belegung haben sich die Entwickler etwas verzettelt: Zum Schweben aus brenzligen Situationen muss beispielsweise die entsprechende Fallschirm-Blase auf einer der vier L- und R-Tasten belegt sein. Gutes Einprägen oder häufiges Umbelegen der Fähigkeiten ist also Pflicht. Zudem lassen die übersinnlichen Tricks sich nicht nur in mehreren Stufen aufrüsten (z.B. mit einem Schlag aus der Ausweichrolle), sondern auch mit „Ansteckern“ erweitern.

...sowie gegen blitzschnelle Bosse, die unter sensorischer Überstimulation leiden.
Da Kämpfe in diesem actionlastigen Plattformer eine wichtige Rolle spielen, verbringt man nebenbei viel Zeit auf der Suche nach Unmengen an Objekten zum Rangaufstieg und der Weiterentwicklung. Beim Besuch am „Otto Matic“-Automaten wühlt man sich ausgiebig durch Dinge wie gesammeltes Psitanium, PSI-Aufstiegskarten oder -Aufstiegskerne bis hin zu kostspieligen Heilobjekten und Taschenerweiterungen. Auch die schon erwähnten Anstecker für nützliche oder alberne „Perks“ wie einem Tanz oder mehr Kombotreffern sind gegen den (etwas zu knapp bemessenen) Psitanium-Rohstoff erhältlich.

Aggressiver Hüpfausflug

Hinzu kommen noch Objekte wie emotionaler Ballast - alles in allem wirkt der Fokus auf Sammelkram also ein wenig aufgeblasen. Im Laufe der Kämpfe sorgen Experimente mit neuen Ansteckern aber trotzdem für Extra-Motivation bei erneuten Besuchen der langen, fantasiereichen Levels und der offenen Außenwelt. Dort hat sich u.a. Raz’ rebellischer Schwarm Lili versteckt, die auch nicht gerade das harmonischste Verhältnis mit ihrem Vater Truman zu haben scheint.

Einsteiger dürfen übrigens von Haus aus einen Unbesiegbarkeits-Modus aktivieren, der unter Fans bereits für kontroversen Gesprächsstoff sorgte. Durchschnittlich begabte Spieler können grob zwölf bis 14 Stunden für das Abenteuer einplanen. Ab und an stehen auch mehr oder weniger gelungene Minispiele wie ein riesiges Pillen-Pachinko auf dem Programm – oder auch cool inszenierte Bosskämpfe wie gegen die durchgepeitschte Lehrerin Hollis. Nachdem sie sich in einen glühenden „Glücktopus“ verwandelt und Raz’ Altersgenossen in Karten verbannt hat, liegt es am Spieler, die passende Fähigkeit gegen die explosiven Glühbirnen herauszufinden.

Mängel bei der Technik

Beim Ausspucken der bizarren Bomben und anderen Soundeffekten lassen sich die Geräusche leider nicht immer ideal orten. Gelungen wirken dagegen das Sounddesign sowie die passenden Orchester- und Swing-Stücke. Der schwungvolle Soundtrack trägt viel zur cineastischen Stimmung bei. Beim Detailgrad und den Effekten macht sich die lange Entwicklungsdauer des Spiels bemerkbar. Der Unreal-Engine-Titel bleibt weit von einem Grafikfeuerwerk wie Ratchet & Clank: Rift Apart entfernt. Trotz einiger aus der Nähe unscharfer Texturen und seltenem Aufploppen nachladender Objekte ergibt sich beim Spielen aber ein insgesamt überzeugendes Bild.

Raz' im Wald campende Abrobaten-Familie ist nur bedingt gut auf ihn zu sprechen.
Die PC-Fassung wurde mit einer GeForce RTX 2080 Ti sowie einem Intel Core i7 8700K getestet. Das Studio arbeitet derzeit übrigens an einem Patch für Ruckler bei neu gerenderten Shader-Permutations. Wir haben diese Probleme glücklicherweise nicht erlebt; lediglich im Fensterbetrieb wollte das Spiel nicht mit flüssigen 60 Bildern pro Sekunde laufen. Nur auf der Xbox Series X und S profitiert die knallbunte Kulisse von einer insgesamt gelungenen HDR-Darstellung, welche Farben und gleißende Lichter noch knalliger erscheinen lässt. Bei einem derart exzentrischen Artdesign ist das ein spürbarer Vorteil. Alternativ darf man auch bei verringerter Auflösung zu 60 oder 120 Bildern pro Sekunde wechseln, wobei es zu leichten, aber ständigen störenden Rucklern kommen kann. Umsetzungen für PS4, Xbox One und Xbox Cloud Gaming wurden übrigens ebenfalls veröffentlicht.

Vorteil Xbox Series X

Fazit

Psychonauts 2 entpuppt sich im Test tatsächlich als wahre Charm-Bombe, die mich immer wieder mit ihren schrulligen Ideen und dem virtuos inszenierten Humor in ihre Welt gezogen hat! Während ich in immer wildere Gehirnwindungen und monströsere Gedanken abtauchte, war es gar nicht so leicht, zwischendurch wieder auszusteigen und den Controller beiseite zu legen. Am meisten Spaß bringen aufrüstbare Fähigkeiten wie die Multifunktionsblase für den Schwebeflug und Attacken - oder auch die „Mentale Verbindung“, mit der Held Raz nicht nur thematische Gedankenfragmente verbindet, sondern auch Gegner ins Verderben ziehen kann – ein angenehm hinterlistiger Trick! Selbst die technisch nur durchwachsene Präsentation und der etwas zu stark aufgeblasene Wust aus Sammelaufgaben, Upgrades und Mehrfachbelegungen kann den Spaß am Wahnsinn nicht wirklich trüben. Unterm Strich also ein überaus lohnenswerter und äußerst humorvoller Hüpfausflug in die actionreichen Untiefen des Geistes, der übrigens auch für PS4 und Xbox One erhältlich ist.

Pro

  • überdrehtes aber stilsicheres wahnwitziges Design
  • coole, vielfach aufrüstbare übersinnliche Fähigkeiten
  • unterhaltsam-ausgewogener Mix aus Kämpfen und Hüpf-Parcours
  • professionell inszenierter Smalltalk
  • verschrobene Charaktere mit viel Persönlichkeit
  • knackige HDR-Darstellung (Xbox Series X)
  • schwungvoller Swing- und Orchester-Soundtrack

Kontra

  • übertriebener Wust an Sammelaufgaben und Aufrüst-Feinheiten
  • überladene Steuerungs-Belegung
  • einige unscharfe Texturen und später nachladende Details
  • schwache Surround-Abmischung
  • keine deutsche Sprachausgabe

Wertung

PC

Unheimlich charmant inszenierter Psycho-Trip voller bizarrer Geistesblitze und Fähigkeiten sowie einem etwas ausufernden Sammelwahn.

XboxSeriesX

Nur auf Microsofts neuer Konsolengeneration wird HDR-Unterstützung geboten, welche die bizarre Welt in noch knackigeren Farben erstrahlen lässt.

Echtgeldtransaktionen

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Kommentare
Ryan2k22

Ist das vergleichbar mit R&C Rift apart? Von der Länge her?

Das fand ich am Ende auch ein bisschen zu viel.

vor 3 Jahren
Khorneblume

Ich fand die Länge genau richtig. Einzig ein bisschen kurzzeitigen Leerlauf hätte man vermeiden können. Aber ja, das Ende war perfekt. Hätte die 90% durchaus verdient.

vor 3 Jahren
monthy19

Bin jetzt kurz vor Schluss.
Am Ende ist es ein nahezu perfektes Spiel.
Was mich aber ungemein stört, ist die Länge.
Es zeiht sich nach einer Zeit doch schon noch enorm. Das hätte man besser lösen können.
Was jetzt nicht abwertend sein soll. Die Level sind fantastisch. Die Bosse super geil. Die Geschichte, richtig gut.
Aber 5 Stunden weniger, wären am Ende mehr gewesen.
Trotzdem ist es am Ende nah an der 90%.

vor 3 Jahren
Todesglubsch

Gab es da nicht in der Zwischenzeit Patches, die den etwas entschärft haben?
Ach Mensch, und ich dachte, ich wurde über die Jahre einfach geschickter

vor 3 Jahren
Sir Richfield

Ja, Teil 1 hab ich vor garnicht sooo langer Zeit auf der PS4 platiniert und es war wirklich noch sehr gut spielbar.
Selbst der letzte Level, der ja von vielen als Fruststelle bezeichnet wird, war garnicht so schlimm, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
Gab es da nicht in der Zwischenzeit Patches, die den etwas entschärft haben?

vor 3 Jahren