The Forgotten City - Test, Adventure, XboxOne, PC, PlayStation5, XboxSeriesX, Switch, PlayStation4

The Forgotten City
08.10.2021, Matthias Schmid

Test: The Forgotten City

Das ewige Städtchen

The Forgotten City (ab 22,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist ein Kleinod. Ein toll geschriebenes, kluges Spiel voller Überraschungen, das sich seine vielen guten Kritiken redlich verdient hat. Wohl auch deshalb wurde es zum Wunschtest-Sieger im August. In unserem Test lest ihr, was euch erwartet und in welchen Punkten der Titel brilliert - natürlich mit einem besonderen Auge darauf, euch nur das Nötigste zu verraten.

Selten habe ich vor dem Schreiben eines Tests so angestrengt über die Spoilerfrage nachgedacht. Denn tatsächlich finde es am besten, The Forgotten City mit nicht mehr anzugehen als dem Wissen, dass es sich um einen Mystery-Thriller aus der Ego-Perspektive handelt, um ein Erzählabenteuer mit vielen Gesprächen, um ein Detektivspiel mit einem Mü an Action.

Autoteil am Heck, das den Luftstrom beeinflusst, mit sieben Buchstaben

Wer also empfindlich gegenüber ungewollten Enthüllungen ist und das Spiel noch vor sich hat, der sollte vielleicht sofort zum Shop seines Vertrauens switchen respektive die Plattform anwerfen, auf der er The Forgotten City besitzt, und dann einfach loszocken. Denn das Spiel ist sehr sehr gut. Im Folgenden komme ich nicht umhin, ein paar handfeste Details zur Mechanik und dem Aufbau der Spielwelt zu verraten. Doch keine Sorge, ich erzähle nichts über Wendungen der Geschichte und bleibe auch bei Beispielen so unkonkret wie es mein intrinsischer Wunsch nach akribischer Berichterstattung zulässt.

Hübsch geht anders, trotz der tristen Gesichter zählen die Dialoge zu den Stärken des Spiels.
Die Exposition der Geschichte geht so: Die Spielerfigur wird an einem Flußufer angespült und von der Figur Karen aus dem Wasser gezogen. Während man seinen Namen und so etwas wie eine Klasse festlegt, kommt Karen rasch zum Punkt: Sie bittet mich, in einer römischen Ruine in der Nähe nach dem Rechten zu sehen. Dort war ihr Bekannter Al (den sie ebenfalls aus dem Wasser zog, sehr seltsam das Ganze) vor einer Weile verschwunden. Also kommt man Karens Wunsch nach und stolpert, ehe man sich versieht, in eine unterirdische Stadt. Die Forgotten City.

Angespült

Dabei handelt es sich um einen überschaubar großen, aber doch angenehm verwinkelten Ort voller Höhlen, Plätze, Wege, Brücken und Gebäude. Der Clou daran: Scheinbar ist man rückwärts durch die Zeit gestolpert, denn die Menschen hier sind waschechte Römer aus der Zeit des römischen Reiches. Viele berichten euch im Spielverlauf davon, den großen Brand der Hauptstadt aus nächster Nähe miterlebt zu haben - es ist also unzweifelhaft, dass ihr euch in einer unterirdischen, römischen Exklave aus dem ersten Jahrhundert befindet, keine Ahnung habt, wie ihr dort hingekommen seid, und ebenso wenig Plan, wie es zurück in eure Welt geht. Pardauz!

Kurz nach der Ankunft in der vergessenen Stadt nimmt euch ein Mann in Empfang und führt euch ins Zentrum der Kleinstadt - neugierige Spieler sondern sich hier schon ab.
Doch damit nehmen die Überraschungen noch lange kein Ende: Nachdem ihr die ersten Schritte in dieser fremden Welt unternommen und mit einem Bürger gesprochen habt, der euch ein paar Dinge erzählt, wird euch klar, dass eine goldene Regel die Kleinstadt in ihrem Griff hat: Wenn hier auch nur eine Person eine Sünde begeht, dann müssen alle sterben! Haben wir es hier mit einem römischen Utopia zu tun, in dem alle Bürger ein traumhaft friedliches Leben führen? Oder ist es ein Überwachungsstaat im Mini-Format, wo jeder seinen Nachbarn beobachtet und verdächtigt? Ihr werdet es herausfinden…

Tatsächlich fußt diese Idee auf einer römischen Sanktionierungspraxis, der Dezimierung. Im Falle schwerwiegender gemeinschaftlicher Vergehen wie z.B. Aufstand oder Meuterei konnten römische Legionäre damit bestraft werden. Die Dezimierung war eine Kollektivstrafe, bei der jeder Zehnte (lateinisch decem = zehn) exekutiert wurde; wer, das wurde per Los bestimmt. Damit erfuhren nicht nur Rädelsführer oder solche, die aktiv Verbrechen begangen hatten, eine Bestrafung, sondern die Gesamtheit der Soldaten. Die psychologische Wirkung ist klar: Wer damit rechnen muss, aufgrund der Verfehlungen anderer hingerichtet zu werden, der passt schon im Vorfeld besonders gut auf, dass die Kollegen keinen Scheiß bauen. Im Spiel wird das Prinzip auf die Spitze getrieben: Eine sündhafte Handlung eines Individuums zieht den Tod einer kompletten Gruppe nach sich!

Reale Vorlage

Kleine Geschichtsstunde: Die Fischsauce Garum war ein beliebtes Würzmittel im antiken Weltreich.
Im Fall von The Forgotten City heißt „komplette Gruppe“ übrigens gut 20 erwachsene Personen, die in der Kleinstadt ihren Belangen nachgehen. Vom Händler bis zum Bodyguard, von der Priesterin bis zur Bäckerin. Alle eint die Angst vor der drohenden göttlichen Strafe, alle haben unterschiedliche Hintergrundgeschichten, die sie euch in ausführlichen Dialogen erzählen. Durch aufmerksames Umherlaufen und Untersuchen, aber vor allem durch diese Gespräche erfahrt ihr Wissenswertes und Überlebenswichtiges. Was gilt eigentlich als Sünde, die das göttliche Gericht provoziert? Mord, klar. Stehlen sicher auch. Aber wie sieht es mit kleinen Betrügereien, Wucherei oder einem Suizid aus? Würde auch die Selbsttötung eines Einzelnen die ganze Gruppe in die Verdammnis reißen?

Die Innenräume zählen zu den optischen Highlights von The Forgotten City - schaut euch gut um und lest alle Dokumente.
Das Spiel setzt sich in vielen, exzellent geschrieben und meist stark vertonten (englischen) Dialogen mit spannenden Fragen auseinander: Wie wirkt das fortschrittliche römische Werte- und Rechtssystem auf eine Person aus unserer Zeit? Wer in der Gruppe profitiert von der goldenen Regel, wer stellt sie vielleicht sogar infrage? Sollte man einen armen Tropf aus dem Kerker lassen, wenn er durch seine Neigung zum Diebstahl das Wohl der Gemeinschaft aufs Spiel setzen könnte? Gleichzeitig gibt es drängende, praktische Probleme: Wie geht man in einer Stadt, die aus nachvollziehbaren Gründen den Waffenbesitz verboten hat, mit einem bewaffneten Eindringling um? Wer sollte die bald anstehende Wahl gewinnen, damit es den Bürgern besser geht? Und wie kommt man als Spieler an das Geld, das der Händler für ein Heilmittel fordert, das eine sterbenskranke Person retten würde? In den zehn bis fünfzehn Stunden, die man zum Beenden von The Forgotten City braucht, passieren so viele interessante, relevante und auch einprägsame Dinge wie in manch 100-stündigem Open-World-Abenteuer nicht.

Große und kleine Fragen

Begeht man als Spieler in der Stadt eine Sünde, z.B. das Entwenden von Geld aus Kisten (wer das im Spiel nie tut, der werfe den ersten Stein), kommt es tatsächlich zum göttlichen Gericht. Die goldenen Statuen, die euch schon bei eurem Eintreffen verdächtig vorkamen, erwachen zum Leben und liquidieren alle Bewohner. Euch auch? Ja, wenn sie eurer habhaft werden. Doch es gibt einen Ausweg: Wer es unbeschadet zu dem Tempel schafft, wo er oder sie erstmals die Spielwelt betrat, der kann durch den Sprung in ein magisches Portal eine Zeitschleife in Gang setzen. Im Handumdrehen ist die römische Miniwelt wieder in Ordnung (so sehr sie das unter dieser goldenen Regel eben sein kann) - und man selbst steht als Spieler wieder vor denselben Aufgaben. Mit Leuten reden. Ausgang suchen. Wahl beeinflussen. Suizid verhindern. In den  Palast gelangen. Unfall abwenden.

Und täglich grüßt die Römerstadt

Wurde hier etwa die goldene Regel verletzt? Dann donnert eine Stimme vom Himmel und goldene Jäger töten die Bewohner.
Allerdings ist man nicht nur reicher an Wissen, sondern hat auch die Dinge von den bisherigen Durchgängen in den Taschen. Geld, Dokumente, Schlüssel, vielleicht sogar eine Waffe. Außerdem geht das Spiel sehr klug mit redundanten Dialogoptionen um und hat eine Art Helfer installiert, der euch die Sache mit der Zeitschleife glaubt und Dinge, die ihr im vorherigen Loop herausgefunden und gemeistert habt, für euch übernimmt. Das mag minimal bemüht wirken, erleichtert das Spielerlebnis aber um ätzende Wiederholungen, die manch anderes Zeitschleifenspiel (ich meine dich, Twelve Minutes) so beschwerlich macht.

Schlecht spielbar, aber nettes Angebot: zwei verschiedene Pixelfilter sowie diverse Farbfilter sind ganz einfach per Richtungstaste anwählbar.
Viel mehr will und sollte ich euch nicht verraten, daher noch ein paar technische Hinweise: The Forgotten City steuert sich flüssig, bleibt auch bei den wenig dynamischen Actionszenen stets ordentlich spielbar, listet seine vielen Quests übersichtlich auf und bietet im Menü einen guten Überblick auf das überschaubare Inventar. Das Spiel verfügt über anständige deutsche Untertitel und läuft der PS5 sehr flüssig, man sieht dem Projekt sein begrenztes Budget aber durchaus an. Das liegt auch daran, dass es ursprünglich mal eine Skyrim-Mod war - die wurde im Jahr 2016 bereits hochgelobt und sackte sogar einen australischen Autorenpreis ein. Spielmechanisch hat der Titel, abseits des Bogenschießens, nur noch wenig mit dem Mammut-Rollenspiel gemein, besonders die sehr direkte Positionierung der (mittel bis mäßig modellierten) Gesichter eurer Gesprächspartner erinnert aber noch sehr deutlich an Skyrim.

Am Anfang  war die Mod

Fazit

Dankeschön, liebe PUR-Abonnenten. Ausnahmsweise aber nicht nur für eure treue finanzielle Unterstützung in den letzten Monaten und Jahren, sondern auch für die Wunschtest-Abstimmung im August. Sonst wäre mir dieses außergewöhnliche Spielerlebnis womöglich durch die Lappen gegangen. The Forgotten City hat mich überrascht wie nur wenige Titel der letzten Jahre - und damit meine ich noch nicht mal die gut gelöste Zeitschleifenmechanik und das motivierende Detektivspiel, sondern setze noch eine Ebene höher an: Diesen geistreichen Kosmos mit seiner spannenden Ausgangslage als römische Exklave aus der Vergangenheit plus der allgegenwärtigen goldenen Regel zu entdecken, zu entschlüsseln und zu verstehen, das macht immens Laune. Und es zeigt mal wieder, mit welch überschaubaren Mitteln man ein großartiges Spiel entwickeln kann, wenn man denn eine starke idee und eine gute Geschichte vorweisen kann. Außerdem überzeugen die Sprecher und auch die Steuerung ging für mich stets in Ordnung. Weil auch die historischen Hintergründe sauber recherhiert sind und man immer wieder kleine Dinge lernt, während man diese überraschend verschachtelte Welt erkundet, kann ich The Forgotten City allen virtuellen Entdeckern, allen Geschichtsliebhabern und allen Hobby-Detektiven bedenkenlos ans Herz legen.

Pro

  • wirklich tolle Idee für Spielwelt
  • durchdachte Zeitschleifenmechanik
  • Handlungen haben Konsequenzen
  • gut geschriebene Figuren
  • spannender Schauplatz, der seine Geheimnisse Stück für Stück preisgibt
  • dramatische Ereignisse und Schicksale
  • steter Fortschritt spürbar
  • gute englische Vertonung
  • ästhetisch ansprechend trotz teils schlichter Optik

Kontra

  • Actionszenen wirken steif
  • ein paar schwächere oder bemühte Rätsel
  • manche Gesichter sehr grob oder hässlich

Wertung

PlayStation5

Faszinierendes Zeitschleifen-Abenteuer, das spielmechanisch super funktioniert, großartig erzählt ist und moralische Fragen aufwirft.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Es gibt keine Käufe.
Kommentare
peppino_XYungelöst

Ziemlich altbacken alles und diese teilnahmslosen Gesichter...Nix für mich und nix für PS5

vor 2 Jahren
devzero

Das hab ich auch als Mod in Skyrim VR gespielt. War sehr interessant muss ich sagen.

vor 3 Jahren
Ernesto Heidenreich

Vorgemerkt. Danke für den Test !

vor 3 Jahren
CritsJumper

Ein kleines Juwel.
Ja, sehr zu empfehlen. Wusste gar nicht das es ein Mod war.

Tolles Spiel und vielen Dank für den Nachtest. Danke auch an VaniKa für den Tipp.

vor 3 Jahren
CHEF3000

Hatte es mir zum Release geholt, ist echt klasse

vor 3 Jahren