Die Switch ist eine Verkaufssensation, seit März 2017 ging die Hybrid-Konsole circa 110 Millionen Mal über den Ladentisch. Über fünf Jahre hat es gedauert bis mit Nintendo Switch Sports das Aushängeschild der Casual-Bewegung zurückkehrt. Im Test klären wir, ob Nintendo den Geniestreich Wii Sports so einfach wiederholen kann oder ob dem Minispiel-Sportfest rasch die Puste ausgeht.
Vor über 15 Jahren hat Wii Sports die Spielewelt auf links gedreht: Plötzlich wollten die eigenen Eltern mit an die Konsole und im Seniorenwohnheim wurden Bowling-Runden mit der Wii-Fernbedienung abgehalten. Mit über 80 Millionen Einheiten ist es das bestverkaufte Videospiel der Welt, das auf nur einer Plattform erschienen ist – Wii Sports ist der Inbegriff von Nintendos erfolgreichem Plan der Zielgruppenerweiterung. Nach dem ebenfalls für Wii erschienenen Selbstläufer Wii Sports Resort (2009), das mit erhöhter Genauigkeit dank Wii Motion Plus und zwölf Disziplinen punktete, wurde die Serie 2014 noch einmal wiederbelebt – die Wii Sports Club getaufte HD-Neufassung des Erstlings für Wii U löste aber nicht mehr den Rummel aus wie der Motion-Control-Pionier.
Trimm-dich-Bewegung vor der Glotze
Natürlich lag das auch an den bescheidenen Absatzzahlen der Wii U – und hier kommt die Switch und ihr eingangs erwähnter Siegeszug ins Spiel. Mittlerweile hat der Verkaufsschlager aus dem Hause Nintendo sogar die Wii hinter sich gelassen, ist also die erfolgreichste Heimkonsole von Big N . Und welcher Titel hätte da wohl das Potenzial zu den Absatz-Überfliegern Mario Kart 8 Deluxe (43 Millionen, Stand: 31.12.2021 ) und Animal Crossing: New Horizons (38 Millionen) aufzuschließen? Genau: ein neuer Sports-Titel. Der ist vergangenen Freitag erschienen, für 39,99 Euro als Digital-Version oder verpackt im Bundle mit einem Beingurt für 49,99 Euro. Wo der zum Einsatz kommt, das besprechen wir später…
Von flotter Menü-Musik und deutlich aufgebohrter Gute-Laune-Grafik flankiert lädt euch Switch Sports auf ein großes Sportgelände ein, von dem aus ihr eine der sechs Disziplinen anwählt. Diese sind: Tennis, Badminton, Bowling, Fußball, Volleyball und Chanbara (ein Versus-Kampfspiel mit Plastikschwertern). Angesichts der überschaubaren Anzahl sind wir uns nicht zu schade, diese einzeln mit euch durchzugehen…
Wir starten mit der allseits beliebten Filzballschlacht, die schon Pong, den Urvater aller Telespiele, inspiriert hat: Tennis. Hier tritt die Verwandtschaft zum Vorgänger Wii Sports deutlich zutage. Tennis kann nur im Doppel gespielt werden und erneut ist es dem Spieler nicht gestattet, die Laufbewegungen der Sportler zu lenken. Stattdessen flitzen die Cartoon-Athleten automatisch über den Court und eure Aufgabe ist es, das Racket zu schwingen – durch Bewegungen mit dem Arm, der gerade einen Joy-Con in der Hand hält. Bei allen Disziplinen könnt ihr übrigens einstellen, ob ihr Rechts- oder Linkshänder seid. Das Tennis aus Nintendo Switch Sports funktioniert besser als das alte: Die Bewegungen werden ordentlich erkannt, neben der Schwungrichtung sorgt vor allem das Timing dafür, ob ihr einen Ball cross über den Platz peitscht (früher Treffer) oder elegant die Linie entlangspielt (später Treffer). Dazu klappen auch Lobs ordentlich, wenn ihr eine Aufwärtsbewegung in euren Armschwung einbaut, zudem landen Bälle durchaus mal im Aus. Schwach ist dagegen die Beschränkung aufs Doppel: Spielt ihr solo, übernehmt ihr beide Sportler – saust der Ball gerade übers Netz und ihr bewegt den Joy-Con, dann macht automatisch der vorn postierte Spieler einen Volley. Dieses dezente Verwirrspiel fällt im Vierspieler-Modus aus, dann kann sich jeder auf seine Rolle konzentrieren. Es gibt drei Schwierigkeitsgrade (leider: ultraleicht, sehr leicht, leicht) und die Option, entweder nur ein Spiel oder kurze Matches mit Best-of-3/5 zu absolvieren.
Tennis light
Wir geben rüber zum Fußball, denn dort warten drei Modi auf Hobby-Kicker: Im Eins-gegen-Eins oder Vier-gegen-Vier sausen zwei respektive acht Jungs und Mädels über einen mäßig texturierten Rasen. Via Analogstick des linken Joy-Con lenkt man die Bewegungen der Sportler, per Schwung des rechten Joy-Con wird geschossen. Dazu gibt es einen Spurtkopf, Sprünge und Flugkopfbälle. Das Ganze ist deutlich näher an Rocket League als an FIFA & Co., ohne die Brillanz und Finesse des Autoballs zu erreichen. Ein geordnetes Passspiel ist kaum möglich, die Bälle kullern meist nur so in Richtung Tor, dazu gibt es kein Aus sondern Banden; und lustige Fouls à la Nintendo World Cup leider auch nicht. Den Beingurt, welcher der Modul-Version beiliegt und den ihr vielleicht noch von Ring Fit Adventure habt, kommt im Modus Shootout zum Einsatz (aber auch nur da, keine andere Sportart nutzt ihn): Dazu klemmt ihr einen Joy-Con per Klettgurt an euren Oberschenkel und absolviert fünf Volley-Schüsse nach einem Eckball, auf ein Tor ohne Torhüter. Das besitzt leider den Unterhaltungswert einer Partie des VfL Wolfsburg gegen den FC Augsburg; am letzten Spieltag, wenn es für beide um nichts mehr geht…
Erinnert sich jemand an die American Gladiators? Jene aus den USA importierte TV-Show die Anfang der 90er im Nachmittagsprogramm lief: Dort kloppten sich muskelbepackte Modellathleten mit Schaumstoffpaddeln auf engen Plattformen. Und hier kommt die Disziplin Chanbara ins Spiel: Nach der Wahl zwischen drei Schwert-Typen haut man sich in Ego-Sicht mit der KI oder einem menschlichen Duellanten per Splitscreen. Theoretisch sorgt eine Schwerthaltung im 90-Grad-Winkel (zum Sportgerät des Angreifenden) für einen Block – in der Praxis fuchteln aber alle Beteiligten wild herum, bis ein Kombattant von der Plattform purzelt; Lebensenergie gibt es hier nicht, nur das Ring-out kührt den Sieger. Chanbara ist so flach wie flott, und auf jeder Fete für ein paar Minuten Kampfsport mit Zurufen der anwesenden Partygäste gut.
Japanese Gladiators
Selbiges gilt fürs Badminton, das sich angenehm vom Tennis unterscheidet – wenngleich Nintendo auch hier den Fehler begeht, mir nicht die Laufbewegungen der Sportler anzuvertrauen. Stattdessen flitzen die Athleten selbstständig über den Platz, während ich Aufschläge von unten, Stoppbälle oder Schmetterschläge auspacke. Während ein altgedienter Zocker wie ich seine Kondition schont und das System mit Bewegungen aus dem Handgelenk überlistet, springt und schlägt die Casual-Fraktion, dass einem Angst ums eigene Wohnzimmer wird. Natürlich warnt Nintendo davor, die Joy-Cons ohne Handgelenksschlaufe zu nutzen. Ach, da werden Erinnerungen an die guten Silikonhüllen der Wii-Ära wach…
Wii-Flashbacks drohen ebenfalls beim Bowling: Auch diese Disziplin, bei der ihr der Kugel per Armschwung das Tempo und einen Drall mitgebt, erinnert stark an das Wii-Original. Das ist einerseits gut, weil das unverwüstliche Konzept immer noch Laune macht, andererseits schon etwas dürftig. Netterweise darf man nun auch zu zweit gleichzeitig kegeln und der Modus „Spezial“ rüttelt das biedere Konzept durch: Hier gibt es in jeder Runde ein paar Hindernisse auf der Bahn, das erhöht den Entertainment-Faktor dramatisch.
Die letzte Disziplin im Aufgebot ist Volleyball. Auch hier verbietet Nintendo das freie Laufen auf dem Platz, doch immerhin kann man per Joy-Con-Stick die seitliche Position bei der Ballannahme oder bei Blocks festlegen. Ansonsten ist diese Sportart die wohl kniffligste für Gelegenheitszocker, weil das Spiel viererlei Aufgaben (Annahme, Auflegen, Schmettern, Blocken) recht schnell durchwechselt und unerfahrene Party-Athleten mit unterschiedlichen Bewegungen überfordert. Gleichzeitig sorgt die kaum beeinflussbare Richtung des Balls dafür, dass auch die Volleyball-Disziplin nicht als ernsthafte Abbildung des Sports durchgeht.
Nur sechs Disziplinen statt der zwölf in Wii Sports Resort – das allein wäre schon Grund zur Klage. Leider verzichtet Nintendo Switch Sports auch auf weitere Mini-Spiele, bietet bei allen Disziplinen nur sehr kurze Match-Varianten an und schert sich kaum um Solo-Spieler. Wäre ein fortgeschrittener Modus beim Tennis, wo ich auch die Laufbewegung dirigiere, wirklich zu viel verlangt? Warum gibt es keinen Fortschritt für Einzelspieler? Warum keine Meisterschaft, kein Sportfest, keine Partymodi für Multiplayer? Nintendo scheint an vielen Ecken und Enden gespart zu haben – angesichts des späten Erscheinungstermins im Switch-Lebenszyklus kann ich das weit weniger verzeihen als bei einem Starttitel.
Mageres Drumherum
Die Lobby-Wartezeiten und die Performance in meinen Online-Partien waren allesamt top, doch auch im Bereich Online gibt es viel zu meckern: Hier streicht Nintendo die wenigen Regelvarianten der Offline-Modi und wirft euch stets nur in die gleichen kurzen Spielmodi. Wer dabei gerne mit anderen Menschen kommuniziert, der muss erneut den Umweg über die separate App am Handy wählen – das ist sehr kundenunfreundlich. Richtig geärgert habe ich mich über die Tatsache, dass in den Online-Partien immer wieder Bots dabei sind, teils sogar sehr viele oder ausschließlich. Wenn ich Bowling spiele gegen 15 Mitstreiter und der Zweitbeste nicht mal die halbe Punktzahl hat (obwohl Bowling sehr simpel ist) – dann ist mir klar, dass ich im Online-Match nur mit der CPU ringe. Dann fühle ich mich verarscht und ärgere mich doppelt, wenn ich auch noch warten muss, bis ein träger Bot seine Runde beendet. Leider gibt es keine Option, das Mitspielen von Bots zu untersagen und gekennzeichnet werden diese auch nicht. Mein Tipp: Wenn ihr auf simple Namen wie Tom, Aya oder Kim trefft, dann speist euch das Spiel mit Bots ab. Echte Widersacher haben meist eindeutig komplexere Spielernamen…Ein weiterer Abturner ist, dass kosmetische Gimmicks für eure sympathischen Avatare nur im Online-Modus freigespielt werden können. Zwar darf man auch explizit nur mit Bots zocken, wenn man keine Nintendo-Online-Mitgliedschaft hat – trotzdem muss man immer diesen Online-Modus zocken, wenn man Erfahrungspunkte für seine Matches haben möchte. Dann winken nach jeder Partie gut 30 Punkte – und ab 100 gibt es einen Zufallsgegenstand aus einer wöchentlichen Auswahl. Immerhin ist das keine Abzocke à la „Zahle bitte acht Euro für einen lustigen Hut“, trotzdem hätte Nintendo das schöner und motivierender gestalten können.
Fazit
Ich bin schon enttäuscht. Über 15 Jahre nach Wii Sports wäre mehr Fortschritt Pflicht gewesen: mehr Sportarten, Party-Modi, andere Match-Optionen, Motivation für Solospieler, Online-Partien ohne Bot-Lückenfüller, Spielvarianten für Fortgeschrittene. Das Grundkonzept von Nintendo Switch Sports funktioniert – doch darüber hinaus wird viel zu wenig geboten. Mir ist klar, dass der Titel nicht dem Hardcoregamer vor der 65-Zoll-Glotze gefallen muss, deshalb habe ihn auch in einem anderen Umfeld ausprobiert. In der Gruppe kommt auch deutlich mehr Gaudi auf, aber die hält eben nicht mehr so lange vor wie 2005, wenn man nichts dafür tut: Wenigstens kleine Turniere mit Bestenlisten, mit Medaillenkür oder ein paar banale Mini-Disziplinen („Wer schießt den Ball am weitesten“) hätten so viel fürs Partyvolk getan. Der Beingurt kommt nur in einem Modus einer Disziplin zum Einsatz und Golf wird irgendwann im Herbst nachgereicht? Das ist schwach. Unterm Strich trüben viele Kleinigkeiten meine Freude über das gute Funktionieren der einzelnen Sportarten. Nintendo hat sich mit Switch Sports zu sehr auf einem glorreichen Fundament ausgeruht und ich fürchte, dass der Switch-Erfolg dafür sorgen könnte, dass diese Mutlosigkeit nicht einmal bestraft wird.
Pro
alle Sportarten funktionieren steuerungstechnisch gut
Switch-Sport macht in lockerer Runde gute Laune
flüssige Online-Duelle, kurze Wartezeiten
Tutorials erklären Sportarten und Steuerung astrein
unkomplizierte Online-Räume für Switch-Freunde
Grafik geht in Ordnung, ein deutliches Upgrade zum Wii-Zeitalter
Kontra
viel zu wenig Disziplinen
keinerlei Turniere oder Party-Modi
keine zusätzlichen Mini-Spiele
freispielbarer Kostümkram motiviert kaum
zu wenig Regeloptionen und Einstellungen
viele Bots im Online-Modus
Voice Chat immer noch nur per Smartphone-App
Beingurt-Einbindung ziemlich überflüssig
Wertung
Switch
Kompetenter Kern mit wenig Fruchtfleisch: Die Disziplinen von Nintendo Switch Sports funktionieren gut und sind gern gesehene Partygäste, doch Nintendo hat beim Umfang, den Modi und vielen Feinheiten geschlampt.
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
Zum Glück bin ich ohnehin nicht Zielgruppe für diese Art Spiele. Scheinbar muss man hier schon wirklich aktiv den Mehrspieler Part suchen, um den maximalen Benefit aus diesem Spiel zu ziehen. In Anbetracht der vielen Spiele die sonst noch 2022 erscheinen, kann man hier wohl bedenkenlos vom Kauf absehen.
Im Optionen-Menü ist übrigens eine "Pro League" erwähnt, die erst noch freigeschaltet werden soll. Es gibt also Hoffnung für Turniere oder Modi für Fortgeschrittene ^^
Schon ein bisschen enttäuschend, hatte aber nicht unbedingt was anderes erwartet.
Habe daher immer noch meine gute Wii mit Wii Fit / Balanced Board & Co. und erfüllt daher ihren Zweck immer noch tadellos.