As Dusk Falls - Test, Adventure, PC, XboxOne, XboxSeriesX
Drei ungleiche Brüder, ein missglückter Einbruch beim Sheriff, ein einsames Motel an der Route 66 - und nichts zu verlieren. Das Setting von As Dusk Falls mit seinen Hillbilly-Gangstern wider Willen, korrupten Bullen und einer Familie, die zufällig in die Schusslinie gerät, hat zunächst alle Zutaten eines modernen Westerns. Ähnlich zu Filmen wie Bad Times at the El Royale oder Gangster-Roadmovies wie Kalifornia wird der Alltag von Menschen durch ein Verbrechen plötzlich zum Albtraum – und ein einfacher Umzug zum Kampf ums Überleben. In seinen besten Momenten erinnert der rund sechs Stunden lange Gangster-Thriller außerdem an hochklassige Crime-Serien wie Fargo oder Breaking Bad. Dazu aber später mehr.
Bad Times at the Desert Dream Motel
Wenig Mechanik, mehr Story
Natürlich hat dieser spielerische Minimalismus aber nicht nur Vorteile – bei Quicktime-Events gibt es nur eine Taste und die meisten Tests sind für erfahrene Spieler viel zu einfach. Auch fehlt es an der einen oder anderen Stelle an Interaktion mit der Umgebung. Nebensächliche Informationen auf Notizzetteln oder persönliche Gegenstände, die einzelnen Szenen mehr Tiefe verleihen könnten, gibt es hier nicht. Auch in den Suchbildern gibt es fast immer nur Aktionen, die auch ein Ziel verfolgen. Das hilft zwar der Geschichte, schränkt das Spiel aber mechanisch deutlich ein.
Ein weiterer spannender Kniff ist die Verwendung von Standbildern im Visual-Novel-Stil: Anstatt auf klassische, animierte Figuren und Gesichter zu setzen, werden alle Charaktere als Illustrationen durch die Szenen bewegt. Was sich vielleicht ein wenig halbgar anhört, in Trailern wie eine Sparmaßnahme wirkt und ein paar Minuten Eingewöhnung benötigt, ist ein überaus gelungener Kompromiss. Anstatt nämlich die begrenzten Ressourcen des Indie-Studios in Animationen, Motion-Capturing und Gesichtsmodellierung zu stecken, die dann am Ende doch nicht mit denen der Großstudios mithalten könnten, schafft man stattdessen ein stilistisches Alleinstellungsmerkmal.
Interaktive Visual Novel, grandios vertont
Ein Gangster- und Familien-Drama
Was anfangs nur kleine Familien-Streitigkeiten zwischen Vince und seiner Frau sind, wird schnell zu einer dramatischen Geiselnahme: Nachdem sie ein Pick-up von der Straße drängt und das SUV der Familie durch den folgenden Crash fahruntüchtig wird, suchen sie Zuflucht im nahegelegenen Desert Dream Motel in Nirgendwo von Arizona. Zum Überlebenskampf wird dieser unfreiwillige Zwischenstopp, als die drei Holt-Brüder nach ihrem Einbruch beim Sheriff des Örtchens Two Rocks dort ebenfalls Schutz suchen.
Ohne zu viel zur Geschichte zu verraten: Die Situation eskaliert schnell. Und während die drei Brüder nicht wirklich zu wissen scheinen, was sie tun, verfolgt der Sheriff offenbar eine ganz eigene Agenda. Die Handlung des in sechs Kapitel und zwei „Bücher“ aufgeteilten Thrillers wird zudem auch mit Rückblenden angereichert, die mehr Infos zur Hintergrundstory der Charaktere liefern.
Starke Story bis zum Schluss
Entscheidungen mit Auswirkung
Die Konsequenz vieler Entscheidungen ist dabei erstaunlich und bietet viele Möglichkeiten, den Verlauf der Story zu beeinflussen. Klar, so ganz frei entwickelt sich Handlung trotz des weit verzweigten Entscheidungsbaumes nicht, denn einige Dinge müssen passieren, damit das Gerüst der Geschichte funktioniert. Aber die wählbaren Varianten ermöglichen dennoch teils zwei, manchmal sogar drei, vier Ausgänge einer einzelnen Szene. Erwischt mich der Sheriff in seinem Haus? Wie sehr eskaliert die Situation im Motel - und wie kann das Schlimmste vielleicht doch verhindert werden?
Anders als bei The Walking Dead habe ich hier nie das Gefühl, dass meine Entscheidung ohnehin keinen Einfluss auf den Verlauf der Geschehnisse hat. Stattdessen wird mir sehr überzeugend das Gefühl vermittelt, jederzeit Einfluss auf das Schicksal der Figuren zu haben. In jedem Kapitel gibt es außerdem zwei Zeitlinien und jede Wahl, die ich in der Vergangenheit treffe, kann deutliche Auswirkungen auf die Gegenwart haben.
Werkzeuge der Wiederspielbarkeit
Aber As Dusk Falls ist nicht nur für Solisten interessant: Ähnlich wie im PlayLink-Spiel Hidden Agenda kann ich die Story von Vince Walker und den Holt-Brüdern mit bis zu sieben weiteren Spielern vor der Xbox im Offline- und Online-Koop erleben. Da die Konsole gar nicht mit so vielen Controllern gleichzeitig umgehen kann, gibt es genau wie bei dem Supermassive-Titel die Möglichkeit, per Smartphone-App an den Spielsitzungen teilzunehmen. Und das funktionierte im Test reibungslos – ist das Telefon per Code mit dem Spiel verbunden, können alle Aktionen wie das Absuchen von Zimmern, Reaktionstests und die Entscheidungen komfortabel auf dem Telefon-Bildschirm vorgenommen werden.
Ein Abenteuer für bis zu acht Spieler
Pro absolviertem Kapitel bekommen die Spieler eine Bewertung für Werte, Charakterzüge und ihre Spielstile – etwa, wenn sie besonders selbstsicher aufgetreten sind, die Familie immer in den Vordergrund ihrer Entscheidungen gestellt haben oder sich fehlerlos durch die Reaktionstests geklickt haben. Außerdem wird errechnet, ob man mit einem Seelenverwandten vor der Konsole sitzt, der sich oft für dieselben Handlungen entscheidet. Der interessante Multiplayer-Modus macht aus As Dusk Falls ein cooles, gemeinsames Erlebnis, das den einen oder anderen Serien-Abend locker ersetzen kann.
Fazit
As Dusk Falls ist für mich die Sommer-Überraschung im Game Pass. Keiner der Trailer konnte mir vorab ein gutes Gefühl für den sehr speziellen Visual-Novel-Stil vermitteln, der diesen Gangster-Thriller auszeichnet. Dafür funktioniert dieser dann im Spiel umso besser. Die aufs wesentliche reduzierte Spielmechanik räumt die Bühne für eine starke, durchweg interessante Story mit Gangster- und Familien-Drama. Deren Setting mit viel Cowboyhut-Flair und Hillbilly-Romantik muss man wie ich aber mögen, um mit dem Entscheidungs-Adventure von INTERIOR/NIGHT wirklich glücklich zu werden. Dann aber wird man mit glaubwürdigen Charakteren, nachvollziehbarer Motivation und vielen Grauschattierungen belohnt, die bis zum Abspann (und darüber hinaus) beschäftigen. Der coole Mehrspieler-Modus, der zu Spontanabstimmungen vor dem Fernseher einlädt, macht As Dusk Falls außerdem zu einem tollen gemeinsamen Erlebnis, dessen Ausgang sich über die komfortable Szenen-Funktion auch im Nachhinein noch beeinflussen lässt. Das Erzähl-Abenteuer an der Route 66 beweist selbst Story-Skeptikern wie mir, wie packend das Medium Videospiel erzählen kann – und wie reife Skripte und großartige Sprecher eine Geschichte zum Leben erwecken.
Pro
- reife Story mit vielen Entscheidungen ...
- eigenwillige Kulisse ...
- richtig gute Sprecher
- toller Soundtrack
- interessanter Multiplayer-Ansatz
Kontra
- ... aber aufs Wesentliche reduziertes Gameplay
- ... die aber nicht jedem gefallen dürfte
- kaum Erkundungsreize und optionale Informationen
- keine Rätsel
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