Xenoblade Chronicles 3 - Test, Rollenspiel, Switch

Xenoblade Chronicles 3
26.07.2022, Maximilian Wildgruber

Test: Xenoblade Chronicles 3

Krieg und Frieden und Riesenroboter

Für die einen ist es existenzielles Anime-Welttheater, für die anderen eine überfrachtete Rollenspiel-Monstrosität: Die Xenoblade Chronicles fanden in der Vergangenheit Freunde und Verächter. Teil 3 will nun die Lager einen und appelliert an die gemeinsamen Dogmen der JRPG-Fans: Riesenkampfroboter sind Gott. Und ein bisschen Grind geht immer. Damit kehrt das Finale nicht nur zu den Wurzeln der Chronicles, sondern der gesamten Xeno-Reihe zurück. Ambitioniert. Etwas anderes war aber auch nicht zu erwarten, wenn man die Vorgeschichte betrachtet.

Rückblende nach 1999 (Wer direkt zur Beschreibung von Teil 3 möchte, überspringt bitte drei Abschnitte…): Ein tolles Jahr! Der erste Matrix-Film beweist endlich, dass das Tragen von Sonnenbrillen in Innenräumen kein Edgelord-Getue ist, sondern VERDAMMT NOCH MAL DIE WELT RETTET. Fight Club liefert die Blaupause für die Känguru-Chroniken und in Japan verlässt das Game-Designer Paar Tetsuya Takahashi und Soraya Saga den Spielegiganten Squaresoft. Nach ihrem spektakulären Debüt Xenogears wollten die beiden auf eigene Faust Spiele entwickeln. Xenogears genießt zwar noch heute kultische Verehrung, war aber mit einer desaströsen Entwicklungsgeschichte gestraft, die zu einer spielerisch halbgaren zweiten Hälfte und zu verbrannter Erde mit dem Publisher führte. Der Name des eigenen Studios: Monolith Soft.

Eine kleine Weltgeschichte

Verdammt zum ewigen Kampf: Das erste Zusammentreffen von Noah und Mio verläuft unentspannt.
Über 20 Jahre später hängt die Matrix-Franchise ausgelaugt am Tropf und auch Squaresoft, jetzt Square-Enix, zehrt von früherem Ruhm. Takahashis Xeno-Reihe jedoch, inzwischen als Xenoblade Chronicles eine feste Größe im JRPG-Lineup für Nintendos Switch, erzählt unermüdlich Dramen um technoide Götter, allzu menschliche Superwaffen und nervig-knuffige Kampfkartoffeln. Irgendwer musste ja die Beständigkeit bewahren… Nomen est omen, denn so massiv und unzugänglich ein Monolith oft wirkt, so beständig ist er eben auch. Daher verwundert es wenig, dass nach Xenogears für PSone und der Xenosaga-Trilogie für PS2 auch der dritte Teil von Xenoblade Chronicles die für Monolith Soft und Takahashi übliche Mischung aus Genialität und Größenwahn erkennen lässt. Xenoblade Chronicles 3 (ab 44,94€ bei kaufen) ist nicht einfach ein Trilogie-Finale. Es verbindet die Welt-Entwürfe des 2010 für Wii erschienenen, ersten Xenoblade Chronicles mit dem Setting des 2017 auf der Switch veröffentlichten Sequels Sequels. Das ist nicht unbedingt eine Überraschung, denn bereits im Switch-Remaster des ersten Teils von 2020 orakelte ein neuer Epilog namens "Future Connected" von einer gemeinsamen Zukunft der beiden Szenarien.

Trilogie-Finale

Crab Hunter: Mit blauen Flügeln markierte Elite-Gegner brauchen deutlich länger, werfen aber auch ordentlich Belohnungen ab.
Die Design-Entscheidung ist aber insofern gewagt, als dass die Fans des Seriendebüts nicht automatisch zu den Liebhabern des Sequels gehörten – und umgekehrt: Teil 1 wurde ursprünglich als "Monado: The Beginning of the World" konzipiert und erst kurz vor Release in den Xeno-Kanon aufgenommen. Dementsprechend geschlossen und eigenständig wirkt dieses Abenteuer mit seinem originellen World-Building, das den Helden Shulk auf die gigantischen Körper zweier im Kampf erstarrter Titanen versetzt. Schelte gab es damals für das unausgegorene Kampfsystem und die Flut an Fetch-Quests. Teil 2 besann sich stärker seiner Xeno-Ursprünge und deutete die "Blades" als personifizierte Superwaffen um, die in symbiotischer Verbindung mit ihren Besitzern in den Kampf um einen Weltenbaum zogen. Ein verfeinertes Kampfsystem und grandiose Welt-Exploration sorgten für Liebe, manche Kritiker kamen jedoch mit Gatcha-Mechaniken, dem nasenlos-pubertärem Charakterdesign und der kindlichen Hauptfigur Rex nicht recht klar.

Kult und Kritik

Frisch gestärkt in die Wüstennacht. Gefällt euch die aktuelle Stimmung nicht, dreht ihr auf Wunsch die Tageszeit vor.
Teil 3 will nun die gemeinsamen Stärken ausbauen: kühn erdachte Science-Fantasy-Welten, um deren Schicksal interessant frisierte Jungspunde mit eigenwilligen Superschwertern kämpfen. Der Protagonist des neuen Teils heißt Noah und wirkt reifer als der juvenile Rex des Vorgängers. Im Gegensatz zum dronenhaft coolen Shulk aus Teil 1 hat Noah dafür aber durchaus Zugriff auf seine Emotionen und zeigt auch mal Empathie. In der neuen Welt Aionios muss er im Krieg der beiden verfeindeten Nationen Keves und Agnus vermitteln. Beziehungsweise verflöten, denn Noah arbeitet zunächst als Wegweiser. Keine Angst, das bedeutet nicht, dass er nur in schicken Landschaften rumsteht und auf Interessantes deutet (ist vielleicht aber eine Idee für das nächste Spiel von Hideo Kojima). Noah ist ein geborener Soldat. Buchstäblich. Genau wie seine Mitstreitenden wurde er von der Königin von Keves gezüchtet, um gegen die Armee von Agnus zu kämpfen. Überlebt er das zehn Jahre lang, darf er sich in einer zynischen Zeremonie, genannt "Heimkehr", in Lichtpunkte auflösen und seine Lebenskraft wieder dem ewigen Kriegskreislauf zur Verfügung stellen. So eine kleine Rückblende wie zu Anfang dieses Textes würde für Noah also mehr als das Doppelte seiner Lebenszeit umfassen. Ganz schön dystopisch.

Leben, um zu kämpfen

Zurück zum Wegweisen und damit zum Ernst des Spielens: Denn schon in seinen ersten Stunden wirkt Xenoblade Chronicles 3 deutlich existenzialistischer als der leichtfüßig startende Vorgänger. Zusammen mit seiner Eskorte, dem stabilen Muskelberg Lanz und der bärbeißigen Scharfschützen-Heilerin Eunie, befindet sich Noah auf einem Spezialauftrag: Gefallene bestatten. Damit die leblosen Hüllen von Soldaten beider Lager sich zurück in Energie verwandeln, spielt Noah per Knopfdruck ein Requiem auf seiner Wegweiser-Querflöte. Partikel aus leuchtender Lebenskraft steigen dann auf und werden wieder dem ewigen Kriegskreislauf zugeführt. Was für ein Drecksjob. Die weiteren grundlegenden Spielmechaniken lernt ihr im Rahmen einer militärisch effizienten Aufklärungsmission kennen. Noah und seine Begleiter erkunden die Gegend um ihre heimatliche Basis, eine sogenannte Kolonie, die als gigantisches mobiles Feldlager fungiert.

Kämpfen, um zu leben

Charakterdesign und Mimik der Figuren sind ausgereift und transportieren eindringlich Freud und Leid eurer Helden.
Schnell wird das Trio in erste Reibereien verwickelt und der robuste Kernmotor der Xenoblade-Spielmechanik springt an: Gegnerischen Soldaten, Kampfdrohnen oder wild gewordenen Killer-Karnickeln stellt ihr euch im sogenannten Auto-Kampf. Das bedeutet, dass sich eure drei Heldenpersonen selbstständig in die Schlacht stürzen, sobald sie in die Reichweite kampfbereiter Opponenten geraten. Noah als Angreifer teilt mit seinem roten Technoschwert kräftig aus, Lanz verteidigt via überdimensioniertem Zweihänder und Eunie feuert je nach Bedarf heilende oder zerstörerische Energiebündel ins Getümmel. Wer nicht direkt von euch gesteuert wird, macht gemäß seiner Rolle auf eigene Faust weiter. Korrektes Positionieren verhilft euch zu Buff-Kraftfeldern oder kombinierbaren Effekten wie z.B. "Schwanken" bei Angriffen von der Seite. Lasst ihr darauf die Effekte "Umwerfen" und dann "Ohnmacht" folgen, legt sich euer Widersacher für einige Sekunden wehrlos hin.

Guernica wer?

Rätselhöhlen und richtige Dungeons findet ihr leider relativ selten.
Noch mehr Schaden teilt ihr aus, wenn ihr auf Tasten- und Digikreuz frei verteilbare Spezialangriffe genau in dem Moment aktiviert, in dem eine Auto-Attacke trifft. Das spielt sich flüssig und ausgereift. Klare Symbole erleichtern die korrekte Aufstellung im Feld und knackige Elite-Gegner sind deutlich markiert. Scharmützel mit größeren Gegnergruppen, bei denen ihr euch zu Beginn auf eine Seite schlagen dürft, um unterschiedliche Belohnungen zu verdienen, lockern etwas auf, der Spielfluss bleibt aber kampflastig. Viel mehr habt ihr in den Schluchten und Schlachtfeldern des ersten Spielkapitels nicht zu tun. Hier mal ein paar Schrauben und Karotten im Vorüberspurten einsammeln, dort einen Container knacken oder eine Abkürzungsleiter aktivieren. So einfach ist das Soldatenleben, im Westen nichts Neues.

Mischt sich beim Kampf gegen einzigartige Biester auch noch ein hochleveliger Grobian ein, ist "Kommando Hasitfuß" angesagt!
Und dann trefft ihr die feindliche Spezialeinheit. Eingerahmt von blutroten Bodendeckern steht Noahs Trupp plötzlich einer Wegweiserin aus Agnus und ihren beiden Begleitern gegenüber. Im Laufe des unvermeidlichen Schlagabtausches wird klar: Die sind genau wie wir! Bevor sich beide Trios gegenseitig auslöschen, taucht ein Veteran im Kampfroboter auf. Er trägt den gleichermaßen geschmacklosen wie treffenden Namen Guernica Vandham. Guernica ist auch der Name einer im spanischen Bürgerkrieg bombardierten Stadt und eines der eindringlichsten Antikriegs-Gemälde von Pablo Picasso . Folgerichtig ist auch die nun Botschaft des Deus ex Mech-Machina im Kern pazifistisch: Der vermeintlich ewige Krieg zwischen Keves und Agnus ist vollkommen sinnlos. Beide Nationen werden von einer dritten Macht in einem Kreislauf ewigen Tötens gehalten: finsteren Figuren in Petplay-Powersuits, genannt Moebius, die mit rot leuchtenden Unendlichkeitssymbolen im Auge eine monströse Unsterblichkeit verkörpern und sich aus dem Leben tausender Unschuldiger speisen.

War… War never changes, oder?

Findet ihr Kriegsleichen, könnt ihr sie mit Noahs und Mios Flöten als Lichtpunkte nach Hause schicken.
Der Weg zum Frieden bleibt allerdings erstmal martialisch: Zu sechst muss sich die neu zusammengewürfelte Party auf den Weg in die Schwertmark machen, einer abgeschiedenen Wildnis, die sich um die gigantisch aufragende Klinge des Mechonis-Titanen aus dem ersten Serienteil erstreckt. Irgendwo dort soll eine freie Stadt und der Ausweg aus dem Teufelskreis liegen. Damit die frischgebackenen Rebellen überhaupt eine Chance gegen die Moebius haben, verleiht Guernica ihnen eine neue Fähigkeit: Je zwei Charaktere können miteinander verschmelzen und sich in haushohe Ouroboros-Biomechanoiden verwandeln, die den Moebius-Monstern mit Mecha-Martial-Arts, Flugangriffen und Energiegewittern zünftig heimleuchten.

Der Weg zur Schwertmark führt die sechs Aussteiger einmal quer über Aionios, dessen Landmasse dem versteinerten Körper des Titanen Uraya, Heimatort des Charakters Vandham aus Xenoblade Chronicles 2, ähnelt. Was genau mit Land und Leuten seit den beiden Vorgängerspielen passiert ist, ist eines der vielen Geheimnisse, das ihr im Laufe der nächsten Spielstunden aufdecken werdet. Passend für ein Mammut-RPG, mit dem ihr euch locker zwischen 70 und 100 Stunden beschäftigen könnt, ist das Thema Zeit dabei das Leitmotiv. So hat zum Beispiel Mio, die nachdenkliche Wegweiserin aus Agnus, nur noch wenige Monate zu leben, bevor ihre zehnjährige Lebensfrist abläuft. Die Reise in die Schwertmark wird so zum Wettlauf gegen den Tod.

Zeit, bitte bleib steh'n, bleib steh'n

Kombiniert ihr den Ouroboros mit den Angriffsketten, schnellt der Bonus-Schaden in astronomische Höhen.
Gleichzeitig versucht euer Sextett so viele Soldaten wie möglich vom Joch des Kriegs zu befreien. Das funktioniert über die Zerstörung der sogenannten "Flammenuhren", kreisrunder Energiespeicher, die in den Kolonien die Lebenskraft der getöteten Kriegsopfer einsammeln. Egal, ob eine Kolonie auf Seiten von Keves oder Agnus steht: Solange ihre Flammenuhr tickt, müssen die dort stationierten Soldaten kämpfen und die Stechuhr des Todes aufziehen. Viele der zahlreichen Nebenquests des Spiels drehen sich um solche Befreiungsschläge. Entweder direkt auf eurem Weg zum nächsten Marker der Hauptquest oder beim Erkunden eines Nebentales entdeckt ihr eine Kolonie, prügelt euch mit ihrem Kommandierenden und oft auch einem Konsul der Moebius, zerballert nach erfolgreichem Boss-Kampf die Uhr und schaltet die Kolonie als Reisepunkt und Quest-Hub frei. Das öffnet weitere Nebenmissionen, die sich um die Versorgung der nun frei agierenden Basis drehen. Essen sammeln, jagen oder verirrte Bewohner finden, Stück für Stück verdient ihr euch Harmoniepunkte, die sich in allerlei Boni auszahlen.

Moebius-Konsulen verwandeln sich bei Bosskämpfen gerne in zähnefletschende Riesenhulks. Zeit für eure Ouroboros-Verwandlung.
Die beste Belohnung: Die meisten der befreiten Kolonie-Kommandierenden stehen euch nach Questabschluss als Helden zur Verfügung, unterstützen als siebtes Party-Mitglied nicht nur im Kampf, sondern verleihen eurer Party auch weitere Klassen. Ähnlich wie im Job-System aus Final Fantasy und anderen Genre-Klassikern stehen euch durch neue Klassen zusätzliche Kampftechniken, Angriffsmuster und Outfits zur Verfügung. Die aus Teil 1 bekannte Rollen-Dreieinigkeit gewinnt dadurch an Tiefe. Eure Angreifer sind z.B. nicht mehr auf Schwerter festgelegt, sondern attackieren je nach Klasse mit Bogen, Revolvern oder Riesenhammer. Jedes Partymitglied kann mit etwas Übungszeit jede Klasse erlernen, so dass ihr auch mit ungewöhnlichen Aufstellungen wie sechs Angreifern oder einer Truppe, die überwiegend aus Verteidigern und Heilern besteht, experimentieren könnt. Viele der Heroen erweitern die Spielwelt auch erzählerisch. Interessante Hintergrundgeschichten wollen aufgedeckt, alte Fehden ausgetragen und komplette optionale Questreihen erledigt werden. Der Großteil der Aufträge dreht sich dabei um Kämpfe, seltener sind simple Sammel-Gesuche und Verfolgungsjagden, bei denen ihr Spuren verfolgt.

Helden sind Klasse(n)

Aktiviert ihr die Navigations-Hilfe, zeigen farbige Bänder und deutlich sichtbare Leuchtfeuer den Weg zum nächsten Handlungsort.
Wie so oft bei dieser Quest-Struktur befindet ihr euch in einem erzählerischen Dilemma: Wollt ihr der drängenden Hauptquest folgen oder den mannigfach am Wegesrand lockenden Nebenbeschäftigungen nachgehen? Ohne zu viel zum späteren Verlauf der Handlung zu verraten: Die Designer wissen um diese Diskrepanz und treiben die Dramatik damit später gewaltig in die Höhe. Generell gilt: Xenoblade 3 ist, wie seine Vorgänger, kein Spiel zum Durchrennen. Es nimmt sich Zeit und ihr solltet das auch tun. Manche Zwischensequenzen dauern fast eine Stunde und manche Nebenfiguren plus ihre Geschichten sind viel zu sympathisch, um sie zu verpassen. Außerdem gibt es ohne einen profanen Worldbuilding-Unterbau eben auch keine welterschütternde Epik.

Bei aller Ernsthaftigkeit: Manchmal muss man einfach sein Schwert als Surfboard benutzen und Bosse im Anime-Style schreddern.
Stichwort Worldbuilding: Xenoblade Chronicles 3 zaubert eine enorm faszinierende Anderswelt auf die Switch. Gras wiegt sich auf sanft abfallenden Berghängen, Sandbänke und Korallenformationen locken mit leuchtenden Farben und das abkühlende Bad in einer Wüstenoase perlt naturalistisch vom Display. Das Ganze wird belebt von einer Vielzahl knuffiger Pflanzenfresser und anmutiger Raubtiere, die oft an irdische Säugetiere, Insekten oder Saurier erinnern, aber mit gelungenen Farb- und Formenspielen das vermeintlich Bekannte fantastisch variieren. So wird aus unseren Hasen z.B. der Wolpertinger-artige Hasit. Die Erkundung der Welt fühlt sich dabei nicht ganz so frei und zusammenhängend an wie z.B. bei The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Die Sprünge zwischen manchen Arealen sind teilweise stark spürbar und manche Gebiete gerade im ersten Spieldrittel recht beengt. Dank überall versteckter Interaktionspunkte lohnt das Eintauchen in Aionios fantastische Flora und Fauna aber allemal. Hier wartet eine abgeworfene Versorgungskiste auf Bergung, dort können Noah und Mio ein paar Gefallenen den Weg weisen und dazwischen wandern besonders imposante Riesenviecher der Marke "Hoppala, den Riesenbladschare machen wir aber erst 50 Level später". Manche Helden verleihen euch zudem zusätzliche Fortbewegungsarten wie das Erklettern violetter Ranken oder das Schlittern auf Drahtseilen, so dass es immer auch lohnt, zu einem anderen Zeitpunkt zurückzukehren. Später im Spiel werden die Gebiete dann immer weitläufiger. Eine belebte Stadt wartet auf abenteuerlustige Besucher und eine komplette Lagunenlandschaft nebst Inseln lädt zum Bootsausflug.

Betörende Anderswelt

Passend zur Progression der Welt wächst auch die Komplexität der Spielmechaniken: Selbst Stunden nach der einführenden Tutorial-Mission überrascht euch Xenoblade 3 noch immer mit weiteren Funktionen. Dabei bemühen sich die Designer spürbar um Didaktik und Komfort. Komplexe Kampfmechaniken dürft ihr euch in einem eigenen Trainingsmodus aneignen. Wird euch die Item-Sammelei für das schlanke Crafting-System von aufrüstbaren Juwelen und Buff-spendender Kochrezepte zu viel, ersetzt ihr fehlende Zutaten einfach mit Nopon-Münzen.

Wie es euch gefällt

Treten euch die Moebius-Konsulen nicht als mutierte Riesenbiester gegenüber, verbergen sie sich in modisch fragwürdigen Powersuits.
Apropos Nopon: Fans der knuddeligen Knödel müssen jetzt stark sein, denn sie beschränken sich in diesem Serienteil auf die NPC-Seitenlinie und fungieren als Händler und Verwalter des Crafting-Systems. Das tritt vor allem bei den an Final Fantasy 15 erinnernden Rastlagern zutage. Diese stellen eine aufgebohrte Version der überall verteilten Schnellreisepunkte dar und erzeugen einen entspannten, gut planbaren Rhythmus aus Aufleveln eurer Party, optionalen Gesprächen und Waschen verdreckter Charaktere (!) sowie dem Erledigen von Nebenmissionen oder dem gezielten Fortsetzen der Haupthandlung. Generell lässt euch Xenoblade Chronicles 3 oft die Wahl, wie bequem ihr euer Spielerlebnis gestalten wollt. Auf Wunsch zuschaltbare Questmarker weisen als leuchtende grüne oder rote Bänder direkt den Weg zum nächsten Story-Ereignis. Drei jederzeit wechselbare Schwierigkeitsgrade verwandeln auf der leichtesten Stufe die meisten Kämpfe zur Schulhofschubserei. Wenn ihr ohnehin eher an der Story und den aufwändig inszenierten Zwischensequenzen interessiert seid, könnt ihr alle Gefechte bis auf die Bosskämpfe komplett automatisch ablaufen lassen.

Manche Nebenquests schaltet ihr erst frei, wenn ihr unterwegs aufgeschnappte Informationen am Rastlager besprecht.
Und damit wären wir beim letzten großen Punkt, der viel Licht, aber auch ein bisschen Schatten auf das Trilogie-Finale wirft: dem Kampfsystem in seiner finalen Form. Bis sich dieses Komplexitäts-Biest in ganzer Pracht zeigt, vergehen zig Stunden und viele Mechaniken werden erstmal mit spektakulären Story-Sequenzen eingeleitet. Die grundlegende Organisation eurer sechs Partymitglieder geht dabei schnell von der Hand. Meist genügt es, simple strategische Kommandos wie "Alle auf einen" zu geben und euch auf einen aktiv gesteuerten Charakter zu konzentrieren. Versagt die automatische Fürsorge eurer Heiler oder veranstaltet ein Boss im Zorn-Modus unvorhergesehenen Kokolores, müsst ihr manchmal flink durch die Spielfiguren wechseln, was gerade bei Massenkämpfen unübersichtlich werden kann.

Riesenkampfroboter marsch!

Im gemeinsamen Rastlager bespricht die Truppe das weitere Vorgehen. Nach und nach kommen weitere Menüpunkte dazu.
Auch die Verwandlung in die deutlich stärkeren Ouroborus-Formen läuft komfortabel und flüssig: Ist eines von maximal drei Powerleveln aufgeladen, verschmilzt eure Figur mit ihrem Synchronisations-Partner zum Alphalulatsch und schenkt für eine begrenzte Zeit extra saftigen Schaden aus. Noch mehr Bumms bekommt ihr, wenn all diese Mechaniken in den sogenannten Angriffsketten zusammenkommen: Habt ihr durch erfolgreiche Kampfaktionen eure Kettenleiste aufgeladen, dürft ihr via Knopfdruck die Zeit anhalten und alle Angriffe eurer Party zu irrwitzig starken Combos verketten. Das macht erstmal großen Spaß, weil die perfekte Reihenfolge euren Schadensmultiplikator in übertriebene Höhen schießen und den Switch-Bildschirm in abartigen Effektgewittern explodieren lässt. Diese Animationen könnt ihr aber weder kürzen noch abbrechen – so dass ihr, sobald ihr euch daran sattgesehen habt, irgendwann gelangweilt abwartet, bis der Zinnober vorüber ist und ihr wieder ins gewohnt dynamische Action-Kampfgeschehen einsteigen dürft.

Technisch gesehen sind die Reibereien mit teils riesigen Gegnern das Beste, was ihr aktuell auf der Switch zu sehen bekommt: Dutzende Opponenten prügeln quirlig aufeinander ein, Plasmabündel und glitzernde Energiefelder brennen sich in eure Netzhaut und hypermobile Mechas nutzen ihr Schwert als Surfbrett, mit dem sie in Feinde krachen. Auch das Aussehen der Charaktere und der zahlreichen Bosse überzeugt. Manche Moebius-Mutationen ähneln einander zwar recht stark, aber gerade das Charakterdesign von Masatsugu Saito gefällt mit im Vergleich zum Vorgänger deutlich erwachseneren Gesichtszügen, die in den vielen dramatischen Zwischensequenzen auch emotional überzeugen.

Anime-Atmosphäre über 9.000!

Triggerwarnung: Die Story scheut auch vor schlimmen Themen nicht zurück.
Wie immer, tragen dazu auch die Tonschöpfungen des Soundtrack-Teams um Yasunori Mitsuda bei: peitschende Metal-Chöre bei Bosskämpfen, zarte Flageolett-Töne für tiefgründige Dialoge am Lagerfeuer und spirituelle Sphärenklänge, wenn die Xenoblade-Welt ihre uralten Geheimnisse preisgibt, pumpen euch die Atmosphäre direkt ins Trommelfell. Dass zwischendurch mal die Framerate in die Knie geht oder die Auflösung kurzzeitig gröber wird, hat uns beim Test nie aus der Stimmung gerissen. Ein einziger Komplettabsturz und seltene Aussetzer der Kampf-KI, die bei Auto-Steuerung schon mal über Klippen hechtet, blieben (genau wie die Ladezeiten) in vertretbarem Rahmen.

Übung erwünscht: Wer sich im komplexen Kampfsystem mal verloren fühlt, wählt einfach die gut erklärten Trainingskämpfe im Hauptmenü.
Und was bleibt nun unterm Strich von diesem JRPG-Monster, mit dem Tetsuya Takahashi sowohl die Fans der beiden Vorgänger, als auch neue Spieler erreichen will? Ein tiefgründiges, überraschend erwachsenes Epos über Krieg und Frieden, menschliche Unzulänglichkeit und unser Unvermögen, mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen. Spielmechanisch beizeiten repetitiv, ist Xenoblade Chronicles 3 damit vor allem erzählerisch über alle Zweifel erhaben. Vor allem Fans des über zwanzig Jahre alten ersten Xenogears werden ihre helle Freude am Enträtseln und Interpretieren haben. Das beginnt bei Charakteren oder Biomechanoiden, die verdächtig bekannt aussehen und endet bei Takahashis Spiel mit religiösen und mythologischen Motiven, die er so unbedarft wie genial in sein Anime-Panoptikum einbaut. So bedeuten z.B. Keves und Agnus auf hebräisch und lateinisch Schaf bzw. (Opfer-) Lamm und auch das Wort Ouroboros wird wohlige Schauer bei Oldschool-Zockern auslösen, die das erste Xenogears bis ganz zu Ende gespielt haben. Nicht zuletzt das Leitmotiv der Flammenuhren lässt euch oft betroffen staunend zurück. Ein passendes, hoffentlich nicht prophetisches Spiel für eine Zeit, in der die Weltuntergangsuhr gerade auf 100 Sekunden vor der realen Apokalypse steht.

Alpha & Omega

Fazit

Ist das jetzt Tetsuya Takahashis Magnum Opus? Sein bedeutendstes Werk? Weiß ich nicht. Für mich persönlich kommt es immer noch nicht ganz an das Original-Xenogears ran, obwohl dieser Oldie rein spielerisch deutlich mehr Defizite hatte. Was ich weiß, ist, dass Monolith Soft hier einen hervorragenden Vertreter des JRPG-Genres vorlegt – mit wundervoller Anime-Ästhetik, massivem Umfang und enorm sogkräftiger Story. Themen wie Krieg, autoritäre Regime und sogar Selbtsmord werden pietätvoll und hypnotisch mit den Schicksalen von nahbaren und liebenswerten Charakteren verstrickt. Ein ums andere Mal saß ich mit einem dicken Kloß im Hals vor der Switch und fieberte mit, wenn dramatische Wendungen kosmische Ausmaße annahmen. Ich behaupte, dass so etwas nur gelingen kann, wenn ein Haufen bedingslos Kunstschaffender ihr gemeinsames Herzblut in die Erschaffung einer Welt fließen lassen. Dass es beim Kampfsystem Verbesserungspotenzial in Sachen Dynamik gibt, muss ich objektiv anmerken. Persönlich ist mir das wurscht. Die Standardkämpfe liefen irgendwann ohnehin in Vollautomatik und als alten Dragon-Quest-Grinder überkommt mich in solchen Phasen ein meditatives Wohlgefühl. In seinen besten Augenblicken verbinden sich die Landschaften, Erzählung und Musik von Xenoblade Chronicles 3 zu Momenten von epischer Schönheit. Das mag kitschig klingen, aber hey: Make art, not war!

Pro

  • ernsthaftes Setting
  • liebenswerte Charaktere
  • spektakuläre Bosskämpfe
  • grandiose Landschaften und Musik
  • randvoll mit Quests und Geschichten
  • auf Wunsch zahlreiche Hilfs-Automatiken
  • jede Menge Bezüge und Easter-Eggs für Xeno-Fans

Kontra

  • Kampfsystem neigt zur Wiederholung
  • Questdesign überwiegend kampflastig
  • Massenschlachten manchmal unübersichtlich
  • manche Gebiets-Übergänge recht unvermittelt
  • nichts für Hektiker, Grind
  • oder Fetch-Quest-Hasser

Wertung

Switch

Episches Riesenrollenspiel, das der Serientradition treu bleibt und eine aparte Welt entstehen lässt, die ihr nach zig Spielstunden in den Grundfesten erschüttert.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Erweiterungs-Pass für 29,99 Euro erhältlich. Der beinhaltet: Bis 29.07.22 nützliche Items, Farbvarianten von Outfits. Bis 31.12.22 Kampfprüfung, neuer Held & neue Missionen, neue Outfits. Bis 30.04.23 Kampfprüfung, neuer Held & neue Missionen, neue Outfits. Bis 31.12.23 brandneue Handlung.
  • Season Pass, dessen Inhalte keine bzw. nur minimale Auswirkungen auf das Spieldesign haben.
Kommentare
Khorneblume

Ich finds ja schade, dass sie nicht das "Experten" - System aus XBC-Deluxe übernommen haben, in dem du selbst am Level Schrauben kannst.
Nach dem Durchspielen gibt es dieses Feature.

Blöde Design-Entscheidung, denn gerade wenn man viel Questet hat man irgendwann keinen Progress für die Klassen, mangels Gegnern die keine Erfahrung liefern. Folglich können bestimmte Klassen dann bis Endgame nur die Klassenerben lernen, der Rest erst wenn man die Stufe wieder senkt.

vor 2 Jahren
Henselinho

Das System gibt es, aber leider erst im NG+

Und ich bin auch ein Fan von "einfach mal alles wegrasieren", aber bei XC3 war das halt 80 % des Spiels so. Und das ist dann imo doch ein bisschen arg viel

vor 2 Jahren
Levi 

Ich finds ja schade, dass sie nicht das "Experten" - System aus XBC-Deluxe übernommen haben, in dem du selbst am Level Schrauben kannst.

Umgedreht: ich liebe es auch mal irgendwie hoffnungslos Überlevelt zu sein

vor 2 Jahren
Henselinho

Ganz so verkürzt würde ich das Kampfsystem auch nicht beschreiben, bei der Kritik mit den Bulletsponges würde ich aber zum Teil mitgehen. Der dritte Teil hat das Problem, dass Monolith komplett das LVL-Scaling verbaselt hat. Das ist mir so extrem aus den Vorgängern nicht in Erinnerung.

Wenn man sich ein wenig mit dem optionalen Kram befasst ist man schon nach kurzer Zeit heillos überlevelt, und entsprechend trivial werden dann die Kämpfe gegen das 08/15 Kroppzeug. Und das ohne die Bonus-EXP aus Quests zu verteilen, die man wie im zweiten Teil erhält und in der Gaststätte verteilen konnte. Ich habe sicher 80% der Kämpfe auf Autokampf laufen lassen und nebenbei das Handy in der Hand gehabt.

Als zugegeben extremer Gegenentwurf hat mir der Endboss von Kapitel 3, obwohl 8 LVL unter mir, ordentlich den Hosenboden langgezogen.

Die Kämpfe kann man taktisch angehen und hat auch einiges an Möglichkeiten. Man braucht sie nur häufig nicht.

vor 2 Jahren
Levi 

Der fairness halber: ja. Das Kampfsystem ist inspiriert von alten mmorpgs.
Kein wirklicher Action Anteil (nur ein wenig Positionierung im Verhältnis zum Gegner und lokal eingegrenzte buffs. Sowie Timing Späße beim auslösen der Skills)
Relativ viel "Anger Management". (in drei gefühlt nochmal besonders).
Abwägen von unterschiedlichen Attacken: Schnell mehr Schaden, oder doch lieber eine Leiste für Specials füllen. (wovon es quasi zwei gibt, die dann wiederum selbst subsysteme mitbringen)

Zuletzt bearbeitet vor 2 Jahren

vor 2 Jahren