Lost in Play - Test, Adventure, PC, Switch

Lost in Play
15.08.2022, Lion Knirsch

Test: Lost in Play

Ein interaktiver Samstagmorgen-Cartoon

Das Point'n'Click-Adventure Lost in Play entführt euch in eine Welt kindlicher Fantasien und erweckt nostalgische Erinnerungen an schöne Samstagmorgen vor dem heimischen Fernseher, als Zeichentrickcartoons noch auf den alten Röhrenfernsehern flackerten. Die märchenhafte und absurde Geschichte der beiden Geschwister Toto und Gal erinnert dabei nicht nur optisch an Vorbilder wie die Serie Willkommen in Gravity Falls. Ob der vier- bis fünfstündige Spaß auch Gefühle abseits der Nostalgie wecken kann oder wie man eine Piratenmöve in Krabbenklicken besiegt, das erfahrt ihr in unserem Test der Switch-Version.

Große Erwartungen

Geschwisterliebe: Gal versucht ihren Bruder Toto zu erschrecken.
Als mir der Trailer dieses interaktiven Cartoons unter die nostalgisch dreinblickenden Augen geriet, schien es fast wie Schicksal, mein Test-Debüt bei 4Players mit jenem kleinen Abenteuer zu beginnen. Beim Anblick der mit Liebe gezeichneten Charaktere kamen sofort Erinnerungen an Klassiker wie die Deponia-Reihe oder Harveys neue Augen auf, bei denen ich mich damals mehr als nur einmal vor Lachen oder Staunen an meinem Energy-Drink verschluckte. Dass sich der Entwickler Happy Juice Games bei der Konzipierung bewusst an Vorlagen wie Gravity Falls orientierte, ist für Fans der Serie und somit auch für mich eine sehr erfreuliche Nachricht – meine Erwartungen waren dann natürlich dementsprechend hoch...

Mit einer Menge Fantasy

Visuelle Kommunikation: Lost in Play zeigt in Bildern, was zu tun ist.
Einmal die Welt wieder durch die Augen eines Kindes betrachten, als sie noch bunter, lebendiger und abwechslungsreicher erschien – und Drachen, Meerjungfrauen & Co. mehr als nur Bilder auf Craft-Bier-Flaschen waren. Ein traumhafter Gedanke, der wohl auch die israelischen Entwickler zu inspirieren schien. Das märchenhafte Abenteuer der Kinder beginnt in den heimischen vier Wänden des Geschwisterpaares. Doch schon bald fangen Realität und Fantasy an, ineinander zu verschwimmen. So versucht Gal ihren mürrischen Bruder mithilfe eines selbstgebastelten Pappkarton-Monsterkopfes zu erschrecken, ganz nach dem Motto: "Was sich neckt, das liebt sich". Und während des kleinen Katz- und Mausspiels weicht die gemütliche Vorstadtidylle einem düsteren Märchenwald. Lost in Play ermöglicht hier einen Einblick in die kindliche Fantasie der beiden und plötzlich muss sich Toto nicht mehr vor seiner als Papp-Monster verkleideten Schwester, sondern vor einem haarigen Ungeheuer mit messerscharfen Zähnen verstecken. Nun liegt es an mir, ihnen dabei zu helfen die Fantasiewelt zu durchstreifen und wieder in den heimischen Garten zurückzufinden.

So laufe ich als Toto im dunklen Geäst umher, mit unruhigem Blick in die Richtung, in welche das bärenartige Ungeheuer einst verschwunden war. Dass ich mit einem Schatten-Wesen, das es sich mit einem Buch hoch oben im Baum gemütlich gemacht hat, sprechen kann, wird mir durch eine Blase mit drei Punkten suggeriert. Generell wird in Lost in Play nur in Bildern kommuniziert. Auf mit viel Witz und Verstand konzipierte Dialoge, wie ich sie in der Deponia-Reihe lieben gelernt habe, musste ich leider verzichten. Dass das freundliche Wesen auf dem Baum offenbar eine Brille benötigt, wird mir dabei durch ein Wölkchen samt schwarzem Brillensymbol angedeutet, während die Charaktere, ganz in der Tradition eines Videospiel-Franchise mit leuchtend grünem Plumbob, in einer fiktiven Sprache miteinander interagieren.

Schöne Gewässer, aber wenig Tiefe

Ganz viel Herz: Die liebevoll konzipierten Gestalten laden zum Schmunzeln ein.
Die Geschichte wird dabei in wunderschönen kleinen Zwischensequenzen erzählt, die durchaus an die Cartoon-Vorbilder erinnern. Doch so oft die liebevoll und kreativ gestalteten Spielwelten samt ihren verrückten Bewohnern meinem Mund ein "Aww, ist das süß!" entlocken konnten, so sehr hat mich die Story leider auch enttäuscht. Neben der Rahmenhandlung (wieder nach Hause gelangen), ergeben sich durchaus humorvolle Kurzgeschichten: So muss ich meinen geliebten Bruder zum Beispiel aus dem Bauch eines riesigen Fisches oder in der Haut von Toto dessen rothaarige Schwester aus den Fängen eines verrückt gewordenen Goblins befreien. Eine gewisse Tiefe oder gar Charakterentwicklung abseits von Niedlichkeit und Kreativität konnte ich jedoch nicht entdecken. Dennoch musste ich schon einige Male schmunzeln, wenn ihr als Fee verkleideter, zumeist oberkörperfreier Opa auftaucht, um mir die Handlung und mein nächstes Ziel zu erklären. In die Charaktere und Monster ist sehr viel Hingabe geflossen – ein über die Wolken ragendes Lama mit Vogelschnabel, flauschige Riesenkatzen, Moos-Ungeheuer, Froschkönige und viele weitere an Fabelwesen, Märchen und Träume angelehnte Wesen sind die Seele dieses Adventures.

Viel Rätselspaß

Ganz schön clever: In diesem Rätsel manipuliert ihr die Zeit, um zu eurem Ziel zu gelangen.
Wie es sich für einen klassischen Titel des Point'n'-Click Genres gehört, wird in den farbenfrohen Cartoon-Welten von Märchenwald bis Tiefsee, von Ritterburg bis postapokalyptischer Wüste gerätselt was das Zeug hält. So stellen sich Toto und Gal unterschiedlichsten Aufgaben, die den Hirnschmalz ordentlich anregen sollen. Dabei hat sich keines der schön inszenierten Minispiele je repetitiv oder "ausgelutscht" angefühlt. Während manche davon eher klassische Schiebe- oder Puzzle-Rätsel waren, gab es durchaus auch einzigartig einfallsreiche. Ob ich über Sonar ein U-Boot in der Tiefe steuere, mit furzenden Goblins um Kronkorken Karten spiele oder einen Schrott-Drachen nach Anleitung zusammenbastele, die Qualität der mehr als 30 Rätsel ist durchgehend hochwertig. Ein Minispiel ist mir dabei aber besonders in Erinnerung geblieben: So habe ich eine Märchenbuchseite vor mir und eine kindlich-gezeichnete Ritterin, die den Turm ihres gefangenen Geliebten erklimmen möchte. Je nach Umblättern der leicht vergilbten Seiten springe ich in der Zeit nach vorne oder zurück. Pflanze ich einen kleinen Setzling auf der vorderen Seite ein, so ist dieser auf der letzten zu einem stattlichen Baum herangewachsen, der mir in diesem Unterfangen zur Seite steht. Der Kreativität und dem drolligen Humor sind keine Grenzen gesetzt.

Dennoch waren mir die Rätsel zum Teil etwas zu leicht. So hatte ich bei einigen der Denkspiele bereits nach kurzer Zeit eine Lösung parat, weshalb eine belohnende "Aha!-Erfahrung" ausblieb. Und auch das Inventar spielt hierbei eine wichtige Rolle: So werden Gegenstände im Inventar automatisch kombiniert, das Nachdenken über mögliche Kombinationsmöglichkeiten der gefundenen Gegenstände wird dem Spieler abgenommen. Auch werden nur wenige der insgesamt sieben Inventarplätze tatsächlich belegt, weshalb "Trial-and-Error" in manchen Momenten das Mittel der Wahl sein kann, aber natürlich nicht sollte. Dennoch waren die humorvollen Denksportaufgaben nie komplett unterfordernd, sondern sorgten durchaus für unterhaltsame Momente.

Keine Sorge, Hilfe naht!

Ratlos? Das Adventure unterstützt bei Bedarf mit visuellen Hinweisen.
Sollten die Kopfnüsse aufgrund erhöhter Komplexität einer Erklärung benötigen, so wird in manchen Fällen eine kurze Animation eingeblendet, die das Spielprinzip abermals bildlich erklärt. Diese kann über den X-Button jederzeit erneut abgerufen werden. Wenn die grauen Zellen allerdings doch nicht ausreichen sollten – nicht verzagen – denn es scheint Licht hinter den zuckerwattigen Cartoon-Wolken. So bietet Lost in Play eine nützliche Hilfestellung auf dem Y-Knopf. Allerdings wird auch diese helfende Hand nur als Bild präsentiert, weshalb manchmal statt ersehnter Erlösung, ungewollte Verwirrung entsteht. Hier hätte eine zusätzliche verbale Information Abhilfe schaffen können.

Eine nostalgische Expedition

Aufgeräumt: Objekte, mit denen interagiert werden kann, stechen deutlicher hervor.
Die Reise der Geschwister führt insgesamt durch 15 individuell gestaltete Episoden. Wurde eine beendet, kann ich diese im Menü jederzeit wieder anspielen. Wer also in den gezeichneten 2D-Welten, in denen man sich frei zwischen mehreren Panels bewegen kann (und ab und zu auch frei im Raum), am Ende noch einmal mit einer Piratenmöve eine Art Krabben-Vier-Gewinnt spielen möchte, der muss kein weiteres Mal vor einem scharfzahnigen Papp-Monster fliehen.

Meine Figuren lenke ich direkt per Analogstick, Gegenstände, mit denen ich interagieren kann, werden durch ein Handsymbol hervorgehoben. Charaktere, mit denen ich sprechen kann, durch ein "…"-Symbol und wenn ich etwas beobachten kann, erscheint ein Auge. Wählt man einen Gegenstand im Inventar aus, so kann mit diesem an den eben genannten Symbolen interagiert werden. Recht einfach also… Dabei ist die Anzahl dieser Interaktionsmöglichkeiten pro Panel überschaubar, es befindet sich also nie zu viel auf dem 6,2-Zoll-Display der Switch, was für eine sehr übersichtliche, aber auch simple Spielerfahrung sorgt. Die Musik spiegelt die Spielwelten, in denen wir uns bewegen, stimmig wider: Wenn ich zum Beispiel in einem Synthwave-Retro-Minispiel Laserstrahl reflektierende Echsen verschiebe, gibt es 80er-Jahre getreue Elektro-Musik auf die Ohren. Und wenn ich in Zwischensequenzen an possierlichen Monsterchen vorbeifliege, während ein Lied in "simlischer"-Sprache gesungen wird, dann wird mir, mit Gedanken an Gravity Falls, schon warm ums nostalgische Herz. Technische Schwierigkeiten konnte ich beim Durchspielen auf der Nintendo Switch nicht feststellen – so lief das putzige Abenteuer, bis auf ein paar kleine unbedeutsame Animationsfehler durchgehend flüssig.

Fazit

"Lost in Play", das sind große Worte, die durchaus ihre Berechtigung haben: Die wundervolle Cartoon-Optik und die liebevoll gestalteten Charakteren entlockten mir mit ihrem drolligem, kindlichem Humor mehrfach ein Grinsen und ein vor Niedlichkeit erzwungenes "Aww". Die durchgehend hochwertigen Rätsel waren dabei einfallsreich und kreativ in die verschiedenen Spielwelten eingebettet. Und auch wenn meine Erwartungen an Dialoge wie in der Deponia-Reihe oder eine Story wie im kuriosen Abenteuer von Mabel und Dipper nicht erfüllt wurden, so hatte ich dennoch zwei schöne Abende am heimischen Fernseher. Die fehlenden Kombinationsmöglichkeiten im Inventar, die seichte Geschichte, der recht aufgeräumte Bildschirm und die manchmal zu simplen Gedankenspiele samt dem kindlichen Humor öffnen Raum für eine Zielgruppe, die der Titel von Daedalic Entertainment nicht unmittelbar anspricht – Kinder! Auch wenn es für die Kleinen an einigen Stellen wohl etwas zu kompliziert sein wird, steht einem gemeinsamen Spieleabend mit Mama und Papa nichts im Wege – und auch diejenigen, die im Herzen noch jung geblieben sind und mit moderatem Knobelspaß gerne den Tag abschließen, können beruhigt zugreifen. Und wer weiß, vielleicht erinnert sich die neue Generation nicht an Pokémon, Yu-Gi-Oh! & Co. im Fernsehen, sondern an Lost in Play für Nintendo Switch und PC.

Pro

  • liebevoll gestaltete Spielwelt und Charaktere
  • hochwertige und kreative Rätsel
  • kinderfreundliche Unterhaltung
  • Episoden sind einzeln auswählbar
  • humorvoll,...

Kontra

  • keine Charakterentwicklung oder Tiefe
  • mit moderatem Schwierigkeitsniveau
  • sehr seichte Story und Dialoge
  • geringe Spieldauer von 4-5 Stunden
  • ...aber recht stumpf

Wertung

Switch

Ein interaktiver Cartoon samt niedlicher Charaktere und kreativer Rätsel, der trotz fehlender Tiefe und moderatem Anforderungsniveau unterhält.

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