Lonn - Test, Action-Adventure, VirtualReality, OculusRift, ValveIndex, HTCVive
Endlich wieder ein klassisches, lineares Action-Adventure in VR! Lonn hat mir klargemacht, wie sehr ich den klassischen Aufbau von Story-Shootern wie Half-Life: Alyx vermisse. Auch das kürzlich veröffentlichte Bonelab konnte meinen Hunger nicht wirklich stillen, daher genoss das überraschend veröffentlichte Lonn sofort meine Aufmerksamkeit. Schon mehrere Jahre lungerte das Indie-Spiel des australischen SixSense Studio in meiner Liste erwarteter VR-Spiele herum. Dass nur ein Drei-Mann-Team hinter dem Projekt steckt, machte mich natürlich ein wenig skeptisch. Doch die Cyberpunk-Kulissen waren viel zu hübsch, um den SteamVR-Titel links liegen zu lassen.
Cyberpunk 2058
Die ersten Minuten im Spiel ließen Schlimmes erahnen. Als Stillleben wirkt die Welt des Jahres 2058 richtig hübsch. Eine schwache KI, plumpe Animationen und oft kopierte Grafik-Assets können aber nicht verbergen, dass hier nur ein kleines Team an einem ausgewachsenen Action-Adventure saß. Die Aufträge der Story schicken den Helden Lonn nach und nach in verschiedene lineare Levels, in denen er mit Schusswaffen und Cyberklingen gegen Drohnen und wild gewordene Kultisten kämpft.
Hübsche Stillleben, plumpe Animationen
Passend zum Thema hat sich ihre Sekte „WUX-n“ ganz und gar dem Geistigen verschrieben. Körperliche Ethik spielt bei der Erlangung der Erleuchtung bestenfalls eine untergeordnete Rolle, wie sich beim Besuch ihrer Folterlabore herausstellt. Zwischen den langen Levels kehre ich in die Stadt zurück. Dort erwerbe ich gegen Spielwährung Blaupausen für Waffendruck und Aufsätze oder erlange neue Fähigkeiten.
Die erzählerische Umsetzung ist Welten von einer Großproduktion wie Cyberpunk 2077 entfernt: Charismatische Charakterköpfe wie Jackie Wells sucht man hier vergeblich. Beim eigentlich dramatischen Tod eines wichtigen Charakters etwa musste ich regelrecht losprusten. Die Trauer meiner Kollegin Luna klang einfach zu gekünstelt, zumal ich selbst vorher keine Bindung zum Opfer aufbauen konnte.
Unfreiwillig komisch
Der Levelaufbau gibt sich ebenfallls altmodisch, was sich aber als Pluspunkt erweist. Wie in alten Shooter-Tagen wechselt sich die Action gleichberechtigt mit der Erkundung und Rätseln ab. Die Umsetzung orientiert sich an VR-Größen wie Half-Life Alyx oder Boneworks. Es gibt Robo-Facehugger, Gravitationshandschuhe, die typischen Waffenholster an Hüfte und Rücken und sogar surreale Träume mit Sprungpassagen über den Wolken. Mit Hilfe der Handschuhe ziehe ich Objekte zu mir heran, lasse große Kisten in der Luft schweben und schleudere sie mit Schmackes in Gegner-Grüppchen. Die Steuerung ist dabei angenehm griffig, da sich Objekte präzise durch die Luft bewegen lassen, wobei ich mich fast wie ein Sith-Lord fühle. Das Physik-System bleibt deutlich einfacher als in der VR-Spielwiese Bonelab. Dadurch bleibt auch das Frustpotenzial niedriger, weil ich beim Durchqueren der Kulissen seltener abrutsche oder mich verheddere.
Gravity-Gloves und Klettertouren
Die Kampfmechaniken präsentieren sich durchwachsen: Die zu starke Bewegungsglättung sorgt bei Schusswechseln dafür, dass sich die Arme etwas zu träge bewegen. Zudem muss ich mich viel zu lange mit der simplen Pistole langweilen, bis ich in der Stadt mit gesammeltem Geld einige stärkere Waffen wie eine Flinte, ein Scharfschützengewehr oder eine Maschinenpistole drucken kann. Selbst sie wirken ohne vernünftigen Rückschlag reichlich schwächlich.
Intelligenz: Fehlanzeige
Die optionalen Parcours- und Arena-Modi mit Gegnerhorden wirken ebenfalls noch ein wenig unfertig. Trotzdem bleibt das Erlebnis mit einer Valve Index, einer GeForce RTX 2080 Ti und etwas Supersampling meist flüssig. Hier und da kommt die Framerate aber schon mal ein wenig ins Stocken. Die musikalische Begleitung bleibt mir als Fan harter Beats etwas zu seicht. Experimentelle Ambient-Sounds unterstreichen aber gut die finstere Atmosphäre, die mich auf Anhieb an den Cyberpunk-Roman Hardwired von Walter Jon Williams erinnerte. Ob Lonn auch Umsetzungen für andere VR-Plattformen bekommt, ist bisher nicht bekannt. Vorerst liefern die Entwickler fleißig Updates für die SteamVR-Version aus: Zum Testzeitpunkt wurden bereits sieben Patches veröffentlicht.
Fazit
Lonn wirkt zu Beginn wie ein Trip in die Vergangenheit. Grenzdebile Gegner, ein träges Waffen-Handling und häufig kopierte Objekte in der Kulisse ließen zunächst einen VR-Schnellschuss befürchten, der vom Cyberpunk-Hype profitieren möchte. Je länger ich spielte, desto mehr freute ich mich aber darüber, dass das dreiköpfige SixSense-Studio sein Spiel nach Jahren in der Versenkung doch noch fertiggestellt hat. Wenn große Studios kaum noch klassische VR-Action-Adventures produzieren, muss man es eben selbst machen – selbst wenn nur ein ungeschliffenes Indie-Spiel dabei herauskommt. Nach ein paar Stunden entfaltet sich ein deutlich besserer Spielfluss. Umgebungspuzzles, Macht-Kräfte und die coole Projektil-Umlenkung mit dem Schwert haben mich passabel unterhalten. Zudem fühlte ich mich als VR-Spieler einfach schrecklich ausgehungert nach klassischen Action-Adventures in linearen Levels. Lonn kann diesen Appetit zumindest ansatzweise stillen. Manche Zutaten haben ihr Verfallsdatum zwar überschritten, insgesamt ergibt sich aber ein ausgewogener, klassischer Mix in teils richtig schmucken Cyber-Kulissen.
Pro
- größtenteils unterhaltsame Umgebungspuzzles
- präzise Macht-Kräfte
- coole Projektil-Umlenkung mit dem Cyber-Schwert
- geschickt in die Umgebung eingebettetes Klettern
- schick glühende Cyberpunk-Kulissen
- passend finsterer Ambient-Soundtrack
Kontra
- debile KI bei Gegnern und Passanten
- Schusswechsel und Nahkämpfe fordern nur bei größeren Gegner-Horden
- träge Arm
- und Schusswaffensteuerung
- schlichte Animationen
- amateurhafte Dialoge
- Mangel an großen Gegnern und Bosskämpfen
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