The Callisto Protocol - Test, Action-Adventure, XboxOne, PC, PlayStation4, XboxSeriesX, PlayStation5
Ein Tag zum Vergessen
Vom eingeatmeten Rauch hustend, stolpert Jacob durch das ihn umgebende Chaos, das wie die schlimmste
Version des ersten Kreises der Hölle wirkt – ihm wird schnell bewusst, dass Flammen, zuckend vor sich hin stammelnde und meist funktionsunfähige Sicherheitsroboter sein kleinstes Problem darstellen. Die meisten der einstigen Knast-Kollegen sind augenscheinlich dem Wahnsinn verfallen, stürzen sich auf wimmernde Überlebende, um ihnen das Gesicht vom Schädel zu reißen, die Gliedmaßen vom Körper zu trennen, sich in ihren Eingeweiden zu suhlen – oder alles zusammen. Natürlich bleibt auch Jacob nicht von den Angriffen der oft schnellen und blutgierigen Einst-Menschen verschont, kann aber ganz gut mit einem angespitzten Brecheisen – das später durch einen durchschlagskräftigen Elektro-Schock-Stab ersetzt wird – umgehen. Auch die Bar-Fights in seiner Jugend machen sich jetzt bezahlt: Per R2-Taste holt Jacob zu einem Schlag aus, der den monströsen Jungs die Glocken im aufgeweichten Hirn erklingen lässt. Gelingt es ihm, alle Schläge einer Serie durchzubringen, geben die frühen Gegner klein bei und dazu auch gerne einen Arm, ein Bein oder den halben Kopf ab.Der Abgrund starrt zurück
Meist sind die blutigen Burschen ebenso schnell mit dem Austeilen. Mit dem entsprechenden Können des Spielers am Gamepad ist Jacob aber in der Lage wie ein Box-Profi unter den Schlägen hindurchzutauchen oder einen Teil des eingehenden Schadens abzublocken. Dafür wird der linke Stick entweder nach rechts, links oder nach hinten gezogen, das Zeitfenster für dieses Manöver ist recht großzügig, dennoch fängt man sich des Öfteren die ein oder andere Schelle ein. Die Defensiv-Manöver können nicht als Trockenübung studiert werden, nur im 1:1 gegen einen Feind sind die Eingaben wirksam. Eine Anzeige im Nacken von Jacob gibt jederzeit Auskunft über den Stand der Lebensenergie, im roten Bereich genügen ein oder zwei Treffer und der Spieler wird Zeuge der widerwärtigsten und gleichzeitig wunderbarsten Todesanimationen, die es jemals in einem Third-Person-Shooter zu sehen gab. Selbst erfahrenen Horror-Freaks dürfte ob der gezeigten Szenen nicht nur einmal die Kinnlade aus dem Gesicht fallen – während Jacob das Gleiche oder weit Schlimmeres widerfährt. Nicht selten ertappt man sich dabei, dass ein neuer Gegner-Typ erst einmal in aller Ruhe die Früchte seine Metzger-Ausbildung an der Spielfigur abspulen darf, damit auch keine der zahlreichen und extrem blutigen Maßnahmen verpasst wird. Und das zurecht, denn der teuflische Spaß, den die Entwickler bei der Erstellung der optisch überzeugenden und in aller Härte dargestellten Tötungs-Varianten wohl hatten, ist förmlich zu spüren. Nicht zuletzt dienen die brachialen Kills dazu, dem Spieler noch mehr Angst einzujagen als er sowieso schon hat. Woher die kommt? Nun ja, die Grafiker, Animatoren und auch die Sound-Designer haben in The Callisto Protocol einen unglaublich guten und absolut preisverdächtigen Job abgeliefert.
Du wirst Angst haben!
Auch hier kann man sich gut vorstellen, dass die Entwickler zuerst bei den Aufnahmen und dann bei deren Implementierung in die verschiedenen Spielsituationen, das breite Grinsen kaum aus dem Gesicht bekommen haben. Waren die Umgebungs-Geräusche schon bei Dead Space das Salz in der Suppe, sind sie bei The Callisto Protocol absolut prägend und einer der besten Teile des Spiels. Der Einsatz einer möglichst hochwertigen Hardware für die Wiedergabe des Tons – idealerweise per 7.1 Headset oder fettem Surround-System – ist beim Spielen unabdingbar. Dann traut man seinen Ohren nicht: Einige Gegner ziehen es statt wütigem Heranstürmen vor, sich in Lüftungsschächten zu verkriechen, um Jacob aus dem Hinterhalt zu erwischen. Doch sie haben nicht – oder eben gerade – mit einem fortschrittlichen Sound-Setup beim Spieler gerechnet. Denn der kann dann angsterfüllt lauschen, wie und wo sich die Kreatur mit welcher Geschwindigkeit bewegt. Rechts, links? Auch wenn das Biest in einem Tunnel über dem Kopf herumkrabbelt, ist es klar zu orten und sorgt für den ein oder anderen Adrenalin-Schwall. Für Ohren und Augen bietet The Callisto Protocol also ganz großes Kino!
Natürlich braucht Jacob, kongruent zum Spielfortschritt, immer bessere Ausrüstung. Der Elektro-Stab leistet
zwar weiterhin gute Dienste und ist in fast jeder Auseinandersetzung das Zünglein an der Waage, dennoch muss für die größeren Kaliber ein größeres Kaliber her. An in der Umgebung spärlich verteilten 3D-Druckern kann sich der mutige Ex-Frachtpilot mit gefundenen Blaupausen neue Ausrüstung erstellen oder das bereits vorhandene Arsenal stufenweise aufrüsten. Neben dem Einsatz von Pistolen, Shotguns und Assault-Rifles trägt vor allem der nützliche GRP-Handschuh dazu bei, dass viele Mutanten-Angriffe schon im Keim erstickt werden können. Denn bis dessen aufladbare Batterie zur Neige geht, kann Jacob den Gegner an sich heranziehen, ihn dabei kurz in einem Stasis-Feld halten, nur um ihn dann mit voller Wucht in einen anderen Unhold, in gierig surrende Fleischwölfe, ratternde Rotoren oder gegen Stachel-Wände zu schleudern. Zu freigiebig sollte man mit diesen mächtigen Manövern allerdings nicht sein, wenn der Akku den Geist aufgibt und das eben noch paralysierte Monster direkt vor einem steht, wird’s mal wieder ungemütlich.Und es hat platsch gemacht
Zudem geben nur Gegner, die im fairen Kampf zu Brei verarbeitet wurden, die Möglichkeit, zusätzlichen Nutzen aus ihrem Ableben zu ziehen. Dann kann Jacob mit einem allseits beliebten (und bestens bekannten) Stampf-Manöver dafür sorgen, dass Heilung, Munition oder im besten Fall Callisto Credits aus den unansehnlichen Überbleibseln ploppen und sinnvoll eingesetzt werden können. In wenigen Situationen sind auch Stealth-Kills möglich, wer hier geduldig auf seine Chance wartet, spart gleichzeitig Nerven und Munition. Letztere ist schon auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad spärlich gesät und sollte mit Bedacht eingesetzt werden. Am besten man wartet auf eine günstige Gelegenheit: Diese bietet sich zum Beispiel, wenn ein Gegner eine Schlagserie einstecken muss. Für den Bruchteil einer Sekunde wird dann ein Fadenkreuz eingeblendet – hier reicht meist ein gezielter Treffer, um schnell für Ruhe zu sorgen. Zwar wird der Einsatz der Schusswaffen im späteren Verlauf wichtiger, im Kern ist The Callisto Protocol aber kein reiner Shooter, da der Nahkampf meist eine gewichtige Rolle einnimmt.
Kein Licht ohne Schatten
Allerdings gibt es ein paar Punkte, die nicht so recht ins meist hochpolierte Gesamtbild passen und deshalb umso mehr verwundern: So ist der Sound des Funkverkehrs per Headset viel zu klar und laut – das zerrt an der sonst traumhaft albtraumhaften Atmosphäre, weil es so klingt, als stünde die Person direkt neben einem. Ein weiterer Immersions-Killer ist die Tatsache, dass Stampf-Manöver bei überall in der Gegend herumliegenden Leichen oder Schlagattacken auf funktionsuntüchtige Roboter meistens ins Leere laufen. Beim Kämpfen mit dem Schlagstock kann es passieren, dass Jacob in der Vorwärtsbewegung beim Zuschlagen den Gegner aus dem Fokus verliert, dann muss mit dem rechten Stick die Kamera manuell kurz nachjustiert werden, um nicht daneben zu bolzen. Auch das Ausweichen per Muhammad-Ali-Abtauch-Bewegung funktioniert nicht immer perfekt und sorgt an einigen Stellen für viele Neuversuche – deren voran immer wieder die meist gleiche Todesanimation steht, die nicht abgebrochen werden kann.
Und obwohl zu Beginn des Abenteuers hübsch gemachte und verständliche Tutorial-Täfelchen für alles Mögliche
eingeblendet werden, fehlt eine wichtige: Denn in mehreren Momenten, ist es schlauer und auch notwendig, vor den Gegnern davonzulaufen. Schnallt man das nicht sofort, ist man wieder bei einigen Bildschirmtoden, die vermeidbar gewesen wären – mit dem entsprechenden Hinweis. Auch eine Anwahl der einzelnen Abschnitte wird schmerzlich vermisst: Dank nicht klar abgegrenzter Level-Übergänge sind verpasste Tonband-Aufzeichnungen oder Blaupausen dann nur per erneutem Spieldurchlauf zu finden. Mühsam! Als letzten Kritikpunkt muss ich The Callisto Protocol das Recycling eines Mini-Bosses ankreiden: Der hässliche Bursche kommt satte drei Mal zum Zug und ist besonders nervig, wenn er mit One-Hit-Kills trotz voller Energieleiste um sich schmeißt und nur mit einer bis dahin ungenutzten Kombination aus Fern- und Nahkampf zu Fall gebracht werden kann. Aus diesen Gründen ärgern einige unangenehme, weil störende und unbedacht eingesetzte Schwierigkeits-Spitzen und Design-Schlampereien, die der sonst äußerst überzeugenden Horror-Tour eine noch höhere Wertung vermasseln.Fazit
The Callisto Protocol ist ein Muss für jeden Horror-Fan mit PC oder Spielkonsole. Noch mehr hat man sich nur in den seltensten Fällen gegruselt, gefürchtet und erschreckt. Dabei zieht die blutige Schauder-Show gekonnt alle Register und überzeugt mit sehr atmosphärischer und detailreicher Optik, einem wahnsinnig guten Sound-Design, ekelhaften Gegnern samt hübsch-wuchtigem Trefferfeedback, ungläubig beäugten Todesanimationen und glaubwürdigen Charakteren. Die Ähnlichkeiten zum spielerischen Vorbild Dead Space sind zwar unumstößlich, hier findet aber genau die Weiterentwicklung statt, die wohl nur mit einer alteingesessenen Mannschaft unter der Flagge eines neuen und mutigen Publishers mit dem nötigen Kleingeld zu verwirklichen war. Für einen ersten Aufschlag der Striking Distance Studios ist The Callisto Protocol also genau das, was die Entwickler im Vornherein versprochen haben. Da darf man sich sicherlich schon jetzt vorsichtig auf einen zweiten Teil freuen, der bei der hier bereits gebotenen Qualität und den damit verbundenen hohen Verkaufszahlen so gut wie gesichert sein dürfte. Zuerst wollen die Entwickler aber noch für ihr aktuelles Baby sorgen, für die Zukunft sind Zusatzinhalte wie weitere Story-Kapitel, neue Spiel-Modi und noch abgedrehtere Kills geplant.
Pro
- sehr gute Grafik
- grandioses Sound-Design
- toll gemachte Monster
- brutale Todesanimationen
- netter Story-Twist
Kontra
- Mini-Boss-Recycling
- keine Kapitel-Anwahl
- kleine, technische Ungereimtheiten
- nicht abbrechbare Zwischensequenzen
Echtgeldtransaktionen
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