Need for Speed: Unbound - Test, Rennspiel, Allgemein, PlayStation5, XboxSeriesX, PC
Mit Need for Speed verbindet mich persönliche Geschichte - und das schon seit den Neunzigern. Need for Speed 2 war meine erste, kindliche Erfahrung mit PC-Racern und einem, nein, DEM absoluten Traumauto – dem McLaren F1. Need for Speed 3: Hot Pursuit war der Grund, warum der zehnjährige Eike 1999 unbedingt eine 3DFX-Beschleunigerkarte haben musste (wirklich, Papa!). Und in Underground habe ich dann mein Herz an Unterbodenbeleuchtung und Nippon-Hobel im Prolo-Look verloren, die mit Nu-Metal-Antrieb durch eine Neon-Stadt rasen.
The Need for Speed
Warum ich das erzähle? Weil diese warmen Erinnerungen in den letzten sechs Jahren meistens schmerzlich mit Füßen getreten wurden, wann immer ein neues Need for Speed angekündigt wurde. Die drei Ableger von Ghost Games, Need for Speed (2015), Payback (2017) und Heat (2019) waren Racing-Gurken, die kaum noch etwas mit dem Arcade-Fahrspaß vergangener Tage zu tun hatten. Egal ob Peinlich-Story, teilweise mit schlimmen echten Schauspielern inszeniert, schwache Technik oder langweilige Spielmechaniken: Ghost Games lieferte konsequent Murks. Das hat dann endlich auch Electronic Arts erkannt, die dem Studio nach dem dritten vergeigten Anlauf die Verantwortung der Reihe entrissen und sie zurück in die erfahrenen Hände von Criterion legten. Ein Glück, denn die Briten wissen wie Arcade-Racing geht – was sie 2020 auch direkt mit dem Remaster ihres NFS-Hits Hot Pursuit (2010) bewiesen, der die meisten modernen Arcade-Racer immer noch in Grund und Boden fährt.
Die Rückkehr des Arcade-Racing-Königs?
Und hier stehen wir jetzt, im Dezember 2022 – mit einem neuen Need for Speed, Zuname „Unbound“, das in mir endlich, endlich wieder das auslöst, was ich mir von einem Need for Speed erwarte. Den Spaß am Geschwindigkeitsrausch.
Story, aber in nicht ganz so peinlich
Das liest sich jetzt vielleicht belanglos und bietet eher einen losen Rahmen für die Straßen-Raserei, ist mir aber in seiner Inszenierung um ein Vielfaches lieber als die peinlichen Stories der letzten drei Spiele und nicht mal ansatzweise so furchtbar inszeniert. Das könnte auch am neuen Stil von Unbound liegen, der erstmals seit einer kleinen Ewigkeit so etwas wie eine Art Direction zu Need for Speed zurückbringt.
Alle Figuren sind in einem ansprechenden Comic-Look gehalten, der die natürlich immer noch vorhandene, obercoole Styler-Attitüde endlich ein einen erheblich erträglicheren Rahmen verfrachtet. Irgendwie nehme ich einer animierten Figur mit wilder Frisur und Styler-Klamotten den Supercool-Habitus nämlich deutlich mehr ab als den schrecklichen C-Movie-Darstellern von 2015. Dazu wurden, bereits im Vorfeld heiß diskutiert, Effekte im Graffiti-Stil hinzugefügt, die etwa Burnout-Rauchschwaden, weite Sprünge oder lange Drifts dynamisch illustrieren. Und wisst ihr was? Gerade das gefällt mir richtig gut! Ja, ich war bei den ersten Trailern auch skeptisch, ob diese Comic-Ergänzung zum ansonsten einigermaßen realistischen Look von Need for Speed passen will. Aber spätestens nach den ersten Rennen will ich die flatternden Vampirflügel, die fliegenden Pentagramme, den Cell-Shading-Rauch und die aufblitzenden Symbole beim gelungenen Powerstart nicht mehr missen.
Nochmal mit Artdesign
Alle beschriebenen Elemente könnt ihr im umfassenden, Style-Tuning natürlich selbst anpassen – vom Bodykit bis zum Radsturz, von der Felge bis zum „XoXo“-Heckaufkleber könnt ihr selbst Hand anlegen. Es gibt wahnsinnig viele Decal-Varianten, die von Einzelmotiven bis Graffiti-Wänden reichen und spannende Designs zulassen, die den Karren von Unbound einen ganz eigenen Charakter verleihen. Natürlich könnt ihr auch einfach die Laden-Variante eurer Lieblingsautos fahren, dabei verpasst ihr aber den für mich größten Spaß im ganzen Spiel. Übrigens kann auch die Farbe und Art der Comic-Effekte angepasst werden – es gibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Farbkombinationen und Stilelemente, die noch mehr Persönlichkeit in den eigenen Fuhrpark bringen. Dass man wie in Heat zudem den Motorensound anpassen kann, ist da schon fast unvermeidlich.
Triff mich beim Tunertreff
Die Events orientieren sich dabei an den fünf Leistungsklassen B bis S+, wobei auch später im Spiel auch Rennen der Einsteiger-Klasse B fahrbar sind. Ich muss also den Fuhrpark ausbauen und dabei Autos unterschiedlicher Leistungsbereiche vorhalten. Auch das Fahrverhalten spielt dabei eine Rolle: Wie schon in Heat kann ich meine Fahrzeuge entweder Richtung Grip oder Richtung Drift entwickeln. Während erstere Kurven mit mehr Speed meistern, sind sie bei Driftevents kaum zum Querfahren in der Lage. Entsprechend muss ich Fahrwerk und Reifen auswählen, um für alle Events gewappnet zu sein. Zusätzlich gibt es auch noch die Wahl zwischen Straße und Offroad – was eine ordentlich gefüllte Garage erfordert, um für jeden Einsatzzweck auch den richtigen fahrbaren Untersatz parat zu haben.
Leistung, die sich lohnt
Dabei sammelt man den ganzen Tag über „Heat“ – also die negative Aufmerksamkeit des LPD. Wie schon erwähnt sind die Feinde in blau in fünf Eskalationsstufen auf den Straßen der Metropolregion unterwegs, die von einfachen Patrouillenfahrzeugen bis zum Sondereinsatz-Rennmonster mit Extra-Rammpower reichen. Dazu Straßensperren, Helis und Nagelbänder – und schon ist das Rezept für packende Verfolgungsjagend perfekt, die bei hohem Polizei-Interesse an der eigenen Rasertätigkeit wirklich alles an fahrerischem Können fordern, um es ungesehen in einen Unterschlupf zu schaffen. Werde ich nämlich von den Bullen gepackt, ist die mühsam in den Events gewonnene Kohle futsch – und das ist ganz schön ärgerlich, denn gerade zu Beginn schenkt einem Unbound nichts. Geld gibt es übrigens auch für Höchstgeschwindigkeit bei Blitzern, zudem sind Drift- und Geschwindigkeitsherausforderungen über die Karte verteilt, die bei den Fahrten zwischen den Rennen für Abwechslung sorgen. Außerdem gibt es auch Sammelbares wie komische Deko-Bären, zerstörbare Werbetafeln und Streetart-Graffiti. Das ist Open-World-Pflichtprogramm – so richtig frisch wirkt dieser Part aber nicht.
Auf du und du mit der Stadtpolizei
Fortschritt durch Leistung
Zwischen Tag und Nacht kann man dann sein Einkommen auf dem Konto sichern, die Polizei vergisst aber erst zum nächsten Tag, welches Chaos man in Lakeshore angerichtet hat. Entsprechend vorsichtig müssen die Events ausgewählt werden, denn es bringt mit einem Auto der Klasse B oder A wirklich gar nichts, mit fünf Heat-Flämmchen durch die Stadt zu eiern. Da klicken die Handschellen schneller, als dass der zweite Gang eingelegt ist.
Stabiles Fahrmodell
Trotzdem ist Unbound auf der Straße nicht auf dem Niveau von Hot Pursuit Remastered – die Lenkung fühlt sich am Controller in schnellen Kurven zu unkonkret und luftig an - und zum Teil brechen die Autos auch unerwartet aus. Insgesamt haben Super-Traktion und Mega-Downforce zudem natürlich wenig mit dem realem Fahrverhalten echter Autos zu tun, wer sich in seinem Action-Racer eine engere Verbindung aus Realismus und Arcade wünscht, der muss bei Forza Horizon bleiben. Dennoch macht mir das Fahrmodell von Unbound trotz seiner Ungereimtheiten endlich wieder Spaß – nicht zuletzt, weil aufgrund der völlig überzogenen, visuellen Effekte ein gutes Geschwindigkeitsgefühl anliegt.
Technisch ist NFS Unbound wesentlicher ausgereifter als der letzte Versuch von Ghost Games. Auf PS5 liegen durchgehend flüssige 60 FPS an, die sowohl am Tag als auch in der Nacht sehr ordentlich aussehen. Allerdings offenbart sich erneut die Schwäche der Frostbite-Engine für große, offene Welten. So gibt es einen sichtbaren Bildaufbau, wenn das Detaillevel der Umgebung vor meinem Auto angepasst wird. Zwar überlagern die Effekte und die hohe Geschwindigkeit einige dieser Probleme, sichtbar bleiben sie aber. Insgesamt schmälert das das Gesamtbild in Bewegung nur ein wenig, zu satt sind die Farben bei Tag und zu gleißend die Lichter bei Nacht. Trotzdem ginge hier mit anderen Engines wohl mehr, wie Playground Games mit Forza Horizon 5 zuletzt eindrucksvoll bewiesen hat.
Ein Fuhrpark zum Verlieben
Wer hat am Soundregler gedreht?
Schade ist außerdem, dass der Multiplayer-Modus komplett vom Singleplayer abgekoppelt ist. Ja, ich finde es äußerst begrüßenswert, dass sich Criterion vom Always-On-Konzept vergangener Tage abgewandt hat und ich die NFS Unbound alleine in Ruhe genießen kann. Warum ich dann aber einen neuen Charakter erstellen und jede Karre einzeln neu kaufen und aufmotzen muss, die ich im Story-Modus bereits besitze, verstehe ich aber trotzdem nicht. Dass es vom Multiplayer zum Singleplayer keinen Fortschritt und kein gemeinsames Konto gibt – geschenkt. Dass es eine Online-Karriere gibt, in der ich in eigenen Multiplayer-Playlists mit bis zu sieben anderen Spielern rasen kann – nett. Aber dass ich meine Figur oder Autos nicht einfach nach Lakeshore Online importieren kann, ist ärgerlich. Dazu kommt, dass es online keinen Tag-Nacht-Zyklus und vor allem keine Cops gibt, sodass die spannenden Verfolgungsjagden fehlen. Zu allem Überfluss können halbleere Renn-Lobbies dann noch nicht mal mit KI-Rasern aufgefüllt werden, sodass private Spiele nur in der Kleinstgruppe möglich sind. Das ist richtig schwach und sollte von Criterion dringend nochmal angefasst werden.
Fazit
Ich habe kaum noch damit gerechnet und doch ist es eingetreten: Ein neues Need for Speed macht mir richtig Spaß. Criterion haben mit Unbound zwar keinen neuen Racing-Meilenstein geschaffen, mit ihren ungewöhnlichen Artdesign, überdrehten Arcade-Rennen, einem starken Fuhrpark und stimmigen Änderungen im Detail kann man die Ghost-Games-Gurken aber endlich hinter sich lassen. Need for Speed Unbound sieht gut aus, bietet viel Tuning und fordert im Duell mit Racern und der Polizei. Lakeshore ist zudem eine runde Racer-Karte mit vielen Herausforderungen und Sammelkram. Allerdings könnte das Fahrmodell noch etwas knackiger sein, gerade in schnellen Kurven ist die Lenkung zu unkonkret. Außerdem ist die Soundabmischung der Motoren viel zu schwachbrüstig und der Soundtrack ausschließlich für Hiphop-Fans geeignet. Zudem kann der Multiplayer nicht gänzlich überzeugen – die Trennung von der Story ist zwar schlüssig, fehlende Cops, kein Tag-Nacht-Zyklus und die Abwesenheit von KI-Rasern in Mehrspieler-Rennen dämpfen den gemeinsamen Spaß aber deutlich. Trotzdem bleibt Need for Speed Unbound ein guter Action-Racer, der die Reihe endlich aus ihrem qualitativen Dornröschenschlaf reißt.
Pro
- ordentliche Kulisse ...
- ordentliche Fahrphsyik ...
- gelungener Schauplatz ...
- nette Story
- gutes Comic-Artdesign
- spannende Rennen
- harte Duelle mit der Polizei
- Tuning ohne Ende
- gute Tag-Nacht-Mechanik
- sinnvolle Nebenaufgaben per Telefon
- stark reduzierter Gummiband-Effekt
Kontra
- ... mit Schwächen im Detail
- ... die Teilweise konkreter sein könnte
- ... mit altbekanntem Sammelkram
- zu schwacher Motorensound
- Multiplayer-Modus abgespeckt und halbgar
- schwaches Controller-Feedback (PS5)
- keine Cockpits
- sehr einseitiger Soundtrack
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