Marvel's Midnight Suns - Test, Taktik & Strategie, PlayStation5, XboxSeriesX, XboxOne, PlayStation4, PC
Heil Hydra!
Dabei hilft die neue Chefin und alte Ziehmutter des fix wiedererweckten Hunter, die den Midnight Suns nicht nur sagt, was zu tun ist, sondern ebenfalls noch eine Rechnung mit Lilith offen hat. Die Macher von Firaxis sind echte Spezialisten, wenn es um rundenbasierte Strategiespiele geht. Neben den famosen Spielen der X-COM-Reihe sind Entwickler-Legende Sid Meier und sein Team auch für die anspruchsvollen und tiefschürfenden Spiele mit dem Namen Civilization verantwortlich. Da wundert es wenig, dass sich das erste Lizenzspiel des Studios anschicken soll, die Zielgruppe entsprechend zu erweitern und das Ganze etwas einsteigerfreundlicher zu verpacken – und wer käme besser in Frage als die Helden des Marvel-Universums, um diesem Anspruch auch gerecht zu werden.
Nach dem ausführlichen Tutorial hat der Spieler dann auch schon fast alle zentralen Mechaniken der
rundenbasierten Kämpfe verinnerlicht, allerdings kommt hier ein bei Firaxis-Spielen bisher unbekanntes Feature zum Einsatz: das Deckbuilding. Spiele wie Slay the Spire, Inscryption oder GWENT haben es vorgemacht: Vor dem Kampf stellt sich der Spieler ein möglichst schlagkräftiges Karten-Deck zusammen. Jede Karte steht dabei für ein Manöver einer der drei Spielfiguren auf dem Schlachtfeld. Nur mit geschicktem Karten-Einsatz, sorgfältiger Überlegung und manchmal eine gehörigen Portion Glück können die Kämpfe gegen Hydra-Schergen, hypnotisierte Superschurken und weitere Unholde gewonnen werden.Erst die Arbeit…
Daher ist es an Hunter, alle Spielfiguren auf seine Seite zu ziehen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie im echten Leben funktioniert das durch viele Worte, denen dann auch die entsprechenden Taten zu folgen lassen sind. Nur mit einem möglichst guten Freundschafts-Wert sind die Superhelden später in Lage im Kampf auf neue Manöver zuzugreifen und so für ein schnelles Ende der Scharmützel zu sorgen. Dafür entführt sie Hunter an lauschige Plätzchen in der Spielumgebung, verteilt Geschenke und ruft zum täglichen Sparring im Hof der Abtei. Der Tagesablauf vor einem neuen Kampf beinhaltet immer die gleichen Aufgaben, die abgespult werden müssen, um im späteren Spielverlauf nicht völlig unter die Räder zu geraten. Dazu gehört der Besuch in der Schmiede, wo Strange und Tony Stark nur darauf warten, dass Hunter in seinen Kampf-Mitbringseln neue Fähigkeiten entdeckt, dass der Schmelze anhängige Labor weiter verbessert oder ein paar Gegenstände herstellt, die in den Gefechten helfen sollen.
Danach geht es daran, Helden auf lohnende Einzelmissionen zu schicken und Intel-Caches zu knacken, während man Captain Marvel Honig um den Bart schmiert. Nun ab zum Sparring, hier besteht auch die Möglichkeit, die Karten der verschiedenen Team-Mitgliedern mit Doubletten aufzuwerten und so bei deren Ziehung für einen größeren Knall zu sorgen. Schnell noch den Höllenhund streicheln – um auch seine Werte für besondere Kämpfe auf Vordermann zu bringen. Zum Schluss mit allen herumstehenden Figuren mit einem Ausrufe- oder Fragezeichen über dem Kopf sprechen und zahllose Dialogboxen wegklicken. Phew!
… dann das Vergnügen
Auch Gegenstände in der Umgebung können – eine gute Positionierung der Spielfigur vorausgesetzt – ganz vortrefflich genutzt werden, um die Hydra-Schergenschaft effektiv auszudünnen, bevor diese ihre Waffen zücken darf. Das kostet keinen Spielzug, sondern nur ein oder zwei Heldenpunkte und besonders die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft läuft hier naturgemäß zu ganz großer Form auf. Dann knallen dem Hydra-Elektrokeulen-Schwinger und der gepanzerten Einheit die Getränkekisten um die Ohren, bevor es einen Metallcontainer in die Kauleiste gibt oder die Euro-Palette zur Sprungschanze wird. Die Animationen der verschiedenen Superhelden, die Wucht und Detailverliebtheit sowie die zahlreichen Möglichkeiten in der Kampf-Arena sind das Ass im Ärmel von Marvel’s Midnight Suns. Wenn der Ghost Rider, die glühenden Ketten schwingend, auf der Motorhaube seines rasenden Höllengefährts hockt und eine Schneise der Verwüstung hinterlässt, Captain Marvel per Photonen-Strahl für Klarheit sorgt, oder Iron-Man seine Waffensysteme sprechen lässt, dann bedeutet das für Marvel-Fans nur eins: pure Verzückung. Auch nach über 30 Stunden lebt das Spiel von seiner nicht langweilig werdenden Präsentation der Helden, dem Fan-Service in seiner reinsten Form und den netten Ideen und Feinheiten, die Firaxis der vorherrschenden Mechanik des ersten, eigenen Deck-Builders entlockt.
Geduld ist eine Tugend
Immerhin kann ein Kampf zu jeder Zeit von vorne gestartet werden, um eine andere Taktik zu wählen, die vom Spiel verteilten Karten bleiben allerdings auch bei einem Neustart die gleichen. Schummeln ist also nicht. Nach dem Kampf geht es zurück in die Abtei und bevor das Bett ruft, sollte der Hunter noch den angrenzenden Mager-Optik-Wald durchstreifen, Materialien sammeln, ein paar Kisten öffnen oder einer verwirrenden und etwas unpassenden Storyline samt ganz eigener Kampfschauplätze folgen – das alles ist leider auch notwendig, um an die ganz schicken Verbesserungen zu gelangen. Und dazu gehören sicherlich nicht hunderte kosmetischer Items wie Farben, T-Shirts, Brillen oder Badehosen. Die meisten Marvel-Fans werden zudem einen Teufel tun, die geliebten Helden in unbekannte Rüstungen zu stecken, die in den meisten Fällen nicht nur ungewohnt, sondern einfach nicht gut aussehen. Auch diese Teile des Spiels wirken aufgesetzt, sehr unnötig und strecken die Spielzeit unangenehm. Dabei hätten statt 70 Stunden auch die Hälfte gereicht, wenn die Entwickler sich auf das Wesentliche konzentriert hätten. So, und nun ab ins Bett, denn schon der nächste Tag bringt bis auf die Inhalte des neuen Einsatzes nur Altbekanntes.
Fazit
Die Idee der Entwickler, die große, eigene Erfahrung im Bereich der rundenbasierten Strategiespiele mit einer Deckbuilding-Mechanik zu verknüpfen, ist schon fast kongenial: Da gibt es bei optisch ansprechenden Bildschirmschlachten eine Menge Raum für Experimente und eigene Herangehensweisen, an die sich der Spieler Schritt für Schritt herantasten kann – und dabei eine Menge Spaß hat. Dann auch noch die beliebten Marvel-Charaktere als Spielfiguren zu integrieren, ist für Fans ein feuchter Traum, und Einsteiger freuen sich darüber, nicht dauernd 1000 Bildschirmtode wie beim großen Bruder X-COM zu sterben. Dem gegenüber steht ein Freizeit-Aktivitäten-Geschenke-Level-System, das zwar ordentlich in die Tiefe geht, aber seltsam verästelt und wenig kompakt daherkommt. Die Aktivitäten in der Abtei und in dem Wald drumherum wirken oft wie ein Fremdkörper und gerade die Wandertouren sind schon nach kurzer Zeit unglaublich öde und optisch absolut nicht auf der Höhe der Zeit. Es wirkt fast so, als hätte Firaxis sich um die Action gekümmert und ein anderes, unerfahrenes Entwickler-Team war mit der Gestaltung der extrakurrikularen Aktivitäten beschäftigt. Dieser Umstand ist im Angesicht der großen Mühe, die in den rundenbasierten Kämpfen steckt, umso bedauerlicher. Auch mit diesem wirklich dicken Manko ist Marvel’s Midnight Suns dennoch ein weiteres Strategie-Highlight der gefeierten Firaxis-Studios und bietet besonders Genre-Neulingen, die zufällig auch noch Marvel-Fans sind, die bis jetzt beste Möglichkeit sich auch mal rundenbasiert auszutoben.
Pro
- viele bekannte Marvel-Figuren
- ansehnliche Animationen (im Kampf)
- zahlreiche Spezialeffekte
- viel Fan-Service
- komplexes Aufrüst-Systen
Kontra
- Optik ausserhalb der Kämpfe altbacken
- langweilige Nebentätigkeiten
- unnötig lange Laufwege
- zu viel Gerede
- sinnlose Kosmetik-Spielereien
Echtgeldtransaktionen
Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?
- Es gibt Käufe nur für optionale Kosmetik wie Farben, Skins, Kostüme etc.