Hogwarts Legacy - Test, Rollenspiel, XboxOne, PC, PlayStation4, PlayStation5, XboxSeriesX, Switch
Rowling ist an der Entwicklung von Hogwarts Legacy nicht beteiligt – profitiert durch Markenrechte aber indirekt von Gewinnen der Dachmarke.Um eins vorab klarzustellen: Hogwarts Legacy bedient sich zwar bei der Welt und den bekannten Kreaturen und Zaubersprüchen der Harry-Potter-Reihe, das Open-World-Abenteuer ist aber explizit kein Harry-Potter-Spiel. Das werde ich auch in Gesprächen mit den Kollegen in der 4Players-Redaktion nicht müde zu betonen, um die Erwartungshaltung entsprechend anzupassen. Harry, Ron, Hermine, Dumbledore oder Snape werden euch hier nicht über den Weg laufen – nicht zuletzt, weil die Handlung des Zauberer-Abenteuers im späten 19. Jahrhundert angesiedelt ist und sich dadurch einen erzählerischen Freiraum schafft, der sich von der Vorlage freischwimmen möchte.
Das gelingt auch ganz ordentlich: Im Zentrum der Geschichte steht der eigene, im detaillierten Charaktereditor frei erstellbare Zauberschüler, der mit ein paar Jahren Verspätung zur Sortier-Zeremonie in der großen Halle einläuft. Warum unser Zuspätkommer erst als Fünftklässler in der Schule für Hexerei und Zauberei startet, bleibt das Geheimnis der Autoren, gibt uns aber durch das fortgeschrittene Alter des Protagonisten mehr Freiheiten bei Ausbildung und Erkundung rund um das Schloss. Kein Geheimnis bleibt, dass die Hauptfigur eine besondere Begabung mitbringt: Sie kann sogenannte „uralte Magie“ nutzen, die nur wenige Zauberer und Hexen überhaupt wahrnehmen können.
Nach einem turbulenten Einstieg, bei dem ein Drache das Gefährt der gen Hogwarts Reisenden zerlegt und meine Hexe sowie unser Mentor Professor Fig via Portschlüssel und über Umwege in ein Geheim-Verlies der Zauberer-Bank Gringotts gelangen, wird klar: Wir sind nicht die einzigen, die diese Macht nutzen wollen. Haupt-Bösewicht in Hogwarts Legacy ist der Kobold Ranrok – brutaler Anführer von Kobold-Rebellen, die die Machtverhältnisse der Zaubererwelt mit Gewalt umdrehen wollen. Ranrok hat sich mit dem dunklen Magier Rockwood verbündet und ist mir auf den Fersen. Doch als wäre das alles noch nicht genug, treffe ich auf die selbsternannten Hüter der uralten Magie, die uns mittels eigens für diesen Zweck erschaffener Prüfungen testen. Denn auch für Zauberer gilt: Große Macht entspricht großer Verantwortung. Apropos Macht: Die Autoren haben einen ausgestreckten Mittelfinger in Richtung J.K. Rowling in ihrem Spiel versteckt. Die Betreiberin der Zauberer-Kneipe „Drei Besen“ in Hogsmeade ist eine Transfrau. Das ist unaufgeregt eingestreut, wird völlig beiläufig erwähnt - und treibt der seit Jahren transfeindlich auf Twitter schwurbelnden Harry-Potter-Schöpferin hoffentlich die verdiente Zornesröte ins Gesicht.
Große Macht birgt große Verantwortung
Dabei sollte klar sein: Die Entwickler sind meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt gezwungen, ein Rassen-Drama aufzumachen, das von Diskriminierung und Unterdrückung in der Zauberer-Welt erzählt. Wenn man aber schon selbst ein solches thematisches Fass öffnet, den Konflikt zwischen Zauberern und Kobolden zum Hauptthema der Auseinandersetzung erklärt und einen Kobold zum Oberbösewicht stilisiert, hätte ich mir doch etwas mehr Konsequenz gewünscht. So bleibt die Erzählung sehr schwarz-weiß und dreht sich vor allem um Macht und ihren Missbrauch, der selbst gut gemeint zur Katastrophe führen wird. Das kennen alle Star-Wars-Fans schon von Darth Plagueis dem Weisen. Insgesamt ist die Handlung in meinen Augen somit bestenfalls solide, auch wenn sie zum Teil in spektakulären Setpieces wie etwa dem genannten Drachenangriff in der Anfangssequenz inszeniert wird.
Keine charakterliche Konsequenz
Dazu kommt, dass ich anscheinend auch noch der beliebteste Schüler in 1.000 Jahren Schulgeschichte bin. Egal welches Haus, egal welches Geschlecht: Meine Slytherin-Hexe wird überall geliebt. Dadurch kann ich meiner Figur keine klaren Ecken und Kanten verleihen, stattdessen flutsche ich wie ein rundgelutschtes Bonbon durch die vielen, richtig gut vertonten Dialoge. Das ist besonders bei einigen der spannenden Nebenquests sehr schade, da ich hier nicht klar genug Stellung beziehen kann, wenn sich ein Mitschüler zu sehr den dunklen Künsten zuwendet, um – ihr ahnt es – Gutes zu tun. In Hogwarts Legacy habe ich in diesen Situationen nämlich keine echte Entscheidungsfreiheit – alles geschieht, wie es eben geschieht. Das ist in Ordnung, allerdings verliert meine Hauptfigur so deutlich an Tiefe und Glaubwürdigkeit – nicht zuletzt, weil sie zu keinem Zeitpunkt über ihre eigene Hintergrundgeschichte berichtet.
Puh. Das war jetzt viel Text, über Dinge, die Hogwarts Legacy nicht so überzeugend beherrscht. Hat Avalanche hier etwa seine AAA-Meisterprüfung versenkt? Klare Ansage: Nein! Denn es gibt diesen anderen Teil des Magie-Abenteuers, der jeden Fan der Wizarding World – ja, auch mich – sofort in seinen Bann zieht. Denn Handlung hin, Hauptcharakter her: Der eigentliche Hauptakteur dieses Action-Adventures ist ganz eindeutig das Schul-Schloss selbst. Die grandios per Unreal Engine in Szene gesetzten Innenräume strotzen nur so vor Details – egal ob es die schwebenden Kerzen in der großen Halle, die fabelhaft animierten Eingänge zu den Gemeinschaftsräumen der Häuser oder die großartige Architektur von Uhrenturm oder großem Treppenaufgang sind. Die monumentalen, verwunschenen Hallen und Säle mit ihren hunderten, animierten Porträts, schwerem Mobiliar, spiegelnden Marmorböden und hastig hindurchhuschenden Mitschülern, laden zum Erkunden und Verweilen ein. Überall können Kisten geöffnet, Skelette per Zauberspruch zerlegt und wieder zusammengefügt werden. Es gibt versteckte Rätsel, Räume und Durchgänge, Balustraden und Innenhöfe, über die sich gemütlich schlendern lässt.
Willkommen in der Wizarding World
Große Karte, große Klasse
Es gelingt Avalanche, durch gute Technik sowie Liebe zum Zauberei-Detail, eine unheimlich stimmungsvolle Welt zu schaffen, die das unnachahmliche Harry-Potter-Feeling mit all ihren Gefahren und Wohlfühlmomenten überzeugend vermittelt. Obwohl die Unreal Engine in der Weite der Welt mitunter mit sichtbaren Fade-In des Detaillevels kämpft, was besonders beim Flug mit dem eigenen Besen auffällt, zaubert die Kulisse dennoch richtig starke Panoramen auf den Bildschirm.
Generell ist die Kulisse ein großes Pfund, mit dem Hogwarts Legacy entsprechend wuchern kann. Besonders die magische Transformation, die Veränderung, Beschwörung oder Reparatur von Objekten und Umgebung ist klasse in Szene gesetzt. Da setzt sich ein von einem Troll zerstörtes Haus wie von Geisterhand wieder zusammen, Brücken erscheinen aus dem Nichts und Zauberer teleportieren sich mit einer markanten Drehbewegung per Apparation quer durch die Welt. Auch die zahlreichen Gefechte sind mitunter spektakuläre Effekt-Feuerwerke, wenn Entwaffnungszauber, Levitationssprüche und Flammen-Flüche funkensprühend durch die Arena zucken.
Gut aussehen im Kampf
Das Kampfsystem funktioniert richtig gut. Besonders die Kombos erzeugen spektakuläre Effektketten, die ich teilweise mit Finishern der uralten Magie garnieren kann. Diese werden über eine eigene Leiste mit Energie versorgt. Diese füllt sich dank aus Feinden ploppenden Kugeln, deren Generierung wiederum vom Treffer-Multiplikator abhängt. Ein kleines Hemmnis ist die zunächst sehr geringe Anzahl von Zauber-Slots, deren Menge nur über die Freischaltung im Fähigkeitenbaum vergrößert werden kann. Tatsächlich gestaltet sich die Auswahl über R2 und das Steuerkreuz in der Hitze der Schlacht etwas friemelig – aber immerhin können die Sprüche über ein passendes Menü frei auf die Knöpfe verteilt werden. So kann man sich zwar seinen eigenes Spruch-Set zusammenbasteln, wirklich intuitiv ist der Wechsel der Belegung aber bis zum Ende nicht.
Kämpfe und Rätsel
Der Rollenspiel-Element-Standard
Nicht so schön ist, dass mein Inventar zu Beginn wenig Platz für neuen Plunder bietet. Und so kann es passieren, dass ich in einem Story-Dungeon vor einer Kiste stehe und den Inhalt partout nicht aufsammeln kann. Das nervt und fühlt sich wenig belohnend an, zumal man während einer Dungeon-Erkundung nicht mal eben nach Hogsmeade teleportieren kann, um überschüssiges Gedöns zu verkaufen. Hier dürfte gerne eine unendliche Tasche nachgereicht werden.
Assassin’s Creed: Hogwarts
Dass beinahe jede Aktion, egal ob Kampf, Quest, Sammelkram oder Rätsel im Menü auf eine Herausforderung einzahlt, gibt der Massen-Beschäftigung immerhin einen gewissen spielerischen Reiz. Zwar hätte ich mir die eine oder andere Truhe eher im Spiel als im Menü gewünscht, generell hält das Zauberer-Handbuch, das auch alle Menüs beinhaltet, die Vielzahl an Spielelementen aber mit guter Struktur einigermaßen zusammen.
Viele der echten, erzählerischen Nebenquests sind zudem erstaunlich gut geschrieben. Gerade die Questreihen meiner Schulfreunde bieten oftmals mehr Tiefgang als die Haupthandlung selbst. Die dramatische Geschichte von Slytherin-Kamerad Sebastian, der um seine von Ranroks Handlangern verfluchte Schwester kämpft und dabei ein ums andere Mal der dunklen Seite der Macht – Verzeihung, der dunklen Magie – zu nahe kommt birgt starke Zwischentöne. Nicht zuletzt wenn es um die Anwendung der unverzeihlichen Flüche Imperio (Gedankenkontrolle), Crucio (Folter) und Avada Kedavra (Tötungszauber) geht. Hier erscheinen plötzlich die so wichtigen Graustufen in der Erzählung, die mich auch emotional gepackt haben.
Leider bleiben diese in der finalen Anwendung ohne Konsequenz. Zwar kann ich mich entscheiden, die unverzeihlichen Flüche gar nicht erst zu lernen, setze ich sie dann im Kampf ein, sind aber nicht mal meine Mitschüler anderer Häuser davon abgestoßen. Das ist schade, denn die brutalen Flüche sind in der Wizarding World eigentlich ein klares Zeichen derjenigen, die eine wichtige Grenze überschritten haben. Avada Kedavra ist gar Teil der Schaffung von Horcruxen, einer Seelen-Zersplitterung des Zauberers. Hier ist es eben der stärkste Kampfzauber im Spiel, der mit seinen grünen Blitzen fies in Szene gesetzt wird. Das ist meiner Meinung nach ein bitterer Kompromiss zwischen Moral und Spielbarkeit – reiht sich aber ein in eine ganze Reihe von Brüchen mit den Regeln der Zaubererwelt.
Schule ohne Gesetze
Ein Spiel, alle Mechaniken
Fazit
Hogwarts Legacy ist für mich das Sinnbild eines modernen AAA-Titels: Die Produktionsqualität des Hogwarts-Abenteuers ist auf einem wahnsinnig hohen Niveau, die Atmosphäre verströmt den Vibe der Harry-Potter-Filme und auch im Detail steckt viel Liebe in der virtuellen Umsetzung der Wizarding World. Erzählerisch bleibt Avalanche aber so sicher, wie man nur bleiben kann. Es werden kaum Akzente gesetzt, die Hauptfigur ist ein blasses, leeres Spieler-Gefäß ohne Charakter und es gibt kaum eine nennenswerte Entwicklung während der Hauptstory. Auch die offene Welt präsentiert sich genre-üblich. Zwar sind die Umgebungen mitunter wahnsinnig atmosphärisch, die Wälder dunkel und die Sonnenuntergänge wunderschön – viel mehr als bei einem beliebigen Assassin’s Creed der letzten Jahre geht in Sachen Storytelling aber auch hier nicht. Dafür ist so ziemlich jede Spielmechanik der letzten zehn Jahre vorhanden und auch erstaunlich schlüssig eingebunden – von den Besenrennen bis zur eigenen Farm im Raum der Wünsche. Bis auf verschmerzbare Bildrateneinbrüche im Kampf und die erwähnten LoD-Probleme ist Hogwarts Legacy auf der PS5 zudem technisch komplett rund, ich hatte im Test keinen einzigen Absturz oder schwerwiegenden Bug zu verzeichnen. Aber wie gut ist Hogwarts Legacy denn nun? Naja – ziemlich! Nur wirklich bahnbrechend ist es eben nicht.
Zweites Fazit von Boris Connemann
Trotz relativ grober Unkenntnis des Harry-Potter-Universums, holt mich Hogwarts Legacy gleich auf mehreren Ebenen ab: Zum einen ist es wirklich eine tolle Leistung, dass der erste (!) Open-World-Gehversuch der Entwickler schon ganz gekonnt die Dinge liefert, die Liebhaber dieser Spielstruktur begeistert: Tolle Lichtstimmungen, eine ganz leichte Bewegungsschwere der Spielfigur und eine beeindruckende Weitsicht, die für stellenweise wirklich atemberaubende Panoramen sorgt. Dazu gibt es Haupt- und Nebenquests, welche die Architektur der Spielwelt (und natürlich des optisch einprägsamen Zauberinternats) sinnvoll einbinden – jeder Spieler sieht nach und nach alle Teile der Umgebung, wenn er nicht hastig lossprintet, sondern sich einfach die Zeit lässt, die das Spiel braucht, um seine ganze künstlerische Kraft und seinen Ideenreichtum zu entfalten. Der andere Punkt, der für mich eine sehr große Faszination versprüht, ist die allgegenwärtige Mystik, die von Story, Figuren und der Spielwelt ausgeht – das ist alles mit dermaßen viel Liebe inszeniert, das man fast weinen möchte, wenn man vorher 30 gefrustete Stunden in Forspoken versenkt hat. Im Kern sind sich die Spiele sehr ähnlich, aber dann macht Hogwarts alles richtig, was in dem japanischen Open-World-Actionspiel mit RPG-Elementen falsch gelaufen ist. Feine Optik, witzige Dialoge, nette Rätsel, funktionierendes und motivierendes Crafting, dazu eine Menge Sammelkram, der Spaß und Sinn macht. Klar, die Karte scheint an vielen Stellen überzuquellen und weckt unliebsame Erinnerungen. Und doch schaffen es die Entwickler, eben genau dieses extrem wichtige Fünkchen Neugier und Faszination beim Spieler zu entfachen, die für genau dieses Genre einfach unabdingbar sind. Nach rund 25 von sicherlich und hoffentlich knapp 100 Stunden, vielen Nebenaufgaben, endlosen Spaziergängen im Schneckentempo und nur einem Teil der Hauptgeschichte, ist Hogwarts Legacy für mich also schon jetzt mindestens unter den ersten fünf Spielen, wenn es im Spätherbst um unsere Nominierungen für den Titel des Jahres geht. „Red Dead Potter“ kann ich also den Spielern ausnahmslos empfehlen, die mal wieder so richtig Bock darauf haben, eine riesige Welt voller Geheimnisse auf eigene Faust zu entdecken. Für Fans der Bücher und Filme geht hier ein lange gehegter Wunsch endlich in Erfüllung. Klasse gemacht, Portkeys!
Pro
- tolle Harry-Potter-Atmosphäre
- gute Technik, besonders in Innenräumen
- Hogwarts ist ein durchweg beeindruckender Schauplatz
- viele Rätsel, Aktivitäten und Nebenmissionen
- unheimlich hohe Produktionsqualität, auch bei Musik und Sprechern
- teils knackige, sehr dynamische Kämpfe mit coolen Zauber-Kombos
- unheimlich umfangreich
- Tierwesen-Züchtung
- Pflanzenanbau und Trank-Brauen
- teils richtig gute Nebenquests
- viele abwechslungsreiche Zauber
- Rätselpassagen in Dungeons
- viel sichtbare Liebe zum Detail
Kontra
- Hauptstory bleibt in sehr sicheren Bereichen
- Hauptfigur ist von Anfang an sehr stark und hat kaum Charakter
- Die offene Welt hat zum Teil Jahrmarkt-Charakter
- Kaum moralische Grautöne, wenig Konsequenzen
- Schule wird schnell zur spielerischen Nebensache
- Unverzeihliche Flüche einfach nur ein weiterer Zauber im Arsenal
- Zwischensequenzen sind nicht pausierbar
- Wechsel der Zauber-Belegung im Kampf etwas friemelig
- leichte Bildraten-Einbrüche im Kampf
- sichtbares LoD Fade-In in der offenen Welt
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