Horizon Call of the Mountain - Test, Action-Adventure, PlayStationVR2
Sony will es VR-Neueinsteigern leicht machen: Horizon Call of the Mountain von den hauseigenen Studios Firesprite und Guerilla Games führt als erster Serienteil nicht durch eine offene Welt, sondern schickt den Spieler zur Eingewöhnung zunächst auf eine beschauliche Bootsfahrt. Die Mischung aus Intro und Tutorial eignet sich hervorragend, um VR-fremden Freunden in wenigen Minuten zu zeigen, worum es geht: Am Ufer trampeln bereits hier beeindruckende Metallmonster entlang, bis ein Blechkrokodil (für Kenner: Schnappmaul) die Nussschale zum Kentern bringt. Eben noch war der neue Held Ryas ein Gefangener des feindlichen Stammesteils, nun muss er sich nach seiner Flucht ans Ufer allein durchschlagen, das Klettern und den Umgang mit einem gefundenen Bogen lernen.
Lineares Bergabenteuer in VR
Er war einst Teil der blutigen Roten Raubzüge, mit denen der Sonnenkönig Jiran das Sonnenreich terrorisierte. Nach dem Sturz des wahnhaften Despoten flohen seine getreuen Krieger ins Exil, darunter auch Ryas. Letztendlich aber stellt er sich den neuen Machthabern, die ihn zu Beginn des Spiels in Fesseln abführen. Warum aber will der "Tadellose Marad" ihn so einfach so begnadigen? Die Antwort ist schnell gefunden: Ryas ist ein begabter Kletterer und Bogenschütze. Nur sein verfeindeter Bruder Urid ist ähnlich geschickt beim Erklimmen der Berge, doch der ist bereits auf einer geheimen Mission verschwunden. So macht sich Ryas auf, das Geheimnis zu lüften und gleichzeitig nach seinem verlorenen Bruder zu suchen.
Alte Konflikte
Gleich zu Beginn wird deutlich, wie viel Liebe in die grafische Umsetzung geflossen ist, die dank modernem Eye-Tracking und "Dynamic Foveated Rendering" einen ungeahnten Detailreichtum aus der PS5 zaubert. Kleine Kameras rund um die Linsen der PSVR2 erfassen ständig die Blickrichtung. Visiert der Spieler einen Berggipfel an, rendert die Spiele-Engine nur diesen in höchster Detailtreue. Die Felsen und Wälder drumherum können getrost unscharf bleiben, was massiv Rechenleistung spart. Ob sich im Wind wiegende Pflanzen, Schneestürme oder atemberaubend detaillierte Monster: Die natürlich animierten Charaktere schlagen sogar jene aus Half-Life: Alyx oder den minutiös modellierten Loki aus Asgard's Wrath.
Was für ein Ausblick!
Da wichtige Infrastruktur zerstört wurde, muss Ryas erst einmal diverse Aufgaben erfüllen, bevor er sich auf die Suche nach seinem Bruder machen kann. Dazu gehört auch die Jagd auf einen Plünderer, um ihm ein Räderwerk für die Reparatur des großen Lifts zu entreißen. Einen Teil der meist linearen Wege durchquert Ryas mit relativ langsamer, freier Stick-Bewegung. Sie bleibt selbst auf der höchsten Geschwindigkeit sehr komfortabel. Empfindliche Naturen dürfen sich allerdings nicht per Teleport bewegen. Die alternative Steuerung über Handgesten erwies sich im Test nicht wirklich als praxistauglich
Eigenhändiges Klettern
Einen Großteil der Zeit klettert der Held aber per Bewegungssteuerung die Berge hinauf, was bemerkenswert gut und intuitiv funktioniert. Dezente Griffmarkierungen weisen den Weg, während der Spieler blitzschnell an ihnen hochklettert, sich auf Anhöhen zieht oder später auch mit Spitzhacken ins Gestein schlägt. Fast wie im guten alten Edge of Nowhere also, nur dass das Erlebnis aus der Ego-Sicht um Welten immersiver ist (und schnell für Schweiß unterm Headset sorgt). Dabei sieht man lediglich Ryas' schwebende Hände, statt Arme wie im kostenlosen VR-Upgrade zu Resident Evil Village. Auch der Körper bleibt unsichtbar. Vielleicht wollten die Entwickler nicht, dass er bei den schnellen, verwinkelten Kletterpartien im Weg ist.
Endlose Ausdauer
Auch das Basteln an der Werkbank geht nicht per Knopfdruck vonstatten. Der Enterhaken für den Schwung über Abgründe oder wird händisch zusammengesteckt und im passenden Winkel mit Garn umwickelt. Das gilt auch für andere Extras wie eine fette Wurfscheibe zum Aufbrechen verkeilter Mechanismen. Die kleinen Bastelstunden sind ein schönes Detail, selbst wenn längst nicht so viel Präzision wie beim Präparieren im alten DS-Spiel Spectrobes gefragt ist. Auch die Rüstung wird mit der Zeit etwas stärker. Komplexe Talentbäume oder ähnliche Personalisierungen fehlen allerdings – eine willkommene Abwechslung zur rollenspielorientierten Konkurrenz.
Eingeschränkte Arenakämpfe
In der Theorie ist das Erkennen und Absprengen von Schwachstellen ein geeignetes Konzept, um galoppierende und fliegende Giganten langsam auseinander zu pflücken. Sie decken den Spieler zum Beispiel mit Raketen ein und stürmen zwischendurch zum Nahangriff herbei. In der Praxis sind die Kämpfe jedoch deutlich zu einfach und monoton. Nur gelegentlich gibt es in der Arena kleine taktische Extras wie Ablenkungsmanöver. Vor allem mit Hilfe der schnell wieder aufgeladenen Zeitlupe ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis der Gegner in einer effektvollen Explosion aufgeht. Wer möchte, kann die Bullet-Time übrigens auch abschalten. Allerdings darf der Spieler nicht einmal selbst zu Nahkampfattacken ansetzen. Erst gegen Ende des Spiels bieten die Kämpfe mehr Herausforderung und einen höheren Unterhaltungswert. Das umfangreichere Asgard's Wrath zeigte mit seinen knackigen Schlagkombos, wie man Arenakämpfe in der virtuellen Realität deutlich spannender und freier umsetzen kann.
Schade auch, dass die gelungenen Schleichpassagen so selten sind, oft sogar mit Kletterpassagen vermischt. Beim eigenhändigen Hangeln zwischen Balken und Seilen kommt kurzzeitig erfreulich viel Spannung auf. Mal bietet eine Seilbahn Deckung vor patrouillierenden Blechwächtern, mal geht es wie in den Vorgängern auf leisen Sohlen von einer Blumenwiese zur nächsten. Nach dem Auffliegen sind manchmal sogar kurz freie Kämpfe möglich. Dabei ist der Spieler sogar nicht einmal an die Arena-Pfade gebunden, sondern weicht mit freier Bewegung aus, während er die Wächter mit Pfeilen und Bomben eindeckt. Ganz wie in einem klassischen Actionspiel also. Warum wurde diese Technik nicht auch auf den Rest des Spiels ausgeweitet? Guerillas Studio-Director Jan-Bart van Beek erklärte uns beim Anspiel-Event in London, dass die Entwickler lieber auf Nummer sicher gehen wollten. Unerfahrene Testspieler hätten manchmal ahnungslos mit dem Rücken zum Gegner gestanden, was sie unnötig verwirrt hätte. Zu dieser einsteigerfreundlichen Strategie passt auch die glühende Fokusanzeige. Auf Knopfdruck verrät sie jederzeit, wo sich der nächste Durchgang, eine mögliche Abzweigung oder des Rätsels Lösung befindet.
Einsteiger haben Vorrang
Die sehr räumliche Abmischung, eine professionelle deutsche Sprachausgabe und ein gefühlvoller Orchester-Soundtrack sorgen dabei immer für die passende Stimmung. Ein kleines Highlight ist die neue Vibration in der VR-Brille: In einer Metallruine etwa ließ ein Donnerkiefer das Gerüst über dem Kopf erzittern. Die feinen Vibrationen erinnerten tatsächlich an das Mitschwingen wackliger Metallteile über dem Schädel. Bei richtiger Ansteuerung sind also verblüffend authentische Effekte möglich! Das Spannen der Bogensehne und andere Interaktionen profitieren zudem ein wenig von den haptischen Triggern der Sense-Controller.
Ein Dino überm Kopf!
Im Bereich des Komforts erweist sich das Spiel als vorbildlich. Von verschiedenen Kamera-Ausrichtungen, Vignettenstärken und Drehwinkeln bis hin zu freiem Umschauen bieten die Optionen, was das Herz begehrt. Selbst Zugänglichkeits-Optionen wie Schadensmultiplikatoren sind vorhanden. Lediglich das Fehlen einer Teleportsteuerung für sehr empfindliche Spieler fällt negativ auf, da die Alternative mit Gesten nicht wirklich durchdacht ist. Dabei schreitet man zum Beispiel mit typischen Marschbewegungen der Arme vorwärts, um das Gleichgewichtsorgan im Ohr mit der wackelnden Körperbewegung auszutricksen.
Auch ohne Teleport sehr komfortabel
Fazit
Was für eine Aussicht! Dieser Satz ging mir beim Spielen von Horizon Call of the Mountain immer wieder durch den Kopf. Einmal sprach Protagonist Ryas ihn sogar im gleichen Moment aus. Sonys erstes großes Spiel für die neue Playstation VR2 ist der ideale Titel, um Interessierte an das Medium VR heranzuführen. Die überwucherten Ruinen der alten Zivilisation bieten derart schöne Panoramen, dass selbst ich als abgebrühter VR-Nerd oft minutenlang stehen blieb, um mich wie in einem Kletterurlaub auf der Anhöhe umzuschauen. Das moderne Eye-Tracking des neuen Headsets macht eine Grafik möglich, die selbst VR-Spiele auf sündhaft teuren PCs in vielerlei Hinsicht übertrifft. Hier gibt es die bisher schönsten Ausblicke, die am natürlichsten inszenierten Charaktere und die eindrucksvollsten Kampfmaschinen! Letztere wirken in VR noch größer und imposanter als in den Vorgängern. Schade, dass Firesprite und Guerilla Games spielerisch so sehr auf Nummer sicher gehen, um Einsteiger nicht zu verschrecken. Die auf Arenen begrenzten Kämpfe wirken auf Dauer zu eingeschränkt, auch wenn das segmentierte Zerlegen der Giganten durchaus seinen Reiz hat. Das Klettern hätte mit mehr Zeitdruck oder einer Ausdaueranzeige ebenfalls noch spannender werden können. Zudem kommen die spannenden Schleichpassagen zu kurz. Trotz all dieser Versäumnisse ist es aber ein Riesenspaß, durch die atemberaubende Landschaft zu kraxeln, in Felsnischen die passenden Abzweigungen zu entdecken und kleine Mechanikpuzzles zu lösen! Beim Schwingen an Seilen und dem Zerteilen von Hindernissen sind auch die händisch montierbaren Gadgets erfreulich gut eingebunden. Trotz des Mangels an Herausforderung ist Horizon Call of the Mountain eine mitreißende Klettertour in konkurrenzlos schöner Kulisse, die sich kein PSVR2-Käufer entgehen lassen sollte!
Pro
- erhebende Klettertouren mit intuitiver Bewegungssteuerung
- schön eingebundene kleine Umgebungs-Puzzles und Fallen
- passend umgesetzte Zielhilfe des Bogens
- unterhaltsames Schleichen, sogar beim Klettern
- gigantische, toll inszenierte Metallmonster
- unglaublich schöne Naturpanoramen
- wunderhübsch designte Aussichtspunkte
- lebendig animierte Pflanzenwelt
- stimmungsvolle Wetterkapriolen
- urige Kerker und Tempel
- die bisher am natürlichsten inszenierten Charaktere
- sympathische Hauptfigur
- motivierende, teils rührende Suche nach dem verschollenen Bruder
- passende überschaubare Zahl an Gadgets und Upgrades
- immersives Basteln an der Werkbank per Bewegungssteuerung
- feinfühliger Soundtrack
Kontra
- Umrundungskämpfe auf festem Pfad simpel und ermüdend
- die meisten Kämpfe bleiben zu leicht
- wenig Kletter-Herausforderung wegen unbegrenzter Ausdauer
- gelegentlich leichte Ruckler
- Schleichen und freie Kämpfe kommen zu selten vor
- nur rund sechs bis sieben Stunden kurz
- kaum Wiederspielwert abseits des Story-Modus
- Story-Ausgang wirkt etwas zu konstruiert
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