Wildfrost - Test, Taktik & Strategie, Switch, PC
Als durchgefrorener Reisender landet ihr im beschaulichen Dorf Schneeheim: Die letzte Bastion im Kampf gegen den titelgebenden Wildfrost, der die Welt in eine Eiswüste voller Anarchie und Chaos verwandelt hat. Die nette, aber ignorierbare und genau wie die restlichen Texte des Spiels nur auf Englisch verfügbare Geschichte wird in sechs spärlichen Notizbuchseiten erzählt, die ihr über mehrere Durchgänge hinweg finden könnt – das Gameplay steht im Roguelike-Deckbuilder also offensichtlich an erster Stelle.
Wildfrost: Eine Schneeballschlacht, die es in sich hat
Anschließend geht es in die Wildnis, in der euch neben Auseinandersetzungen mit der furiosen Fauna auch Schätze und Händler erwarten. Wie bei Slay the Spire oder Inscryption bewegt ihr euch Stück für Stück über die Karte und könnt euch ab und an zwischen Abzweigungen entscheiden, die verschiedene Ereignisse bereithalten. Je nachdem, mit welchem Stamm ihr eure Reise beschreitet, erwarten euch unterschiedliche Karten und Talismane, mit denen ihr euer Deck verbessern könnt. Doch egal mit wem ihr loszieht und welche Entscheidungen trefft: Beschützt euren Anführer! Beißt er ins Gras, ist die Runde vorbei und ihr findet euch vor den Toren Schneeheims wieder.
Das Spiel mit den Zahlen
Immer wenn ihr eine Karte aus eurer Hand spielt, zählen alle Charaktere auf dem Spielfeld nach unten und sobald die magische Null erreicht wird, erfolgt der Angriff – bevor der Zähler anschließend zur ursprünglichen Zahl zurückspringt. Sind mehrere Kämpfer in der gleichen Runde zum Angriff bereit, zählt die Reihenfolge auf dem Schlachtfeld: In der oberen Reihe wird zuerst attackiert, wobei von innen nach außen priorisiert wird und Feinde immer zuerst dran sind. Insgesamt finden auf eurer und der gegnerischen Seite jeweils sechs Charaktere Platz, eure eigenen könnt ihr dabei nach Belieben hin- und herschieben.
Jede Begegnung mit den kratzigen Kreaturen von Wildfrost besteht dabei aus mehreren Gegnerwellen, von denen jede neue nach einer bestimmten Anzahl an Runden auf den Plan tritt. Um die Fieslinge niederzustrecken, müsst ihr mit euren Handkarten euer eigenes Team verstärken und Gegner in ihren Aktionen einschränken oder stumpfe Angriffskarten wie das Schrottschwert oder den Werkzeughammer ausspielen.
Sobald ihr euch dabei verkalkuliert und euer Anführer zu schockgefrorenem Speiseeis verarbeitet wird, offenbart sich die wahre Natur von Wildfrost. Denn als Roguelike-Deckbuilder gehören Permadeath und eine gehörige Portion Zufall natürlich zum Rahmenprogramm des Genre-Frischlings. Dauerhaften Fortschritt gibt es zwar, der findet aber ausschließlich durch das Freischalten neuer Karten statt, wodurch die Durchgänge nach und nach durch neue Begleiter oder Gegenstände erweitert werden.
Frostiger Fortschritt
Abwechslung erfolgt in Wildfrost über eure Karten und Kumpanen, nicht über eure Gegner. Dank verschiedener Mechaniken wie Tinte (deaktiviert vorübergehend Effekte), Schnee (verlangsamt Zähler) oder Pilzen (verursachen kontinuierlichen Schaden) sowie unterschiedlicher Gegenstände und Gefährten, die davon Gebrauch machen, ist für Spieltiefe gesorgt und ihr habt selbst in der Hand, wie ähnlich sich Durchgänge im Vergleich wirklich anfühlen. Im Gegensatz dazu bleiben die Auseinandersetzungen mit den frostigen Bewohnern des Spiels größtenteils gleich: Bei Minibossen und Endgegnern trefft ihr auf eine von zwei zufällige Varianten, ebenso verhält es sich für die Begegnungen mit regulären Feinden, darunter streitlustige Schneemänner, gepanzerte Waschbären und garstige Giftpilze.
Habt ihr erfolgreich einen Durchgang abgeschlossen, könnt ihr euch zukünftige mit zusätzlichen Einstellungen noch schwieriger gestalten und bekommt als Belohnung den wahren Endgegner von Wildfrost zu Gesicht. Wenn auch der mit dem Bauch nach unten im Schnee liegt und ihr alle Karten freigeschaltet habt, sind die Ressourcen des Spiels ausgeschöpft. Bei mir hat das gut 45 Stunden gedauert, womit Wildfrost zu den kürzeren Vertretern des Genres gehört, insgesamt aber einiges zu bieten hat. Für weiteren Wiederspielwert sorgt die tägliche Herausforderung, bei der ihr euch mit einem vorgegebenen Starterdeck auf einer globalen Rangliste gegen andere Spieler messen könnt.
Obwohl Wildfrost mit seinen simpel scheinenden Mechaniken und den darunter verborgenen, vielseitigen Kombinationsmöglichkeiten eine Sogwirkung entfaltet, die mich von einem Durchgang in den nächsten gezogen hat, ragt aus dem wunderschönen Winterkleid ein schmerzhafter Eiszapfen. Auf Steam haben sich die User-Wertungen zwar mittlerweile erholt, doch zum Release des Spiels lag Wildfrost gerade mal bei 60 Prozent positiver Reviews. Grund dafür: Der hohe Schwierigkeitsgrad. Und ja, auch ich habe im Test die klirrende Kälte der Karten zu spüren bekommen.
Die saure Kirsche auf dem sonst so süßen Eisbecher
Das umfasst hoffentlich auch geringfügige Abschwächungen für einige Begegnungen: Zwar belohnt Wildfrost taktisches Vorgehen, ein Quäntchen Glück gehört aber nichtsdestotrotz dazu und spätestens im letzten Akt beißen sich Pechvögel die Zähne aus. Hinzu kommt, dass die Werte und Eigenschaften der Anführer zufällig zusammengewürfelt werden und daher extrem unausgeglichen sind: Weil das Ableben des Oberhaupts euer Scheitern bedeutet, sind niedrige Lebenspunkte oder schwache Fähigkeiten zu riskant, weshalb ich mich bisweilen genötigt gefühlt habe, den Stärksten aus der aktuellen Rotation zu wählen, auch wenn das bedeutet, einen Stamm spielen zu müssen, auf den ich vielleicht gerade keine Lust hatte.
Schicke Schneemänner und elegante Eisskulpturen
Dabei könnte der Kontrast vom knackigen Kartenlegen zur knuffigen Präsentation nicht größer sein: Optisch bezaubert Wildfrost nicht nur mit einer angenehmen Palette aus warmen Grün-, Blau- und Brauntönen sowie eisigen Weißakzenten, sondern auch mit einer Bandbreite an charmanten Tierchen in allen Formen und Farben. Personifizierte Wildbeeren mit Holzknüppeln, mysteriös-maskierte Schattenwesen und der verspielte Stamm der Schneebewohner begeistern durch einzigartigartige Designs, die trotzdem für eine insgesamt stimmige Optik sorgen.Das Kompendium, in dem man Verbündete und Gegenstände genau wie Gegner und Talismane jederzeit anschauen kann, erlaubt es den Figuren auch außerhalb der Kämpfe zu glänzen – und motiviert wie ein Panini-Stickeralbum zur Vervollständigung. Der auf Twitter zu findende Künstler Gaziter, der sich mit seinem grünen Waschbär-Maskottchen auch selbst im Spiel verewigt hat, verleiht Wildfrost so seine ganz eigene Identität, mit der es deutlich aus dem überwiegend düster gestalteten Genre hervorsticht.
Auch der dynamische Soundtrack verdient eine explizite Erwähnung: Die sanften Klänge im malerischen Dorf Schneeheim, die zunächst zurückhaltende Kampfchoreographie, die beim ersten Angriff auf die gegnerische Pinguin-Legion anschwillt und neue Instrumente hinzufügt oder die bedrohliche Boss-Mucke, die den Auftritt des fiesen Obermotz in Szene setzt. Sowieso glänzt fast jede Auseinandersetzung in Wildfrost mit ihrem ganz eigenen Song, der auf die auftretenden Gegner und den Fortschritt im Durchgang zugeschnitten ist.
Ohrschützer absetzen und Lauscher aufsperren!
Angereichert wird das in der Welt von Wildfrost existierende Orchester mit den inbrünstigen Ototama Choir-Heads, den einheizenden Flaming Strings, der eleganten Lumin-Flöte oder dem Narwhalophone – nicht nur namentlich, sondern auch optisch eine Mischung aus klimperndem Xylophon und imposantem Narwal. Dass die entsprechenden Instrumente dann zumindest teilweise auch als Karten im Spiel vorhanden sind und in den Kämpfen zum Einsatz kommen, ist die Kirsche auf der Sahnehaube dieses Roguelike-Eisbechers.
Tickets für die unbarmherzige Schneeballschlacht gibt es auf dem PC sowie der Nintendo Switch und kosten 19,49 Euro. Wer sich, beispielsweise aufgrund des erwähnten Schwierigkeitsgrades, unsicher ist, ob er den eisigen Gefilden Wildfrosts gewachsen ist: Auf der Switch wartet eine kostenlose Demo auf all diejenigen, die ihren Zeh erstmal vorsichtig in den Neuschnee tauchen möchten.
Fazit
Karten auf den Tisch: Wildfrost ist ein exzellenter Roguelike-Deckbuilder, der mit frischen Ideen und einer herausragenden Präsentation aus dem prall gefüllten Genre hervorstechen kann. Das Zähler-System als Kern, umhüllt von vielschichtigen Mechaniken, Karten und Gefährten, sorgt für ein komplexes und belohnendes Spielgefühl und entfaltet genau die Sogwirkung, die man sich vom Genre wünscht. Nur der im Vergleich zur Konkurrenz geringer ausfallende Wiederspielwert und der etwas unausgegorene Schwierigkeitsgrad hindern den Debüt-Titel von Deadpan Games daran, sich einen Platz im Kartenspiel-Olymp zu sichern. Wenn ich in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit meinen Anführer einem tödlichen Angriff aussetze oder in das Kreuzfeuer zufällig zuschlagender Rentiere gerate, dann fühlt sich Wildfrost bisweilen nicht unbedingt unfair, mindestens aber frustrierend an. Gleichzeitig sorgt das Entkommen aus lebensbedrohlichen Situationen mithilfe von strategisch durchgeplanten Zügen für ein derartiges Hochgefühl, wie ich es sonst vor allem von Dark Souls & Co. kenne. Falls euch die Optik von Wildfrost begeistert und „Frusttoleranz“ für euch kein Fremdwort ist, lohnt sich ein Ausflug in die eisige Kartenhölle.
Pro
- charmanter Artstyle
- dynamischer und stimmiger Soundtrack
- Zähler-System sorgt für frischen Wind
- clevere und mächtige Kombinationen möglich
- Abwechslung durch verschiedene Stämme und Begleiter
- Herausforderung sorgt für belohnende Höhenflüge
Kontra
- Schwierigkeitsgrad braucht noch Feintuning
- geringerer Wiederspielwert als andere Genre-Größen
- keine deutschen Texte
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