Pikmin 4 - Test, Taktik & Strategie, Switch
Pikmin 4: Olimar, der Bruchpilot
Obwohl hinter Pikmin 4 eine fette Vier steht, gibt sich der aktuelle Ableger nicht wirklich Mühe, eine eigene Geschichte erzählen zu wollen: Wieder einmal strandet Captain Olimar auf einem ihm unbekannten Planeten und wie schon im Vorgänger muss der einst so selbstständige Raumfahrer durch ein Team von Außenstehenden gerettet werden. Doch weil das Pikmin-Universum offenbar von durchweg wenig kompetenten Abenteurern bevölkert wird, scheitert auch die beauftragte Rettungscrew und verstreut sich nach der Bruchlandung in alle Winde. So einfallslos das erneute Schicksal von Olimar auch ist, wird die kurze Rahmenhandlung doch immerhin mit einer gelungenen Scherenschnitt-Animation erzählt.Die letzte Hoffnung lastet also auf den Schultern eines einzigen Raumfahrers, der zum Glück aller in der Zentrale zurückgeblieben ist und sich nun aufmacht, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Gemeint bin natürlich ich, beziehungsweise meine putzige Pikmin-Persona, die ich nach einem kurzen Aufenthalt im Charakter-Editor auf den Himmelskörper schicke, wo die anderen Astronauten verschwunden sind. Die Erstellung meines eigenen Charakters ist nett, wenn auch arg limitiert: Eine Handvoll Körpertypen, ein paar knuffige Kartoffelnasen und Glubschaugen, die allesamt die herrlich schräge Optik des Spiels einfangen. Falls ihr nach ein paar Stunden Lust auf eine neue Frisur oder Haarfarbe habt, könnt ihr euren Look aber auch einfach wieder ändern.
Nach einer kurzen Sequenz, in der ich in die Rolle von Olimar schlüpfe und für die Serie untypisch nicht durch die Natur, sondern ein Wohnzimmer wandle, schickt mich der überaus leseintensive und mit Tutorials gepflasterte Start mit meinem selbst gebastelten Charakter auf die Planetenoberfläche. Bevor ich dort lerne, wie man erfolgreich Pikmin durch die Gegend scheucht, stolpere ich allerdings über das wohl niedlichste Mitglied der Rettungscrew: Den Weltraumhund Otschin. Der flauschige Fährtenleser ist zu Beginn so stark wie drei Pikmin, kann im späteren Spielverlauf aber so viel tragen wie 100 der Pflanzenwesen und mit seinem Sprint nicht nur Vasen zerstören, sondern auch fiese Fressfeinde erledigen.
Mit Otschin und den beiden geretteten Crew-Kollegen Collin und Shepherd im Schlepptau geht es zu dem geschrotteten Raumschiff, wo wir kurzerhand ein Basiscamp errichten, das während der gesamten Rettungsaktion als Stützpunkt dient und sich nach und nach mit immer mehr geretteten Forschern füllt. Denn: Olimar und mein Rettungsteam sind beileibe nicht die einzigen, die für ein Abenteuer zu diesem fremden Planeten aufgebrochen sind. Nach vier Absätzen Test und einer etwas in die Länge gezogenen Spieleinleitung geht es jetzt auf die erste Expedition, wo mir endlich auch die wahren Stars des Spiels über die Füße stolpern: Die Pikmin.
Gotta manage 'em all
Ohne die farbenfrohen Franchise-Maskottchen geht nämlich auch in Pikmin 4 wieder einmal gar nichts: Die Titelhelden sind zwar kleiner als Ameisen, aber unglaublich fleißige Helferlein und tragen Früchte, Alltagsgegenstände und nostalgische Nintendo-Geräte zurück zu meiner portablen Basis, um unser gestrandetes Raumschiff nach und nach mit genug Energie zu versorgen. Das altbewährte Spielprinzip funktioniert dabei auch im aktuellen Ableger hervorragend: Während ich die Natur des fremden Himmelskörpers Stück für Stück erschließe, traben meine Pikmin im Gleichschritt hinter mir her, schleppen auf Befehl Schätze oder besiegte Kreaturen durch die Gegend, bei denen meine treuen Träger eigentlich auf dem Speiseplan stehen. Damit die Knollenkumpanen nicht untätig herumlümmeln, sondern wortwörtlich nach meiner Pfeife tanzen, scheuche ich sie wiederum mit dem schrillen Mundstück zu mir. Um sicherzustellen, dass die bunten Lastenträger zu jeder Sekunde einer Aufgabe nachgehen, werfe ich einen Blick auf die Anzeige unten rechts, die mir verrät, wie viele meiner Pikmin gerade gelangweilt herumstehen. In Pikmin 4 ist dies gerade zu Beginn noch deutlich leichter handhabbar, denn euch stehen zunächst nur mickrige 20 Pflanzenwesen zur Verfügung.Diese Zahl könnt ihr nach und nach durch das Sammeln von Knobknollen steigern, sodass ihr nach einigen Stunden auch wieder bei den 100 Wuselwichteln angekommen seid, die in den vorherigen drei Spielen ab Minute Eins den Bildschirm gefüllt haben. Zum Glück, denn wegen der limitierten Anzahl ist Pikmin 4 vor allem in den ersten Stunden ziemlich anspruchslos – ein Problem, auf das ich später noch ausführlicher zu sprechen komme. Um dem Mikromanagement ein bisschen mehr Tiefe zu verleihen, kommt jede Pikmin-Sorte abhängig von ihrer Farbe mit unterschiedlichen Stärken daher: Rote Pikmin sind besonders kräftig und immun gegen Feuer, gelbe Exemplare lassen sich höher schleudern als andere und schrecken auch vor Elektrizität nicht zurück, während die blauen Zeitgenossen mit Vergnügen durch Wasser spazieren.
Das frühe Pikmin schleppt den Schatz
Effiziente Arbeitsteilung ist vor allem deshalb gefragt, weil ich unter Zeitdruck arbeite – zumindest theoretisch. Das 30-Tage-Limit aus dem Erstling, in dem ich alle Raumschiffteile finden muss oder für immer auf dem unbekannten Planeten gefangen bleibe, gibt es zwar schon lange nicht mehr; der Ablauf von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang spielt aber nach wie vor eine zentrale Rolle. Sobald der glühende Ball am Himmel morgens seine ersten Strahlen verschießt, reise ich in eines der Gebiete, um dort bis zur Dämmerung nach Schätzen zu suchen.Doch wenn die Sonne untergeht, heißt es Sachen packen und in das sichere Raumschiff zurückkehren, damit die heimische Fauna mich nicht zum Abendessen verspeist. Gleiches gilt auch für meine Pikmin: Alle Lastenträger, die ich bei Einbruch der Nacht zurücklasse, landen unweigerlich auf dem Teller von Kreaturen aus den oberen Rängen der Nahrungskette. Richtiger Druck herrscht letztendlich aber insofern nicht, als dass ich so viele Tage für diese Aufgabe brauchen kann, wie ich will – der Sonnenuntergang bedeutet also nur, dass meine Mission am nächsten Morgen weitergeht.
Für zusätzliche Entlastung sorgt die Erkundung im Untergrund, wo die Zeit deutlich langsamer vergeht als an der Erdoberfläche. Im Gegensatz zu den sehr offenen Gebieten erwarten mich hier lineare Labyrinthbauten, die auf bestimmte Pikmin-Arten zugeschnitten sind und eine deutlich höhere Dichte an Rätseln bieten. Die Herausforderungshöhlen verlangen das Ausspielen der unterschiedlichen Pikmin-Stärken und kommen in drei
verschiedenen Varianten daher: Klassische Puzzle lösen, Gegner besiegen und Schätze suchen; die gleichen Aufgaben, aber mit einem Zeitlimit und anschließender Bewertung; sowie sogenannte Dandori-Duelle, bei denen ich gegen einen mysteriös belaubten Astronauten antrete und durch das Sammeln von Schätzen innerhalb einer bestimmten Zeit eine höhere Punktzahl erreichen muss als mein Gegenüber.Das funktioniert in Pikmin 4 auch deshalb besser als je zuvor, weil Nintendo die Steuerung und das Kommandieren der Setzlinge abermals verbessert hat: Gegner lassen sich spielend leicht anvisieren und wenn ich die benötigte Anzahl an Pikmin auf einen Schatz werfe, stoppt mich das Spiel für einen kurzen Augenblick ganz von selbst, sodass ich nie mehr als nötig mit einer Aufgabe betreue. Vor allem die Dandori-Duelle sind eine willkommene Abwechslung von der traditionellen Schatzjagd und wer eine Gold- oder gar Platin-Medaille einheimsen möchte, muss das Pikmin-Management wirklich beherrschen. Einzig, dass der Bildschirm geteilt wird, um die Vorgehensweise des Gegners mit einem Auge beobachten zu können, ist etwas anstrengend, weil das halbierte Sichtfeld den Überblick doch bedeutend einschränkt und das Taktieren erschwert.
Während Pikmin 4 für einen lauschigen Abend zu zweit also nicht so viel zu bieten hat, fällt die Menge an Inhalt für Einzelspieler umso beeindruckender aus. Der aktuelle Ableger ist der mit Abstand umfangreichste der ganzen Reihe und wer sich bei der Hauptstory die Zeit nimmt, alles zu erkunden, landet gut und gerne zwischen 25 und 30 Stunden. Grund dafür ist vor allem die schiere Anzahl an Sammelobjekten: Die erwähnten Schätze, um euer Raumschiff mit Glitzerium alias Treibstoff zu versorgen; die Gestrandeten, die dankbar in
eurem Basiscamp auf euch warten; die Knollen, mit denen ihr eure Pikmin-Kapazitäten erweitern und neue Sorten vermehren könnt, denn neue Pikmin schlüpfen nur aus einer gleichfarbigen Zwiebel; und das Rohmaterial, mit dem sich Brücken bauen und Hilfsmittel herstellen lassen.Sagenhafter Sammelspaß
Letzteres erhaltet ihr nicht nur durch Erkundungen, sondern auch im Basiscamp bei den vielen geretteten Weltraumforschern, die euch ein paar Nebenmissionen als Langzeitmotivation aufhalsen. Neue Pikmin erblühen lassen, Gebiete zu 100 Prozent zu erkunden oder in Dandori-Duellen Goldmedaillen abzugreifen kann sich also durchaus lohnen. Im Basiscamp könnt ihr den Vervollständigungswahn noch weiter auf die Spitze treiben: Ein Kreaturen-Lexikon freut sich genauso darauf, gefüllt zu werden, wie die Schatz-Enzyklopädie. Bei Kapitänin Shepherd könnt ihr derweil die Fähigkeiten von Otschin ausbauen, wodurch der hechelnde Helfer schneller sprintet, stärker zubeißt oder schwerere Objekte tragen kann. Und Hobby-Erfinder Russ belohnt euch im Austausch gegen Rohmaterial dagegen mit allerlei Hilfsmitteln wie einem breiteren Pfeifenradius, schadensreduzierenden Anzügen oder Anti-Haft-Stiefeln.
Bunt, schräg, familienfreundlich: Nintendo pur
Genau wie die drei Vorgänger glänzt auch Pikmin 4 mit der farbenfroh-charmanten Präsentation, der die Reihe seine treuen Fans verdankt und von der sich interessierte Neulinge vermutlich magisch angezogen fühlen dürften. Die Mischung aus poppig-bunten und quirligen Kreaturen und Charakteren sowie der realistisch gestalteten Umgebung sorgt selbst im Nintendo-Kosmos für einen einzigartigen Look, bei dem zwei kontrastreiche Welten aufeinandertreffen und trotzdem miteinander harmonieren. Für die seltsam gelungene Symbiose sind allen voran die süßen Pikmin verantwortlich, die mit ihren Knopfaugen und kleinen Körpern wieder direkt in mein Herz marschiert sind. Aber auch die garstigen Geschöpfe, die sich mir auf meinem Abenteuer entgegengestellt haben, versprühen jede Menge Einfallsreichtum.Weil die Ohren bekanntlich mitspielen, lanciert Pikmin 4 wieder Mal einen Angriff auf euer Gehör mit seinen genialen Soundeffekten: Die schrille Trillerpfeife, die alle paar Sekunden erklingt, und die dutzenden Ausrufe , die beim Schmeißen der Pikmin eine Kakophonie sondergleichen entstehen lassen, machen für mich einen großen Teil vom Charme des Spiels aus, dürften für Eltern, Mitbewohner oder Partnerinnen aber wohl nur schwer zu ertragen sein. Einen kleinen Ausgleich liefert der ruhige, wenn auch sehr zurückhaltende Soundtrack, der nur in brenzligen Situationen für zusätzlichen Stress sorgt.
So großzügig wie ich bis zu diesem Zeitpunkt auch das Zuckerbrot verteilt habe, muss ich am Ende noch einmal die Peitsche herausholen – und zwar nicht, um die Pikmin hin und her zu scheuchen, sondern um den Schwierigkeitsgrad zu kritisieren. Denn so spaßig Pikmin 4 auch ist, habe ich während meines Abenteuers leider vergeblich nach einem Funken Herausforderung gesucht. Ein kurzer Zahlenvergleich: In dem von mir vor einem guten Monat nachgeholten Erstling habe ich innerhalb meiner knapp sieben Stunden Spielzeit mehr als 800 Pikmin verloren, in den rund 25 Stunden des vierten Teils waren es nur etwa 200, wovon sich wiederum ein nicht unwesentlicher Teil auf meine während des Spielverlaufs zunehmende Fahrlässigkeit schieben lässt.
Mit Charme, aber ohne Biss
Auch das Feature, mit dem sich die Zeit zurückdrehen lässt, ist ein zweischneidiges Schwert. Um das Spiel für Neueinsteiger zugänglicher zu machen, ist die Funktion eine tolle Sache und verhindert nerviges Pikmin-Farmen, wenn ein Bosskampf die halbe Armee ausradiert hat. Auf der anderen Seite sind die unwiderruflichen Konsequenzen des eigenen Handels eng mit dem Pikmin-Franchise verknüpft: Die Bestrafung für den leichtfertigen Einsatz der Pflanzenwesen gehört eigentlich zum Reiz der Reihe. Weil man die Möglichkeit zum Zeit zurückdrehen aber einfach ignorieren kann, will ich sie den Entwicklern nicht ankreiden – ein bisschen mehr Herausforderung wäre dennoch schön gewesen.
Fazit
Abseits einiger Kleinigkeiten wie der mittlerweile ausgelutschten Geschichte rund um Captain Olimar, den etwas langgezogenen Tutorials zu Beginn des Spiels und dem in seinem jetzigen Zustand überflüssigen Koop-Modus ist Pikmin 4 der bislang beste Serienteil und angesichts der neuen Mechaniken, Ideen, Gegnern und Pikmin sowie dem daraus resultierenden Umfang wundert es mich dann auch nicht mehr, warum die Entwicklung des Spiels so schrecklich lange gedauert hat. Das Herumkommandieren der knuffigen Pikmin, die die Reihe schon seit mehr als 20 Jahren wortwörtlich auf ihren kleinen Händen tragen, entfaltet mit dem Mikromanagement und der bunten Präsentation eine sagenhafte Sogwirkung im Strategie-Genre, ganz fernab von den oftmals grau-braunen Kriegs- oder Historienszenarien. Auch nach drei Vorgängern nutzt sich das Spielprinzip dank frischer Ideen wie den Nachtmissionen, den Dandori-Duellen oder dem vielseitig einsetzbaren Hund Otschin nicht ab, sondern wurde nicht zuletzt dank kleiner Komfortänderungen auf eine neue Ebene gehoben. Nur schade, dass Pikmin 4 fast vollständig die scharfen Zähne der beiden Erstlinge verloren hat.
Pro
- Extrem umfangreich
- Neue Pikmin-Arten und Gegnertypen
- Technisch sehr sauber
- Nachtmissionen und Dandori-Duelle
- Gelungene Mischung aus offenen Arealen und linearen Höhlen
- Charmante Präsentation (Optik und Soundeffekte)
- Angenehme Komfortänderungen
Kontra
- Kaum noch Herausforderung
- Einfallsloser Koop-Modus in der Story
- Tutorials bremsen den Spielfluss
- Splitscreen bei Dandori-Duellen nervt
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