Bomb Rush Cyberfunk - Test, Action-Adventure, PlayStation4, Switch, PC, XboxOne
Bomb Rush Cyberfunk: Kopflos in New Amsterdam
Weil Skaten und Graffiti sprühen ziemlich schwierige Aktivitäten ohne Kopf sind, ist der Anfang von Bomb Rush Cyberfunk ein denkbar ungünstiger: Gerade als mein noch namenloser Held von einem unbekannten Wohltäter aus dem Gefängnis befreit wird und wir Hals über Kopf aus dem Hochsicherheitstrakt fliehen, während mir das Spiel die ersten Gameplay-Mechaniken beibringt, wird mir von einem maskierten Bösewicht namens DJ Cyber mit einer fliegenden Schallplatte das Haupt vom Körper abgetrennt.Statt in die ewigen Weiten des Jenseits zu driften, erwache ich ohne Erinnerungen, dafür mit einem Roboterkopf auf meinen Schultern und an einem völlig unbekannten Ort. Es ist das Versteck meines Gefängnisbefreiers, der sich als ein talentierter Sprayer namens Tryce entpuppt, mir seine Freundin Bel vorstellt und kurz die Lage erklärt. Weil die beiden ebenfalls noch ein Hühnchen mit DJ Cyber zu rupfen haben, gründen wir zu dritt die titelgebende Bomb Rush Cyberfunk-Crew mit dem Ziel, New Amsterdam zu erobern. Im Klartext bedeutet das: Die Stadt mit Graffiti vollsprühen und die in anderen Bezirken herrschende Gangs mit Skate-Tricks in die Schranken weisen.
Dafür, dass das Gameplay und die Ästhetik bei dem geistigen Jet Set Radio-Nachfolger im Vordergrund stehen, ist die abgedrehte Geschichte überraschend unterhaltsam und wird in einigen mit vereinzelten Ausrufen vertonten Dialogen und Zwischensequenzen erzählt. Leider tauchen die viel zu häufig auf und unterbrechen deshalb immer wieder den Gameplay-Flow: Wenn ich die Anlage aufdrehe und mit Höchstgeschwindigkeit durch die Straßen von New Amsterdam auf meinen Rollerblades rausche, dann will ich nicht ständig angehalten werden, nur um mir fünf Zeilen über das nächste Missionsziel durchzulesen oder mir einen zugegebenermaßen beeindruckend choreographierten Tanz anzuschauen. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen. Dass zwei Zwischensequenzen aufgrund eines Bugs vollständig schwarz geblieben sind und ich mich blindlings durch Dialoge klicken musste, hat die Sache dann aber auch nicht wirklich besser gemacht.
Womit wir beim Herzstück von Bomb Rush Cyberfunk angekommen wären: Dem Skaten, Springen, Rails grinden. Je nach Gusto kann ich mit einem Skateboard, einem BMX-Bike oder Rollerblades losziehen und die Fußgänger mit einer Reihe an Kunststücken beeindrucken, während ich meinen Kombometer in die Höhe treibe. Ist der B-Knopf dafür zuständig, mich mit Sprüngen von Schiene zu Schiene befördern, führe ich mit den Tasten A, X und Y sowie dem rechten Stick die verschiedensten Tricks aus, ohne mich in eine lange Move-Liste einlesen zu müssen. Mit dem rechten Trigger lässt sich derweil die aktuelle Stunt-Strähne für eine kurze Zeit auch abseits der Rails fortführen, was vor allem bei der späteren Levelarchitektur nötig wird, um einen möglichst hohen Highscore zu erreichen.
Skaten bis zum Morgengrauen
Dank der gelungenen Steuerung und dem cleveren Leveldesign, bei dem sich Rails an allen Ecken und Kanten durch die Stadt schlängeln und dank durchgeplanter Routen nahezu unendliche Kombos ermöglichen, entfesselt Bomb Rush Cyberfunk in Windeseile genau den Flow, den man sich von einer arcadigen Skate-Simulation wünscht. Das macht sich besonders in den späteren, großflächigeren Bezirken bemerkbar, auch wenn die Einkaufsmeile mit der großen leeren Fläche in der Mitte und den statisch gesetzten Schienen am Rand eine weniger spannende Ausnahme bildet. Auch die mit den großköpfigen Maskottchen verteilten Herausforderungen, bei denen ihr innerhalb einer einzigen Kombo alle Exemplare passieren müsst, und so einen Song oder ein Outfit freischaltet, sind natürlich in die Levelstruktur eingebettet und nicht stumpf in Extrabereiche ausgelagert.
Von den Rollen
All Cops Are Beautiful
Bomb Rush Cyberfunk glänzt also eher, wenn es mich von der Leine und einfach durch die Gegend streifen lässt, abseits irgendwelcher Crew-Battles und Zeitlimits. Zumindest so lange, bis ich meine Sprühdose aus den in den Knien hängenden Baggy Pants zücke und die Stadt zu meiner Leinwand mache. Dann sitzt mir nämlich in Windeseile ein Haufen Polizisten im Nacken, die mich meine Künstlerambitionen lieber hinter Gittern ausleben lassen wollen. Hier greift, genau wie es Hobby-Gangster aus der Grand Theft Auto-Reihe kennen, ein Heat-System: Je mehr Graffitis ich verteile, desto mehr Männer in Blau tauchen auf und desto härter sind die Geschütze, die sie bei der Jagd auf mich auffahren.Stehen bei einem Stern noch nur einige typisch tollpatschige Gesetzeshüter auf der Matte, folgen bei zwei Sternen schon verankerte Metallkästen, die fliegende Ketten auf mich schießen und mich so in meiner Mobilität einschränken, während drei Sterne Scharfschützen aktiv werden lassen, die meinen Lebensbalken aus der Ferne unter Beschuss nehmen. Ein Konzept, das angesichts der Graffiti-Gangs natürlich hervorragend zu Bomb Rush Cyberfunk passt, leider aber nicht ganz ausgereift ist: Die Polizisten erscheinen zu häufig, die Heat-Anzeige steigt zu schnell. Besonders die erwähnten Ketten, die nach nur wenigen Sprühaktionen auftauchen, rissen mich mehrfach aus dem spaßigen Skaten und sind so ein echter Stimmungskiller. Das mag man als sozialkritischen Kommentar sehen, der polizeiliche Probleme in der Gesellschaft zur Schau stellt – spielerisch ist es aber ziemlich nervtötend.
Nach kleineren und größeren Ärgernissen können wir uns nun wieder den schönen Dingen widmen, zum Beispiel der Optik von Bomb Rush Cyberfunk. Aus den digitalen Dosen wird nämlich nicht nur Graffiti-Farbe, sondern auch eine ordentliche Portion knallig-bunte Dreamcast-Atmosphäre versprüht, die die geistige Identität von Jet Set Radio mit all ihren Ecken und Kanten in die Gegenwart holt. Die blockigen Charaktere in ausgefallenen Outfits, die einfarbigen Autos und die poppigen Werbetafeln machen New Amsterdam zu einer malerischen Metropole, die sich auch im Vergleich zu fotorealistischen Cyberpunk-Citys sehen lassen kann.
Pure Ästhetik
Dazu tragen natürlich auch die gelungenen Graffitis bei, die ich in einem nur zwei bis drei Sekunden andauernden Mikrospiel an den Wolkenkratzerwänden hinterlasse. Nicht nur, dass ich die Stadt so Stück für Stück noch bunter mache, ich markiere auch wortwörtlich mein Revier, indem ich die Sprühkunst anderer Gangs übermale. Das Mikrospiel selbst ist nicht der Rede wert: In einer sternförmigen Vorlage bewege ich meine Linie von rechts nach links oder diagonal und jedes Graffiti hat dabei seinen eigenen Verlauf, den ich in meinem virtuellen Handy jederzeit nachschauen kann. Die verschiedenen Straßenmalereien sind dafür umso beeindruckender und extra von Künstlern für das Spiel angefertigt worden. Hier ist Herzblut in die Sprühdosen geflossen.
Um mein Repertoire an Graffitis zu erweitern, heißt es mit offenen Augen durch die Stadt sausen: Die fliegenden Motive finden sich in Hinterzimmern oder auf Dachterrassen und oft sind meine Skate-Künste gefragt, um dorthin zu gelangen. Neben der sammelbaren Street-Art finden sich an anderen Stellen auch Outfits für meine Charaktere sowie Songs, die ich dann über das erwähnte Handy abspielen kann, wenn mir der aktuell laufende Track nicht gefällt oder ich zum fünften Mal hintereinander „Get Enuf“ von Hideki Naganuma hören will. Womit wir beim Soundtrack wären, der ähnliche Lobeshymnen wie die Optik verdient hat.
Der Sound der Straße
Fetziger Funk, brummende Beats, harmonisches House und hemmungsloser HipHop: Von Anfang an attackiert Bomb Rush Cyberfunk meinen Gehörgang mit einem exzellenten Soundtrack, der durch Abwechslung glänzt und sich gleichzeitig wie aus einem Guss anhört. Selten habe ich bei einem Videospiel bereitwilliger meine Anlage auf Anschlag aufgedreht, um Komponisten wie Hideki Naganuma, 2 Mello, Klaus Veen oder KiloWatts eine lautstarke Bühne zu bieten. Entspannte Lofi-Beats lassen mich den Wind in den nicht vorhandenen Haaren meines Roboterkopfes spüren, wenn ich über Leitplanken grinde, und explodierender Elektro-Funk sorgt bei den Crew-Battles für Feuer unterm Bord und meinem digitalen Hintern.Hätte das Spiel eine andere Musikuntermalung, würde das Skaten nur halb so viel Spaß machen, könnte ich die Polizisten noch weniger verkraften und wäre die Dreamcast-Ästhetik nicht ansatzweise so bezaubernd. Der Ton macht die Musik und die Musik macht das Spiel, das stimmt für Bomb Rush Cyberfunk wie für kaum einen anderen Titel. Falls ihr auch nach dem Test noch vor der Kaufentscheidung stehen solltet, lohnt definitiv ein Blick auf YouTube, um dort eine Kostprobe des Soundtracks vorzunehmen. Sollte euch das Gehörte dann überzeugen, findet ihr Bomb Rush Cyberfunk für 39,99 Euro auf dem PC, der Nintendo Switch, der PlayStation 4 und der Xbox One.
Fazit
Über 20 Jahre später macht Bomb Rush Cyberfunk da weiter, wo Jet Set Radio einst aufgehört hat: Eine manische Metropole, in der Straßengangs das Sagen haben und Graffitis sowie das Können auf dem Skateboard alles bedeuten. Was die Optik und den Soundtrack angeht, hat man die geistige Vorlage meisterhaft eingefangen: Die Skate-Simulation von Team Reptile ist knallig, bunt und ziemlich laut, versprüht meterdicke Graffiti-Atmosphäre und erfüllt die digitalen Straßen von New Amsterdam mit einem Soundtrack, der mir vermutlich noch in ein paar Jahren im Kopf herumspuken wird. Auch das Skaten ist an und für sich eine ziemlich spaßige Angelegenheit: Cleveres Leveldesign und eine zugängliche Steuerung sorgen für simples, aber gelungenes Railgrinding mitsamt Kunststücken und Turbo-Boosts. Leider stellt sich Bomb Rush Cyberfunk immer wieder selbst ein Bein: Zu häufige Dialoge und Zwischensequenzen unterbrechen den Gameplay-Flow genauso wie das nervige Heat-System, bei dem die Stadt fast dauerhaft von Polizisten wimmelt. So verdient sich der geistige Jet Set Radio-Nachfolger am Ende doch noch das Prädikat „Style over Substance".
Pro
- Zugängliches Skate-Gameplay
- Geschmeidiges Grinding
- Natürlich eingebaute Herausforderungen
- Knallige Dreamcast-Optik
- Dröhnender Funk-Soundtrack
- Sammelkram lädt zum Erkunden ein
Kontra
- Zu viele Zwischensequenzen unterbrechen Gameplay-Flow
- Bug hat zwei Zwischensequenzen unbrauchbar gemacht
- Story-bedingtes Gameplay zu repetitiv
- Auftauchen der Polizei zu frequentiert
- Unausgereiftes Kampfsystem
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