The Thaumaturge - Test, Rollenspiel, PC, XboxSeriesX, PlayStation5
The Thaumaturge: Ein innerer Konflikt, der auffrisst, in einem äußeren Konflikt, der die Welt anzündet
The Thaumaturge ist ein Storyspiel. Um ein Storyspiel zu besprechen, aber gleichzeitig dabei nicht zu spoilern, halte ich die Szenen und Details eher vage. Mir geht es vor allem darum, das Spielgefühl von The Thaumaturge zu beschreiben.1905. Protagonist Wiktor Szulski kehrt nach langer Abwesenheit zurück in seine Heimatstadt Warschau. Er ist Thaumaturg, ein Experte, der mit Geistern und anderen übernatürlichen Erscheinungen sprechen kann. Im
Spiel werden sie “salutors” genannt. Wiktor befindet sich mit seinem eigenen Dämon in einem Konflikt, der immer mehr an seinem eigenen Verstand kratzt. Während er nach einer Lösung für sein Problem sucht, möchte er gleichzeitig wichtige Familienangelegenheiten lösen. Doch Warschau ist zu dieser Zeit ein sehr chaotischer Ort – von Russland beherrscht, von Armut und Kriminalität zerfressen. Um eine Verschwörung aufzuklären und den Bewohnern zu helfen, muss er seine Fähigkeiten bis zur Spitze treiben.Ein intensiver Sog
The Thaumaturge lässt sich – abseits von seiner isometrischen Perspektive – in vielerlei Hinsicht mit Disco Elysium vergleichen. Es geht darum, völlig in eine Welt einzutauchen und herauszufinden, welche Rolle ihr in dieser spielen wollt. Es gibt sehr viel zu lesen, es wird sehr viel gesprochen. Das mag öde klingen – aber sich für Story-Fans im Laufe des Spiels zu einem absoluten Genuss entwickeln. Jedes einzelne Gespräch stelltgesellschaftliche Bezüge her und lässt in tiefe Persönlichkeiten blicken. Misstrauen, Angst und Hass befinden sich überall in der Luft.Jede Situation kann binnen Sekunden – mit dem falschen Wort – eskalieren und mit Mord und Totschlag enden. Überall gibt es Probleme, überall müssen Entscheidungen getroffen werden. Und manchmal gibt es keine richtige, sondern nur zwei falsche mit unterschiedlichen Konsequenzen. The Thaumaturge ist düster, macht aber unglaublich neugierig. Entwickler Fool’s Theory hat ein unglaubliches komplexes (und verbrauchtes) Zeitalter für ihr Spiel gewählt und dann auch noch eine genauso komplexe zweite Ebene darauf gepackt: Die salutors, die allesamt super-verstörend daherkommen und der slawischen Mythologie entstammen.
Detektivarbeit mit übernatürlichen Hilfsmitteln
Die meiste Zeit seid ihr in Thaumaturge damit beschäftigt, Detektivfälle zu lösen. Mit so einem Thaumaturgkann ein Sherlock Holmes kaum mithalten: Dank seiner Talente kann Wiktor Emotionen und Erinnerungen aufspüren, die Menschen und salutors hinterlassen. Wenn ihr nicht gerade Menschen ausfragt, durchlauft ihr die Umgebung und scannt nach Hinweisen. Auch das gehört zum Storytelling. Gameplaytechnisch solltet ihr nicht zu viel erwarten.Die meiste Zeit macht ihr exakt dasselbe, sammelt Beweise ein, bis ihr durch seid – aber natürlich immer in anderen Geschichten und Kontexten. Plus: Es lohnt sich, Orte dreimal abzusuchen und in jede Ecke zu schauen. Manchmal findet sich ein Objekt, das einen späteren Konflikt verhindern kann – oder eine Quest komplett drehen. Zum Beispiel: Ein Wachmann verlangt einen Ausweis. Habt ihr einen solchen gefunden, könnt ihr passieren. Habt ihr ihn nicht, kommt es zum Konflikt.
Rundenkämpfe mit höllischen Pokémon
Da das Stichwort bereits gefallen ist, sprechen wir die große Besonderheit gleich mal an: Wenn Worte das Problem nicht mehr lösen können, kommt es in The Thaumaturge zum Kampf. Dieser gestaltet sich durch Rundenkämpfe, in denen Wiktor meist gegen eine ganze Truppe von Ganoven, Soldaten oder anderen Unholden antreten muss. Aber nicht allein: Bis zu vier salutors stehen ihm zur Seite und können mit unterschiedlichen Effekten helfen – quasi Unterstützer, die bei einer Attacke dazu gerufen werden können. Manchmal ist das genauso cool, wie es klingt, und manchmal nicht. Ich versuche euch das an einem Vergleich klar zu machen.Disco Elysium blieb bei seinen Kämpfen konsequent – auch diese waren Teil des Texadventures und erhielten keine eigene Ebene. In The Thaumaturge sind sie ein separates Gameplay-Element – aber Fluch und Segen zugleich. Je nach Konstellation kann es recht taktisch und knifflig werden. Andererseits stellt sich die
Inszenierung selbst ein Bein: Beide Teams stehen sich gegenüber, teilen Attacken aus, stecken Attacken ein. Schadenszahlen ploppen auf. Was auch für Rechen- und Wahrscheinlichkeitsduelle dabei im Kopf stattfinden, auf dem Bildschirm kommt es so nie rüber. Das fällt vor allem dann auf, wenn die Attacken-Ketten immer komplexer werden, aber die Inszenierung kein Stück interessanter wird. Ich bin ehrlich: Auch wenn ich Wiktor als blutrünstigen Helsing spiele, tue ich mein Bestmögliches, die Kämpfe zu vermeiden oder zumindest so kurz wie möglich zu halten. An die Liebe des Storytellings reichen sie trotzdem nicht heran.Mit den Kämpfen ist gleichzeitig ein Skillsystem verbunden. Mit immer mehr Erfahrung habt ihr die Möglichkeit, eure jeweiligen salutors zu verstärken. Auch das ist cool und unterstützt den RPG-Aspekt, macht aber das Kämpfen und seine trockene Form – was die Inszenierung angeht – nicht besser. Was nicht heißen soll, dass die salutors keine coolen Animationen drauf hätten, wenn sie ihre Opfer verfluchen, stechen oder beißen. Aber es bleibt der Zucker in einem Kaffee, der etwas mehr Pannasch gebraucht hätte. Gleichzeitig: Das Kämpfen bleibt ein Nebenaspekt und kriegt nur deswegen so viel Schimpfe, weil dieser Actionpart kaum mit der Dichte des Nicht-Actionparts mithalten kann – und ihn manchmal auch ausbremst.
Fazit
The Thaumaturge ist ein Storyspiel durch und durch, ein Spiel, das über die mitreißende Stärke einer Netflixserie verfügt, in der ihr aber selbst mitspielen könnt. Auf dieser Ebene sind wir absolut begeistert und erleichtert, dass es endlich eine Alternative zum bereits viel genannten Disco Elysium gibt – und dann ausgerechnet in einem so unverbrauchten und interessanten Setting. Die Detektivarbeit geht sauber mit dem Storytelling einher. Auf dieser Seite gibt es nichts zu meckern. Doch was ist mit den Kämpfen? Hätte es hier mehr oder weniger Gameplay gebraucht? Ja und Ja. Gebt mir mehr Inszenierung, gebt mir noch mehr taktische Möglichkeiten oder eben schnellere Kämpfe.
Manchmal bockt es dann doch – wenn die Attacken wie ein Orchester ein blutiges und effektives Stück spielen – und dann gähnt die Inszenierung manchmal so laut, dass ich völlig herausgerissen werde. Ein großer Kritikpunkt in einem Spiel, das storytechnisch ansonsten alles richtig macht, was es richtig machen kann. Interessante Entscheidungen, interessante Charaktere, interessante Schicksale. Ständig will ich weiterspielen und sehen, in welche blöde Situation mich der nächste Fall bringt. Und dann sieht die Spielwelt auch noch so schön und verstörend zugleich aus! Als Storyfan bin ich begeistert, als Gameplaymensch enttäuscht. Aber letzterer kann auch einfach die Klappe halten.
Hinweis: Die getestete Version von The Thaumaturge wurde uns vom Publisher zur Verfügung gestellt. Eine Einflussnahme auf die Berichterstattung gab es nicht, es bestand keine Verpflichtung zur Veröffentlichung.
Pro
- Unverbrauchtes, spannendes Setting mit Gesellschaft und Dämonen
- Interessante Dialoge und Charaktere
- Viele Entscheidungsmöglichkeiten, viele Spielvarianten
Kontra
- Kampfsystem fehlt es vollkommen an Inszenierung
- Charakteranimationen wirken steif
- Skillsystem motiviert kaum
Echtgeldtransaktionen
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- Es gibt keine Käufe.
- Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.