Pool of Radiance 2 - Test, Rollenspiel, PC

Pool of Radiance 2
04.12.2001, Jörg Luibl

Test: Pool of Radiance 2

Der unbestrittene Rollenspiel-König heißt immer noch Baldur`s Gate 2 - wann beginnt der Thron zu wackeln? Die Stormfont Studios haben gerade mit Pool of Radiance 2: Ruins of Myth Drannor zum Generalangriff geblasen. Der Nachfolger des legendären Pools of Darkness setzt auf Polygon-Helden und die dritte Version der AD&D-Regeln. Ob sich der Weg in die Tiefen von Myth Drannor lohnt, erfahrt Ihr in unserem Test!

Zu Spielbeginn befindet sich Eure Gruppe in der Hafenstadt New Phlan. Von keinem Geringeren als Elminster, dem Gandalf der Forgotten Realms, werdet Ihr dann mit einer heiklen Aufgabe betraut. Schon einmal plagte ein unterirdisches Strahlenbecken die Stadt mit Horden von Untoten. Mittlerweile schreibt man das Jahr 1369 und ein neues Becken sorgt für unheilbringende Ausdünstungen - anscheinend ist dieser Pool unterirdisch mit dem alten verbunden. Weil dummerweise schon andere Möchtegern-Helden dem Brunnenspuk ein Ende bereiten wollten, aber kläglich gescheitert sind, sollt Ihr Euch auf den Weg nach Myth Drannor machen...

Elminster ruft zu den Fahnen

Die Story nimmt nicht die epischen Ausmaße von Baldur`s Gate 2 an: Die Spieldauer wird maximal bei 80-100 Stunden liegen. Profis sollten die Hauptquest schon nach etwa 30 Stunden gelöst haben. Dafür bietet POR2 die Möglichkeit, allen der insgesamt 60 Quests auch nach erfolgreicher Lösung der Hauptquest nachzugehen. Das Limit der Erfahrungsstufe liegt bei Level 16.

Zwar werden im Jahr 2001 die Regeln der 3. AD&D-Edition benutzt, aber trotzdem gibt es einige Ausnahmen: Die Party muss z.B. auf den Druiden und den Barden verzichten; außerdem wird man keinen Gnom spielen können. Bei den NPCs und Monstern wird man dafür der ganzen Vielfalt der AD&D-Welt begegnen: Vom Dunkelelfen bis zum untoten Drachen. Zu Beginn könnt Ihr Euch vier Helden erschaffen; im weiteren Spielverlauf kann die Party aus bis zu sechs Mitgliedern bestehen. Man hat mal wieder die übliche Qual der Wahl zwischen fünf Rassen (Mensch, Elf, Zwerg, Halbelf oder Halbork) und acht Klassen: Barbar, Kleriker, Kämpfer, Mönch, Paladin, Dieb, Ranger und Zauberer.

Charaktergenerierung

Die Interaktion mit der Umwelt spielt zwar eine Rolle, beschränkt sich aber weitestgehend auf das Zerstören von Hindernissen (Stühle, Tische etc.): Versperrt die Gruppe z.B. einen Zugang mit einem Tisch, sollten aggressive Monster erst mal damit beschäftigt selbigen zu zertrümmern. Die Interaktion mit den NPCs erreicht bei weitem nicht die Tiefe von Fallout, Planescape Torment oder Baldur`s Gate 2: Gespräche und Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe sind nur sehr beschränkt möglich und dienen weniger dem Atmosphäre-Schub als dem Lösen diverser Quests.

Steuerung und Interaktion

Die Entwickler haben sich in Sachen Benutzeroberfläche für ein gewöhnungsbedürftiges Pop-Up-Menüsystem entschieden, das Euch bei Auswahl eines Charakters ein Textmenü präsentiert: Wenn Ihr im Kampf die Waffe wechseln wollt, müsst Ihr Euch durch bis zu drei Menüs klicken. Profis werden sich schnell der Shortcuts bedienen, aber Anfänger dürften so ihre Schwierigkeiten bekommen.

Ob Ihr Euch lieber in Echtzeit oder im Einsteiger-freundlichen rundenbasierten Modus in die Schlacht schmeißt, entscheidet Ihr: Wenn Ihr die Reaktionszeit (Initiative) Eurer Party z.B. sehr niedrig einstellt, kommt Ihr einem Echtzeit-Kampf sehr nahe. Im normalen Modus kennzeichnet ein Balken die zur Verfügung stehende Zeit: Ihr müsst Euch innerhalb dieser Zeit entscheiden, welche Kampf- bzw. Magieoption Ihr wählt - ansonsten führt die Figur einen Standard-Angriff aus. Einige neue Kampfdisziplinen, wie das "Blinde kämpfen" gegen unsichtbare Monster; und "Zaubern im Kampf" wurden integriert.

Kampf- und Magiesystem

Die Kämpfe an sich sind für Einsteiger sehr gewöhnungsbedürftig: Jede taktische Entscheidung ist wichtig, jeder Fehlschlag lebensgefährlich und das optimale Zusammenspiel der Gruppenmitglieder Pflicht. Der Tod wird aufgrund der niedrigen Lebenspunktezahl und der Tatsache, dass auch die Gegner mit kritischen Treffern glänzen, schnell zum ständigen Begleiter. Und leider erweist sich die Tastatur-Maus-Steuerung der Hektik des Kampfes nicht immer gewachsen: Fehlklicks und Missverständnisse gehören zum Alltag.

Tag- und Nachtzyklen beeinflussen den Spielablauf, das Kampfgeschehen sowie das Verhalten von NPCs beeinflussen. Manchen Monstern wird man nur bei Nacht und an bestimmten Orten begegnen. Etwa 100 Priester- und Magierzauber stehen Euch zur Verfügung; Magier können bis zum 8. Magielevel kommen.

Auf den ersten Blick bietet POR grafisch nichts Neues und ähnelt Baldurs Gate 2: Eine isometrische Perpektive mit handgezeichneten Hintergründen, keine zoom- bzw. verstellbare Kamera und eine maximale Auflösung von 800x600 Bildpunkten bei 16 Bit. Aber bei genauerem Hinsehen zeigen sich doch deutliche Unterschiede:

Grafik/Sound

Die Entwickler von Stormfront haben ihre eigene 3D-Engine integriert, die vollständige Polygon-Modelle generiert. Die animierten Figuren bestehen aus bis zu 3000 Polygonen und überzeugen mit authentischen Größenverhältnissen: Halb-Orks sind etwa einen Kopf größer als Menschen und erheblich größer als Zwerge - so manches der etwa 40 Monster wird bis zu 75% des Bildschirms füllen. Ein weiteres cooles Feature: Man sieht, wie die Gegner -egal ob Goblin oder Hügelriese- atmen: Der Brustkorb bewegt sich auf und ab.

Außerdem wurde versucht, möglichst alle Vorlagen des AD&D-Universums für Stadtpläne, Burgen und Dungeons zu verwenden. Liebhaber der Forgotten Realms dürften sich also ohne weiteres hier und da heimisch fühlen. Es bleibt natürlich nicht bei den Ruinen von Myth Drannor: Zu den weiteren Lokalitäten gehören auch Zwergenminen, unheimliche Sümpfe oder z.B. die Elfen-Festung von Cormanthyr. Während sich die spielbare Oberwelt mit umgerechnet 1km² begnügt, protzen die acht geplanten Unterwelten mit je 1km² - insgesamt darf man sich auf 9km² Spielwelt freuen.

Trotzdem muss man festhalten, dass die Grafik im Vergleich zu Baldur`s Gate 2 keine optische Revolution darstellt: Die Charaktere wirken zwar lebendiger, aber da man bei den wunderbar texturierten Oberwelten auf die Integration von windbewegten Sträuchern, Wolkenbewegung, bewegten Schatten, Kleintiergewusel oder Vogelflug verzichtet hat, wirkt der Marsch durch die Wildnis wie der durch ein Gemälde - schön anzuschauen aber leblos.

Pro:

  • gelungenes Tutorial


  • gute Sprachausgabe


  • sehr gute Zaubereffekte


  • Fundgrube für AD&D-Fans


  • schöne Charakteranimationen


  • modifizierbares Kampfsystem


  • Kontra:

  • unmotivierte Story


  • fehlende Dramatik


  • keine Wettereffekte


  • langwierige Kämpfe


  • zäher Level-Aufstieg


  • unbelebte Landschaft


  • eintöniges Dungeon-Gemetzel


  • teilweise umständliche Steuerung


  • Vergleichbar mit:

    Baldur`s Gate 2; Arcanum; Gorasul; Wizardry 8; Divine Divinity

    Fazit

    POR 2 steht eindeutig in der Tradition der Gold-Box-Spiele und richtet sich an Freunde ausgedehnter taktischer Kämpfe - der Fokus liegt auf ausgiebiger Dungeon-Action. Das Gameplay beschränkt sich zeitweise auf die ermüdende Abfolge von Kampf, Schlaf, Kampf und Schlaf. Story und Dramatik à la Baldur`s Gate 2 sucht der Fantasy-Freund vergebens. Leider kann man die gewöhnungsbedürftigen Menüführung nicht als einsteigerfreundlich bezeichnen und optisch bietet POR 2 nicht den herausragenden Fortschritt, den die neue 3D-Engine vermuten ließ. Nur eingefleischte AD&D-Fans werden wohl trotz aller Tücken spannende Stunden in Myth Drannor erleben - der Thron von Baldur`s Gate 2 wackelte jedoch nicht mal im Ansatz.

    Wertung

    PC