S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl - Special, Shooter, PC

S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl
07.12.2004, Marcel Kleffmann

Special: S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl

Entwicklertagebuch Teil 3

Half-Life 2 steht mittlerweile in den Läden und jetzt richten sich immer mehr Augen auf das kommende Highlight S.T.A.L.K.E.R. Shadow of Chernobyl. Doch bevor wir uns selbst in ein verseuchtes Tschernobyl der nahen Zukunft stürzen, erzählt Alexei Sytyanov in seinem dritten Entwicklertagebuch, worauf wir uns freuen dürfen und wo genau die Besonderheiten bei der Ingame-Physik liegen.

Eines der wichtigsten Features von S.T.A.L.K.E.R. Shadow of Chernobyl ist die Simulation einer realistischen Spielwelt – um diese schaffen zu können, mussten wir besonderen Wert auf die Physik-Engine des Spiels legen. Zum Teil lässt sich eine überzeugende und damit realistisch wirkende Spielwelt durch eine grafisch detaillierte Umgebung erzeugen. Um aber neue Maßstäbe setzen zu können und den Spieler wirklich in die Spielumgebung eintauchen zu lassen, mussten wir eine komplett neue Physik-Engine programmieren. Je mehr Aufwand wir in diesem Bereich der Entwicklung betreiben würden, desto stärker wird letztlich das Gefühl des Spielers sein, wirklich "vor Ort" zu sein.

Entwicklertagebuch Teil-3

Alexei Sytyanov, Game Designer

GSC Game World

Diese völlig neue Physik-Engine ermöglichte es uns, eine Umgebung zu erschaffen, in der Objekte vollständig interaktiv benutzt werden können. Stühle, Tische, Steine, Dosen und viele andere Objekte können bewegt, geworfen, zerstört und auf vielfältige Weise verwendet werden, die der Spieler als natürlich empfindet. Wo viele andere Spiele diese Art von Interaktivität auf Gegenstände beschränken, die für das Lösen von Aufgaben notwendig sind ("Quest Items"), hebt S.T.A.L.K.E.R. diese Einschränkung auf, um es dem Spieler zu ermöglichen, die Spielwelt so zu erkunden, wie er es in der realen Umgebung auch machen würde:

 "Ein halb verfallenes Haus in völliger Dunkelheit zu durchsuchen, birgt mehr als genug Gefahren. Ich wusste zwar, dass ich extrem vorsichtig vorgehen musste, aber trotzdem ließen sich nicht alle morschen Stellen vermeiden, die die Jahre des Verfalls hinterlassen hatten. Bevor ich das Haus betreten hatte, war ich davon überzeugt, auf alles und jeden vorbereitet zu sein – außer auf meine eigene Dummheit. In der klaustrophobischen Finsternis ging ich viel zu selbstsicher und viel zu überheblich vor. Ich orientierte mich mehr an früheren Erkundungen anstatt meine Helmlampe zu benutzen. Im Vorbeigehen streifte eine herunterhängende Lampenfassung meinen Kopf und brachte mich dazu, rückwärts über ein hölzernes Gitter auszuweichen. Prompt gaben die verrotteten Holzbohlen krachend unter meinem Gewicht nach. Während ich noch meine Ungeschicklichkeit verfluchte, schaltete ich die Helmplampe ein, deren Strahl die herumbaumelnde Fassung traf. Ein frustrierter Tritt beförderte einen rostigen Blecheimer in die Dunkelheit. Über mir hörte ich das – vielleicht sogar tödliche – Ergebnis meiner Fehler. Ich hielt inne, kauerte mich hin – endlich völlig still – und hoffte nur noch, dass sich die Finsternis zu meinem Verbündeten verwandeln würde."

Die vielfältigen Möglichkeiten, die eine solch leistungsfähige Physik-Engine zur Verfügung stellt, führt sowohl zu einem hohen Grad an Realismus als auch zu taktisch nutzbaren Spielsituationen, die sich z. B. während eines Kampfes oder bei Erkundungsmissionen ergeben. Stellen Sie sich folgendes Szenario vor:

 "Das ist mein erster Tag in der Zone und ich bekomme langsam das Gefühl, dass etwas mehr Vorbereitung ratsam gewesen wäre. Jeder Meter in dieser Umgebung fordert alles von einem ab – und zwar auf eine Weise, wie ich es bei bisherigen militärischen Operationen nicht erlebt habe. Ginge es hier nur darum, einen Feind zu bekämpfen, wäre ich innerlich ruhiger, aber darum geht es nicht und ich bin es auch nicht. Heute bei Tagesanbruch, als man im Dämmerlicht noch nicht besonders viel erkennen konnte, wurde mein Handeln durch meine innere Anspannung kontrolliert: in einer reflexhaften Reaktion feuerte ich auf eine plötzliche Bewegung in der Ferne. Später stellte sich heraus, dass ich einen anderen Stalker getroffen hatte – vielleicht von einem feindlichen Clan, dem ich noch nicht begegnet bin. Aber die Würfel waren gefallen und ich werde die Konsequenzen tragen müssen, die meine Entscheidung nach sich zieht. Natürlich habe ich versucht, die Spuren meiner Tat zu verwischen, indem ich die Leiche des Stalkers an einem Ort versteckt habe, an dem sie kein anderer vernünftiger Stalker suchen wird. Ha. Kein vernünftiger Stalker. Ich zumindest nicht."    

Die Fähigkeit, Körper zu verstecken, ist keine besondere Eigenschaft der Stalker. Zahlreiche Wesen im Spiel haben ebenfalls genügend Intelligenz und Möglichkeiten, um Objekte auf diese Weise zu benutzen. Daher ist es wichtig, möglichst viel über die Spielumgebung herauszufinden. Einige Objekte können dazu eingesetzt werden, um Gegner zu verletzen oder k.o. zu schlagen, während andere einen wirksamen Schutz vor Explosionen oder Projektilen bieten. Aber Vorsicht: nicht alle Objekte halten einem konzentrierten Beschuss aus einer Kalashnikov stand.

 Besondere Aufmerksamkeit haben wir dem Physiksystem gewidmet, welches das Körperverhalten der Stalker und anderen Wesen in der Zone steuert. Im Folgenden dazu ein paar Details: Ein hochentwickeltes Skelett-Animationssystem kontrolliert realistische Körperbewegungen. Im Körper eines Menschen kommen etwa 50 verschiedene Knochentypen vor, die alle bewegt werden können – bis hin zum kleinen Finger. Einige Parameter, die die Körperbewegungen bestimmen, sind z. B. die Biegefähigkeit, Gelenksteifigkeit, Gewicht der Knochen etc. Sie alle beeinflussen, wie ein Körper beispielsweise auf Gewehrfeuer oder auf einen Sturz aus großer Höhe reagiert. Bei diesem Detailgrad, den uns die Physikengine zur Verfügung stellt, wäre es sehr nachlässig, wenn wir diese Möglichkeiten nicht nutzen würden, die sich uns dadurch bieten. Der Stalker des Spielers wird sich z. B. langsamer bewegen, wenn er schwer verletzt ist; Verletzungen der Hand führen zu einem Zittern, das wiederum das Zielen erschwert; Beinverletzungen lassen ihn humpeln. Es ist sehr interessant und aufschlussreich, die Möglichkeiten der Physikengine in dieser Weise auszuschöpfen. Sogar die Art der Kleidung und der Bewaffnung werden sich auf die Art und Weise auswirken, wie sich der Stalker des Spielers bewegt.

Neben der Modellierung der Körperbewegungen widmeten wir natürlich auch der Waffenphysik des Spiels unsere besondere Aufmerksamkeit. Die verschiedenen Waffen sollen nicht einfach nur unterschiedlich aussehen, sondern sich exakt wie ihre realen Pendants verhalten. Das Festlegen der effektiven Feuerreichweite ist dabei nur der Anfang. Manche Waffen verfügen über eine höhere Durchschlagskraft, während andere über größere Entfernung stärker streuen – alles Eigenschaften, die die Physik-Engine berücksichtigen und auswerten muss. Außerdem lässt sich fast jede Waffe mit einer Laserzielvorrichtung, Schalldämpfung oder einem Granatwerfer modifizieren. Unsere Absicht, eine möglichst realistische Spielwelt zu erzeugen, führt auch dazu, dass Waffen nur für eine begrenzte Zeit funktionieren, zu Ladehemmung neigen usw. Der Spieler wird daher vermutlich schon sehr früh im Spiel die Maxime beherzigen: "man bekommt nur soviel, wie man bezahlt". Wenn Sie jetzt noch die große Auswahl an Hieb- und Stichwaffen hinzuziehen, die es im Spiel geben wird, können Sie sich ungefähr vorstellen, wie lange es dauert, bis Sie alle Sachen gesehen haben, die man mit der Physikengine anstellen kann.

 Fahrzeuge verfügen im Spiel natürlich auch über typische Eigenschaften. Um sie in Gang zu halten, muss der Spieler sie mit Treibstoff versorgen und auf ihren Zustand achten. Die Türen lassen sich öffnen und schließen, außerdem verfügen viele Fahrzeugtypen über einen Kofferraum und manche sogar über ein Handschuhfach, in dem Gegenstände abgelegt und aufbewahrt werden können. Falls ein Reifen während der Fahrt von einer Kugel getroffen wird, kommt das Fahrzeug entweder ins Schleudern oder mit einem blockiertem Rad abrupt zum Stehen. Fahrer können auch ganz unmittelbar getroffen werden, was möglicherweise sogar tödliche Folgen für den Schützen haben kann.

Der Physikbereich ist bei der Spielentwicklung so vielfältig und interessant, da er ganz unmittelbar Einfluss auf das Gameplay und die Art und Weise nimmt, wie der Spieler in der Spielwelt agieren kann. Wir haben S.T.A.L.K.E.R. mit einer Fülle an Details ausgestattet, die zu einem großen Teil den hohen Realismusgrad bestimmen, der das Spiel auszeichnet.